Epilog - Teil 1

Epilog

erster Teil

Da! Mitten in der feinen Schneeschicht waren einige Blätter hochgewühlt worden. Vorsichtig schlich Rankensee näher und prüfte die Luft.

Der Geruch nach Eichhörnchen flutete ihre Sinne. Nur noch selten wagten sich die kleinen Nager aus ihrem Nest, doch irgendwann bekamen auch sie Hunger und mussten fressen. Dank des Schnees war die Spur der Beute alles andere als schwer zu verfolgen. Sie führte direkt auf eine alte Eiche zu. Rankensee fand auch an ihrem Stamm den  Geruch des Eichhörnchens und sah hoch oben in den Ästen ein rundes Nest.

Inzwischen stand die Sonne hoch über ihrem Kopf und obwohl sie sich seit Sonnenaufgang auf der Jagd befand, hatte sie noch kein einziges Mal Erfolg gehabt. Das lag weniger daran, dass die Blattleere allmählich einsetzte, nein, der Grund war vielmehr der erst einen Sonnenaufgang zurückliegende Kampf gegen den NachtClan und alles, was sie über Storm herausgefunden hatte. Ihr ganzes Leben lang hatte sie ihre Mutter vermisst, bereut, dass sie nie die Gelegenheit gehabt hatte, sie besser kennenzulernen und sich gefreut, wenn sie doch einmal ihre Stimme gehört hatte. Nicht ahnend, dass Storm die ganze Zeit über ein finsteres Spiel mit ihr gespielt hatte. All das, die Enttäuschung, die Fassungslosigkeit, aber auch das Gefühl ihre Familie nun wirklich verloren zu haben, hielt sie davon ab, wirklich konzentriert zu jagen.

Noch immer stand Rankensee zwischen den Wurzeln der alten Eiche und betrachtete das Nest des Eichhörnchens. Es befand sich viel zu weit oben, als dass sie es hätte erreichen können. Die Äste schienen dort zu dünn für eine ausgewachsene Katze wie sie es war und der Stamm der Eiche war auf dem unteren Ende zwar rau, doch auch kaum mit Ästen versehen. Hinauf zu klettern wäre nicht das Problem, doch Rankensee war sich nicht sicher, ob sie es schaffen würde, anschließend wieder sicher den Boden zu erreichen. Es mochte kalt sein und der Frischbeutehaufen wurde von Tag zu Tag kleiner, doch eine verletzte Kriegerin würde dem Clan auch nicht helfen. Besser, sie suchte sich andere Beute.

Aufmerksam den Boden in ihrer Umgebung musternd lief sie um den Baum herum und stellte fest, dass direkt auf der gegenüberliegenden Seite des Stammes ebenfalls eine Spur davon weg führte. Ebenfalls Eichhörnchen. War die Beute vielleicht doch am Boden geblieben?

Mit der Nase dicht über dem schneebedeckten Laub folgte Rankensee der Fährte. Diese führte sie um einen Blätterhaufen herum, den der Wind gegen einen jungen Strauch geweht hatte. Dahinter entdeckte Rankensee tatsächlich das Eichhörnchen, das im Boden scharrte.

Sie würde aufpassen müssen, dass das viele Laub nicht unter ihren Pfoten raschelte. Die Kriegerin ließ sich ins Jagdkauern fallen und begann, sich anzuschleichen.
Ein Rascheln ertönte. Im ersten Moment dachte Rankensee, sie sei nicht vorsichtig genug gewesen, bevor sie realisierte, dass irgendwo in der Nähe ein anderes Tier unterwegs sein musste.

Das Eichhörnchen ließ von der kleinen Mulde ab, die es bereits gegraben hatte und flitzte in einem Bogen um Rankensee herum. So ein Mäusedreck! Die Kriegerin wirbelte herum. Ihre Ballen rutschten über feuchtes Laub und Schnee und beinahe wäre sie gestolpert. Als sie sich endlich wieder gefangen hatte, sauste das Eichhörnchen bereits den Stamm der Eiche hoch. Es bestand keine Chance, es wieder einzuholen.

»Rankensee«, ertönte ein Miauen. »Endlich habe ich dich gefunden. Entschuldige, dass ich deine Beute verscheucht habe.«

Rankensee wandte sich dem Kater zu, der eine Fuchslänge entfernt aus dem Unterholz aufgetaucht war.

»Hallo, Weide«, begrüßte sie ihn.

»Ich weiß nicht, wie lange wir noch hier bleiben werden«, miaute Weide. »Ich denke, wir werden bald aufbrechen, dann werden sich die Wege des Stammes und der Clans wieder trennen. Aber vorher wollte ich meine Tochter kennenlernen. Das ist bestimmt alles nicht leicht für dich. Dass gerade dieser Kater dein Vater sein soll, der unter den Katzen als verrückt gilt.« Weide sah betreten zu Boden. »Und dass deine Mutter für all das Unheil mitverantwortlich ist. Ich wünschte, es wäre alles anders gelaufen.«

Für einen Moment herrschte Stille zwischen den beiden Katzen. Dass Weide ihr Vater war, wusste Rankensee zwar schon seit dem gestrigen Tag, doch dies war seither die erste Gelegenheit allein mit ihm zu sprechen. Erneut hatte sie einen Teil ihrer Familie gefunden. Weide. Sowie Rauch und Falter, die demnach genauso wie Blattschatten ihre Halbschwestern waren. Und genauso wie Blattschatten und Storm zuvor würde sie sie wieder verlieren, wenn auch aus anderen Gründen. Falter war tot, die anderen würden weiterziehen… Erneut würde sie allein zurückbleiben.

»Wie war Storm so, als du sie kennengelernt hast?«, fragte Rankensee das nächstbeste, was ihr in den Sinn kam. Ein kleiner Teil von ihr hatte offenbar die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass es auch eine gute Seite in ihrer Mutter gegeben hatte. Ebenso wie die Hoffnung, dass sie nicht die einzige gewesen war, die sich von ihr hatte täuschen lassen.

***

Rankensees Pfoten waren vom langen herumsitzen unangenehm kalt geworden, als sich Weide schließlich verabschiedete.

Während ihres Gespräches hatte Weide ganz ruhig gewirkt, so viel gelassener, als Rankensee ihn kannte. Zwar hatte er auch viel Gutes über Storm berichtet, doch als er dann erzählt hatte, wie sie ihn kurz vor der Geburt seiner Jungen einfach verlassen hatte und wie sie ihn später manipuliert und ausgenutzt hatte, war Rankensees Enttäuschung über ihre Mutter mehr und mehr gewachsen. Weide war ein netter, freundlicher Kater. Vielleicht nicht der großartigste Anführer, doch er setzte sich ein für die, die ihm wichtig waren. Deshalb hatte er versucht, Storm auf der Suche nach ihrer Familie zu helfen und deshalb hatte er später die Befehle befolgt, die Storm ihm zugeflüstert hatte. Sie hatte ihm stets versprochen, dass er endlich ihre gemeinsamen Jungen kennenlernen würde, wenn er nur tat, was sie von ihm verlangte. Dass er ihnen längst über den Weg gelaufen war, das hatte Storm ihm ebenso wie Rankensee selbst verschwiegen. Storm hatten offenbar nur ihre eigenen Ziele interessiert. Klippenfall hatte gesagt, sie hätte nur Unfrieden zwischen den Clans stiften wollen. So ganz verstand Rankensee noch immer nicht, was sie davon gehabt hatte. Auf jeden Fall, da war sie sich ganz sicher, hatte ihr Vater es nicht verdient, so behandelt zu werden.

Weide schnurrte ein letztes mal, dann erhob er sich auf die Pfoten und tappte zwischen den nahen Sträuchern davon.

Ich werde ihn nie wiedersehen, wurde Rankensee klar, während sie ihrem Vater hinterher sah. Erneut überkam sie das Gefühl, von allen verlassen worden zu sein. Oder? Nein, sie würde nicht erneut ihre Familie verlieren! Rankensee fasste einen Beschluss.

»Weide?«, rief sie ihrem Vater hinterher. »Kann ich mich dem Stamm anschließen?«

Der braune Kater drehte sich zu ihr um und schnurrte. »Von mir aus gerne.«

Noch immer ein wenig unsicher, ob sie das Richtige tat, erhob sich auch Rankensee. »Ich würde aber vorher gern noch einmal im BlattClan-Lager vorbeisehen, um mich von meinen alten Freunden zu verabschieden.«

Weide nickte. »Natürlich.«

***

Schnee knirschte unter Hagelsturms Pfoten, als sie hinter ihren Clangefährten her auf das Lager des BlattClans zu lief. Sie, Klippenfall, Pfützenschimmer, Teichpfote und Regenstern kamen gerade vom FederClan-Lager, das die Patrouille zuerst aufgesucht hatte.

Der ganze Sinn dieser Unternehmung war, zu prüfen, was der BlattClan wegen Blattschattens Verrat unternommen hatte. Alle hofften, dass ihre Clangefährten genügend Verstand gehabt hatten, Blattschatten zu verbannen. Regenstern hatte auf Wassersterns Unterstützung gehofft, um unter einem Vorwand das BlattClan-Lager zu besuchen. Hagelsturm war nicht ganz sicher gewesen, warum das nötig sein sollte, warum sie nicht einfach sagen könnten, was sie wollten. Doch Wassersterns Reaktion hatte ihr den Grund klar gemacht.

Der FederClan-Anführer hatte nicht mitkommen wollen. »Das ist einzig die Angelegenheit des BlattClans, ich werde mich da nicht einmischen«, hatte er miaut. »Sie werden schon wissen, was sie tun. Außerdem werden wir noch früh genug erfahren, wie sie sich entschieden haben. Bis zur nächsten großen Versammlung dauert es zwar noch etwas, doch spätestens dann werden wir sicher sein können.«

Regenstern hatte den Kopf vor dem anderen Anführer geneigt. »Ich verstehe deinen Einwand. Und auch ich denke nicht, dass der BlattClan über unsere Neugierde erfreut sein wird. Doch der erste Schnee ist gefallen und ich dachte mir, dass wir Anführer uns vielleicht so oder so absprechen sollten. Schließlich müssen wir sicherstellen, dass der Stamm weiter zieht, wie sie es uns versprochen haben.«

»Auch dafür ist noch kein Treffen nötig.« Wasserstern hatte den Kopf geschüttelt. »Erst wenn der Stamm beginnt, unrechtmäßig seine Grenzen zu markieren und in unserem Gebiet zu jagen, müssen wir uns überlegen, wie wir vorgehen wollen.«

Ein wenig hatte Hagelsturm Wasserstern schon verstanden, dennoch war sie ganz froh darüber, dass Regenstern nach wie vor an ihrem Vorhaben festhielt. Was Blattschatten getan hatte, durfte unter keinen ﹰUmständen ungestraft bleiben.

Der Kalte Wind zerrte an Hagelsturms Pelz, ganz so, als wollte er sie auf die BlattClan-Grenze zu pusten, sie anspornen, schneller zu gehen. Und Hagelsturm hatte es tatsächlich eilig, anzukommen. Nicht etwa wegen der eisigen Böen und des Schnees, der erneut begonnen hatte, vom Himmel zu rieseln, nein, dagegen schützte ihr dichter Pelz sie recht gut. Sie war bloß neugierig und freute sich obendrein, Rankensee wiederzusehen. Wenn diese Patrouille nicht wäre, dann wäre sie womöglich noch auf eigene Pfote aufgebrochen, in der Hoffnung, ihre alte Freundin an der Grenze zu treffen.

Für Hagelsturms Geschmack dauerte es viel zu lange, bis sie endlich am Lager des BlattClans angekommen waren. Der Baum, der im Eingang des verlassenen Zweibeinernests neben dem Lager wuchs, hatte inzwischen auch sein letztes Blatt verloren und trotzte nun völlig kahl der Kälte. Der Lagerwall war weder allzu hoch, noch allzu dicht, sodass Hagelsturm erahnen konnte, dass sich im Lager einige Katzen versammelt hatten. Angestrengt versuchte sie die anwesenden Krieger durch die miteinander verwobenen Brombeerranken zu identifizieren. Bitte SternenClan, mach, dass Rankensee nicht gerade auf einer Patrouille ist!

Sie rannte bereits auf den Eingang zu, als sie von Regenstern zurückgerufen wurde. »Hagelsturm, warte auf uns!«

Widerstrebend blieb die Kriegerin stehen und warf einen Blick zu ihren Clangefährten zurück, während sie mit ihren Pfoten den Boden bearbeitete. Konnten sie sich nicht beeilen?

»Wir sollten nicht in das BlattClan-Lager einbrechen, als planten wir einen Überfall«, miaute Klippenfall, als er, Pfützenschimmer und Regenstern endlich bei Hagelsturm angekommen waren.

Eine Wache war weit und breit nicht zu sehen und so tappte Regenstern wenn auch zögernd in den Lagereingang hinein und rief: »Eagle? Können wir mit dir sprechen?«

»Wer ist da?« Eagles Gestalt erschien im Lager am Eingang. »Oh, Regenstern. Natürlich, kommt nur herein.«

Hagelsturm wartete nicht länger ab und quetschte sich an ihrer Anführerin vorbei ins Lager. Dass dabei ein Büschel ihres Fells an den Brombeerranken hängen blieb, kümmerte sie kaum. Ihr Blick schoss durchs Lager, vom Kriegerbau hinüber zum Heilerbau, dann weiter zur Kinderstube… Doch die erste Katze, die ihr in die Augen stach, war nicht Rankensee, sondern Weide, der verrückte Anführer des Stammes und wie sich herausgestellt hatte, Rankensees Vater. Was suchte der denn hier? Sollte der Stamm nicht eigentlich schon aufgebrochen sein, wegen des Schnees? Vielleicht wollte sich Weide ja von Rankensee verabschieden. Doch noch hatte Hagelsturm die Kriegerin nirgends entdeckt.

Neben dem Heilerbau saßen Beerenfleck und Laubfluss beisammen und gaben sich die Zunge, am Frischbeutehaufen teilten sich Borkensprung und Kleestaub eine Taube und neben dem Loch in der Wand des Zweibeinernestes, durch das man in sein Inneres gelangte, übte Jade ihr Jagdkauern. Zwar war Hagelsturm erfreut, dass auch Blattschatten nicht anwesend zu sein schien, doch die Enttäuschung wegen Rankensees Fehlen überwog.

»Lass uns das im Anführerbau besprechen«, riss Eagles Miauen Hagelsturm aus ihren Gedanken. Der Anführer lief an ihr vorbei in Richtung Anführerbau.

Regenstern folgte ihm. »Ich hoffe wirklich, wir stören nicht.«

Eagle war schon im Bau verschwunden, streckte nun jedoch noch einmal seinen Kopf hinaus. »Nein, das tut ihr nicht. Wir mögen uns zwar inzwischen BlattClan nennen, doch im Herzen sind wir die Streunerbande von früher. Die Rivalitäten zwischen den Clans sind uns noch immer etwas fremd. Gäste sind in unserem Lager jederzeit willkommen.«

Pfützenschimmer und Klippenfall hatten sich zu Jade gesellt, die inzwischen mit Teichpfote ihre Trainingserfahrungen austauschte und Kampftricks übte. Hagelsturm wollte gerade zu ihnen hinüber gehen, als ein Junges, eine kleine schildpattfarbene Kätzin, aus der Kinderstube stolperte.

»Du darfst uns nicht verlassen, Rankensee! Ich werde dich viel zu sehr vermissen. Und Roggenjunges und Schilfjunges auch!«

Rankensee würde den BlattClan verlassen? Hatte sie etwa vor, in den NachtClan zu ihren alten Freunden zurückzukehren? Würde Hagelsturm endlich wieder mit ihrer alten Freundin auf die Jagd gehen können?

»Sei nicht traurig, Glutjunges.« Nebeneinander traten Birkensee und Rankensee aus der Kinderstube. Die Königin beugte sich zu Glutjunges herab. »Rankensee hat auch eine Familie und die ist ihr wichtig. Deshalb hat sie entschieden, mit ihrem Vater zu gehen. Du würdest dich doch bestimmt auch nicht von deinen Wurfgefährten trennen wollen.«

Glutjunges blickte zu einem hellbraunen Jungen mit dunklen Pfoten hinüber, das ein nur wenig helleres Junges zwischen Rankensee und Birkensee hindurch ins Lager hinaus jagte. »Nein, ich würde auch sie ganz doll vermissen.«

Geschockt beobachtete Hagelsturm das Geschehen. Wenn Rankensee den Stamm begleiten würde, würden sie sich womöglich niemals wieder sehen.

»Das Junge hat recht!«, miaute Hagelsturm und sprang zu Rankensee hinüber.
Diese sah etwas perplex zu ihr auf, anscheinend hatte sie die Anwesenheit der NachtClan-Katzen im Lager noch nicht bemerkt.

»Hallo, Hagelsturm«, miaute sie. »Schön, dass sich die Gelegenheit ergibt, mich auch von dir zu verabschieden.«

»Aber du hast doch überall Familie!«, protestierte Hagelsturm. »Moon hier im BlattClan, Weide und Rauch im Stamm, Blattschatten, wo auch immer die sich jetzt befindet… sie ist doch nicht mehr hier, oder?«

Rankensee schüttelte den Kopf. »Sie hat den BlattClan verlassen müssen. Eagle ist nun unser Anführer.«

Es sah aus, als wolle die Kriegerin noch mehr sagen, doch Hagelsturm kam ihr zuvor. »Und Pfützenschimmer im NachtClan ist doch auch wie Familie! Sie hat dich aufgezogen. Für mich warst du immer wie eine Wurfgefährtin!«

***

»Klippenfall?« Teichpfote tippte seinen Mentor mit der Pfote an.

»Ja?«, miaute Klippenfall und wandte sich an seinen Schüler. Er hatte Hagelsturm beobachtet, die gerade mit Rankensee sprach. Letztere wollte die drei Clans offenbar verlassen, um mit ihrem Vater weiter zu ziehen.

Klippenfall wusste nicht so recht, was er davon halten sollte. Er hoffte nur, dass Rankensee sich gut überlegt hatte, was sie tat. Ein wenig würde er sie sicherlich vermissen, denn sie war mit Klippenfall aufgewachsen, als wäre sie seine zweite Schwester. Doch er war sich sicher, dass Hagelsturm die Trennung noch um einiges schwerer fallen würde.

»Was meinst du, wann der Stamm aufbrechen wird? Es hat ja gerade erst angefangen zu schneien und Weide ist auch noch hier.«

»Ich weiß nicht. Aber bis zum nächsten Sonnenaufgang werden sie wohl verschwunden sein.« Im ersten Augenblick dachte Klippenfall, sein Schüler würde sich ebenfalls Gedanken um Rankensee machen, doch dann bemerkte er, wie Jade immer wieder zwischen Anführerbau und Lagereingang hin und her sah. Mit einem unguten Gefühl erinnerte sich Klippenfall an ihren Streit mit Eagle. Nach allem, was vorgefallen war, konnte sie doch auch nicht mehr in Erwägung ziehen, ihrer Mutter Flamme zu vergeben und mit ihr mitzugehen. Oder etwa doch?

Klippenfall kam nicht mehr dazu, die Schülerin zu fragen, denn in diesem Moment sprang sie auf und rannte zum Lagerausgang. Der Krieger folgte ihr mit dem Blick und erkannte erleichtert, dass sie nicht etwa vorhatte, aus dem Lager zu stürmen, sondern lediglich auf Blue und Cloud zu rannte. Die beiden Hauskätzchen waren eben neben ihrer Tochter Winter durch den Tunnel in dem Brombeerwall ins Lager getreten. Clouds Bein, das sie sich verletzt hatte, als Klippenfall, Hagelsturm, Wolfsfeuer und Blitz von Wolfsfeuers Kriegerprüfung zurückgekehrt waren, schien inzwischen wieder verheilt. Die Kätzin humpelte nur noch leicht.

»Da seid ihr ja endlich!«, miaute Jade erfreut. »Winter ist schon so lange fort, ich dachte schon, sie würde euch gar nicht mehr finden.«

»Wir wollten uns erst einmal unseren Hauskätzchen-Freunden verabschieden, bevor wir nach Hause zurückkehren.«

»Willkommen zurück!« Beerenfleck, Clouds und Blues Sohn war zu ihnen hinüber gerannt. »Ich hoffe, dass ihr uns nie wieder verlasst!«

»Das haben wir zumindest nicht vor.«

Es dauerte nicht lange, bis die beiden Hauskätzchen von BlattClan-Kriegern umringt waren. Selbst die Jungen, Glutjunges, Schilfjunges und Roggenjunges, die noch so klein waren, dass sie die beiden gar nicht kennen konnten, hüpften zwischen den Pfoten der Krieger umher und stellten eifrig Fragen.

Nur die Weide, Rankensee und die anwesenden NachtClan-Katzen hielten sich etwas mehr zurück. Mit Ausnahme von Hagelsturm, der es auch noch nie etwas ausgemacht hatte, ob eine Katze ein Krieger, Streuner oder Hauskätzchen war. Obwohl sich Klippenfalls Meinung diesbezüglich auch etwas geändert hatte -als Schüler hatte ihn das Schicksal diverser außerhalb der Clans lebender Katzen weniger interessiert, doch auf seiner Rückreise von seiner Kriegerprüfung hatte er die damalige Streunerbande besser kennengelernt und in einigen von ihnen Freunde gefunden- blieb auch er auf Abstand.

Was Eagle eben zu Regenstern gesagt hatte, stimmte, wurde Klippenfall klar, während er die BlattClan-Katzen beobachtete. Die BlattClan-Katzen mochten sich zwar Clan nennen, doch sie waren noch immer dieselben, die nur wenige Monde zuvor ein Haufen Streuner gewesen waren. Sie hatten längst nicht alle ihre Eigenschaften von damals verloren, denn niemand von ihnen schien sich daran zu stören, dass Blue und Cloud eine Zeit lang als Hauskätzchen gelebt hatten. Und vielleicht war das auch ganz gut so.

***

Die Schneeflocken fielen dichter und dichter, tanzten im Wind umeinader herum, eine größer als die andere, als die Katzen sich schließlich auf den Weg zur Grenze machten. Sie waren eine recht große Gruppe, die dorthin unterwegs war, wo am Donnerweg BlattClan-Gebiet, NachtClan-Wald und die Jagdgründe, die man dem Stamm geliehen hatte, aufeinander trafen. An der Spitze liefen Regenstern und Pfützenschimmer, gefolgt Hagelsturm und Rankensee, sowie den beiden Schülern Teichpfote und Jade. Hinter ihnen war Weide mit einigem Abstand zu den zwei BlattClan-Kriegern Kleestaub und Kieselfang. Klippenfall und Eagle bildeten den Schluss.

»Für einen Moment dachte ich wirklich, dass Jade sich dem Stamm und ihrer Mutter anschließen will«, miaute Eagle gerade.

Klippenfall nickte. Denselben Gedanken hatte auch er gehabt, als Jade ihren Anführer eben gefragt hatte, ob sie die Katzen ebenfalls zur Grenze begleiten dürfte. Aber die junge Schülerin hatte lediglich erklärt, dass sie sich trotzdem, dass Flamme sie erneut enttäuscht hatte, von ihrer Mutter verabschieden wollte, jetzt, wo sie sie wohl wirklich das letzte mal in ihrem Leben sah.

»Sie vertraut mir noch immer nicht wieder«, murmelte Eagle mehr zu sich selbst.

»Vielleicht solltest du einfach tun, was sie verlangt und sie um Entschuldigung bitten.«

»Aber, ich wollte doch nur ihr bestes, du verstehst doch bestimmt!«

Ja, Klippenfall verstand. Jedoch nicht nur Eagles Standpunkt, sondern auch Jades. Warum konnte Eagle nicht einfach zugeben, dass es vielleicht nicht so gut gewesen war, zu lügen? So schwer konnte das doch nicht sein! »Das beste zu wollen heißt aber nicht immer, automatisch auch die besten Entscheidungen zu treffen.«

Eagle schwieg eine Weile. »Ich werde darüber nachdenken.«

***

An der Grenze angekommen war Weide der erste, der sich verabschiedete. »Ich bin mitten in einer Versammlung des Stammes aufgebrochen, sicherlich warten sie auf mich. Möge eure Beute gut laufen… und falls wir uns nicht mehr wieder sehen, mögen eure Clans die Blattleere gut überstehen.«

Auch Rankensee verabschiedete sich eilig, ehe sie ihrem Vater folgte.

»Ich bin bald zurück«, versprach Jade und sprang hinter den beiden her.

Hagelsturm, die neben Klippenfall stand, wirkte nervös. Sie scharrte mit ihren Krallen im Boden, lief unruhig auf und ab, ehe sie abrupt stehen blieb und erneut begann, den Boden aufzuwühlen. Den Blick hatte sie dabei die ganze Zeit über auf Rankensee gerichtet.

Klippenfall fürchtete bereits, sie wollte ihrer alten Freundin hinterher laufen und er müsste sie erneut festhalten und davon überzeugen, in ihrem Zuhause, dem NachtClan, zu bleiben, so wie damals, als sich Rankensee dem BlattClan angeschlossen hatte. Doch diesmal blieb Hagelsturm, wo sie war.

»Es ist wird Zeit für uns, ebenfalls in unser Lager zurückzukehren«, miaute Regenstern schließlich.

Sie war die erste, die den Donnerweg überquerte. Nach ihr waren Klippenfall und Teichpfote an der Reihe.

»Du weißt noch, worauf du achten musst, bevor du los läufst, oder?«, fragte Klippenfall seinen Schüler.

Teichpfote nickte und blickte mit gespitzten Ohren abwechselnd in beide Richtungen den Donnerweg entlang. Im Moment war alles ruhig.

»Es ist sicher, oder?«, fragte Teichpfote.

»Ja. Wir rennen los, wenn ich jetzt sage.«

Klippenfall ging noch einmal sicher, dass kein Monster nahte und gab dann das Zeichen zum überqueren des Donnerwegs. Nebeneinander stürmten Mentor und Schüler los, hielten erst an, als sie wieder weiches Gras unter ihren Pfoten spürten.
Als Klippenfall zu seiner Schwester und seiner Mutter zurück blickte, standen diese noch immer nebeneinander an der Grenze und betrachteten den Punkt, an dem Rankensee zwischen einigen Sträuchern verschwunden war. Auch Pfützenschimmer schien traurig, wie sie dort dicht neben ihrer Tochter stand und leise mit ihr miaute.

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