4. KAPITEL

»Wer seid ihr und was beim SternenClan sucht ihr hier?« Erschrocken fuhr Klippenpfote herum.
Dort, halb von den herabhängenden Ästen der Trauerweide verborgen, blitzte ihm ein braun- hellbraun gestreifter Kater aus seinen gelben Augen entgegen. Seine Krallen waren ausgefahren und sein Schweif peitschte unruhig hin und her. Es schien als wollte er sich jeden Moment auf die drei Schüler stürzen.

Klippenpfote verdrehte die Augen. Es musste ja so kommen! Habe ich das nicht von Anfang an gesagt? Aber nein, meine Schwester kann auf meinen Rat ja gut verzichten!

»Wir sind hier am Ahnenbaum. Dies ist ein heiliger Ort beider Clans und daher dürfen wir uns hier aufhalten. Auch NachtClan-Katzen dürfen den Ahnenbaum aufsuchen und das sollte normalerweise jede FederClan-Katze wissen.« Er versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie wenig er von seinen eigenen Worten überzeugt war.

Hinter dem ersten FederClan-Krieger folgten zwei weitere Katzen, ein rotorangener Krieger mit vom Alter ergrauter Schnauze und ein junger schwarzer Kater, dessen grüne Augen ängstlich umher huschten.

»Jede FederClan-Katze sollte von der Vereinbarung wissen, die Eibenstern und Wasserstern getroffen haben, als unsere Clans diese Territorien erreichten und sich daran halten. Es sei denn sie ist auf einen Kampf aus«, miaute er und hoffte, dass die drei FederClan-Katzen friedlich bleiben würden.
Währenddessen versuchte er Hagelpfote wach zu bekommen. Die weiße Kätzin lag am Ahnenbaum und zuckte nicht einmal mit den Schnurrhaaren, sich schlafend stellend, all den Bemühungen ihres Bruders zum Trotz.

»Sicherlich wandelt sie im SternenClan und wacht deshalb nicht auf.«, flüsterte Rankenpfote ehrfürchtig.

Klippenpfote gab ein leises Murren von sich. Wahrscheinlicher ist, dass sie mich zum Narren halten will und es lustig findet, uns in Schwierigkeiten zu bringen und zu beobachteten, was wohl geschieht.

»Ich dachte, die NachtClan-Katzen würden diese Vereinbarung ebenfalls kennen«, fauchte der getigerte FederClan-Kater. »Nur Heilern, Anführern und deren Begleitung aus eurem Clan ist der Aufenthalt hier gestattet. Ich sehe aber nur drei Schüler.«

Klippenpfote schluckte und verfluchte Hagelpfote in Gedanken dafür, dass sie hier einfach so einschlief und dann nicht mehr zum Aufstehen zu bewegen war. Ungeduldig trippelte er mit den Pfoten und beobachtete, wie die Wut in den Augen des getigerten Kriegers immer größer wurde, bis er platzte. Der FederClan-Kater machte einen Satz auf Klippenpfote zu, der seinen Krallen im letzten Herzschlag ausweichen konnte und schrie: »Verschwindet aus unserem Territorium, dämlicher NachtClan-Abschaum!«

Endlich schritt der ältere Kater ein, packte seinen jüngeren Clangefährten am Nackenfell und zog ihn mit den Worten: »Hummelschatten, reg dich nicht so auf, Wasserstern wird entscheiden was mit ihnen geschieht«, zurück.

Aha, dachte Klippenpfote, noch jemand, der die Prüfung nicht bestanden hat. Aber das geschieht diesem aggressiven Fellball recht.

»Misch dich nicht ein, Sonnenpelz! Wir dürfen nicht schwach wirken, diese Schüler sollen bekommen, was sie verdienen«, protestierte der Jüngere, doch Sonnenpelz ließ nicht zu, dass er jemanden verletzte.

Der FederClan Schüler, der die ganze Zeit über da gesessen und mit großen Augen zu gesehen hatte, miaute auf einmal: »Die NachtClan-Schülerin ist aufgewacht.«

»Endlich!«, seufzte Klippenpfote und betrachtete Hagelpfote, wie sie gegen das Dämmerlicht unter dem Baum die Augen zusammen kniff.

»Ich war im SternenClan und habe eine SternenClan-Katze getroffen! Sie wollte mit mir reden und hatte eine Nachricht für mich!«, platzte es aus ihr heraus.

Rankenpfote starrte die andere Schülerin mit begeistert leuchtenden Augen an. »Was hat sie gesagt? Hast du meine Mutter auch gesehen?«

Müssen wir diesen Unsinn denn unbedingt jetzt klären? Selbst wenn sie tatsächlich geschlafen hat, es war doch nur irgendein Traum! Kein Grund so einen Aufstand zu machen.

Hagelpfotes Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig. Sie wich Rankenpfotes Augen aus und meinte: »Ach, nicht so wichtig. Es war nur Pfützenschimmers Mutter. Wir haben so über dieses und jenes geplaudert.«

Klippenpfote kaufte seiner Schwester das nicht ab, er sah es sofort, wenn sie log, ganz im Gegensatz zu Rankenpfote, die nur miaute: »Das ist ja schön! Ich wünschte, ich könnte meine leibliche Mutter auch noch einmal treffen«

»Ist mir egal, wer welchen unserer Ahnen getroffen hat! Ihr kommt jetzt mit in unser Lager. Bleibt nur noch zu hoffen, dass Wasserstern die richtige Entscheidung trifft!«, knurrte Hummelschatten ungeduldig und warf Sonnenpelz einen aufgebrachten Blick zu.
Klippenpfote wollte gar nicht erst wissen, was er für ‚die richtige Entscheidung' hielt.

***

»Und was machen wir jetzt mit ihnen?« Hummelschatten blitzte die NachtClan-Schüler feindselig an, noch bevor sie das Lager durch den Tunnel aus stacheligen Sträuchern betreten hatten. »Diese NachtClan-Katzen sind unsere Gefangenen. Wir können sie nicht einfach im Lager herumstreunen lassen.«

Der ältere Krieger verdrehte die Augen. »Sie haben bisher keiner Katze etwas zuleide getan und ich glaube nicht, dass es sich ändern wird. Aber wenn du darauf bestehst, kannst du ja die Wache übernehmen, bis Wasserstern zurück ist.«

Eben waren sie einer Jagdpatrouille begegnet, die berichtet hatte, dass Wasserstern an der Obstwiese die Grenze patrollierte. Es würde also noch ein wenig dauern, bis entschieden wurde, was mit den drei Schülern geschah.

»Und was soll ich die ganze Zeit mit ihnen machen? Mich neben sie setzen und unsere Frischbeute mit ihnen teilen?!«, meckerte Hummelschatten.

»Lass gut sein, junger Krieger«, schnurrte auf einmal eine andere Stimme, »Im Ältestenbau habe ich genug Platz. Die Schüler können dort auf unseren Anführer warten, wenn du glaubst, sie von allem anderen fernhalten zu müssen.
Eine rotbraune Kätzin stand vor ihnen, ihre Schnauze war grau, fast schon weiß vom hohen Alter und ihr Gang war steif, als hätte sie Schmerzen in ihren Gelenken. Dennoch leuchteten ihre Augen lebensfroh und freundlich.

»Kommt mit«, schnurrte sie und führte die NachtClan-Katzen in einen geräumigen Bau unter einem Weidenstrauch.

»Setzt euch ruhig. Ich heiße übrigens Rosentau.« Die Älteste zeigte mit einer einladenden Geste auf eine moosbewachsene Fläche neben ihrem Nest.

Während Rankenpfote sich und ihre Reisegefährten vorstellte und Hagelpfote sich durch die Wand hindurch mit Hummelschatten stritt und versuchte sich für den Aufenthalt am Ahnenbaum zu rechtfertigen, behielt Klippenpfote den Lagereingang im Auge. Wann kommt Wasserstern endlich? Wir sollten so bald wie möglich weiter.

»Rosentau?«, quiekte eine Stimme neben ihm, Klippenpfote wandte den Kopf und erblickte zwei Junge im Höhleneingang.

Der Blick des einen kleinen Katers wanderte verwundert zwischen Rosentau, Klippenpfote und den anderen hin und her. Der andere junge Kater -vermutlich waren sie Brüder- versteckte sich hinter dem ersten und fragte leise: »Wer sind diese Katzen, Rosentau?«

»Das sind Besucher aus dem NachtClan, Entenjunges.«, erklärte die Älteste und strich dem schüchternen Jungen beruhigend mit dem Schweif über den Rücken.

Entenjunges Bruder war unterdessen zu Hagelpfote getappt und bombardierte die Schülerin mit Fragen, die die Kätzin ausführlich beantwortete. Bald schienen die NachtClan- Katzen dem jungen, hellbraunen Kater aber nicht mehr interessant genug zu sein und er forderte Rosentau auf: »Wiesenfluss hat gesagt, du könntest uns eine Geschichte erzählen.« Mit stolz leuchtenden Augen fügte er hinzu: »Wiesenfluss ist meine große Schwester. Sie ist schon eine Kriegerin, aber das werde ich auch bald sein!«

»Na na, mein Kleiner. Erst einmal wirst du Schüler«, miaute die Älteste amüsiert, begann dann jedoch mit ihrer Geschichte: »Da heute ja drei NachtClan-Schüler zu Gast sind, werde ich die Gelegenheit gleich mal ergreifen und eine Geschichte aus diesem Clan erzählen...

...Ihr erinnert euch doch sicher an die Geschichte, wie Wasserstern und Eibenstern unsere Clans hierher in diese Territorien geführt haben, nachdem Zweibeiner in unsere alten Gebiete eingefallen waren?« Die beiden Jungen nickten eifrig und auch Hagelpfotes Augen blitzten wissend auf. Auch Klippenpfote erinnerte sich noch genau daran, wie seine Mutter Pfützenschimmer ihnen davon erzählt hatte.

»Aber auch hier gab es Probleme. Am Rand des NachtClan-Gebietes gibt es einen Zweibeinerort. Dort lebte eine Bande von Streunern. Bald bekam der NachtClan große Probleme mit den Katzen, die in ihr Territorium eindrangen. Die NachtClan-Katzen schienen auf den Großen Versammlungen immer nervöser. Und irgendwann tauchte diese Streunerin auf. Sie hatte sich dem NachtClan angeschlossen, hatte ihre Familie verlassen, weil sie einen der NachtClan-Krieger liebte. Eibenstern und später Regenstern haben nie gesagt, was mit ihr passiert ist, doch sie wurde schon lange nicht mehr auf den Großen Versammlungen gesehen. Vielleicht ist sie in dem Kampf gestorben, in dem die Clankatzen die Streuner etwas später vertrieben haben, vielleicht hat sie sich aber auch für ihre alte Familie entschieden und ist mit den Streunern weggegangen. Aber ich glaube während ihrer Zeit im NachtClan hat diese Streunerin ein Junges bekommen. Es müsste noch immer dort leben und mittlerweile schon seit Monden Krieger sein.«

»Der NachtClan hat HalbClan-Katzen?«, rief der hellbraune Kater, Entenjunges Bruder, »Ich habe doch schon immer gewusst, dass die alle fuchsherzige...«

Klippenpfote hörte, wie Hagelpfote nach Luft schnappte und wusste, sie würde gleich lautstark Rankenpfote verteidigen, die als Junges von einer Grenzpatrouille gefunden worden war.

»Grasjunges!«, mahnte Rosentau, die auf einmal einen strengen Tonfall angeschlagen hatte, »hör auf damit!«

»Lebt diese Halb-Clan-Katze noch in eurem Clan?«, miaute Entenjunges Bruder interessiert.

»Ich weiß nicht« Kippenpfote war verwirrt von der Geschichte. Von den Streunern und dem Kampf hatte er schon einmal gehört, aber dass einer dieser Streuner einmal zu seinem Clan gehört hatte, hatte er nicht gewusst. Er hatte noch nicht einmal geahnt, dass Rankenpfote nicht die einzige Halb-Clan-Katze im NachtClan war. Aber auch über den Kampf gegen die Streuner reden die Krieger nicht gerne, fiel ihm jetzt im Nachhinein auf, wo er genauer darüber nachdachte. Sie wechseln immer schnellstmöglich das Thema, vor allem wenn Rankenpfote zuhört. Dabei haben wir doch gewonnen... In Hagelpfotes und Rankenpfotes Augen sah er die gleiche Ratlosigkeit.

»Er, oder sie muss wohl tot sein. Ich weiß nichts von einem im Clan geborenen HalbClan-Krieger«, meinte Hagelpfote schließlich achselzuckend.

Im selben Moment hörte Klippenpfote ein lautes Heulen von draußen: »Wasserstern! Da bist du ja. Ich dachte schon, du würdest ewig wegbleiben! Wir haben drei mäusehirnige NachtClan-Schüler aufgegriffen, die meinten, sich innerhalb unserer Grenzen aufhalten zu dürfen«

Ein großer, breitschultriger Kater mit langem, hellgrauem Pelz hatte das Lager betreten. Klippenpfote erkannte den Anführer von den großen Versammlungen. Er wusste, dass man mit ihm reden konnte, wenn man vernünftig blieb.

Hagelpfote stürzte an ihm vorbei aus dem Schülerbau hinaus. »Wir haben gar nichts getan! Das ist unfair, dass ihr uns hier festhaltet, wir waren nur am Ahnenbaum. Das dürfen wir! Das verstößt nicht gegen das Gesetz der Krieger!«, rief sie.

»Schon gut«, sprach Wasserstern bestimmt. »Hummelschatten hat mir schon alles berichtet und Sonnenpelz hat meine Vermutung bestätigt, dass ihr zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr für meinen Clan dargestellt habt.

Hummelschatten, der am Rande der sich versammelnden FederClan-Katzen auf und ab tigerte, schnaubte abfällig.

Bevor Hagelpfote weiterreden konnte, legte Klippenpfote ihr den Schweif über den Mund. »Ich stimme meiner Schwester zu. Es war nicht unsere Absicht gegen das Gesetz zu verstoßen«, meldete er sich so höflich wie nur möglich zu Wort. »Deshalb wollen wir euch bitten, uns unsere Reise fortsetzen zu lassen, damit wir außerhalb eures Territoriums noch etwas jagen können.«

Der Anführer betrachtete Klippenpfote mit seinen durchdringenden, blauen Augen, dann schlug er vor: »Ich lade euch ein, bis zum nächsten Sonnenaufgang zu bleiben. Wir können auf unseren Jagdpatrouillen sicher noch ein paar zusätzliche Pfoten gebrauchen. Aber vergesst nach eurer Kriegerernennung nicht, die Schüler in eurem Clan zu warnen, dass sie das FederClan-Territorium zu umrunden haben!«

»Elender Verräter!«, hörte Klippenpfote Hummelschatten knurren, »Wenn ich Anführer wäre, würde ich dieses räudige Pack...«

»Du bist nunmal nicht Anführer und dir wird diese Ehre auch nie zuteilwerden«, unterbrach ihn Wasserstern mit scharfer Stimme, bevor er sich schnurrend Hagelpfote, Klippenpfote und Rankenpfote zuwandte: »Nehmt ihr das Angebot an? Ihr könntet dem FederClan etwas Beute mitbringen, als Entschädigung dafür, dass ihr einen unserer Krieger mit eurer Anwesenheit fast in den Wahnsinn treibt.«

***

Am Abend lag Klippenpfote in einem hastig zusammengekratzten Nest im Schülerbau. Um ihn herum wuchsen verschiedene Sträucher, die gemeinsam mit ihren Ästen das Dach bildeten. Die Wände waren mit durch die Äste geschlungenen Brombeerranken verstärkt.

Der Schüler war der einzige, der noch wach war. Neben ihm in den Nestern schliefen Hagelpfote und Rankenpfote sowie die beiden FederClan-Schüler Apfelpfote und Erdpfote. Auf einmal stieß ihn eine Pfote in die Seite. Als er den Kopf zur Seite wandte, bemerkte er Rankenpfote, die im Schlaf zuckte.

»Mama?«, hauchte Rankenpfote und schnurrte.
Einen Moment lang blieb sie still, dann stieß sie plötzlich einen spitzen Schrei aus. Was ist es, das sie so erschrocken hat, fragte sich Klippenpfote. Besser ich wecke sie auf! Er rüttelte seine Baugefährtin an der Schulter, woraufhin sie ihre Augen aufschlug.

»Klippenpfote?«, miaute sie noch etwas schlaftrunken, während sie sich aufsetzte, »Warum hast du mich geweckt? Ich bin gerade meiner Mutter begegnet!«

»Du hast geschrien«, erklärte Klippenpfote und fragte sich, wieso Rankenpfote so ein enttäuschtes Gesicht machte. »Dann leg dich schnell wieder hin und schlaf weiter, vielleicht träumst du ja nochmal von ihr.«

»Glaub ich nicht«, murmelte Rankenpfote, die schon wieder mit geschlossenen Augen in ihrem Nest lag. »Das war nicht irgendein Traum. Ich war im SternenClan!«

Klippenpfote betrachtete seine beiden schlafenden Reisegefährtinnen kopfschüttelnd. Anscheinend sind sie ja regelrecht besessen von ihrem SternenClan. Wenn das so weitergeht mit diesen ganzen Träumen, werde ich noch verrückt. Er legte den Kopf in den Nacken und spähte zwischen den Blättern das Daches hindurch in den Himmel. Helle Sterne leuchteten am Silbervlies, doch es blieben eben nur Sterne. Kleine Lichter am Himmel und keine verstorbenen Katzen. Wie soll eine tote Katze denn auch dort oben hin gelangen, das ist doch vollkommen unmöglich. Die Sterne würden für ihn immer nur Sterne bleiben, der Ahnenbaum eine gewöhnliche Trauerweide und jeder Besuch im SternenClan nicht mehr als ein einfacher Traum. Ich habe auch schon oft genug von einer Mäusejagd geträumt. Ist deshalb die Maus etwa auch eine SternenClan-Maus, nur weil sie mir in einem Traum erschienen ist? Nein. Und wenn sie keine SternenClan-Maus ist, kann auch jede Katze, die mir im Traum begegnet einfach nur ein seltsames Resultat meiner Fantasie sein...

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