Wahrheit

Als der Wecker klingelte, erwachte Hermine aus einem eher unruhigen Schlaf. Nach längerem tasten mit ihrer rechten Hand, fand sie schließlich den Knopf, der den fürchterlichen Lärm beendete.

Die Leuchtziffern des Weckers zeigten 6:30 Uhr, in zweieinhalb Stunden hatte sie einen Termin beim Arzt. Hermine seufzte, in zweieinhalb Stunden würde sie wissen, ob sie es geschafft hatte. Dieser Gedanke ließ sie umdrehen, zu der Person neben ihr im Bett, die tief und fest schlief. Kyle war schon immer mit einem gesunden Schlaf gesegnet gewesen.

Sie beugte sich über den schlafenden Mann und küsste ihn liebevoll auf die Wange, die einzige Reaktion, die sie darauf erhielt, war ein zufriedenes Grummeln. Lächelnd schlug sie die seidigen Laken zurück, erhob sich vorsichtig aus dem Bett und verschwand im angrenzenden Badezimmer.

Sie blieb einen Moment vor dem großen Badezimmerspiegel stehen, um sich zu betrachten. Mit ihren 38 Jahre wirkte sie noch immer attraktiv. Ihr Gesicht war makellos und kaum eine Falte zierte ihr Gesicht.

Sie entledigte sich ihres Nachthemdes und ließ ihren Blick im Spiegel, langsam über ihren nackten Körper gleiten. Von außen sah man nichts, ihre langen Beine waren glatt und wohlgeformt, ihr Busen immer noch fest, ihr Bauch war flach, kurz man sah ihr das Alter, die Krankheit und die drei Schwangerschaften nicht an.

Hermine löste sich vom Spiegel und trat an die Dusche, mit einer Hand drehte sie den Wasserhahn auf und nach dem sie die Wassertemperatur geregelt hatte, trat sie in die Kabine und schloss die Glastür. Sie seifte sich gründlich ein und massierte das Shampoo in ihre Locken, die sie mittlerweile schulterlang trug. Sie hatte festgestellt, dass sie in dieser Länge nicht mehr ganz so buschig und struppig wirkten, sondern sich zu großen Locken formten.

Nachdem sie sich den Schaum vom Körper und aus den Haaren gewaschen hatte, atmete sie einmal tief durch, ehe sie den Wasserhahn auf kalt drehte, um sich drei Minuten unter den eiskalten Strahl zu stellen. Diese drei Minuten, beendeten ihr tägliches Morgenritual und sie fühlte sich wunderbar munter und erfrischt.

Sie trocknete sich zügig ab, begann nachdem sie sich mit Hilfe eines gemurmelten Zauberspruchs eingecremt und die Zähne geputzt hatte, für den Tag anzuziehen. Sie legte eine getönte Tagescreme, etwas Wimperntusche auf und verließ zufrieden mit sich selbst das Badezimmer.

Sie ging hinunter in die Küche und setzte erst einmal Kaffee auf. Anschließend holte sie Toast und Butter aus dem Kühlschrank und 10 Minuten später, saß sie am Tisch beim Frühstück und überflog dabei, die Neuigkeiten im Tagespropheten.

Als Hermine eine viertel Stunde später fertig war und sie ihre zweite Tasse Kaffee getrunken hatte, stellte sie mit einem Blick auf die große Küchenuhr fest, dass es an der Zeit war aufzubrechen, denn der Verkehr um diese Zeit war in London meistens turbulent und sie wollte pünktlich zu ihrem Termin erscheinen.

In der Diele nahm sie ihre Jacke vom Haken und beschloss, nachdem sie einen kurzen Blick nach draußen geworfen hatte, dass es besser wäre einen Schal umzulegen, die Frühlingssonne war noch zu schwach.

Mit einem letzten kritischen Blick in den Spiegel überprüfte sie ihr Outfit, ehe sie die Treppen nach oben stieg. Sie trat in das verdunkelte Schlafzimmer und ging zum Bett, in dem Kyle unverändert lag und schlief.

Hermine beugte sich zu ihm hinab und murmelte leise an seinem Ohr. „Es wird Zeit, dass du wach wirst, Liebling", bevor sie ihn zärtlich küsste.

Kyle begann sich zu bewegen und streckte sich ausgiebig, ehe er seine blauen Augen öffnete. „Wie spät ist es?",fragte er mit vom Schlaf noch belegter Stimme.

„Kurz vor acht, also höchste Zeit für dich, du Schlafmütze", lachte Hermine und erhob sich.

„Wir sehen uns heute Abend", sagte sie, als sie die Tür erreichte

„Warte", rief Kyle und machte einen Schmollmund, „wo ist mein Kaffee?"

„Unten, in der Kaffeekanne", grinste Hermine frech und war auch schon aus der Tür. Mit schnellen Schritten lief sie die Treppe hinunter und aus dem Haus, gerade als sie die Gartentür erreichte hörte sie wie ein Fenster geöffnet wurde. Sie drehte sich um und blickte nach oben, nur um zu sehen, wie Kyle seinen blonden Kopf aus dem Fenster hielt. „Viel Glück, Liebling", rief er und blies ihr einen Handkuss zu.

„Danke", erwiderte sie und fing den Kuss mit einer Hand auf, dann zog sie das Gartentor mit Schwung auf und trat energisch auf die Straße.


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Trotz des üblichen zähen Londoner Verkehrs, erreicht Hermine, zehn Minuten vor neun ihr Ziel. Die Praxis befand sich in einer kleinen, ruhigen Seitenstraße im Zentrum von Muggel-London, die hauptsächlich mit kleinen Stadtvillen bebaut war.

Kaum hatte das Taxi vor dem Haus, in dem sich die Praxis befand gehalten und Hermine den Fahrer bezahlt hatte, stieg sie aus dem Auto und schritt zielstrebig auf die Eingangstür zu. Ihr Blick fiel dabei, wie immer, auf das große Messingschild, das im Vorgarten stand. Dr. med. Seamus Finnigan, Praktischerarzt.

„Na dann mal los Seamus, ich bin gespannt, was du mir heute sagen wirst", murmelte Hermine zu sich selbst und drückte auf den goldenen Klingelknopf. Es dauerte nicht lange, ehe der Türsummer ging und sie über die Schwelle trat. Nachdem sie von der Arzthelferin begrüßt worden war, setzte sie sich auf einen Stuhl im leeren Wartezimmer und starrte auf ein buntes abstraktes Bild, das die ganze Wand dominierte.

Hermine spürte, wie ihre Hände bei dem Gedanken, was sie gleich erfahren würde, bebten. Was wäre wenn, sie die Krankheit nicht besiegt hatte, was wäre wenn, sie stattdessen sterben würde? Was würde aus Kyle werden, was wäre mit Fin, Brendan und Lorayn, ihren Kindern? Wie würden sie damit zurecht kommen, wenn sie nur noch ihren Vater hätten?

„Hör auf Hermine, du wirst nicht sterben, nicht bevor sie groß sind und auf ihren eigenen Beinen stehen können. Seamus war bei deinem letzten Besuch hier, mehr als zuversichtlich und das ist jetzt ein halbes Jahr her", ermahnte sie sich selbst und wischte sich eine Träne aus den Augen.

Hermine wurde aus ihren trüben Gedanken gerissen, als die junge blonde Arzthelferin in die Tür zum Wartezimmer trat und mit fröhlicher Stimme rief. „Mrs. Snape, der Doktor erwartet Sie!"

Mit weichen Knien erhob sie sich von ihrem Stuhl und folgte der jungen Frau wie in Trance, die ihr den Weg zum Behandlungszimmer zeigte. „Danke Sandy", bedankte sie sich und klopfte dann an die Tür hinter der kurz darauf, ein gedämpftes „Herein" zu hören war. Hermine drückte die Klinke nach unten, öffnete die schwere Holztür und trat ein.

„Hallo Seamus", grüßte sie betont fröhlich. Der Mann hinter seinem Schreibtisch, der sich seit seiner Schulzeit sehr verändert hatte, blickte kurz von seinen Papieren auf und murmelte, „ Hermine", bevor er seinen Blick wieder auf die Papiere senkte. Hermine versuchte sich, von seinem merkwürdigen Verhalten, nicht irritieren zu lassen und nahm auf dem Stuhl gegenüber seines Schreibtisches Platz.

Es vergingen ein Minuten, in denen keiner von beiden etwas sagte. Hermine begann den Mann auf der anderen Seite, der tief in seinen Papieren versunken war, zu mustern. Seamus hatte damals, nach dem Krieg und dem hart erkämpften Sieg gegen Voldemort, beschlossen der Zauberwelt den Rücken zu kehren und seinen Weg in der Muggelwelt zu suchen. Er hatte studiert und während seines Studiums, Melissa kennen gelernt.

Nach dem er promoviert hatte, hatten die beiden geheiratet und lebten nun zusammen mit ihren fünf Kindern, in einem vornehmen Vorort von London. Die letzten Jahre hatten es gut mit ihm gemeint und das Eheleben schien ihm zu bekommen. Er war etwas voller geworden, aber ohne dabei dick zu wirken. Seine rotblonden Haare, wurden von einzelnen grauen Strähnen durchzogen und der bräunliche Kontrast seiner Haut, ließ seine blauen Augen strahlen.

Hermine räusperte sich und begann etwas unruhig, auf ihrem Stuhl, hin und her zu rutschen. Seamus schien das nicht weiter zu stören, irgendwann hielt sie es nicht mehr aus und sprach ihn an. „Seamus, was ist los?"

Der Angesprochene hob seinen Kopf und sah sie kurz an, bevor er ihrem fragenden Blick auswich. „Ähm Hermine, ...ich weiß nicht, ...wo ich anfangen soll."

„Wie wäre es mit, am Anfang?"

„Nun, es sieht so aus, dass...", hier brach er erneut ab und senkte seinen Blick wieder auf seine Papiere.

Hermine spürte wie sich ihr Magen zusammen zog, das lief alles andere als gut und sie wusste im Grunde bereits tief in ihrem Inneren, dass es anscheinend schlecht um sie stand.

„Okay Seamus, soll ich für dich beginnen?", fragte sie mit leicht zitternder Stimme.

„Hermine, bitte..", flehte Seamus.

„Nein, kein Problem wirklich, sind wir doch mal realistisch, trotz der schweren Medikamente und den vorangegangenen Chemotherapien, ist der Krebs zurückgekehrt und ich werde sterben. Hab ich Recht?"

„Hermine, es gibt da...", begann der Mann ihr gegenüber.

„Hab ich Recht, Seamus? Wir sind seit so vielen Jahren befreundet, du bist mein Arzt, du bist einer der Menschen, denen ich am meisten vertraut habe. Von denen ich nie etwas anderes, als die reine Wahrheit, erwartet habe, also warum nicht auch jetzt? Sag mir die Wahrheit Seamus, habe ich Recht?"

Dr. Finnigan seufzte tief, hob seinen Blick und sah mit seinen blauen Augen fest in die zimtfarbenen von Hermine und antwortete mit leiser Stimme. „Ja, du hast Recht Hermine, der Krebs ist zurück!"

Hermine schluckte und sie spürte, wie ihre Augen zu brennen begannen. „Wie...,.. wie lange? Wie viel Zeit habe ich noch?", flüsterte sie.

„Ich weiß es nicht Hermine, ein paar Monate oder ein paar Jahre, ich kann es dir nicht sagen. Es kommt auch darauf an, welche Behandlungsmöglichkeiten wir jetzt einschlagen. Eine erneute Chemotherapie hätte vielleicht..."

Ein energisches „Nein!", von Hermine ließ ihn zusammen zucken. „Nein, es wird auf keinen Fall, eine erneute Chemotherapie für mich geben! Und ich will, dass du mir jetzt und hier das Versprechen gibst, Kyle erst einmal nichts von der Diagnose zu sagen!"

„Aber Hermine, das kannst du nicht, Kyle ist dein Lebensgefährte und er hat ein Recht darauf es zu erfahren, genauso wie deine Kinder!"

„Ich werde es Kyle sagen, aber nicht jetzt. Er ist im Moment zu sehr mit seinem neuen Projekt beschäftigt, ich will ihn nicht noch zusätzlich damit belasten, verstehst du? Versprich es mir.", flehte sie.

Nach einem Moment erwiderte er. „Versprochen, aber was ist mit den Kindern. Hermine sie sind deine Kinder, sie haben nur eine Mutter. Sag es ihnen, vor allem den Jungs. Sie sind mittlerweile in einem Alter, indem sie verstehen werden was mit dir passieren wird!", redete der Arzt auf seine Patientin ein. Hermine atmete tief ein, ehe sie entgegnete „Ich werde es mir durch den Kopf gehen lassen. Und nun ist es Zeit, dass ich gehe."

Sie erhob sich, Seamus trat zu ihr und nahm sie in den Arm. „Pass auf dich auf Hermine, ich werde dir das Rezept für deine Medikamente, ins Ministerium schicken."

Sie erwiderte seine Umarmung und murmelte, „Danke Seam, ich weiß, dass ich mich auf dich verlasen kann!", dann löste sie sich von ihm und lächelte. „Grüß Melissa und die Kinder von mir."

Mit diesen Worten ging sie zur Tür, ihre Hand lag bereits auf der Klinke, als sie sich noch einmal umdrehte, „Werde ich Schmerzen haben?" ,fragte sie und ihre Stimme zitterte.

Ein schwaches Lächeln bildete sich auf dem Gesicht des Freundes. „Ich werde alles dafür tun, damit du soweit es geht, schmerzfrei bleibst!"

„Danke", mit diesen Worten zog sie die Tür auf und trat hinaus.

Nachdem die Freundin gegangen war, drückte der Arzt auf den Knopf an seiner Sprechanlage und sagte, „Sandy, warten Sie bitte noch zehn Minuten, bis Sie Mrs. Bergwood herein bringen!"

„Ja, Sir", kam die fröhliche Stimme aus dem Mikrofon. Seamus stützte seinen Kopf in die Hände und konnte es nicht vermeiden, dass ihm ein paar Tränen über das Gesicht liefen.

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