7. Special - Windstille

7 Monde und 5 Sonnenaufgänge, nachdem Rankensee, Hagelsturm und Klippenfall die Reise zur Geisterkatze angetreten haben


Windstille

~siebtes Special~

Die Bäume standen dicht an dicht, sodass kaum Licht bis auf den morastigen Boden vordrang. Die Erde hier war schlammig und vermischt mit vermoderndem Laub, das einen unangenehmen Geruch verströmte. Nebel waberte zwischen den mächtigen Stammen umher und kaum ein Laut war zu hören. Nur die Schritte der hellgrauen Kätzin, die über dicke Wurzeln balancierte, welche sich wie fette Schlangen über den Boden wanden.

Wenn sie in den Himmel aufsah, oder zumindest dorthin, wo er hätte sein sollten, dann sah sie nichts von dem Sternenflies, oder dem blau mit seinen Wolken, das sie oft so sehr vermisste. Nein, sie war sich nicht einmal sicher, welche Tageszeit überhaupt herrschte. Hier sah es immer gleich aus, während sie einsam und versunken in Gedanken ihre Runden drehte. Gedanken an die eigene Vergangenheit, vor ihrem Tod, Gedanken an Reue, Gedanken an Rache, Gedanken daran, dass sie wünschte, die Gedanken einfach ruhen lassen zu können, einmal etwas neues zu erleben, einen Lichtblick in dem finsteren Strudel in ihrem Kopf.

Heute schien weder das Grau der Bäume und des Matsches um Storm herum, noch der modrige Geruch oder die Frage, wie lange sie hier noch ausharren müsste, wie etwas, worüber sie gern nachdenken wollte. Nein, was in ihrem Kopf umherschwirrte, war ihr Plan. Der Plan, den sie sich über Monde zurechtgelegt und umgesetzt hatte.

Es hatte alles mit ihrer Wut auf den NachtClan begonnen. Der NachtClan war dafür verantwortlich, dass sie sowohl von ihrer ersten Tochter, Blattschatten, als auch von ihrer alten Familie und ihren alten Freunden, der Streunerbande, getrennt worden war. Weil er der Streunerbande, dem jetzigen BlattClan, das Territorium gestohlen hatte, ohne Rücksicht zu nehmen. Sie waren ja nur Streuner gewesen. Keine ach so ehrenwerten Clankrieger. Und als diese waren sie offenbar nichts wert gewesen. Vor allem in Regensterns Augen nicht. Die hatte schließlich auch nichts dagegen getan, dass Blattschatten -wie Storm nach ihrem Tod erfahren hatte- sich in ihrem eigenen Clan immer mehr fremd gefühlt hatte, als die HalbClan-Katze, die sie eben war. Und auch Rankensee hatte sie offenbar nur deshalb aufgenommen, weil sie noch ein Junges gewesen war, als man sie auf dem Donnerweg gefunden hatte. Und weil zum Glück Blattschatten dabei gewesen war, die protestiert hätte, hätte sich die Anführerin geweigert, weitere von Storms Nachkommen im Clan zu akzeptieren. In diesem Fall hatte ein Streunerjunges einmal das Gesetz der Krieger auf ihrer Seite gehabt. Doch das war nicht immer so: Zumeist schauten die Clankatzen doch auf Streuner herab, scherten sich nicht darum, was aus ihnen wurde. Sie waren arrogant, dachten, sie wären etwas besseres, nur weil sie niemals Hauskätzchenfutter fraßen, Grenzen markierten, oder die Sterne anbeteten. Dabei war ihr Gesetz der Krieger ein Witz. Es musste angepasst, weiterentwickelt werden, um wirklich fair zu sein.
Blattschatten, so war Storm klar geworden, hätte das Zeug dazu. Ihr Potenzial war verschwendet worden durch ihr Außenseiterdasein im NachtClan. Sie hatte die Fähigkeiten, selbst einen Clan anzuführen, einen besseren, gerechteren Clan, als es der NachtClan war.

Und so hatte Storms Plan Gestalt angenommen. Begonnen hatte sie damit, Blattschatten, damals noch Blattpfote, aufzutragen, ihren jüngeren Bruder aus dem FederClan-Lager zu entführen und zu seiner eigentlichen Familie zu bringen: Den Streunern, die in den Bergen lebten, wo Storm sie vom Land der Kriegerahnen aus endlich wieder hatte sehen können. Damit hatte sie gleich zwei Dinge erreicht: Erstens, dass ihr Junges in seiner richtigen Familie groß wurde und nicht in irgend so einem arrgoagtem Clan, und zweitens brauchte sie einen Grund, Rankensee später ebenfalls in die Berge zu schicken.

Das Ziel war von Anfang an gewesen, alle vier Gruppen NachtClan, FederClan, Streunerbande und Stamm der düsteren Wolken, in den Territorien der Clans zu sehen und dann die drei übriegen Gruppen gegen den NachtClan aufzubringen. Doch um die Streunerbande dazu zu bewegen, in ihr altes Territorium, ihr rechtmäßiges Zuhause, zurückzukehren, brauchte sie jemanden, der sie aus den Bergen vertrieb, ebenso wie jemanden, der sie direkt zurück zum NachtClan führte.

Ursprünglich hatte Storm geplant, Blattpfote einfach die Streuner holen zu lassen, doch dann war ihr die Zeit zu knapp geworden. Sie hatte länger gebraucht als gedacht, Weide zu überzeugen, in die Berge zu ziehen.

Storm blieb stehen. Vor ihr lag eine besonders großegroße Matschpfütze. Sie müsste ein ganzes Stück springen, um sie zu überwinden. Konzentriert spannte sie die Muskeln an, stieß sich ab. Doch ein Bild, welches ihr in diesem Moment durch den Kopf geisterte, lenkte sie ab: Weide, der mit der Zeit immer mehr unter ihrern ständigen Besuchen zu leiden begann.

Eine ihrer Pfoten rutschte ab und sie landete mitten im Morrast.

"Mäusedreck!", fluchte Storm, währnd sie mit den Pfoten strampelte, um sich zu befreien. Dadurch sank sie jedoch nur noch schneller ein.

Der Schlamm stand ihr schon fast bis zum Bauchfell, als sie endlich festen Boden unter ihren Ballen spürte. Fluchend stapfte Storm weiter. Immer wieder hatte sie Schwierigkeiten, ihre Beine aus dem Matsch zu ziehen, bis sie sich endlich mit einem Schmatzen aus dem Dreck lösten, nur um beim nächsten Schritt noch tiefer einzusinken. Die Gedanken an Weide waren zumindest für einen Moment verschwunden, als sie sich schließlich außer Atem auf die nächste dicke Baumwurzel zog. Angewidert schüttelte sie sich, sodass Dreckklumpen aus ihrem Fell in alle Richtungen flogen. Sie wusste genau, wie widerspenstig dieses Zeug war, es würde tagelang in ihrem Pelz kleben und beim Putzen einen unangenehmen Geschmack auf der Zunge verströmen.

Eine Weile blieb sie dort sitzen, um zu verschnaufen, doch lange hielt sie das herumsitzen nicht aus. Sie musste weiter wandern, denn das war das einzige, was ihre rasenden Gedanken zumindest etwas besänftigte.

Kaum hatte sie sich auf die Pfoten erhoben, kehrten ihre Grübeleien wieder zu Weide zurück. Er war nicht nur der Kater gewesen, der ihr als einziger wirklich bei der Suche nach der Streunerbande geholfen hatte, nein, er war auch der Vater ihrer Jungen. Sie hatte ihn geliebt und der Abschied war ihr nicht leicht gefallen. Ein paar Mal war sie kurz davor gewesen, ihren Plan aufzugeben, als sie sah, was es mit ihm machte, dass sie ihn immer wieder aufsuchte. Mit jedem mal, dass Storm ihm erzählte, wie sehr sie es bereute, ihn verlassen zu haben, oder dass in den Bergen ein neues Zuhause auf ihn wartete, oder dass er eine Tochter im NachtClan hatte, hatte er ein Stück seiner selbst verloren. Er hatte so viel Hoffnung in ihr Versprechen gesteckt, dass sie ihn zu seiner Tochter zu führen würde, wenn er nur tat, was sie von ihm verlangte. Es hatte wehgetan, zu beobachten, wie seine Stammesgefährten abgesehen Rauch immer weniger in seine Fähigkeiten als Anführer vertrauten, ihn für verrückt erklärten und schließlich sein Leiden ignorierten, weil sie nicht weiter wussten.

Doch nein, es war ein notwendiges Übel gewesen, davon war Storm überzeugt gewesen. Es musste sein, um den NachtClan durch einen neuen, besseren, gerechteren Clan ersetzen zu können.

Irgwendwann, kurz vor Rankensees Kriegerzeremonie war es so weit gewesen: Weide war mit seinem Stamm in die Berge gezogen und hatte somit dafür gesorgt, dass es für die Streunerbande einen Grund gab, ihr zuvor sicheres  Territorium zu verlassen.

Kurz darauf war Rankensee mit ihren beiden Baugefährten zu ihrer Kriegerprüfung aufgebrochen. Wie geplant waren die Streitigkeiten in den Bergen unterdessen größer geworden und Weide hatte Flamme als Spionin eingesetzt. Die feuerfarbene Kätzin war die perfekte Kandidatin dafür gewesen, denn sie war ihrem Anführer treu ergeben. Sie schien in Weide gar eine Art Vater zu sehen, nachdem er und Storm sie gefunden und sich ihrer angenommen hatten, als sie noch ein winziges, hilfloses Junges ohne Eltern gewesen war. Zudem hatte sie zu diesem Zeitpunkt gerade Junge erwartet, was Storm sogleich an einen ihrer alten Pläne erinnert hatte. Auch sie hatte, als sie erneut Junge erwartet hatte, dies als die perfekte Gelegenheit erkannt, sich dem NachtClan erneut anzuschließen. Eine Mutter mit Jungen würden die Krieger kaum abweisen können. Auf ihren Rat hin hatte Flamme denselben Trick verwendet.

Nun hatte sie nur noch dafür sorgen müssen, dass Rankensee den verlorenen Teil ihrer Familie auch fand. Ohne das Wissen irgendwelcher anderen Ahnen hatte Storm ihr eine Botschaft zukommen lassen, eine, die sich nicht umsonst so angehört hatte, als sei sie eine Prophezeiung des SternenClans. Rankensee sollte denken, alle ihre Kriegerahnen würden wollen, dass ihr Bruder gefunden wurde.

Als Rankensee dann mit Klippenfall und Hagelsturm mitten in den Bergen gestanden hatte und nicht mehr wusste, wo der richtige Weg zu ihrem Bruder verlief, hatte sie Weide dazu gebracht, ihr entgegen zu laufen. In der Hoffnung, dass Rauch nach ihm suchen würde. Rankensee und ihre Reisegefährten hatten die richtigen Schlüsse aus Storms Worten "Suchende werden dir den Weg weisen" gezogen. Es hatte geklappt und Rankensee war direkt zu den zwei verfeindeten Gruppen, dem Stamm und der Streunerbande, geführt worden.

Dann war etwas geschehen, was Storm zum ersten Mal zum Zweifeln gebracht hatte. Sam war in dem Kampf gestorben, den sie selbst ausgelöst hatte. Ihr wunderbarer Sohn, der nun noch nicht einmal im SternenClan wandelte, da er nicht mit dem Glauben der Clans vertraut gewesen war. Wäre alles anders gelaufen, wenn sie Weide und damit auch Flamme verraten hätte, dass Sam zur Familie gehörte? Sie würde es nie erfahren.

Ihr war nichts weiter übrig geblieben, als weiter zu kämpfen. Wenn sie aufgegeben hätte, hätte das Sams Tod nicht rückgängig gemacht.

Zumindest hatte der Stamm wie geplant gewonnen, was nicht weiter verwunderlich war, da sie deutlich in der Überzahl gewesen waren, trotz der Unterstützung der NachtClan-Krieger für die Streunerbande. Das einzige Risiko war gewesen, dass die Streunerbande vielleicht ein neues Territorium hätte finden können, bevor sie bei den Clans ankamen. Zwar hatte Storm noch versucht, dem entgegen zu wirken, indem sie Rankensee vorgeschlagen hatte, dass das bis dahin ungenutzte Stück Land zwischen den Territorien von FederClan und NachtClan wie geschaffen für die Streunerbande war, doch ansonsten hatte sie nichts tun können. Sie hatte auf ihr Glück vertrauen müssen. Und tatsächlich hatte es geklappt.

Blattschatten war natürlich längst davon unterrichtet gewesen, dass der NachtClan neue Nachbarn bekommen würde, als diese das erste mal bei den Clans aufkreuzten. Sie hatte sich einerseits darauf gefreut, ihre Familie, die sie nach ihrer eigenen Kriegerprüfung kurz kennengelernt hatte, wiederzusehen und hatte gleichzeitig an einem Plan gearbeitet, die Streuner zu ihrem eigenen Clan zu machen.

Storm war stolz gewesen auf das Geschick ihrer Tochter, mit dem sie sich selbst zur Anführerin des neuen BlattClans erklärt hatte.

Ein Großteil von Storms Plan war damit geschafft gewesen. Dann hatten die Ereignisse für Monde stillgestanden. Während Blattschatten die Clans belogen hatte, indem sie behauptete, der SternenClan würde sie als Anführerin anerkennen, hatte Storm versucht, auch den Stamm dazu zu bringen, in die Territorien der Clans zu reisen. Je mehr Katzen sich dort befanden, die man gegen den NachtClan aufbringen konnte, desto besser war schließlich ihre Aussicht auf Erfolg. In den Territorien der Clans war es gut gelaufen, Blattstern hatte erste Änderungen am Gesetz der Krieger durchgesetzt, um einen besseren Clan zu schaffen und man gewöhnte sich allmählich an den neuen Clan. Außerdem hatten sie sogar schon Territorium vom NachtClan erobert und vier Streuner als neue Mitglieder gewinnen können. In den Bergen hingegen ging die Ausführung des Plans nicht voran. Zwar ließ sich Weide inzwischen einfacher manipulieren denn je, doch niemand im Stamm hörte mehr auf ihn. Abgesehen von Flamme und zum Teil auch Rauch. Wobei selbst Rauch mehr über Weide wachte, wie eine Mutter über ihr Junges, anstatt ihm zu gehorchen. Storm war gezwungen gewesen, ihren Plan anzupassen.

Dass Klippenfall und Hagelsturm Wolfsfeuer zur Geisterkatze begleiteten, war Storm gerade recht gekommen. Sie hatte Weide erzählt, was er und Flamme zu tun hatten, damit der Stamm die Berge verließ und zu den Clans reiste, so wie ihr Anführer -oder eher Storm- es verlangte. Weide verschwand aus dem Lager, man suchte nach ihm, Flamme spielte ihre Entführung vor.

Von da an war mehr Improvisation nötig gewesen. Sie hatte sich mehr auf Blattschattens und Flammes Beobachtungsgabe und strategisches Geschick verlassen müssen als zuvor. Nur hier und da hatte sie Ideen eingebracht und vom Wald der Finsternis aus zwischen ihren Mitstreiterinnen vermittelt.

Als Flamme auf einer Patrouille Rankensee getroffen und erfahren hatte, dass Wolfsfeuer, nicht jedoch seine Clangefährten zurück waren, hatte sie sich in der Nähe der Grenze herumgetrieben. Dort hatte sie auf die zurückkehrenden NachtClan-Krieger gewartet, um sie ins FederClan-Territorium zu locken und wie Beutediebe aussehen zu lassen.

Als Blattstern von dem Adlernest erfahren hatte, das sich an der Grenze zum NachtClan befand, hatte sie dieses Wissen zunächst nur an Flamme weitergegeben, nicht jedoch an andere, in der Hoffnung, es noch einmal nutzen zu können.

Als der Adler die Jungen aus dem FederClan entführt hatte, hatte Flamme natürlich gewusst, wo sie suchen musste. Natürlich hatte sie die Gelegenheit genutzt, dem FederClan nichts gesagt und stattdessen den BlattClan auf die Rettungsmission geschickt, damit der FederClan Blattschatten etwas schuldig war.

Als die NachtClan-Heiler dem geretteten Jungen geholfen hatten, hatte Blattschatten das Wasserstern verschwiegen.

Und schließlich hatte Flamme Wasserstern davon überzeugt, dass BlattClan und Stamm ein Bündnis hatten und somit zu stark wären, um Territorium von ihnen zu fordern. Sie hatte ihn nur zu einem Treffen lotsen müssen, das Blattschatten mit Rauch abgemacht hatte.

All das hatte dazu geführt, dass sich die drei übrigen Gruppen im finalen Kampf gegen den NachtClan vereint hatten. Und doch war alles schiefgelaufen. Im allerletzten Moment hatte man Storms Plan durchschaut.

Der NachtClan existierte weiterhin. Storm konnte nur hoffen, dass der BlattClan dennoch Bestand haben würde und ihre Familie zumindest einen Teil des Territoriums, das ihnen einst gestohlen worden war, behalten würde.

Storms Ballen brannten, als sie schließlich stehen blieb und sich auf einem etwas höher gelegenen Platz neben dem Stamm einer dicken Eiche niederließ. Je länger sie darüber nachdachte, desto mehr erkannte sie die Schwachstellen, die ihr Plan gehabt hatte und desto mehr wünschte sie sich, dass sie einfach all das alte Unrecht auf sich hätte beruhen lassen. Dass sie, statt Weide zu verlassen, als sie Junge erwartet hatte, einfach im Stamm geblieben wäre. Möglicherweise würde Sam, ihr einziger Sohn, dann noch leben. Rankensee hätte die Familie gehabt, nach der sie immer gesucht hatte und Blattschatten hätte die Clans nicht verlassen müssen. Weide wäre nach wie vor Anführer des Stammes, die Katzen würden in seine Fähigkeiten, die er durchaus hatte, vertrauen. Der junge Beere würde nun nicht ohne seine Mutter vor der Herausforderung stehen, der nächste Anführer werden zu müssen.

Doch ihre Vergangenheit hatte Storm keine Ruhe gelassen und ihr Racheplan hatte inmitten dieses düsteren, einsamen Waldes immer weiter Gestalt angenommen.

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