22. KAPITEL

»Alle Katzen, die alt genug sind, Beute zu machen, fordere ich auf, sich hier unter dem Pelzbaum zu einem Clantreffen zu versammeln.« Blattschattens Jaulen ließ Klippenfall innehalten.

Er war eben auf dem Weg zum Kriegerbau gewesen, nachdem er zugehört hatte, wie die Streuner ihre Clangründung besprachen. An und für sich war das natürlich nicht schlecht, obwohl er, wenn alles so kam, wie sie es sich ausmalten, genauso wie die FederClan-Katzen Kämpfe befürchtete. Andererseits - und am Anfang ihrer Reise hätte er nicht gedacht, dass er so etwas sagen würde, weil es einfach unvernünftig war, in Anbetracht der Tatsache, dass sie bald wieder Feinde sein würden - hatte er in Eagle einen guten Freund gefunden und war froh, dass dieser zumindest in der Nähe des NachtClans bleiben würde.

»Ich habe euch etwas zu sagen!«, fuhr Blattschatten fort und nun drehte sich Klippenfall endlich um und tappte zurück auf die Lichtung. Die Kriegerin war auf den Pelzbaum geklettert, saß anmutig auf einem der untersten Äste und blickte auf die Streuner mitsamt Hagelsturm und Rankensee herab, die sich bereits unten am Boden versammelt hatten. Das Mondlicht verlieh ihren Pelzen einen silbergrauen Schimmer, während von Blattschatten nur ihre Silhouette und ein bernsteinfarben leuchtendes Augenpaar zu sehen war.

»Was hat das zu bedeuten, Blattschatten?« Regenstern schob sich unter den Ästen der Großen Linde hindurch und trat auf die Lichtung. Aus ihrer Stimme war weder Wut noch Tadel herauszuhören, aber ihr Pelz war gesträubt.

Die Kriegerin neigte den Kopf vor ihrer Anführerin und miaute: »Es ist wichtig. Wenn du erlaubst, würde ich jetzt gern beginnen.«

Einen Herzschlag lang zögerte Regenstern, setzte sich dann aber zu ihren Clangefährten auf den Boden und gab mit einem Nicken ihr Einverständnis.

»Die Streuner werden morgen den NachtClan verlassen und ich werde mit ihnen gehen. Unsere Jagdgründe werden aus dem verlassenen Zweibeinernest, sowie dem ungenutzten Land zwischen FederClan und NachtClan bestehen. Dieses Gebiet ist nahezu perfekt für uns, wären wir nicht so eingekesselt von den übrigen Clans. Werden wir angegriffen, können wir nirgendwo hin ausweichen. Dennoch werden wir uns nicht schon wieder vertreiben lassen. Dies ist der Streunerbande schon oft genug geschehen, zweimal allein in den letzten Blattwechseln. Jetzt aber werden wir einen eigenen Clan gründen, mit Moon als Heilerin und mir als Anführerin. Von diesem Moment an sind wir nicht mehr nur eine Streunerbande. Wir sind der BlattClan!«

Einen Herzschlag lang war es still auf der nächtlichen Lichtung. Nur das Rauschen der Äste im Wind und der entfernte Schrei einer Eule waren zu hören. Die Katzen schienen das Ganze nicht so recht glauben zu können und tauschten verdutzte Blicke. Dann wurden die ersten Rufe laut.

»Das Territorium dort ist zu klein, früher oder später werden sie unsere Beute stehlen!«, rief Wolfspfote.

Frostfarn zweifelte unterdessen daran, dass Blattschatten die richtige für das Amt der Anführerin war. »Sie hatte nie einen Schüler, dürfte also noch nicht einmal zweite Anführerin werden«, miaute er.

»Die Prüfung hat sie auch nicht bestanden!«, stimmte ihm Fusselohr zu.

Und das aus gutem Grund. Nicht jeder lässt einfach seine Clangefährten zurück, um ein Junges zu entführen und es in die Berge zu bringen! Klippenfall hatte die Vorstellung von Blattschatten als Anführerin von Anfang auf an nicht gefallen.

»Fusselohr hat recht.« Mit einem Schwanzschnippen hatte Regenstern die Menge zur Ruhe gebracht und trat jetzt direkt unter den Pelzbaum, von wo aus sie zu Blattschatten hoch schaute.

»Das Gesetz der Krieger verbietet dir, Anführerin zu werden, weil die Geisterkatze dich für zu unwürdig befunden hat, um auch nur einen Schüler auszubilden. Das hast du selbst zu verantworten.«

Klippenfall hatte Blattschatten genau im Auge behalten und bemerkt, wie sie zusammengezuckt war, wenn auch kaum erkennbar. Trotzdem hatte sie so schnell eine Antwort parat, als hätte sie sie sich schon vor Monden zurechtgelegt. »Der BlattClan ist mein Clan. Wir können selbst entscheiden, ob wir uns an das gesamte Gesetz der Krieger halten, oder nur an einen Teil davon. Das hast du uns nicht vorzuschreiben, es liegt von nun an allein in meiner Verantwortung. Hiermit erkläre ich das Gesetz, das Schülern befiehlt, sich von der Geisterkatze prüfen zu lassen, bevor sie Krieger werden, im BlattClan für ungültig. Ich werde zum Ahnenbaum reisen und spätestens wenn ich Blattstern heiße, werdet ihr der Gründung des BlattClans nicht mehr widersprechen können, ohne dass ihr eure Kriegerahnen infrage stellt.«

Daraufhin traute sich niemand mehr, etwas zu sagen, obwohl Klippenfall ihnen ansah, dass sie das gern getan hätten. Mit einem Mal wurde ihm - der die Sache mit dem SternenClan zwar als die plausibelste Erklärung für so manches mysteriöses Phänomen des letzten Mondes ansah, aber sich dennoch nicht vorstellen konnte, dass diese Kriegerahnen nicht auch so ihre Fehler hatten - klar, wie geschickt Blattschatten gewesen war, indem sie die Ahnen da mit reinzog. Die meisten Krieger hätten diesen geisterhaften toten und doch lebenden Katzen, die als Sterne am Himmel leuchteten, als hätten sie sich bei ihrem Tod in Glühwürmchen verwandelt, nämlich ihr Leben anvertraut.

Klippenfall hätte noch gern etwas eingewandt, denn er hatte so seine Zweifel an dieser Sache, jedoch kam Regenstern ihm zuvor. »Gut, dann werden wir dem Urteil des SternenClans vertrauen.«

***

Um ihn herum war das gleichmäßige Atmen der übrigen Krieger zu hören. Zwischendurch ein Rascheln hier und da, wenn sich einer von ihnen im Schlaf herum drehte. Aber das war es nicht, was Klippenfall wach hielt, nachdem auch er sich in seinem Nest zusammengerollt hatte. Ihm schwirrten einfach nur viel zu viele Gedanken im Kopf herum, als dass auch nur einen Herzschlag lang an Einschlafen zu denken gewesen wäre. Etwas war ihm seltsam vorgekommen, als die Streuner beschlossen hatten, einen neuen Clan zu gründen. Nein, sogar schon vorher, bevor die FederClan-Katzen das NachtClan-Lager wieder verlassen hatten. Blattschatten!
Erneut sah er vor sich, wie die Kriegerin sich zu Nadelschatten gebeugt und ihm etwas zugeflüstert hatte, woraufhin der dagegen protestiert hatte, dass die Streuner Teil des NachtClans wurden. Allmählich glaubte Klippenfall, Blattschatten hätte genau das beabsichtigt. Von Anfang an hat sie gewollt, dass die Streuner nicht zum NachtClan gehören, damit sie ihre Anführerin werden kann! Hätte sie aber selbst gefordert, sie nicht aufzunehmen, hätte sie das Vertrauen der Streuner verloren. Sie brauchte also Nadelschatten!

Falls seine Vermutung sich wahr sein sollte, so war Blattschatten gerissener, als Klippenfall gedacht hatte. Er kannte sie nur als stille, unauffällige und wortkarge Kätzin, die stets verbarg, was sie dachte. Letzteres hatte sie auch heute getan, doch ansonsten hatte sich eine ganz andere Seite von ihr gezeigt.

Vielleicht denkt Hagelsturm, es sei ihre Idee gewesen, diesen BlattClan zu gründen und die Streuner denken, es wäre ihre Entscheidung gewesen, ihren Vorschlag in die Tat umzusetzen, aber hat nicht die meiste Zeit über Blattschatten geredet? Hat sie nicht den Katzen vor Augen geführt, welche Verluste sie erlitten haben, weil sie ihrer Meinung nach als Streunerbande nicht stark genug waren? Wieder tauchte Blattschattens Abbild in Klippenfalls Gedanken auf. Vielleicht sollten wir aber eine Katze als Anführer auswählen, die mit dem Gesetz der Krieger und dem Clanleben bereits vertraut ist, hatte sie gesagt. Verärgert schnaubte Klippenfall. Genauso gut hätte sie etwas wie »Na los, ihr Mäusehirne, macht mich zu eurer Anführerin!« sagen können. Eine andere Clankatze als sie selbst gab es schließlich nicht im neuen BlattClan.

Nur Rankensee hatte so etwas angedeutet, aber die Kriegerin hatte auf Klippenfall eher den Eindruck gemacht, als hätte sie sich im nächsten Augenblick selbst gefragt, warum sie den BlattClan als »unseren Clan« bezeichnet hatte. Nein, dachte sich Klippenfall, es gibt sicherlich mehr, was sie an den NachtClan bindet, als an den BlattClan, vor allem jetzt, da ihr Bruder Sam tot ist.

***

Gähnend trat Klippenfall aus dem Kriegerbau. Er wusste nicht mehr, wann, aber irgendwann musste er dann doch noch eingeschlafen sein. Jedoch erst spät, weshalb es kein Wunder war, dass die übrigen Katzen schon alle auf der Lagerlichtung oder auf Patrouille zu sein schienen. Unter der großen Linde in den Bauen konnte Klippenfall jedenfalls niemanden mehr entdecken, dieser Teil des Lagers war wie leer gefegt.

Nur einige wenige Fuchslängen über seinem Kopf begann das Astwerk des Baumes, zog sich hin bis zur Krone, die die höchste des Waldes sein musste. Ein Gewirr aus langen, dünnen Ästen vor dem Grün des Blätterdachs, das sich wie eine gigantische Kuppel über diese Hälfte des Lagers spannte und erst auf dem Erdboden an den Rückseiten der Baue endete.

Dies ist wahrscheinlich der letzte Tag, an dem ich mit Eagle jagen kann wie mit einem Clangefährten, wurde Klippenfall klar und so duckte er sich unter den Lindenästen durch, in der Hoffnung, auf der Lichtung seinem Freund zu begegnen. Tatsächlich entdeckte er den hellbraunen Kater am Frischbeutehaufen, wo er an einer Taube zerrte, die ganz unten, unter der übrigen Beute lag. Klippenfall tappte zu ihm und zog ein darüber liegendes Eichhörnchen eine Pfotenbreite beiseite, sodass Eagle nicht den ganzen Frischbeutehaufen auf der Lichtung verteilen würde.

»Danke!«, miaute Eagle und bot Klippenfall an, sich auch etwas von der Taube zu nehmen.

Gerade hatte Klippenfall den ersten Bissen im Maul, da kam Jade über die Lichtung gerannt.

»Warum müssen wir gehen? Du und Rankensee, ihr habt doch gesagt, dass ich bei Mirabellenjunges, Lurchjunges und Käferjunges bleiben darf!«, wollte sie an Eagle gewandt wissen.

»Ich habe dir doch schon erklärt, dass das nicht geht. Tut mir doch auch leid!«, verteidigte er sich.

»Aber warum behauptet ihr das dann, wenn es gar nicht stimmt?«

Eagle seufzte und beugte sich zu der kleinen Kätzin herab, um ihr das Fell zwischen den Ohren zu lecken. »Wir wussten doch gar nicht, dass es nicht stimmt. Das stand doch zu dem Zeitpunkt noch gar nicht fest.«

Im letzten Moment duckte sich Jade weg. »Gut. Aber warum tut ihr dann so, als würdet ihr es wissen?«

»Ach Jade!« Die drei NachtClan-Jungen waren unbemerkt neben Klippenfall aufgetaucht und Mirabellenjunges stupste Jade an. »Du darfst nicht immer alles glauben, was sie dir erzählen! Manchmal lügen Katzen eben, das musst du doch wissen!«

Mit großen Augen starrte Jade Eagle an. »Aber...«

Klippenfall fing Eagles Blick auf. Er ahnte, dass sie beide an das selbe dachten. Vielleicht merkt er jetzt, dass er Jade nicht hätte anlügen sollen, indem er ihr verschweigt, dass er nicht ihr Vater ist und was Flamme wirklich getan hat.

»Eagle?«, meldete sich eine Stimme hinter Klippenfall. »Blattschatten hat mir mitgeteilt, dass ihr um Sonnenhoch herum aufbrechen werdet. Kyra und Whisper sind allerdings noch mit Lärchenflamme, Eismond und Echolied auf Grenzpatrouille. Bis sie zurückkehren kannst du dich noch der Jagdpatrouille von Dämmerkralle anschließen.«

»Ich komme auch mit«, bot Klippenfall sofort an und unterm Pelzbaum sprang neben Rankensee Hagelsturm auf die Pfoten. »Wir auch!«

***

In der Ferne hörte Klippenfall das Jaulen der Zweibeiner am Zweibeinerjungenort. An den sonnigen Tagen von Blattfrische bis Blattfall kamen sie oft mit ihren Jungen hierher, die dann auf allerlei merkwürdig anmutenden Konstruktionen herumturnten. Sie schwangen auf an ungewöhnlich festen Ranken befestigten Holzstücken hin und her, rutschten schräge, glatte Flächen hinunter oder saßen auf einer sich drehenden Platte, bis sie auf ihren zwei Beinen kaum noch geradeaus laufen konnten. Vor allem den Sinn von Letzterem konnte sich Klippenfall nicht erklären, wobei er zugeben musste, dass einige Spiele, die sich Mirabellenjunges ausdachte, in der Hinsicht auch nicht viel besser waren.

Am seltsamsten waren aber die älteren Zweibeiner. Wenn die Königinnen mit ihren Jungen auf der Lichtung waren, unterhielten sie sich mit den anderen Katzen, oder beobachteten die Jungen beim spielen. Die Zweibeiner aber, zumindest einige von ihnen, hatten nur Augen für diese seltsamen kleinen Scheiben in ihren Händen, auf dessen Oberseite Muster aus Farben leuchteten. Manchmal gaben diese Scheiben sogar Geräusche von sich, von Zweibeinerstimmen bis zum Miauen einer Katze konnten sie anscheinend alles nachahmen, obwohl Klippenfall sich sicher war, dass sie keinen Mund hatten. Jedenfalls hatte er keinen entdecken können, als er als Schüler einmal eine Maus bis in die Nähe des Zweibeinerjungenortes verfolgt hatte. Ab und an begannen die Zweibeiner dann auf ihren Scheiben herum zu tippen und zu wischen, was Klippenfall nur noch mehr Rätsel aufgab.
Aber einen Vorteil hatten diese Dinger - was immer sie sein mochten - ja: Bekamen die Zweibeinerjungen sie in die Finger, wurden sie ganz still und starrten nur noch auf die bunten, sich ständig verändernden Bilder auf der Oberfläche. So verscheuchten sie auch endlich keine Beute mehr. Ja, die Zweibeiner waren seltsame Wesen, erschienen dem jungen Krieger sogar noch rätselhafter als der SternenClan.

Im Moment aber waren die Zweibeinerjungen viel zu laut und die Patrouille hielt sich lieber von ihnen fern. Klippenfall hatte eben einen fetten Eichelhäher im Laub verscharrt, wobei er genügend Zeit gehabt hatte, über die Zweibeiner nachzugrübeln, und tappte nun zu Dämmerkralle hinüber. Der Krieger stand unter einer knorrigen, alten Eiche und hatte den Kopf in den Nacken gelegt, um hoch oben in die Äste zu spähen.

»Hagelsturm kann recht gut klettern. Das ist mir auch schon auf unserer Reise aufgefallen.« Eagle war hinter einem Farnbüschel aufgetaucht und gesellte sich zu ihnen. Auch er sah nach oben in die mächtigen Äste der Eiche, wo Hagelsturm und Rankensee sich einem Eichhörnchen näherten. Der Wind stand günstig und so hatte die Beute die beiden Jägerinnen noch nicht bemerkt. Dennoch war Vorsicht geboten, denn Deckung gab es keine.

Wenn meine Schwester nur etwas vorsichtiger wäre, dann würde ich Eagle ja zustimmen, dachte Klippenfall. Sich möglichst schnell einen Baum hochziehen zu können, bringt niemandem etwas, wenn man eben so schnell wieder runterfällt. Es sei denn, man hat Spaß daran, sich die Knochen zu brechen.

»Rankensee ist aber fast ebenso gut«, bemerkte Dämmerkralle. »Sie traut sich nur oft nicht.«

Klippenfall gab es zwar nicht gern zu, aber seine Angst vor der Höhe übertraf die von Rankensee sicherlich noch. Selbst wenn sein Verstand ihm sagte, dass nichts geschehen würde, konnte es passieren, dass das Bild von seinem unten am Boden zerschmetterten Körper in seinem Kopf herum geisterte. Im nächsten Moment verfluchte er dann diese Hirngespinste und ermahnte sich vernünftig zu sein. Aber ärgerlicherweise hatte ein kleiner Teil von ihm trotzdem noch Angst.

»Ansonsten würde sie sich dort oben in den Bäumen bestimmt fast so sicher bewegen, wie einst ihre Mutter. Manchmal, wenn ich Rankensee so sehe, erinnert sie mich an Storm. Sie haben beide die selben grünen Augen. Wisst ihr, manchmal vermisse ich Storm, trotz allem, was damals geschehen ist«, fuhr Dämmerkralle unterdessen fort und wirkte am Ende eher, als spräche er mit sich selbst und hätte Eagle und Klippenfall ganz vergessen.

Dann aber seufzte er, hob den Blick zum Himmel und miaute: »Wir sollten so langsam los. Ihr werdet sicher bald aufbrechen, Eagle.«

Fast im selben Moment standen auch Hagelsturm und Rankensee wieder auf festem Boden, das Eichhörnchen mussten sie jedoch verfehlt haben.

***

»Was starrst du denn schon wieder so nach oben in die Bäume? Ist da Beute?« Hagelsturm hob den Kopf, versuchte offensichtlich dem Blick ihres Bruders zu folgen. Nachdem sie eben ihren Fang eingesammelt hatten, waren sie nun auf dem Rückweg zum Lager bei der toten Eiche angekommen. Sie ließen den Zweibeinerpfad hinter sich und tauchten ein in das Meer aus Farnwedeln, die den Waldboden rund um den morschen Eichenstamm bis unter die umliegenden Bäume bevölkerten.

Klippenfall schüttelte sich, sah nun wieder nach vorn und wollte mit einem »Nichts ist« antworten, als Hagelsturm schon weiter sprach: »Ich kann aber nichts erkennen. Du siehst Geister, Klippenfall!«

Das brachte Klippenfall nun doch zum Schnurren. Nein, Geister sah er nicht, er hatte nur nach der Sonne Ausschau gehalten. Dunkle Gewitterwolken hatten sich davor geschoben, aber dennoch war klar und deutlich zu erkennen, wie sie sich langsam aber sicher ihrem Höchststand näherte. Bald würden die Streuner aufbrechen. Bald würden sich die Wege von NachtClan und BlattClan unweigerlich trennen.

Entschieden versuchte er die aufkommende Traurigkeit beiseite zu schieben und sich stattdessen darauf zu konzentrieren, einen Plan zu entwickeln. Irgendwie müsste man das ganze doch noch aufhalten können. Man musste sich nur so geschickt anstellen, wie Blattschatten, die - und umso länger Klippenfall darüber nachdachte, desto sicherer wurde er sich - die ganze Zeit über darauf hin gearbeitet hatte, Anführerin zu werden, seit der FederClan so überraschend im Lager aufgetaucht war.

Oder? Klippenfall kam der Gedanke, dass sie die Gründung ihres eigenen Clans möglicherweise schon geplant hatte, seit die Streuner, der jetzige BlattClan, das NachtClan Lager zum ersten Mal betreten hatten. Hat sie nicht von Anfang an Freundschaften mit ihnen geschlossen? Hat sie sich nicht, abgesehen von Rankensee, Hagelsturm und mir, als einzige Clankatze mit den Streunern die Zunge gegeben?

Das mochte daran liegen, dass Blattschatten die Streuner bereits damals kennengelernt hatte, nachdem sie Rankensees Bruder Sam als Junges aus dem FederClan entführt und zu ihn ihnen in die Berge gebracht hatte. Oder daran, dass Storm, die ja einst Streunerkatze gewesen war, nicht nur Rankensees, sondern auch Blattschattens Mutter war, wie Klippenfall von Hagelsturm wusste.

Jetzt aber ahnte Klippenfall, dass noch ein dritter Grund möglich war. Und der war denkbar einfach: Sie hatte das Vertrauen ihres zukünftigen Clans gewinnen wollen.

Klippenfall seufzte. Eigentlich hatte er sich nicht überlegen wollen, wie er es doch noch schaffen könnte, Regenstern umzustimmen, sodass der BlattClan sich auflösen und sich dem NachtClan anschließen könnte! Natürlich könnte er das Argument anführen, dass sie durch die Gründung des BlattClans bald mit zwei anderen Clans statt nur einem um Beute und Territorium konkurrieren würden, aber es würde trotzdem nicht einfach werden. Regenstern hatte, zumindest aus ihrer Sicht der Dinge, ihre Entscheidung nicht ohne Grund getroffen und sie war eine Anführerin, die durchaus ihren Stolz hatte. Ihre Entscheidung, den BlattClan wegzuschicken, hatte sie vor Wasserstern und seinen Kriegern getroffen und sie würde einen Irrtum sicherlich nicht gern zugeben.

Als würde das noch nicht reichen, schien es einem Großteil der Krieger ganz Recht zu sein, die ungebetenen Gäste loszuwerden. Unter anderem wegen diesem Geschehnis, von welchem Nadelschatten gesprochen hatte, nachdem Blattschatten ihm etwas ins Ohr geflüstert hatte. Was genau hatte er nochmal gesagt? Wir haben einmal eine von ihnen aufgenommen, Storm! Als wir sie tot auf dem Donnerweg fanden, da war sie schon lange kein Teil unseres Clans mehr. Und ihr alle wisst, warum! Nein, Klippenfall hatte keine Ahnung, warum, schließlich hatte das alles lange vor seiner Geburt stattgefunden. Ihn wunderte nur, dass er es nicht durch irgendwelche Kinderstubengeschichten erfahren hatte.

***

Mit auf dem Boden schweifendem Schweif folgte Klippenfall dem BlattClan. Neben ihm liefen Hagelsturm und Rankensee und etwas weiter hinten der Heiler Tropfenwolke und die zweite Anführerin Sichelblatt, die sicher gehen wollten, dass der fremde Clan das Territorium auch wirklich verließ. Bis eben hatte Jade noch protestiert, hatte gefordert, bei ihren Spielkameraden bleiben zu dürfen, aber inzwischen war nur noch ab und an leises Schluchzen aus ihrer Richtung zu hören.

Vor seinem Aufbruch aus dem Lager hatte Klippenfall versucht, Regenstern umzustimmen, hatte so lange auf sie eingeredet, bis ihm keine Argumente mehr eingefallen waren. Kurz hatte die Anführerin unschlüssig gewirkt, aber sie war letztendlich bei ihrer Entscheidung geblieben.
Es war mäusehirnig, sich Vorwürfe zu machen, die Vergangenheit konnte man dadurch auch nicht ändern. Dennoch fragte sich Klippenfall jetzt, ob er mehr hätte tun können. Beinahe hätte er Eagle gerammt, als die Katzen vor ihm am Donnerweg zum Stehen kamen.

»Aber ich will nicht gehen!«, jaulte Jade, als wäre ihr ganz genau bewusst, dass ihre Pfoten in diesem Moment zum letzten Mal für lange Zeit das NachtClan-Territorium berührten.

Eagle schnurrte und stupste sie an, versuchte anscheinend, sie aufzumuntern, obwohl Klippenfall sah, dass es ihm genauso erging, wie dem Jungen. »Wir müssen aber, da führt kein Weg dran vorbei.«

»Du hast es versprochen! Du und Rankensee, ihr habt es versprochen!«

Klippenfall hörte Eagle seufzen. »Beschäftigt dich das noch immer? Wir wussten es eben noch nicht besser. Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst. Das musst du doch verstehen!«

Jades Nackenfell sträubte sich und sie wandte sich ab. »Versteh ich aber nicht! Mirabellenjunges hatte Recht, ihr habt mich einfach nur angelogen. Wenn du etwas nicht weißt, dann sag das doch auch so! Was soll ich denn noch glauben, wenn du mich immer anlügst?!«

»Immer?«, miaute Eagle und Klippenfall sah die Verzweiflung in seinen Augen. »Das war doch nur dieses eine Mal. Das habe ich nicht gewollt. Ich werde dich nie wieder anlügen.«

»Versprich es mir!«

Klippenfall wusste, dass Eagle dieses Versprechen nicht würde halten können. Das hieße, er müsste Jade verraten, was ihre Mutter Flamme getan hatte und er kannte den anderen Kater nun schon gut genug, um zu wissen, dass er das nicht übers Herz bringen würde.

»Versprochen.«

In gewisser Weise war auch dieses Versprechen nichts als eine weitere Lüge.

***

Mittlerweile hatte fast der gesamte BlattClan den Donnerweg überquert. Nur Blattschatten war noch zurückgeblieben und wartete geduldig auf Eagle und Jade.

»Seid ihr so weit?« miaute sie nun.

Eagle nickte und packte Jade am Nackenfell, um sie hinüber zu tragen. Diesmal protestierte sie nicht, sie wirkte beinahe zufrieden. Klippenfall verabschiedete sich noch von Eagle, dann verließen die letzten BlattClan-Katzen das NachtClan-Territorium.

Ein Rascheln im Unterholz sagte Klippenfall, dass Sichelmond und Tropfenwolke sich auf den Rückweg ins Lager begeben hatten. Er selbst blieb aber noch neben Hagelsturm und Rankensee stehen, um ihren Freunden hinterher zu sehen. Ab und zu warfen die Katzen, die Blattschatten in ihre Zukunft folgten, Blicke über die Schultern zurück zu den drei NachtClan-Kriegern, bis ihre Pelze irgendwann von Farn und Grasbüscheln verschluckt wurden.

»Warum kann nicht diese Nacht schon Vollmond sein?« Hagelsturm hörte sich verzweifelt an. Bis jetzt hatte Klippenfall sie und Rankensee gar nicht so sehr beachtet, war nur in seinen eigenen Gedanken versunken gewesen.

Für ihre Verhältnisse war Hagelsturm schon die ganze Zeit über erstaunlich schweigsam gewesen. Klippenfall hatte seine Schwester selten so niedergeschlagen erlebt. Rankensee hingegen... Sie wirkte nervös, was Klippenfall im ersten Augenblick mehr als nur seltsam vorkam. Beunruhigend. Ruhelos tigerte sie auf und ab, warf dann und wann mal einen Blick ins neue BlattClan-Territorium.

Gerade, als sich in Klippenfall ein Verdacht regte, stieß sie einen Seufzer aus und begann erst zögernd, dann immer schneller zu sprechen: »Sagt... Sagt Pfützenschimmer, dass es mir leid tut. Sie war immer wie eine richtige Mutter für mich. Und sagt Kornwind auch, dass es mir leid tut. Er war ein großartiger Mentor! Und... es tut mir leid!«

Noch nie hatte Klippenfall Rankensee so unvorsichtig einen Donnerweg überqueren sehen. Gerade sie. Sie musste ganz schön durcheinander sein, wenn sie vergaß, nach Monstern Ausschau zu halten. Weder Klippenfall, noch Hagelsturm hatten Gelegenheit, noch etwas zu sagen, bevor sie davon schoss, den BlattClan-Katzen hinterher. Gerade hatte er sein Maul geöffnet, um sie zu ermahnen, vorsichtig zu sein, da war sie schon auf der anderen Seite angekommen.

»Warte auf mich!« Klippenfall sah Hagelsturms Beine zucken, noch bevor seine Schwester los rennen konnte. Ohne groß darüber nachzudenken, vergrub er seine Zähne in ihrem Nackenfell.

»Hey, was soll das?«, schrie Hagelsturm und begann um sich zu treten, wobei sie Klippenfalls Bauch traf.

Nach Luft schnappend musste er loslassen, aber Hagelsturm blieb trotzdem, wo sie war und begnügte sich damit, ihn wütend anzustarren.

»Hast du dir das gut überlegt?«, fragte Klippenfall sie keuchend.

Natürlich wusste er, dass sie das nicht getan hatte. Hagelsturm hingegen zögerte mit ihrer Antwort. So wie sie dastand, wirkte es, als wollte sie ihren Bruder aus Rache mit ihren Blicken durchbohren.

Am Ende kam es ihm vor, als wären keine Herzschläge, sondern Blattwechsel vergangen, bis sie den Kopf sinken ließ und miaute: »Nein. Aber Rankensee auch nicht! Bestimmt wird sie ihren Fehler einsehen und zu uns zurückkommen. Bestimmt!«

Ein Hoffnungsschimmer war in Hagelsturms Augen zurückgekehrt und Klippenfall erkannte erleichtert, dass er sie nicht auch noch an einen anderen Clan verlieren würde, denn er selbst hatte nicht vorgehabt, den NachtClan zu verlassen. Er konnte Blattschatten ganz einfach nicht vertrauen. Aber dass Rankensee zurückkehren würde, das bezweifelte er.

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