3. Kapitel

Huhu! :D
Das hier ist das erste von insgesamt 5,5 Kapiteln aus einer Sicht, die in „Reise ins Ungewisse“ noch nicht vorgekommen ist! Vorausgesetzt, ich ändere nichts mehr an meiner Planung… xD

***

Erschöpft schleppte sich Beere durch das Scheunentor ins Lager des Stammes. Biene hatte sein Training eben mit den Worten »Nächstes Mal strengst du dich aber etwas mehr an!« beendet und war dann davon stolziert.

Zwar wusste Beere weder wohin sie gegangen war, noch wie lange sie weg bleiben würde - hoffentlich sehr, sehr lange - doch er war dankbar für jede noch so kleine Pause, die ihm gegönnt wurde.

In der Scheune steuerte er sofort auf den bis unter die Decke reichenden Heuhaufen zu, wo er sich in Windeseile ein Nest schuf, in das er sich dann erschöpft hineinfallen ließ. Während er die Augen schloss, versuchte er seine schmerzenden Muskeln zu ignorieren, was gar nicht so einfach war. Jedoch war in dieser Hinsicht die bleierne Müdigkeit, die auf ihm lastete, seine Verbündete. Fast war er eingeschlafen, als neben ihm etwas ins Heu fiel.

Nur einen spaltbreit öffnete Beere seine Augen, aber als er die Wühlmaus sah sowie die Kätzin, die ihm die Beute gebracht hatte, rappelte er sich auf und setzte sich in seinem Nest hin.

»Ich dachte, du könntest nach diesem vielen Training hungrig sein.« Mit funkelnden Augen ließ sich Esche neben ihn ins Heu fallen.
Beere fischte die Maus zwischen den Halmen hervor und begann zu fressen. »Danke.«

»Biene geht zu weit! Du bist völlig ausgelaugt, was auch jeder hier sieht und trotzdem…«

»Aber du hast es mir versprochen, ich will sie sehen!« Weides Geschrei schnitt Esche das Wort ab.

Gleichzeitig hoben sie und Beere die Köpfe und sahen sich nach ihrem Anführer um. Der preschte einmal quer durch die Scheune und war gleich darauf durch den Ausgang nach draußen verschwunden. So ging das jetzt schon seit Monden, ständig sprach der er mit Stimmen, die nur in seinem Kopf existierten, jagte ihnen hinterher, kümmerte sich kaum noch um seine Aufgaben als Anführer.

Für einen Augenblick hatte Weide die Aufmerksamkeit aller seiner Stammesgefährten, doch sobald seine Schritte in der Ferne verklungen waren, schien sich jegliches Interesse an ihm schon wieder in Luft aufgelöst zu haben. Nur Rauch war aufgesprungen und stürmte hinter ihrem Vater her.

»Du musst dich endlich wehren, Beere!«, nahm Esche ihr Gespräch von eben wieder auf. »Es kann doch nicht sein, dass sie dich von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang den Kampf trainieren lässt, ohne dir eine Pause zu gönnen. Ich habe es eine ganze Weile lang beobachtet, als ich mit Amsel auf der Jagd war. Du hattest noch nicht einmal eine Chance zu verschnaufen, wenn sie einen neuen Kampftrick vorführt, denn währenddessen hat sie dich einen einen Parcours durch die Felsenlandschaft laufen lassen! Ich würde über meine eigenen Pfoten stolpern, wenn ich mir, während ich über irgendwelche Hindernisse springe, auch noch die ganzen Kampfzüge einprägen soll, aber Biene scheint das ja für eine der leichtesten Übungen zu halten! Und selbst wenn du alles tust, was sie dir aufträgt, hört sie nicht auf, dich wie Dreck zu behandeln!«

Beere murmelte nur etwas Unverständliches, so wie er es immer tat. Viel zu oft hatten sie dieses Gespräch nun schon geführt, doch insgeheim freute er sich, dass Esche nie den Mut verlor, sich für ihn einzusetzen. Alle anderen hatten das schon lange aufgegeben, was er ihnen keinesfalls verübeln konnte. Er selbst fügte sich Bienes Willen ja auch so gut es eben ging, im Versuch ihren Bestrafungen und denen ihrer Anhänger Dohle, Schimmer und Qualm zu entgehen.

»Du warst mit Amsel auf der Jagd? Habt ihr viel fangen können?«, stellte Beere die nächstbeste Frage, die ihm in den Sinn kam, um vom eigentlichen Thema abzulenken.

»Ich…« Plötzlich verstummte Esche. Ihre Ohren zuckten und ein schelmisches Blitzen schlich sich in ihre Augen.

»Komm mit«, flüsterte sie, sprang auf die Pfoten und suchte sich dann einen Weg mitten durch den Heuhaufen, anstatt einfach außenrum zu gehen. Bald hatten sie sich bis zur hölzernen Wand der Scheune durchgekämpft, wo Esche stehenblieb.

»Was ist los?«, wollte Beere wissen.

Esches Schweif strich ihm übers Maul. »Psst! Leise!«

Jetzt lauschte Beere ebenfalls und bemerkte die Gesprächsfetzen, die zu ihnen hinüber wehten. Esche musste es ebenfalls gehört haben, wahrscheinlich sogar schon eben, als sie nebeneinander im Heu gesessen hatten, denn sie steuerte jetzt zielstrebig auf die Stimmen zu.

Während Beere an der Wand entlang hinter ihr her tappte, war er einmal mehr dankbar dafür, dass Biene nicht in der Nähe war. Viel zu laut raschelte das Heu unter seinen Pfoten, wenn er nicht gerade auf eine der Stellen trat, an der es vor sich hin moderte, weil der Regen dort ungehindert durch das löchrige Dach fiel. Wenn das hier eine Lektion im Anschleichen gewesen wäre - und Biene hatte die Angewohnheit absolut alles in eine Lektion im Anschleichen zu verwandeln, oder in eine im Springen, im Kämpfen, Klettern, Jagen… - hätte seine Mentorin ihm sicherlich wiedermal einen Vortrag darüber gehalten, dass er so niemals zu dem großen, starken Anführer werden würde, den der Stamm brauchte. Dass er sogar noch weniger für diese Aufgabe taugen würde als Weide. Dass es noch in einer Katastrophe enden würde, wenn er einmal den Rang eines Anführers von seinem Großvater oder seiner Mutter erben würde, wie es das Gesetz verlangte.

»Wir können unser Zuhause nicht schon wieder aufgeben!«, riss eine Stimme Beere aus seinen Gedanken und bewahrte ihn so davor, Esche zu rammen. Die Kätzin war vor ihm stehen geblieben und spähte durch eine Lücke im Heu.

»Du weißt genauso gut wie ich, dass das Wort unseres Anführers Gesetz ist! Maus wird dafür sorgen, dass die Katzen tun, was Weide sagt«, hörte Beere den Heiler, Dunst, sagen.

Beere ahnte bereits, worum es ging. Wenige Sonnenaufgänge zuvor hatte der Anführer zum ersten Mal seit langem seinen Stamm zu einer Versammlung zusammengerufen. Doch das einzige, was er ihnen mitgeteilt hatte, war, dass sie die Berge verlassen würden und sich erneut auf die Suche nach einer neuen Heimat begeben würden. Eine Begründung hatte er dafür nicht genannt und somit nur umso mehr Unverständnis und Protest seitens seiner Stammsgefährten geerntet.

»Was machen wir hier eigentlich?«, zischte Beere Esche zu.

Die junge Kätzin schnurrte leise. »Sie belauschen, Mäusehirn. Wetten, sie bemerken uns nicht?«

Beere schüttelte den Kopf über seine Stammisgefährtin, sagte aber nichts weiter. Einen Augenblick lang fragte er sich, ob Biene ihn auch fürs Lauschen bestrafen würde, kam dann aber zu dem Schluss, dass sie Dinge, die nicht mit dem Training zu tun hatten, meist herzlich wenig interessierten.

»Denkst du wirklich, er könnte unsere Stammesgefährten davon überzeugen, die Berge zu verlassen, nachdem wir uns unser Territorium hier hart erkämpft haben? Also ich kann das nicht glauben«, miaute die erste Stimme und als Beere sich neben Esche setzte, sah er, dass es Mücke war, der da sprach. Die zwei Brüder des Anführers teilten sich eine Fuchslänge vom Heuhaufen entfernt eine Maus.

»Er hat es schon einmal geschafft. Dabei hatten wir in unserer alten Heimat im Grunde genommen alles, was wir brauchten«, widersprach Dunst.

Mücke schien nicht überzeugt. »Mag sein. Aber er hat das doch nur bewerkstelligen können, indem er uns all diese kleinen Lügengeschichten erzählt hat: Er hätte, während er mit dieser Kätzin unterwegs war, einen Ort gefunden, an dem die Blattleere weniger hart ist und an dem es niemals Probleme mit Streunern geben würde. Er würde uns dorthin führen, wenn wir ihm nur folgen würden. Ich habe ihm nur deswegen nicht geglaubt, weil ich damals bereits gemerkt hatte, wie Weide langsam verrückt wurde. Aber der restliche Stamm hat ihn zu der Zeit noch ernstgenommen.«

Zögernd nickte Dunst. »Wir sollten uns absolut sicher sein, dass Weide sich nicht durchsetzten wird. Du weißt, was auf dem Spiel steht.«

»Natürlich weiß ich das. Aber denk doch einmal nach: Das letzte Mal mag Weide uns mit seinen Versprechungen überzeugt haben, aber unsere Stammesgefährten wurden enttäuscht. Wir haben eine beschwerliche Reise auf uns genommen und mussten gegen diese Streunerbande kämpfen, nur um in einem Territorium leben zu können, das auch nicht besser ist, als das, das wir hinter uns gelassen haben. Diesen Fehler wird der Stamm doch nicht noch einmal begehen. So dämlich wird wohl kaum jemand sein. Außerdem ist das Vertrauen der meisten Katzen in Weides Anführerqualitäten sowieso verloren, seit er diesen Stimmen in seinem Kopf hinterher rennt.«

»Beere!« Irgendwo auf der anderen Seite des Heuhaufens hatte Biene seinen Namen gebrüllt.

Erschrocken fuhr Beere herum und hatte sich schon auf den Rückweg durchs Heu gemacht, als sich Esche hinter ihm beschwerte: »Was machst du denn für einen Lärm? Jetzt haben sie uns entdeckt!«

***

Dunkelheit hatte begonnen, sich in das Tal, in dem der Zweibeinerort lag, herabzusenken, die Sonne war eben erst hinter einem Berggipfel verschwunden. Eiskalter Wind, einer der Vorboten der Blattleere, zerrte an Beeres Fell und ließ ihn zittern. Er eilte durch die karge Graslandschaft, die sich jenseits der Scheune bis zu den großen Felsen erstreckte und wünschte sich nichts sehnlicher als jetzt in einem warmen Nest zu liegen. Aber daraus würde wohl vorerst nichts werden.

Als Biene ihn eben gerufen hatte, hatte sie neben einer völlig aufgelösten Rauch gestanden. Diese war auf und ab getigert, während sie alle um sich herum angefaucht hatte, dass sie sich doch beeilen sollten. Der Grund für ihre Aufregung war ihr Vater. Nachdem Weide einer dieser imaginären Stimmen nachgejagt war, hatte Rauch das halbe Tal nach ihm abgesucht, bis sie endlich auf seine Fährte gestoßen war. Die hatte geradewegs in die Berge geführt, wo sie die Spur schnell verloren hatte. Im Stammeslager hatte sie dann drei Patrouillen zusammengestellt, die nach dem Anführer suchen sollten: Eine wurde von Dunst angeführt, eine weitere von Beeres Mutter Falter und eine von Rauch selbst.

»Beere, beeil dich!« Einige Baumlängen weiter vorn hatte Biene schon die ersten Felsen erklommen und wartete nun mit peitschendem Schweif auf ihn. Hinter ihr, im Dämmerlicht nur noch als schemenhaft zu erkennen, suchten Rauch und Flamme nach jedem noch so kleinen Hinweis, dass Weide hier vorbei gekommen sein könnte.

Obwohl er sich vom Training noch immer nicht ganz erholt hatte, beschleunigte Beere seine Schritte und schloss schließlich zu den drei Kätzinnen auf.

Biene zeigte auf Flamme und Rauch. »Hilf ihnen beim Suchen!«

Beere nickte und tappte auf einen Felsvorsprung zu, der noch nicht untersucht worden war. Während er nach Fellbüscheln suchte, nach Weides Geruch, oder einem Pfotenabdruck, meinte er zu spüren, wie sich Bienes Blick in seinen Pelz bohrte. Sicherlich stand sie nur da und verfolgte jede einzelne seiner Bewegungen, damit ihr auch keine Möglichkeit entging, ihn zu kritisieren, falls ihm ein Fehler unterlief. Beere wagte es nicht, sich nach Biene umzusehen, denn es würde ihr bestimmt nicht gefallen, wenn er sich nicht völlig auf seine Aufgabe konzentrierte.

Doch falsch gedacht. Hinter ihm näherten sich Schritte und einen Herzschlag später traf ihn eine Pfote am Kopf. Die Krallen waren zwar eingezogen, dennoch ließ die Wucht des Schlages Beere zur Seite taumeln. Als er sich wieder gefangen hatte, stand er sich Auge in Auge seiner Wolkenlehrerin gegenüber.

»Hast du deine Lektion gelernt?«, fauchte Biene. »Wie oft habe ich dir gesagt, dass es hier draußen, vor allem so nah an der Grenze gefährlich sein kann? Füchse, Hunde, Streuner… Du hattest keine Ahnung, was in deiner Umgebung geschieht, als du diesen Felsen da angestarrt hast. Du musst achtsamer werden! Oder glaubst du etwa, dass du dich immer auf deine Stammesgefährten verlassen kannst, dass sie schon auf dich aufpassen werden wie auf ein hilfloses Junges?«

Eingeschüchtert wich Beere vor ihr zurück. Für einen Moment fragte er sich, ob Biene vielleicht recht hatte, ob seine Fähigkeiten wirklich niemals ausreichen würden, um eines Tages die Verantwortung für den Stamm zu übernehmen. Dann aber schob er seine Zweifel mit aller Kraft von sich.

»Biene! Wir haben jetzt wirklich wichtigeres zu tun!« Rauch schob sich zwischen Beere und die Wolkenlehrerin.

In der Nähe zeigte Flamme mit ihrem Schweif auf etwas, was Beere aus der Entfernung nicht erkennen konnte. »Wir haben einen Fellfetzen gefunden. Weide muss sich durch diesen Felsspalt gezwängt haben!«

***

Gerade als er sich fragte, ob es überhaupt Sinn ergab, weiter nach Weide zu suchen, wenn man bereits so müde war, dass man über den Anführer stolpern könnte, ohne es zu merken, hörte Beere in der Ferne Rauchs Miauen.

Über einen nur wenige Pfotenschritte breiten Pfad, neben dem es steil bergab ging, hatte die Jägerin sie eben in diesen in einem Tal liegenden Wald geführt. Er war nicht besonders groß und Rauch, Flamme und Biene waren sich sofort einig gewesen, dass sie sich aufteilen und ihn durchsuchen würden. So wie es aussah, würden sie Weide jedoch auch hier nicht finden.

»Wenn wir diesem Rinnsal hier ein Stück folgen, treffen wir auf eine Felswand mit einer Höhle, in der wir schlafen können. Lasst uns für heute die Suche beenden und weiter suchen, sobald die Sonne wieder aufgeht.« Erleichtert atmete Beere auf, als er Flammes Stimme irgendwo in den nächtlichen Schatten hörte.

Leises Knurren war die Antwort. »Nein! Wir müssen weitersuchen! Was, wenn er nächsten Sonnenaufgang einen so großen Vorsprung hat, dass wir ihn nicht mehr finden? Du weißt, wie verwirrt mein Vater ist. Ihm könnte etwas zustoßen!«

»Auch Weide muss schlafen, er wird schon nicht so weit kommen, dass unsere Suche vergeblich bleibt«, verteidigte Flamme ihren Vorschlag.

Beere sprang über eine aus dem Boden ragende Wurzel und tappte dann durch den Wald in die Richtung, aus der er das Gespräch gehört hatte. Eine dicke Schicht Kiefernnadeln, vermischt mit altem Laub dämpfte seine Schritte. Bald entdeckte er zwischen den Baumstämmen den winzigen Bachlauf, den Flamme erwähnt hatte und folgte ihm, bis sie, Biene und Rauch in Sichtweite kamen.

»Bist du endlich fertig, Beere?« Biene fuhr zu ihm herum. »Hast du das Gebiet durchsucht, das Rauch dir zugeteilt hat?«

Zögernd nickte Beere. Es war nicht ganz die Wahrheit, denn einen kleinen Teil des Waldes hatte er einfach ausgelassen, doch es war unwahrscheinlich dass Biene das merkte. Es sei denn natürlich, sie hätte ihn verfolgt, anstatt ihren Teil zur Suche beizutragen. Aber ausnahmsweise ging Beere das Risiko sie anzulügen ein, in der Hoffnung, dass er seine Arbeit damit für heute erledigt hatte.

»Gut«, miaute Biene. »Ich bin ebenfalls dafür, kurz zu rasten. Weide ist Anführer eines Stammes, falls er sich das verdient hätte, sollte er doch wohl eine Nacht allein überleben können!«

Rauch warf Biene einen wütenden Blick zu. »Vermutlich hast du recht, Flamme. Ich werde aber trotzdem noch eine Weile die Umgebung dieses Tals durchsuchen. Es gibt da noch einen Trampelpfad, der in die Berge führt, nicht weit von hier. Mücke und ich haben ihn entdeckt, als wir hier das letzte Mal nach Weide gesucht haben.« Mit diesen Worten wirbelte sie herum und preschte durch den Wald davon.

***

Erleichtert atmete Beere auf, als er den moosbewachsenen Stamm einer uralten Eiche entdeckte. Biene hatte ihn noch einmal losgeschickt, um Nestmaterial zu sammeln. Da er sich nicht hatte erinnern können, ob er unterwegs irgendwo Farn oder Moos gesehen hatte, hatte er beschlossen, in den Teil des Waldes zu gehen, den er bei seiner Suche nach Weide zuvor vernachlässigt hatte.

Während sich der Haufen aus von der Rinde geschabtem Moos zwischen den Wurzeln immer höher auftürmte, wünschte sich Beere, dass er sich einfach dort hinein kuscheln und einschlafen könnte, ohne jetzt auch noch alles in diese Höhle tragen zu müssen, die Flamme entdeckt hatte.
Vor lauter Müdigkeit fiel ihm die Katzengestalt erst auf, als er begann das gesammelte Nestmaterial aufzusammeln. Im ersten Moment dachte er, die Katze, die dort inmitten einer kleinen Lichtung im hohen Gras hockte, wäre Biene. Fast schon fürchtete er, sie sei ihm gefolgt und würde sich nun wiedermal wegen seiner Unachtsamkeit aufregen.
Aber es war nicht Biene. Der Geruch stimmte nicht… Weide! Das ist Weide, ich habe ihn gefunden!

***

Löwenzahnsamen wirbelten an ihren winzigen Schirmen durch die Luft und wurden vom Wind davongetragen, als Beere die Blume streifte. Überall um ihn herum war das Gras von dem Löwenzahn und kleinen, weißen Blüten des Wiesenschaumkrauts durchsetzt.

»Flamme?«

Beere schreckte hoch. Wer war das? Gerade hatte noch gemeinsam mit Esche ein Kaninchen verfolgt und nun schlichen sie sich aus unterschiedlichen Richtungen an. Aber Esches Stimme war das nicht gewesen. Ist hier noch irgendwer?

»Gehen wir los?«

Irgendwas stimmte da nicht. Woher kamen diese Stimmen? Verwundert schüttelte Beere sich, blinzelte…

…schlug die Augen auf und fand sich umgeben von Felsgestein und Dunkelheit in einem weichen Moosnest liegend wieder.

Die Höhle, natürlich! Die blühende Wiese war nur ein Traum von der nächsten Blattfrische gewesen. Beere hoffte, dass er, sobald das Leben im Wald in einigen Monden wieder erblühen würde, wirklich einmal so unbeschwert mit Esche und ihrer Schwester Amsel jagen könnte. Er wäre dann endlich alt genug dafür, dass seine Ausbildung bei Biene ein Ende fand, wodurch seine Wolkenlehrerin laut dem Gesetz des Stammes nicht mehr seine Mentorin, sondern nur noch eine Beraterin sein würde. Und auf einen Ratschlag konnte man hören, musste man aber nicht. Es blieb ihm nur noch zu hoffen, dass Biene und ihre Anhänger keinen Weg fanden, das Gesetz zu umgehen, was sie zweifellos versuchen würden.

»Ja. Folge mir«, hörte Beere seinen Anführer miauen.

Er ließ seinen Blick durch die Höhle wandern und entdeckte Weide schließlich neben Flamme im Höhleneingang. Es waren ihre Stimmen gewesen, die er eben gehört hatte.

»Wohin geht ihr?«, murmelte Beere verschlafen.

Flamme sah noch einmal zu ihm hinüber, bevor sie Weide aus der Höhle folgte. »Jagen. Schlaf ruhig weiter, Beere.«

Das ließ sich Beere nicht zweimal sagen. Eine Traum-Jagd mit Esche war sowieso viel schöner als eine echte, bei der jeden Augenblick Biene hinter einem auftauchen könnte. Etwas Zeit würde ihm wahrscheinlich noch bleiben, bis seine Mentorin ihn aus seinem Nest jagen würde, denn noch schlief sie neben Rauch im hinteren Teil der Höhle.

***

»Flamme!«

Beere saß vor dem Eingang der Höhle und putzte sein Fell, als die Sträucher am Waldrand erbebten und Weide daraus hervorgeschossen kam.
»Sie haben Flamme!«, brüllte der Anführer.

»Was ist denn geschehen?« Rauch eilte an Beere vorüber zu ihrem Vater und drückte sich beruhigend an ihn.

Mit einem Sprung zur Seite wich Weide seiner Tochter aus und begann unruhig auf der Lichtung vor der Höhle auf und ab zu tigern. Während Beere ihn beobachtete, hatte er das Gefühl, dass der Anführer seine Stammesgefährten um keinen Preis ansehen wollte. Viel mehr schien er nach etwas Ausschau zu halten, das sich in der Finsternis zwischen den Stämmen der Fichten und Eichen verbarg.

»Entführt«, flüsterte Weide und wiederholte dann noch einmal etwas lauter: »Entführt! Flamme wurde entführt!«

Als der Anführer das nächste Mal an ihr vorbei kam, machte Rauch einen Schritt nach vorn und versperrte ihm so den Weg, woraufhin Weide abrupt stehen blieb. Während Rauch begann, leise auf ihren Vater einzureden, trat Biene mit peitschendem Schweif und ausgefahrenen Krallen neben Beere.

»Wo haben sie Flamme entführt?«, knurrte sie. »Und wann? Wir werden sie aufspüren und Flamme befreien!«

»Nein!«, widersprach Rauch. »Wir werden zurück gehen und den anderen Bescheid sagen! Dann können wir uns in mehrere Suchtrupps aufteilen.«

Weide nickte zustimmend, woraufhin Biene fauchend auf ihn zu schritt. »Mäusehirn! Wenn wir jetzt zurück gehen, sind die Entführer mit Flamme möglicherweise schon über alle Berge, wenn wir hierher zurückkehren! Es waren doch bestimmt nicht so viele, dass wir es nicht auch allein gegen sie aufnehmen könnten! Irgendetwas musst du doch über sie wissen, irgendetwas musst du beobachtet haben, wenn du weißt, dass es sich um eine Entführung handelt. Oder ist diese Geschichte wiedermal ein Produkt deiner Fantasie und Flamme jagt irgendwo völlig unbekümmert ein paar Eichhörnchen?!«

Der Gedanke war Beere auch schon gekommen. Möglicherweise hatte Weide sich das alles nur ausgedacht, zuzutrauen wäre es ihm jedenfalls. Was hätten diese Katzen denn auch davon, Flamme gefangen zu nehmen? Das letzte Mal, dass wir mit einer anderen Gruppe Grenzstreitigkeiten hatten, war damals, als die Streunerbande noch in den Bergen lebte, bevor wir sie vertrieben haben und sie gemeinsam mit diesen Clankatzen geflüchtet sind. Seitdem haben sich doch höchstens mal ein paar alte Einzelläufer in unser Territorium verirrt.

»Sie wurde entführt!«, jaulte Weide. »Ihr müsst mir das einfach glauben, was wird denn ansonsten aus Flamme?«

»Ich sage, wir suchen nach ihr, jetzt sofort. Nur um sicher zu gehen«, miaute Biene.

Rauch schüttelte den Kopf. »Wir gehen zurück zum Lager! Es ist nicht besonders weit bis dahin, wir werden kaum Zeit verlieren.«

»Mach doch, was du willst!« Biene wandte sich ab und stapfte in den Wald hinein. »Komm mit Beere!«

Rauch sprang ihr hinterher. »Du wirst tun, was dein Anführer von dir verlangt hat! Wir gehen zurück zur Scheune!«

Zögernd setzte sich auch Beere in Bewegung. Als er bei Weide angekommen war, blieb er jedoch kurz stehen.

»Hast du Flammes Entführer sehen können? Weißt du wer sie waren?«, flüsterte er, obwohl er bezweifelte, dass er eine brauchbare Antwort erhalten würde.

Eine Weile schwieg Weide, so lange, dass Beere schon meinte, er hätte ihn überhört. Dann aber geriet plötzlich wieder Leben in den Anführer, er sprang auf die Pfoten und wisperte: »Alte Bekannte…«

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