Prolog
Lautes Platschen zerriss die friedliche Stille im Land dort oben am Silbervlies, irgendwo zwischen den Sternen, wie ein Donnerschlag. Ohne sich darum zu kümmern, dass sein Bauchfell schon nach einigen Schritten völlig durchnässt war, stampfte eine junge schwarz-weiße Katze durch das seichte Wasser am Ufer eines Sees von den Ausmaßen des gesamten NachtClan-Territoriums. Auf der Oberfläche, die nur ab und an von einem Windhauch gekräuselt wurde, spiegelte sich der Sonnenschein.
Nur da, wo der Schwarzweiße entlang ging, trübte sich das sonst so klare Wasser von aufgewirbelter Erde und Wellen schwappten an die Böschung.
Warum er schon jetzt durchs Wasser watete und nicht einfach im Trockenen ging, war aber auch Dachspfote selbst schleierhaft. War es unsinnig, Aufmerksamkeit auf sich ziehen zu wollen, zeigen zu wollen, wie man sich fühlte, wenn einen niemand beobachtete? Wahrscheinlich. Aber mit dieser Mischung aus Wut, Enttäuschung und -auch wenn er sich das nicht eingestand- einer Prise Selbstzweifel in seinem Kopf konnte er nicht einfach durch den SternenClan wandern, als würde er einen Spaziergang machen, nachdem er sich an der überaus reichlichen Beute hier bedient hatte. Nein, das konnte er nicht. Das übernahmen ja schon all die anderen, die nichtsahnend ihre Zeit genossen und sich darüber freuten, wie der junge BlattClan wuchs und gedieh. Der BlattClan! Pah! Einige Gesetze sollten nicht gebrochen werden und Blattstern ist eindeutig zu weit gegangen. Sie hat die Prüfung nicht bestanden! Sie hat nicht einmal einen Schüler gehabt und nun nennt sie sich eine Anführerin!
Da wo Dachspfote durch den See watete, war eine große Fläche mit flachem Wasser bedeckt. Flach genug, dass der SternenClan-Kater noch nicht einmal schwimmen musste, um sich einen weiten Marsch zu ersparen. Er nahm einfach den direktesten Weg, lief immer schneller und schneller, bis er schließlich so schnell durchs Wasser preschte, dass er von der Spitze seines Schweifes bis zu den Ohren nass war, als er am anderen Ufer ankam. Selbst wenn er geschwommen wäre, wäre er trockener geblieben. Einen Moment blieb er stehen, um zu Atem zu kommen, dann trat er in das schattige Unterholz des Waldes, machte sich auf den Weg, seinen Plan in die Tat umzusetzen.
Es tat ja sonst niemand etwas.
Nicht all die SternenClan-Katzen, die vor dem, was bei den Clans geschah, blind waren wie Maulwürfe.
Nicht Nacht, die über so viel Wissen verfügte, aber zu unentschlossen war.
Nur er, Dachspfote, hatte versucht, alles aufzuhalten, wenn auch nicht immer erfolgreich…
Aber dieses Mal würde er nicht erneut scheitern. Diesmal würde sein Vorhaben so funktionieren, wie er sich das vorstellte und er würde alles im letzten Herzschlag retten, dessen war er sich sicher.
Eine nervige Stimme in seinen Gedanken flüsterte ihm zu, dass alles anders gekommen wäre, wäre er überlegter vorgegangen, damals als Hagelsturm im SternenClan aufgetaucht war. Er hatte ihr eine Wahrheit an den Kopf geschleudert, die sie nicht hatte hören wollen. Verständlicherweise. Sie hatte ihn als Lügner bezeichnet. Ihn, einen SternenClan-Kater! Damals hatte er seine Chance vertan. Das würde nicht wieder geschehen!
Nein! Dachspfote war stehen geblieben und schüttelte sich. Mit aller Kraft schob er diesen widerspenstigen Gedanken, alles könnte seine Schuld sein, von sich. Wenn hier jemand die Schuld trug, dann alle anderen! Er hatte zumindest versucht, etwas zu bewegen! Aber wenn Nacht mir nicht den entscheidenden Hinweis gegeben hätte, hätte ich dann überhaupt geahnt, dass etwas nicht stimmt? Nein, hätte ich nicht. Nacht hatte von all dem, was Dachspfote erst nach und nach herausgefunden hatte, von Anfang auf an gewusst. Sie hätte etwas unternehmen müssen! Aber was tut sie? Sitzt da und sagt, wir sollten nachdenken. Immer nur nachdenken! Irgendwann ist es Zeit zu handeln, vorher kommt man doch keinen Pfotenschritt weiter!
Dachspfote setzte sich erneut in Bewegung. Heute würde Nacht auf ihn hören müssen. Sie muss. Ich brauche sie.
Es war nicht mehr weit.
***
»Nacht?« Schon von weitem hatte Dachspfote die uralte Clangründerin am Rand ihres kleinen Teiches gesehen. Auf ihrem moosbedeckten Stein sitzend und ins Wasser starrend.
»Ja?« Die Kätzin hob ihren Blick von den Reflexionen der Sonne auf dem Teich.
Er konnte nicht anders als zusammenzuzucken, als die Augen dieser nebelhaften Gestalt auf seine trafen. Erschrocken stellte er fest, dass Nacht seit ihrem letzten Treffen noch weiter verblasst war. Für einen Herzschlag fürchtete er, sie könnte davon wehen, wenn er auch nur atmete.
Dann aber riss er sich zusammen. Er hatte nun wirklich andere Probleme als das Verblassen der Katzen! »Es ist so weit. Wenn wir jetzt zögern, wird bald alles verloren sein.«
»Was weißt du schon vom Verlieren?« Nacht wandte sich ab und starrte wieder auf das plätschernde Wasser zu ihren Pfoten. Etwas blitzte in ihren Augen auf. War es Schmerz? Trauer? Resignation? Dachspfote bemerkte es noch nicht einmal.
»Genug! Ich weiß ganz sicher genug. Ich kann dir sagen, welche Folgen die Gründung des BlattClans haben wird. Das Territorium wird dafür nicht reichen! Aber ich weiß, wie wir, ja, wir beide, alles zum Guten wenden können«, behauptete er kühn.
Nacht schüttelte den Kopf. »Du spielst mit dem Schicksal. Wenn wir unüberlegt eingreifen, werden wir uns noch die Pfoten brechen. Selbst zu zweit unterläuft uns schnell ein Fehler und sei er noch so klein, er kann verheerende Folgen haben. Manchmal reicht ein Funke, um einen Waldbrand auszulösen.«
Innerlich schnaubte Dachspfote. Nicht nur, dass Nacht schon wieder anfing, abstruse Vergleiche zu ziehen, nein, sie wollte seinen Plan schon ablehnen, bevor sie auch nur ein Wort davon gehört hatte! Aber er, Dachspfote, würde Nacht beweisen, dass sie sich irrte. Dass sie sich in ihm getäuscht hatte. Ihn unterschätzt hatte. Ja, auch die uralte, weise Gründerin des Clans verschätzte sich manchmal, dachte zumindest Dachspfote.
In einer Sache hatte sie sich bereits geirrt. Denn Dachspfote konnte sehr wohl nachdenken, Nacht war nicht die einzige, die das beherrschte. Sechs ganze Monde lang hatte er Zeit gehabt, um sich vorzubereiten. Sechs ganze Monde, in denen er immer mehr erfahren hatte. Sechs ganze Monde, in denen er beobachtet und Pläne geschmiedet hatte. Nur einmal hatte Rankensee ihn im SternenClan gesehen, aber zum Glück war ihm dennoch niemand auf die Schliche gekommen. Er hatte Rankensee und ihre Mutter in ihren Träumen belauscht und auch als Storm sich mit Blattschatten getroffen hatte, war er dabei gewesen. Insgeheim war er unglaublich stolz auf sich, denn noch nicht einmal Blattschatten hatte ihn bemerkt. Die mochte zwar oft still und teilnahmslos wirken, doch in Wahrheit hatte sie ihre Umgebung genauer im Auge als jede andere Katze. Dachspfote meinte, sie würde sogar ein Blatt bemerken, das hinter ihr zu Boden segelte, ohne sich danach umzusehen.
Er, Dachspfote, wusste alles über die drohende Gefahr, was Rankensee wusste, was zugegebenermaßen noch längst nicht alles war. Aber er wusste auch alles, was Blattschatten wusste und die wusste eine ganze Menge. Und er hatte begriffen, dass alles schon viel eher begonnen hatte, als es den Anschein machte. Sogar über Nacht hatte er einiges in Erfahrung gebracht und nun wusste er, was er zu tun hatte.
»Komm mit mir, es gibt da etwas, was du sehen solltest!«, forderte er.
»Was denn? Wohin sollen wir deiner Meinung nach gehen?«
»Das wirst du schon früh genug sehen.«
»Warum sagst du es mir nicht einfach jetzt?« Nacht machte keine Anstalten ihm zu folgen.
Doch Dachspfote ließ nicht locker. »Du hast mir bereits genügend Rätsel aufgegeben, nun bin ich einmal an der Reihe.«
Jetzt erhob sich Nacht doch. Ihr Widerwille war nicht zu übersehen, doch sie folgte Dachspfote.
»Hier entlang«, miaute der SternenClan-Kater innerlich jubelnd und sprang voran, zwischen zwei Farnbüscheln hindurch, hinein in die kühlen Schatten der Bäume.
***
Dachspfote konnte gar nicht mehr mitzählen, wie oft er nun schon stehen geblieben war, um auf Nacht zu warten. Warum ist sie nur so langsam? Zum Glück hatten sie es jetzt beinahe geschafft. Eine Baumlänge vor ihm sah er bereits den See, den er eben noch durchquert hatte. Noch wichtiger aber war, dass er auf dem Hügel am Ufer schon das entdeckt hatte, was er Nacht so dringend hatte zeigen wollen. Oder besser gesagt: Wen.
Die weiße Kätzin stand dort oben auf der Hügelkuppe am Ufer, neben sich eine kleine Gestalt, die bei ihrem Tod kaum älter als Dachspfote gewesen sein konnte. Um die beiden herum hingen die Äste einer Trauerweide zu Boden, die dem Ahnenbaum im FederClan-Territorium erstaunlich ähnlich sah. Aber Dachspfote interessierte sich nur für die beiden Katzen. Sie waren gekommen, an den Treffpunkt, genau wie sie es mit ihm verabredet hatten.
Endlose Herzschläge später stand Nacht endlich neben Dachspfote. Folgte seinem Blick mit ihrem. Erstarrte.
»Feder!«, hauchte sie und wich einen Schritt zurück. »Flockenpfote!« Ein weiterer Schritt.
Langsam trat sie zurück in die Dunkelheit, die unter den Bäumen des Waldes herrschte, bis ihr schwarzer Pelz mit der Finsternis verschmolz. Aber Federstern und Flockenpfote waren schneller. Sie stürmten den Hügel hinab und preschten schnell wie der Wind am Ufer des Sees entlang.
»Nacht, warte!«, rief Flockenpfote und Federstern fügte hinzu: »Du brauchst nicht vor uns davon zu laufen. Wir haben dich so lange gesucht. So viele Blattwechsel lang! Sieh uns an, bald ist nichts mehr von uns übrig!« Ihre weißen Pelze wirkten, als hingen dort zwei Nebelschwaden zwischen dem saftigen Grün des Grases, so weit verblasst waren Federstern und Flockenpfote.
»Ihr verzeiht mir?« Nachts Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
»Natürlich.« Flockenpfote war vorgetreten und drückte sich gegen Nacht.
Still beobachtete Dachspfote die Szene. Das, worüber die drei SternenClan-Katzen, die so viel älter waren als er selbst, da redeten, war schon lange vorüber. Eigentlich war es inzwischen vollkommen unwichtig geworden, fand Dachspfote, aber Nacht schien noch immer mit ihren Gedanken in der Vergangenheit festzuhängen. Dachspfote konnte es nicht erwarten, dass Federstern ihren Teil der Abmachung einhielt. Nachdem er sie zu Nacht geführt hatte, sollte die FederClan-Gründerin ihre Schwester überzeugen, ihm zu helfen.
Auch Federstern nickte. »Du hast immer dein bestes gegeben. Das wissen wir. Dass das am Ende nicht gereicht hat, lässt sich nicht ändern. Wir sollten die Vergangenheit ruhen lassen und in die Zukunft blicken. Der NachtClan braucht dich, Nachtstern. Wir müssen etwas tun, aber dafür brauchen wir dich. Du und Dachspfote, ihr wisst am meisten über das, was dort unten bei den Clans vor sich geht. Aber du bist es, die dieses Mal mit einer Clankatze reden muss. Du weißt mit Worten umzugehen, auf dich werden sie hören.«
Scharf sog Dachspfote die Luft ein und wartete auf Nachts Reaktion. Er hätte es nicht besser sagen können als Federstern, aber das musste nichts heißen.
Als er schon meinte, es würde gar keine Antwort mehr kommen, nickte Nacht endlich. »Weil du es bist, Feder.«
Flockenpfote löste sich von Nacht und trat einen Schritt zur Seite. »Was werden wir tun?«
***
Dachspfote stand neben Nacht im Schatten der Bäume und beobachtete die weiße NachtClan-Kriegerin, die neben dem See blinzelnd ihre Augen aufschlug. Für Dachspfotes Geschmack hatte es viel zu lange gedauert, bis sie endlich eingeschlafen war, aber jetzt träumte sie. Es ist so weit.
Am Ufer begann Hagelsturm sich umzusehen. Dachspfote hatte darauf bestanden, dass sie es war, der sie die Prophezeiung überbringen würden, nicht irgendein Anführer, oder Heiler. Sie steckte in der Sache mit drin, seit sie mit ihrem Bruder und Rankensee in die Berge aufgebrochen war.
»Wenn die Sterne Dunkelheit schicken statt Licht«, murmelte Nacht neben Dachspfote und riss ihn so aus seinen Gedanken, »wird euch etwas Brennendes den richtigen Pfad leuchten.«
Dachspfote nickte still. Zwar konnte er dem wirren Gerede, aus dem Prophezeiungen gemacht waren, noch immer nicht viel abgewinnen, doch diesmal verstand er, was Nacht meinte. Er hatte die selben Informationen wie die NachtClan-Gründerin und musste ihren kryptischen Botschaften nur noch die richtigen Fakten zuordnen. Aber Hagelsturm würde das Ganze nur Rätsel aufgeben und Dachspfote kannte die junge Kriegerin bereits gut genug, um zu wissen, dass sie alles daran setzen würde, es zu entschlüsseln. Er glaubte nicht, dass sie das allein schaffen würde, aber das sollte sie auch nicht. Diesmal würde sie die Wahrheit finden wollen! Wie es endete, wenn man ihr diese gleich ins Gesicht sagte, hatte Dachspfote ja schon gesehen. Katzen wie sie misstrauten keinen guten Freunden, nur weil der SternenClan ihnen das befahl. Aber jetzt würde Hagelsturm stolz auf sich sein, wenn sie die Prophezeiung einmal entschlüsselt hatte. Und dann konnte sie die Wahrheit nicht mehr abstreiten.
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