4. Kapitel


»Da! Eine Maus!« Hagelsturm hielt inne, als sie Blitz' Miauen hörte.

»Wo?« Die Kriegerin musterte kurz den schmalen Donnerweg, der von einem unnatürlichen Licht wie dem von Monsteraugen ausgeleuchtet wurde, das von seltsamen Zweibeinerdingern auf baumhohen Pfählen ausging. Dann blinzelte sie in die Dunkelheit jenseits davon, doch war die Beute nirgends zu entdecken. Dafür hörte sie jedoch ein leises Scharren unter einem Stapel von gerade zugeschnittenem Holz, der an der Wand eines Zweibeinernestes lehnte. Als sie genauer hinsah, entdeckte sie doch noch einen Flecken von braunem Pelz in den Schatten.

»Deine Beute«, zischte Hagelsturm Blitz zu.

»Sie wird mir doch sowieso wieder entkommen«, knurrte Blitz, kauerte sich aber dennoch auf den Boden und schlich auf den Holzstapel zu.

Ihr Jagdkauern sah noch immer etwas unbeholfen aus und Hagelsturm hatte den Eindruck, dass Blitz ihre Pfoten längst nicht vorsichtig genug auf dem Boden aufsetzte. Eine Fuchslänge trennte Jägerin und Beute, als die Maus auf einmal unter dem Holz hervor schoss und in einem Loch an der Zweibeinernestwand verschwand.

»Fuchsdung!« Den Fluch hatte sich Blitz inzwischen bei Hagelsturm abgeschaut.

Schon seit einigen Sonnenaufgängen waren sie gemeinsam unterwegs und nun nur noch etwa eine halbe Tagesreise vom NachtClan entfernt.

»Die Maus hat schon wieder meine Schritte durch die Vibration des Bodens gespürt, oder?« Nach all der Beute, die Blitz während ihrer Reise verscheucht hatte, wusste sie genau, wo ihre Fehler lagen. Doch obwohl sie sich immer Mühe gab, hatte Hagelsturm - die wegen ihrer ständigen Ungeduld auch nicht gerade die perfekte Jägerin war - stets die meiste Beute gemacht.

Hagelsturm antwortete mit einem Nicken. »Du musst vorsichtiger auftreten.«

Nachdenklich betrachtete Blitz den Holzstapel, unter dem eben noch die Maus gesessen hatte.
»Manchmal, wenn ich beim Schleichen plötzlich innehalten muss, damit mich die Beute nicht bemerkt, verliere ich ein wenig das Gleichgewicht…«, gab sie zögernd zu. »Vielleicht liegt es daran.«

Blitz trat vor, angelte sich eines der Holzstücke von dem Haufen und legte es über eine Mulde in der Erde. So entstand über der Kuhle eine Brücke, die zwar dreimal so lang wie eine Katze, aber auch nur ein wenig breiter als eine Pfote war. Dann rupfte Blitz ein vertrocknetes Blatt von einem Strauch, spießte es mit ihren Krallen auf und legte es auf die Kante ihrer Holzbrücke, sodass es kurz davor war, in die Mitte der Kuhle herab zu segeln.

Verwirrt betrachtete Hagelsturm das Werk ihrer neuen Freundin. »Was wird das denn?«

»Ein Experiment… Eine Übung«, miaute Blitz konzentriert, während sie eine Pfote auf das Holzstück setzte. »Ich will versuchen, hinüber zu balancieren, ohne dass das Blatt runter fällt. Sobald ich das schaffe, trete ich nicht mehr zu fest auf…«

Das war eine erstaunlich gute Idee, fand Hagelsturm. Sie beschloss, sich diese Übung zu merken, für den Fall, dass sie selbst einmal einen Schüler bekam. Ein wenig ungeduldig war sie jedoch schon, als sie beobachtete, wie Blitz über das Holzstück tappte. So kurz vor ihrem Ziel wollte sie nicht noch mehr Zeit verlieren. Auf den ersten Tagen ihrer Rückreise waren sie schon viel zu langsam vorangekommen, weil Hagelsturms Pfote wieder zu schmerzen begonnen hatte, aber nun sollten die Clans endlich von der Prophezeiung erfahren!

Erschrocken wich Hagelsturm zurück, als Blitz sie mit ihrem Schweif bei dem Versuch, das Gleichgewicht wiederzufinden, beinahe ins Gesicht schlug. Unter ihren Pfoten war das Holzstück in Schwingung geraten und erbebte immer heftiger, umso hektischer Blitz versuchte, nicht herunter zu fallen. Das Blatt lag selbstredend schon längst am Boden.
Fluchend sprang Blitz von dem Holz und landete neben Hagelsturm. »Das muss doch irgendwie zu schaffen sein! Ich denke, das übe ich später noch einmal, wenn wir bei den Clans angekommen sind.«

***

»Willst du dich uns vielleicht anschließen?«, fragte Hagelsturm, während sie auf den Wald zu liefen, von dem bereits die dunklen Umrisse der Baumkronen über den Zweibeinernestern zu sehen waren. »Du könntest eine Clankatze werden!«

Blitz schüttelte jedoch entschieden den Kopf. »Ich wurde als Streunerin geboren. Als ich meine Zweibeiner verlassen habe, da habe ich das getan, um frei zu sein. Ich will etwas von der Welt sehen, ich möchte weiter reisen. Vielleicht bleibe ich noch ein paar Sonnenaufgänge, aber dann werde ich dich und deinen Clan wohl wieder hinter mir lassen. Vielleicht können wir bis dahin aber ja noch etwas jagen üben.«

Enttäuscht ließ Hagelsturm den Kopf hängen. Sie hatte gehofft, in Blitz eine ebenso gute Freundin zu finden wie damals in Rankensee, bevor diese sich dem BlattClan angeschlossen hatte. Blitz wäre bestimmt eine wunderbare Clangefährtin geworden! Aber so schnell würde Hagelsturm nicht aufgeben. Ein paar Sonnenaufgänge blieben ihr noch, um sie zu überzeugen und wenn die Streunerin erst einmal das Clanleben kennengelernt hatte, würde sie einfach bleiben müssen! Es dauerte einen Moment, bis Hagelsturm noch etwas auffiel, was sie an Blitz Antwort verwirrte.

»Moment mal«, hakte sie nach, »ich dachte, du wärst schon immer ein Hauskätzchen gewesen.«

»Nein, war ich nicht. Bei meiner Geburt war meine Mutter noch eine Streunerin. Als ich dann knapp vier Monde alt war, hatte meine Mutter… nennen wir es eine ziemlich schmerzhafte Begegnung mit einem Monster. Sie hatte Glück im Unglück und überlebte, doch sie hatte sich ein Bein gebrochen und konnte uns nicht mehr versorgen, weshalb ihr nichts anderes übrig blieb, als mit ihren Jungen bei den Zweibeinern Hilfe zu suchen. Ich habe mich immer nach einem Leben in Freiheit gesehnt, besonders, wenn meine Mutter uns mal wieder Geschichten vom Streunerleben erzählte.«

»Was ist mit deinen Wurfgefährten?«

»Sie gewöhnten sich an das Leben als Hauskätzchen«, schnurrte Blitz. »Ich glaube, ich war schon immer das abenteuerlustigste Junge von uns vieren… und zugleich das kleinste und schwächste.«

Inzwischen hatte der Donnerweg die beiden Kätzinnen aus dem Zweibeinerort heraus geführt. Zuerst hatte Hagelsturm sich unwohl gefühlt, direkt neben diesem stinkenden Pfad der Monster entlang zu laufen, doch Blitz hatte behauptet, dass sie das in ihrem alten Zweibeinerort immer so gemacht hätte. Es sei sicher genug und ging schneller, weil man sich keinen Weg durch das Labyrinth der Zweibeinergärten und -nester suchen musste.

Vor ihnen streckten die Eichen, Linden und Kiefern eines kleinen Waldes ihre kahlen Äste in den Nachthimmel, während zwischen ihren Stämmen hindurch die weitläufigen Felder der Zweibeier zu sehen waren. Die Bäume standen zu beiden Seiten einer Schlucht, die vor Hagelsturms Pfoten begann und an dessen Boden der Fluss floss, der den Weg zur Höhle der Geisterkatze markierte.
Unter Hagelsturms Pfoten befand sich eine Mauer, ähnlich der eines Zweibeinernestes, die sich bis hinab auf den Grund der Schlucht zog, wo der Fluss aus einem Rohr heraus strömte. Unter dem Zweibeinerort musste er unterirdisch fließen.

»An welcher Seite der Schlucht müssen wir jetzt weiter gehen?«, rief Blitz Hagelsturm zu. Sie war schon etwas weiter gegangen, wo noch eine Zweibeinerbrücke über den Abgrund führte, die letzte Möglichkeit, die Schlucht zu überqueren, bevor sie bei beim NachtClan ankommen würden.
Gerade wollte Hagelsturm antworten, als der Geruch zweier Katzen zu ihr hinüber wehte, welche kurz darauf auch schon unter einer Hecke auftauchten.

»Blue? Cloud? Was macht ihr denn hier?« Hagelsturm hatte die beiden sofort wiedererkannt.

»Weißt du noch nicht, dass Blattstern uns aus ihrem Clan verbannt und uns so von unseren Jungen getrennt hat?«, wollte Cloud aufgebracht wissen.

Blue strich ihr beruhigend mit dem Schweif über den Rücken. »Spätestens auf der großen Versammlung hat sie es bestimmt erfahren.«

Natürlich hatte Hagelsturm das. Gerüchte über die Verbannung hatte es schon zuvor im NachtClan gegeben, doch erst auf der großen Versammlung hatte Blattstern sie bestätigt.

»Gut, dass wir dich hier treffen«, miaute Blue. »Du musst die Clans warnen. Wir haben bei Sonnenaufgang gesehen, dass…«

»Blue! Warte!«, unterbrach Cloud ihren Gefährten.

Sie trat auf Hagelsturm zu und begann um sie herum zu tappen. »Es droht Gefahr. Wenn sie wirklich das vorhaben, was wir vermuten, dann wird es für euch Clankatzen gefährlich werden!«

Gleichermaßen verwirrt wie neugierig musterte Hagelsturm die Gefährten. »Was ist denn los?«

»Es sind die…«, begann Blue.

»Blue!«, fuhr ihn Cloud an. »Überlass das mir!«

So energisch hatte Hagelsturm die andere Kätzin selten erlebt, doch als sich Cloud jetzt an wieder an die NachtClan-Kriegerin wandte, schien sie entschlossener denn je. »Wenn du das wissen willst, musst du uns einen Gefallen tun. Versprich uns, dafür zu sorgen, dass wir wieder in den BlattClan aufgenommen werden. Meine Jungen sind noch dort!«

»Das wird Hagelsturm schon hinbekommen«, miaute auf einmal Blitz. Hagelsturm hatte gar nicht bemerkt, dass sie zu ihr zurückgekehrt war.

»Wie soll ich Blattstern denn überzeugen, das für euch zu tun? Sie hat euch doch nicht ohne Grund fortgeschickt!« Einen Herzschlag später bereute Hagelsturm, dies so frei heraus gesagt zu haben.

Clouds Gesichtsausdruck verfinsterte sich schlagartig. »Dann musst du dir eben etwas einfallen lassen!«, fauchte sie.

»Wir werden es versuchen«, mischte sich nun Blitz ein. »Aber dafür solltet ihr uns nun endlich die Gefahr zeigen, die ihr entdeckt habt!«

»Nein!« Cloud schüttelte den Kopf. »Ihr geht zum BlattClan und erst wenn ich Blattsterns Wort habe, dass Blue und ich wieder BlattClan-Katzen werden können, zeige ich euch die Gefahr…« Kurz schien sie nachzudenken.

»Aber…«, wollte Hagelsturm protestieren, doch Blitz schnitt ihr das Wort ab. »In Ordnung. Wir werden so schnell wie möglich mit Blattsterns Entscheidung zurückkehren. Kommt jeden Tag zu Sonnenauf- und Untergang hier vorbei, um auf uns zu warten.«

***

Der Mond war ein ganzes Stück weiter gewandert und hing jetzt scheinbar nur eine Pfotenbreite über dem Horizont, wo spätestens bei Sonnenaufgang - wenn sie bis dahin weiter laufen würden - sicherlich der Wald im NachtClan- und BlattClan-Territorium zu sehen sein würde. Zwischen vereinzelten Wolkenfetzen funkelten die Sterne, Hagelsturms Kriegerahnen, die sie nun bestimmt beobachteten und gespannt abwarteten, ob sie das Rätsel um die Prophezeiung rechtzeitig lösen und ihre Clangefährten retten könnte…

Wenn die Sterne Dunkelheit schicken statt Licht, wird euch etwas Brennendes den richtigen Pfad leuchten, wiederholte Hagelsturm Nachtsterns Worte in Gedanken, doch genau wie in den vergangenen Sonnenaufgängen half alles nachdenken nichts. Nach wie vor konnte sie nicht sagen, was die Prophezeiung wohl bedeuten mochte. Ja, sie hatte noch nicht einmal eine Idee, die einigermaßen einleuchtend wirkte.

Doch dann kam ihr auf einmal ein Einfall, für einen Moment schien es ihr, als läge die Lösung direkt vor ihren Pfoten. Sie müsste nur danach greifen. Ist es Zufall, dass Cloud und Blue so kurz nachdem ich vom SternenClan gewarnt wurde, ebenfalls von einer Gefahr berichten?

»Blitz, denkst du, es gibt einen Zusammenhang zwischen Blue und Clouds Beobachtung und der Prophezeiung?«, fragte Hagelsturm aufgeregt.

Blitz, die sich eben nach irgendwas hinter ihr umgesehen hatte, zuckte zusammen und blickte Hagelsturm dann nachdenklich an. »Das habe ich mir auch schon überlegt. Aber ich wüsste nicht, worin dieser Zusammenhang bestehen sollte.«

Angestrengt dachte Hagelsturm nach. Cloud hatte von »ihnen« gesprochen, die irgendetwas planten. Wahrscheinlich einer Gruppe von Katzen. Währenddessen bestand die Prophezeiung aus wirrem Gerede über Sterne, Dunkelheit und Feuer. Blitz hat Recht, es gibt keinen Hinweis, dass Cloud mich vor der selben Gefahr gewarnt hat wie Nacht.

Wieder warf Blitz einen Blick über die Schulter zurück zu dem kleinen Wald neben der Schlucht, die sie nun hinter sich gelassen hatten.
»Sie beobachten uns nicht.« Mit diesen Worten sprang sie zur Seite und verschwand im langen Gras am Rand einer der Gräben, die die Felder der Zweibeiner voneinander trennten.

Hagelsturm folgte ihr und lugte zwischen den Grashalmen hindurch. »Was hast du jetzt schon wieder vor?«

»Wir sollten uns hier kurz ausruhen, sodass wir bei Sonnenaufgang wieder zurück bei diesen beiden Katzen von gerade eben sind…«

»Blue und Cloud«, warf Hagelsturm ein.

»Ja genau, bei ihnen. Diese Mäusehirne hätten uns doch sowieso nichts erzählt. Wir behaupten einfach, Blattstern wäre einverstanden gewesen. Wenn wir nicht extra bis zum BlattClan reisen, sparen wir Zeit, die wir dringend brauchen. Du sagtest doch, dieser SternenClan hätte dich gewarnt, dass du dich beeilen musst und anscheinend bist du ohnehin davon überzeugt, dass uns Blattstern in dieser Sache nicht weiterhelfen wird.«

Für einen Moment dachte Hagelsturm über den Vorschlag nach und kam zu dem Schluss, dass es das Beste war, was sie tun konnten. Sie hatte sich schon gewundert, dass Blitz so schnell nachgegeben hatte und erst jetzt wurde ihr klar, warum sie das getan hatte.

»So machen wir es«, stimmte sie Blitz zu.

»Dann wollen wir hoffen, dass Blue und Cloud uns auch glauben«, miaute Blitz, während sie sich aus dem Gras um sie herum ein Nest formte und sich darin zusammen rollte.

        

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