1. KAPITEL

1. Kapitel

Der Wald lichtete sich allmählich, während die Schülerin durchs Unterholz tappte. Ihre Clangefährten, die mit ihr auf Jagdpatrouille waren, hatte Rankenpfote ein Stück hinter sich gelassen. Sie waren bis zu den Überresten eines verlassenen Zweibeinernestes gegangen und hatten sich dann aufgeteilt. Nun schlich die braune Schülerin über den Waldboden und hielt alle paar Schritte inne, um den Geräuschen des Waldes zu lauschen und seinen Duft einzuatmen. 

Da! Ihre Ohren zuckten, als sie in der Nähe das Schlagen von Flügeln bemerkte und gleich darauf ein Rascheln, das verriet, dass der Vogel soeben im Laub gelandet war. Sie witterte. Eichelhäher? Schnell rief sie sich die unzähligen Lektionen mit ihrem Mentor ins Gedächtnis und ließ sich ins Jagdkauern sinken. Nur gab es kaum Deckung auf dem Weg zu der Beute, den sie jetzt auch sehen konnte. Sie hatte recht gehabt: Ein Eichelhäher saß am Waldboden und pickte in dem Laub des letzten Blattfalls nach Insekten. Einige flache Felsen, auf dessen glatter Oberfläche kaum mehr als eine dünne Schicht Moos überleben konnte, bedeckten die Fläche zwischen der Schülerin und ihrer Beute. Aber der Eichelhäher sah gerade in die entgegengesetzte Richtung. Wenn ich mich beeile, wird er mich nicht bemerken!  

Es war gar nicht so einfach, sich so schnell anzuschleichen und dabei keinen Laut zu machen. Rankenpfote hatte sich gerade erst auf den Felsen gezogen, als der Kopf des Eichelhähers herum ruckte. Wie konnte ich nur so blöd sein und denken, Beute würde die ganze Zeit in eine Richtung starren, ärgerte sie sich und stürzte hinter dem Vogel her, der einen schrillen Warnruf ausstieß. Jetzt wird er jeden Moment wegfliegen und dann habe ich nichts weiter erreicht, als dass ich sämtliche Beute von hier bis zum Zweibeinerort verscheucht habe! Laub raschelte, als der Eichelhäher davon rannte und dabei wie wild mit den Flügeln schlug. Triumphierend erkannte Rankenpfote, dass einer seiner Flügel seltsam abgewinkelt war, als wäre er gebrochen, und ihre Beute so bei jedem Startversuch aus dem Gleichgewicht brachte. Die Verletzung verschaffte Rankenpfote Zeit. Die Schülerin rannte los und stürzte sich in genau dem Moment auf den Vogel, in dem er entgegen aller Erwartungen ein paar Mäuselängen die Luft abgehoben war.

Nachdem sie ihren Eichelhäher im Laub verscharrt hatte, tappte die Schülerin weiter, auf der Suche nach dem nächsten Beutetier. Ihre Schnurrhaare zuckten, als der leichte Wind den Hauch eines Geruchs zu ihr hinüber trug, der sich für immer und ewig in ihr Hirn eingebrannt hatte. Unangenehme Erinnerungen wurden wach, dennoch folgte Rankenpfote dem Geruch bis an den Donnerweg. Am Rand der unnatürlich stinkenden Fläche setzte sie sich ins Gras und betrachtete die Bäume an der anderen Seite.

Hier war ihre Mutter, eine Streuerin namens Storm, gestorben. Rankenpfote war damals noch ein Junges gewesen und hatte am Rand des Donnerwegs kauernd beobachtet, wie  Storm vor Schreck wie zu Stein erstarrt dem Monster entgegen gestarrt hatte, das auf sie zu gestürmt kam. Ihr Bruder, den sie gerade zu Rankenpfote hatte hinüber tragen wollen, hatte in ihrem Maul baumelnd so lange gestrampelt, bis er auf den Boden geplumpst war. Er war auf die gegenüberliegende Seite des Donnerwegs geflüchtet und war seither verschollen. Rankenpfote hatte nie wieder etwas von ihm gehört. Erst als sie den Anblick des Donnerweges nicht mehr ertragen konnte und ihre Augen auf ihre Pfoten richtete, merkte sie, dass sie zitterte. Wie immer, wenn sie an den das Unglück in jener Nacht zurückdachte, klammerte sie sich an die eine Trost spendende Erinnerung. Bei ihrer Schülerzeremonie hatte sie die Stimme ihrer Mutter gehört, die ihr versprach, sie würden sich wiedersehen, sobald die Zeit reif war. Vielleicht ist ja bei meiner Ernennung zur Kriegerin der richtige Zeitpunkt endlich gekommen.

»Was macht die Beute? Schon was gefangen?« Kornwinds freundliches Miauen ertönte hinter ihr. 

Rankenpfotes Mentor blieb neben seiner Schülerin stehen und setzte sich nach kurzem zögern neben sie ins Gras.

»Ich habe nur einen Eichelhäher erwischt. Aber auch nur weil er einen verletzten Flügel hatte«, gab Rankenpfote zu. »Es gab keine Deckung.« 

Kornwind nickte schweigend. Einige Herzschläge sagte keiner von ihnen etwas, dann sprang Kornwind plötzlich auf. »Lass uns zum Lager zurückkehren, die Sonne geht bald unter. Hagelpfote und Echolied warten beim zerfallenen Zweibeinernest auf uns.«

***

Schon von weitem sah Rankenpfote die weit ausladenden Äste des großen Lindenbaumes. Drei mächtige Stämme, jeder einzelne höher als alle anderen Bäume im Wald, ragten in der Mitte des Lagers aus dem Waldboden. Erst auf den letzten paar Mauselängen über dem Wurzelwerk vereinigten sie sich zu einem einzigen Baumstamm. Die Legende besagte, einst sei ein Blitz in den Baum eingeschlagen und habe ihn gespalten. Davon hatten ihr die Ältesten erzählt, als sie noch ein Junges gewesen war.

Unter der Linde, durch ihr tiefhängendes Blätterdach vor Wind und Wetter geschützt, lagen die Baue des Clans. Nur an der Seite des Lagers, von der sich die Patrouille nun näherte, befand sich eine Lücke im Astwerk des riesigen Baumes. Hier stahl der Pelzbaum der Linde das Licht und hinderte sie so daran, weiter zu wachsen. Aber nicht mehr lange. Der Pelzbaum war eine alte, knorrige Eiche, dessen Stamm mit so viel Moos bewachsen war, dass es tatsächlich so aussah, als besäße er ein grünes Fell. Er hatte so viele Äste, die abgestorben und kahl waren, dass bei dem leichten Sturm vor beinahe zwei Monden alle Katzen in den Ältestenbau am anderen Ende des Lagers geflohen waren, weil es unter dem Pelzbaum buchstäblich morsche Äste geregnet hatte.

Vor dem Pelzbaum und der Linde war eine kleine Lichtung gelegen, umgeben von einem schützenden Brombeerwall. Dort sonnten sich oft die Ältesten und Krieger, während die Jungen Moosball spielten und die Schüler sich gegenseitig ihre erlernten Kampftricks vorführten.
 
Rankenpfote betrachtete das Lager, das im frischen Grün der Blattfrische erstrahlte, voller Wohlwollen. Wie mein Leben wohl ausgesehen hätte, wenn meine Mutter noch leben würde? Sicherlich ganz anders. Wahrscheinlich wäre ich auch eine Streunerin geworden. Ganz ohne den Zusammenhalt hier im Clan. Nein, ich kann wirklich froh sein, diesen Ort mein Zuhause nennen zu dürfen, dachte sie, wusste aber, dass es nur die halbe Wahrheit war. Auf der anderen Seite wünschte sie nichts weiter, als ihre Mutter wieder zu bekommen, auch wenn sie noch ein winziges Junges gewesen war, als sie starb und sie sich so kaum noch an die Streunerin erinnerte. 

»Rankenpfote! Wetten, ich bin eher am Lager als du!«, weckte Hagelpfotes laute Stimme Rankenpfote aus ihren Träumereien. Die Schülerin mit dem weißgrauen Pelz spannte neben ihr mit herausfordernd blitzenden Augen ihre Muskeln an, bereit loszuspringen.

»Nicht, wenn ich schneller bin«, gab Rankenpfote schnurrend zurück, warf einen Blick zurück zu Kornwind der ihren Eichelhäher trug und preschte los. Hagelpfote folgte ihr dicht auf den Fersen.

Hinter sich hörte sie Kornwind noch mit einem belustigten Unterton in der Stimme schnurren: »Schon fast Krieger aber benehmen sich noch immer wie Junge.«

Echolieds Antwort bekam sie nicht mehr mit. Das einzige, was sie hörte war das Trommeln ihrer Pfoten und Hagelpfotes Atem dicht hinter ihr und das einzige was sie sah, war der Weg vor ihren Pfoten. Grünbraunes Unterholz zog an ihr vorbei, während die Stimmen der Katzen im Lager langsam lauter wurden.

Nebeneinander rannten die beiden Schülerinnen durch den Eingang im Brombeerwall und über die Lichtung.
Kurz bevor sie unter den Ästen der Linde hindurch tauchten, bremste Rankenpfote ab. Der Boden war von den vielen Pfoten, die hier Tag für Tag ein und aus gingen plattgetrampelt, doch eben war er nicht. Bereits auf der Lichtung ragten die Wurzeln der großen Linde, die vom starken Regen des letzten Blattfalls freigespült worden waren, aus dem Boden. Rankenpfote musste aufpassen, dass sie nicht irgendwo hängenblieb. Umständlich wich sie den Stolperfallen aus, wurde dabei aber von Hagelpfote überholt, die über die Wurzeln preschte, als wären sie gar nicht da.

Auf einmal tauchte Nebeltau aus dem Kriegerbau rechts von ihnen auf und Hagelpfote wäre fast in ihren Vater rein gerannt. Im letzten Moment wich sie zur Seite aus. Ihre linke Vorderpfote landete ungeschickt auf einer der Wurzeln. Einen Herzschlag lang dachte Rankenpfote, ihre Freundin würde abrutschen, doch sie fing sich wieder und preschte weiter ins Lager hinein, ohne Nebeltaus verwirrten Blick zu beachten.

Knapp vor dem Stamm der Linde wirbelte Hagelpfote zu Rankenpfote herum und rief: »Erste! Ich hab gewonnen!«

Rankenpfote trottete die letzten paar Fuchslängen zu Hagelpfote hinüber. Die schnaufte von dem schnellen Sprint. Ihre Beine waren zwar kräftig, aber offensichtlich nicht für lange Läufe gemacht. Rankenpfote hingegen fühlte sich, als hätte sie ewig weiterlaufen können. 

Schritte näherten sich und eine Stimme miaute: »Was ist denn mit dir passiert? Wolltest du mal wieder beweisen, wie schnell du bist?« Klippenpfote, Hagelpfotes Bruder, beäugte die Kätzin mit dem weißen Pelz und den hellgrauen Streifen belustigt. Die Schülerin holte aus und versetzte dem blaugrauen Kater einen spielerischen Hieb auf sein Ohr.

»Alle Katzen, die alt genug sind, Beute zu machen, fordere ich auf, sich hier am Pelzbaum zu einem Clantreffen zu sammeln!« Neben ihr wirbelte Hagelpfote herum und auch Rankenpfote wandte sich um, in die Richtung, aus der der Ruf erklungen war. Sie erblickte Regenstern, die mit peitschendem Schweif auf einem der moosbedeckten Äste des Pelzbaumes saß. Sie musste schon auf die Rückkehr der Jagdpatrouille gewartet haben.

Nach und nach versammelte sich der Clan auf der Lichtung vor dem Pelzbaum. Echolied und Rotnebel, die sich am Rand der Lichtung die Zunge gegeben hatten, sahen auf und waren die ersten, die sich einen Platz im Gras unterhalb ihrer Anführerin suchten. Nadelschatten und Krallenherz, die beiden Ältesten, streckten ihre Köpfe aus dem Ältestenbau und Sprenkelfeders strenger Blick war auf ihre drei Jungen gerichtet, die mit hoch erhobenen Schwänzen auf die Lichtung rasten.

»Es gibt gute Neuigkeiten!«, begann Regenstern. »Drei unserer Schüler haben nun lange und hart genug trainiert, um bald Krieger werden zu können. Doch wie ihr alle wisst, müssen sie erst eine Prüfung bestehen...« 

»Ich weiß das nicht! Was ist das für eine Prüfung? Darf ich die auch mitmachen, dann bin ich auch Krieger!« Mirabellenjunges war von ihrem Platz neben Sprenkelfeder aufgesprungen und hüpfte um ihre beiden Wurfgefährten herum.

»Bestimmt muss man da jagen!«, vermutete Käferjunges und schlich sich an seine Schwester an. 

Die junge Kätzin wirbelte herum, stürzte sich auf Käferjunges und quiekte: »Vielleicht muss man ja auch Kämpfen!«

»Schluss jetzt!« Sprenkelfeder setzte dem Spiel ihrer Jungen mit ihrer Mahnung ein Ende und zog sie mit dem Schweif zu sich heran.

Regenstern nickte der Königin einmal dankend zu und fuhr dann fort: »Rankenpfote, Klippenpfote und Hagelpfote werden ihre Reise antreten, um das FederClan-Territorium herum und von dort an immer weiter, bis sie der Geisterkatze ohne Namen begegnen, um sich von ihr prüfen zu lassen.«

In der Nähe hörte Rankenpfote Lurchjunges seine Mutter fragen, warum denn eine Katze keinen Namen haben würde. Er sprach so leise, dass kaum eine Katze ihn hören konnte.

»Still!«, ermahnte Sprenkelfeder ihn, doch Knospenlicht beugte sich zu dem Jungen herab und flüsterte: »Natürlich hat er einen Namen, doch er will ihn uns nicht verraten. Wenn du ihn fragst, wie er heißt, wird er immer das selbe sagen: Er hätte schon zu viele Namen getragen in seinem Leben.«

Der Bauch der Königin wölbte sich über ihren ungeborenen Jungen. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sie sie zur Welt bringen würde.

»Aber irgendwie muss er ja heißen, oder?«, quiekte nun Käferjunges. 

Ob Knospenlicht darauf eine Antwort hatte, bekam Rankenpfote nicht mehr mit. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Regenstern.
»...Er ist eine sehr weise Katze und wenn unsere drei Schüler die Prüfung bestehen, werden sie ihre Kriegernamen erhalten. Morgen bei Sonnenhoch werdet ihr aufbrechen.« Sie richtete ihre waldgrünen Augen auf Rankenpfote, Hagelpfote und Klippenpfote. »Und möge der SternenClan euren Weg erleuchten.«

Als die Anführerin den SternenClan erwähnte, schnaubte Klippenpfote, der zwischen Rankenpfote und Hagelpfote saß, leise. Die braun gemusterte Schülerin wunderte es nicht, sie wusste, dass Klippenpfote den Gedanken, seine Kriegerahnen könnten im SternenClan nach ihrem Tod weiterleben, lächerlich und naiv fand.

***

Aus den umliegenden Bauen drang lautes Schnarchen und gelegentliches Scharren, wenn sich eine Katze in ihrem Nest bewegte, zu den fünf Schülern im Schülerbau hinüber. An anderen Abenden beruhigten Rankenpfote die Geräusche des Lagers, gaben ihr ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit, das sie bald in den Schlaf sinken ließ. Jetzt machte es sie nur nervös. Morgen werde ich bereits unterwegs sein. Wer weiß, wo wir dann unser Nachtlager aufschlagen werden. Aber nach unserer Reise werden wir endlich Krieger sein! 

Ein dunkler Schatten fiel auf Rankenpfote. Die braune Schülerin drehte sich um und erblickte Hagelpfotes Gestalt, die hinter ihr im Bau stand. Noch weiter hinten lagen Klippenpfote und der jüngere Schüler Wolfspfote in ihren Nestern. Klippenpfote hatte ein Auge einen Spaltbreit geöffnet und schielte über den Rand seines Nestes zu ihnen hinüber.

»Kannst du auch nicht schlafen?«, miaute Hagelpfote und peitschte mit dem Schweif. »Ich frag mich die ganze Zeit, was wir in der Prüfung machen müssen. Ich will sie unbedingt bestehen!«
Hagelpfotes Augen funkelten in der Dunkelheit des Baues. 

Was geschieht eigentlich, wenn wir die Prüfung nicht bestehen, fragte sich Rankenpfote, doch bevor sie sich bei ihren Baugefährten erkundigen konnte, fuhr Hagelpfote fort: »Nein, ich will sie nicht nur bestehen, ich will sie so gut wie möglich bestehen!«
 
Hagelpfote kauerte sich auf den Boden. Ihr Bauch streifte Klippenpfotes Nest und als sie ich hoch in die Luft katapultierte, flogen Moosfetzen auf die Nase des Schülers, sodass er niesen musste. Seine Schwester angelte sich mit den Vorderpfoten ein Blatt des Weidenstrauches, der das Dach bildete und riss es mit sich zu Boden. Von der Wucht ihres Sprunges erbebte der gesamte Schülerbau.

»Was sollte das denn jetzt schon wieder?«, knurrte Klippenpfote und blinzelte sich das Moos aus den Augen. 
»Du musst zugeben, dass ich mit dem Sprung jeden Vogel aus der Luft geholt hätte!«

Klippenpfote verdrehte die Augen und meinte: »Kannst du deine Jagdtechniken nicht woanders üben? Es gibt hier auch Katzen die noch schlafen wollen.«

»Super Idee! Rankenpfote kommst du mit?« Hagelpfote warf ihrem Bruder einen Blick zu und hüpfte zum Ausgang des Baus.

Einen Moment zögerte Rankenpfote völlig überrumpelt. Was wenn uns jemand erwischt? Aber sie ist meine Freundin, da lass ich sie doch nicht allein! Die braune Schülerin ließ sich von Hagelpfotes Begeisterung anstecken. Wieso nicht, ich kann ja doch nicht schlafen! 

»Wohin gehen wir? Zum Sichelbaum?«, rief sie Hagelpfote hinterher. 

»Wir haben Monde lang geübt. Die eine Trainingsstunde wird jetzt auch nicht über Sieg oder Niederlage entscheiden. Na, Hauptsache ihr schlaft morgen nicht im Stehen ein«, hörte Rankenpfote Klippenpfote noch vor sich hin murmeln, bevor sie hinter Hagelpfote her rannte. 
Blattschatten, die Wache am Lagereingang hielt, warf den beiden nur einen flüchtigen Blick zu, als sie an ihr vorbei stürmten.


Mit ein paar kräftigen Sprüngen war Hagelpfote im Farn verschwunden. Im schwachen Mondlicht sah Rankenpfote nur noch einen Schemen, der sich vor ihr durch die dicht stehenden Baumstämme schlängelte. Würde Hagelpfotes Pelz nicht so auffällig hell sein, hätte Rankenpfote sie schon längst aus den Augen verloren. Sie konzentrierte sich so sehr auf den weißen Pelz, dass sie die Brombeerranke erst viel zu spät bemerkte. Die Pflanze schlängelte sich vor ihr über den Waldboden. Mitten im Lauf blieb die Schülerin mit einer Pfote daran hängen. Die Ranke zog ihr die Vorderpfote unter dem Körper weg, sie stürzte, machte ein paar Überschläge auf dem Boden und blieb inmitten aufgewirbelter und nun auf sie herab segelnder Blätter liegen. Ich sollte auch darauf achten, wo ich hin trete. Indem ich Hagelpfote hinterher starre, hole ich sie auch nicht ein! 

Benommen schüttelte Rankenpfote den Kopf und rappelte sich auf. Vorsichtig setzte sie ihre Pfote, mit der sie an der Brombeerranke hängen geblieben war, auf den Boden und wappnete sich schon für einen stechenden Schmerz, doch es schien alles gut gegangen zu sein. Ihre Baugefährtin hatte inzwischen einen so großen Vorsprung, dass Rankenpfote sie weder sehen noch hören konnte. Zum Glück wusste sie, was das Ziel der hellgrauen Schülerin war, ansonsten hätte sie ihren Geruch durch das Unterholz verfolgen müssen. 

Sie ist bestimmt schon auf der Mooslichtung angekommen, vermutete Rankenpfote. Aber besser, ich komme ein paar Herzschläge später bei ihr an, als wenn ich einen gemütlichen Spaziergang mache und sie erst in ein paar Blattwechseln einhole! Und noch war sie sich nicht sicher, dass Hagelpfote schon am Ziel angekommen war, noch konnte Rankenpfote ihr kleines Wettrennen gewinnen. Hagelpfote war zwar schnell, aber sie hatte die Ausdauer eines Ältesten.

Tatsächlich wurde Hagelpfotes Geruch schnell stärker und als Rankenpfote unter einem jungen Ahorn hindurch tauchte, saß sie plötzlich direkt vor ihr. Reflexartig sprang Rankenpfote zur Seite und schaffte es um Haaresbreite der anderen Kätzin auszuweichen.

»Da bist du ja endlich!«, neckte Hagelpfote sie, während sie aufsprang. »Ich dachte schon, du wärst zum Lager zurückgekehrt.«

Rankenpfote schnurrte belustigt. »Und ich dachte, du würdest dieses Rennen gewinnen wollen!«, rief sie, während sie an Hagelpfote vorbei weiter in Richtung Mooslichtung preschte. Es dauerte nicht lange, da hatte die Hellgraue Rankenpfote schon wieder überholt.

***

Hagelpfote keuchte: »Ich dachte schon Blattschatten würde uns aufhalten. Sie ist sonst immer so...«
Die Schülerin, schien keine geeigneten Worte zu finden. Rankenpfote wollte ihr zur Hilfe kommen, aber dann fiel ihr auf, dass sie selbst nicht wusste, wie sie Blattschatten beschreiben sollte. Vielleicht als geheimnisvoll und verschlossen, als würde keine Katze sie in ihrem Denken und Fühlen irgendwie beeinflussen können, nach außen hin höflich zu anderen und im nächsten Moment fauchte sie einen wegen nichts an, als würde sie wegen irgendetwas furchtbar frustriert sein... Nein, das Wesen dieser Katze konnte man höchstens als seltsam beschreiben.

Dass Hagelpfote stehen geblieben war, merkte sie erst, als sie etwas Weiches rammte.

Während Rankenpfote noch eine Entschuldigung murmelte, wirbelte Hagelpfote zu ihr herum und rief: »Hey! Willst du etwa gleich mit dem Kampftraining beginnen und mich umrennen?«

Sie stürzte sich auf ihre Baugefährtin und Rankenpfote blieb keine Zeit, ihr Auszuweichen. Weiche Pfoten mit eingezogenen Krallen trommelten auf ihre Flanke, doch sie konnte nicht entkommen, weil Hagelpfote sie mit den Zähnen am Nackenfell festhielt. Mäusedreck! Rankenpfote schlug mit den Hinterpfoten aus und spürte, wie sie Hagelpfote am Bauch traf. Die holte erstickt Luft, war dazu aber gezwungen, Rankenpfotes Fell freizugeben. Die braune Kätzin rannte einige Schritte auf die Moosbedeckte Lichtung am Sichelbaum, auf der die Schüler immer mit ihren Mentoren trainierten. 

»Du dämlicher Fellball! Rennst gleich weg, wie eine FederClan-Katze! Na warte!«, jaulte Hagelpfote.

»Ich wollte dir nur ausweichen!«, verteidigte sich Rankenpfote mit gespielter Empörung.

Ihr blieb gerade noch genug Zeit, sich umzudrehen, da wurde sie schon wieder von der anderen Schülerin attackiert. Kurz darauf rollten sie als ein fauchender und knurrender Fellball über die Lichtung, wie zwei spielende Junge, die weder auf bestimmte Techniken, noch auf ihre Deckung achteten. Schließlich schaffte Rankenpfote es, sich von Hagelpfote zu befreien und rappelte sich laut schnurrend wieder auf.

»In einem echten Kampf hätten wir uns mit unseren Krallen schon lange zerfetzt«, bemerkte sie.

»Aber es hat trotzdem Spaß gemacht«, miaute Hagelpfote und begann Rankenpfote mit wachsamen Blick zu umkreisen. Rankenpfote verfolgte sie aufmerksam mit den Augen, um den perfekten Moment zum Angriff abzupassen. Jetzt würden sie richtig trainieren, nicht wie zwei alberne Junge.

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