19. Kapitel

Klippenfall beobachtete, wie Rauch, Qualm, Biene und Beere zwischen den Bäumen verschwanden. Er wusste, wohin sie unterwegs waren, wusste, dass Rauch das Lager angreifen wollte. Das hatte ihm Schimmer eben verraten, als seine und Hagelsturms Kraft noch ausgereicht hatte, um sich gegen ihre Gegner zur Wehr zu setzen. Die Stammeskätzin hatte sich bei Rauch erkundigt, wann sie endlich zum Lager des NachtClans aufbrechen würden. Ihre eigentliche Mission, hatte sie das genannt, die, wegen der dieser Kampf erst einen Sinn ergibt. Dass Klippenfall, den Rauch in diesem Moment am Boden festgehalten hatte, sie ebenfalls gehört hatte, schien Schimmer dabei überhaupt nicht interessiert zu haben. Offenbar war sie sich ihres Sieges so sicher gewesen, dass es sie nicht gekümmert hatte, ob eine NachtClan-Katze von ihrem Plan wusste.

Rauch hatte ihr gesagt, dass sie ein Mäusehirn sei und nicht alles verraten sollte. Jedoch war es ein Jungenspiel für sie gewesen, dafür zu sorgen, dass Klippenfall mit seinem Wissen ihren Plan nicht vereiteln konnte. Er hatte es lediglich geschafft, Hagelsturm und Rankensee vom Vorhaben der Stammeskatzen zu erzählen, bevor er hatte aufgeben müssen.

Das Bündnis aus BlattClan, Stamm und FederClan war so weit überlegen, dass es Rauch leicht hatte verantworten können, für ihn, Hagelsturm und Rankensee einige Wachen einzuteilen und dann mit ihrer eigenen Patrouille das Schlachtfeld zu verlassen, ohne eine Niederlage zu riskieren.

Klippenfalls Wunden brannten und sein Fell fühlte sich unangenehm klebrig an von dem Blut, das hindurch sickerte. Nein, entkommen würden sie nicht und auch um Hilfe zu rufen, hatte keinen Sinn, denn all seine Clangefährten kämpften auf der gegenüberliegenden Seite des Donnerwegs.

Neben ihm protestierte Hagelsturm noch immer gegen ihre Gefangennahme, doch das würde ihr nichts bringen. Sie konnte noch so viel um sich schlagen und sich beschweren, am Ende würden sie keine andere Wahl haben, als sich von den Stammeskatzen in ihr Lager bringen zu lassen. Es war nicht schwer zu erkennen, dass sie genau so erschöpft vom Kampf war, wie Klippenfall. Sogar Rankensee wirkte nicht, als könne sie sich noch gegen irgendjemanden verteidigen, obwohl sie auf der überlegenen Seite des Bündnisses gekämpft hatte. Dass sie nun ebenfalls zur Gefangenen des Stammes geworden war, lag einzig und allein daran, dass sie gegen Rauchs Vorhaben protestiert hatte. Klippenfall wünschte, sie hätte es nicht getan. Dann hätte Rauch sicherlich keine Gefahr in ihr gesehen, sie laufen lassen und sie hätte Regenstern warnen können. Es musste unbedingt verhindert werden, dass Rauch das Lager angriff, das nicht zuletzt auf Klippenfalls eigene Empfehlung hin ungeschützt zurückgeblieben war. Nur sein Vater Nebeltau, der den Heilerbau noch nicht wieder hatte verlassen dürfen und die beiden Ältesten, Nadelschatten und Krallenherz, waren noch dort.

Doch nun war es zu spät. Nun half nur noch, die Augen offen zu halten und nach irgendeiner anderen Möglichkeit zu suchen, sich zu befreien. Oder? Vielleicht war es doch einen Versuch wert, nach Hilfe zu rufen. Selbst wenn seine Chancen schlecht standen, wäre es mäusehirnig, einfach untätig zu bleiben.

Klippenfall holte tief Luft, rief nach seinen Clangefährten, doch gerade in diesem Moment kam ein Monster über den Donnerweg heran gebraust und übertönte ihn. Eine Pfote traf ihn mit ausgefahrenen Krallen und solcher Wucht am Kopf, dass er einige Schritte zur Seite taumelte.

»Versuch das ja nicht nochmal!«, zischte einer der Stammeskater.

»Wir werden sofort losgehen«, entschied seine Stammesgefährtin. »Esche geht voran!«

Rankensee und Klippenfall folgten dem Befehl ohne Widerspruch, während Hagelsturm erst durch ein paar Krallenhiebe dazu zu bewegen war, aufzustehen.

***

Während er sich hinter Rankensee her schleppte, grübelte Klippenfall darüber nach, was genau Rauch überhaupt beabsichtigte. Warum hält sie es für nötig, das Lager anzugreifen? Es ist schon jetzt offensichtlich, dass dieser Kampf in einer verheerenden Niederlage für uns enden wird! Wie sollen wir auch gegen zwei verbündete Clans und einen Stamm siegen?

»Nicht stehen bleiben!«, zischte Flamme, die neben Klippenfall ging.

Klippenfall erwiderte nichts, beschleunigte nur seine Schritte. Er hatte in seinen Grübeleien versunken gar nicht gemerkt, dass er langsamer geworden war. Selbst Hagelsturm, die ununterbrochen fluchte und den Stamm beleidigte, nahm er nur am Rande wahr.

Wie hatte es überhaupt dazu kommen können, dass sich BlattClan, FederClan und Stamm innerhalb so kurzer Zeit gegen den NachtClan verbündet hatten? Noch auf der letzten Großen Versammlung hatte es kaum ein Anzeichen für dieses Bündnis gegeben.

Aber der Angriff des FederClans auf unser Territorium vor einigen Sonnenaufgängen… War der vielleicht schon ein erster Hinweis? Hätten wir uns schon denken können, dass da etwas nicht stimmt? Wir haben uns zwar gefragt, warum der FederClan nicht den naheliegenderen Weg gegangen ist, warum sie nicht vom BlattClan Territorium gefordert haben, statt von uns, aber wir haben nicht damit gerechnet, dass sich die beiden Clans in einem Kampf gemeinsam gegen uns stellen würden.

Der Weg zum Stammeslager war nicht weit, denn auch wenn zwei Clans bereit gewesen waren, Territorium abzugeben, waren keine besonders großen Jagdgebiete dabei zusammengekommen. Während sie über die Grenzmarkierungen des Stammes traten, wanderten Klippenfalls Gedanken weiter zur Prophezeiung. Es war nicht unwahrscheinlich, dass sie auf irgendeine Art und Weise mit einem Ereignis wie diesem Kampf zusammenhing. Es dürfte schließlich die größte Schlacht seit der Gründung der Clans sein. Und möglicherweise auch die verheerendste.

***

Das Lager des Stammes lag auf eigentlichem BlattClan-Territorium. Das kleine Stück Grasland wurde mehr schlecht als Recht von einer Reihe Sträucher vor Wind und Blicken ungebetener Gäste geschützt. Dazwischen konnte Klippenfall einige eher notdürftig errichtete Baue erkennen. Sie bestanden lediglich aus einigen Tannenzweigen, die man so gut es ging zwischen die Äste einiger Sträucher gefädelt hatte.

Nur eine Höhle in einem Steinhaufen schien mehr Schutz zu bieten und genau dorthin wurden Klippenfall, Hagelsturm und Rankensee von den Stammeskatzen geführt. Von ihnen und von Flamme. Klippenfall fragte sich, als was die feuerfarbene Kätzin sich überhaupt sah. Sie unterhielt sich mit den anderen, als hätte sie den Stamm nie verlassen und lief im Lager umher, als wäre dies ihr Zuhause, obwohl sie sich doch vorläufig dem FederClan angeschlossen hatte.

Klippenfall warf noch einen letzten misstrauischen Blick auf Flamme, die sich am Frischbeutehaufen wie selbstverständlich neben Schimmer und Dohle setzte und mit ihnen plauderte, bevor er Hagelsturm und Rankensee in die Höhle im Steinhaufen folgte.

Ihr konnte man nicht trauen, ebenso wenig wie Blattstern... oder wie Rauch, die sich noch immer auf dem Weg zum NachtClan-Lager befinden musste.
Flamme trägt einen Teil der Schuld daran, dass es überhaupt zu diesem Kampf gekommen ist. Durch die Anwesenheit des Stammes ist das Territorium doch erst so knapp geworden, selbst wenn er bald wieder gehen wird. Inzwischen war Klippenfall fest davon überzeugt, dass Flamme absichtlich den Eindruck erweckt hatte, nach Wolfsfeuers Kriegerprüfung vom NachtClan entführt worden zu sein. Es war die einzige Erklärung für die seltsamen Spuren ihres Verfolgers, die Klippenfall und Wolfsfeuer auf dem Rückweg zum NachtClan bemerkt hatten. Zwar hatte Flamme auf der Großen Versammlung behauptet, sie sei nur zu den Clans gereist, um nach ihrer Tochter zu suchen, doch auch das musste gelogen sein. Warum sonst hatte sie ihren Stammesgefährten nicht einfach vor ihrem Aufbruch aus den Bergen von ihrem Vorhaben erzählt, damit diese sich keine Sorgen um ihr plötzliches Verschwinden machten? Doch auf der Großen Versammlung schien keine der Stammesgefährten Bescheid gewusst zu haben. Und so etwas passierte einem nicht aus Versehen. Besonders nicht, wenn man Flamme war.
Warum also hatte Flamme sich nicht vernünftig vom Stamm verabschiedet, wenn ihre einzige Motivation für ihre Reise die Suche nach Jade gewesen war? Konnte es in ihrem Interesse gewesen sein, dass sich der Stamm Sorgen um sie machte, von einer Entführung ausging und nach ihr suchte? Eines war sicher: Flamme hatte von Anfang an mehr gewollt, als nur ihre Tochter wiederzusehen. Falls Jade ihr überhaupt wichtig war und Flamme sie nicht erneut nur benutzte.

Er warf einen Blick zu Rankensee und fragte sich, ob sie mehr über das momentane Verhältnis zwischen Flamme und Jade wusste. Leise, um die Wachen, die sich vor der Höhle positioniert hatten, nicht auf sich aufmerksam zu machen, fragte er sie danach.

»Jade scheint sich wieder gut mit Flamme zu verstehen«, antwortete Rankensee. »Nur streitet sie sich deswegen ständig mit Eagle.«

Einen Moment hatte Klippenfall Mitleid mit Eagle, der Kater hatte es nicht verdient, wegen seiner verräterischen ehemaligen Gefährtin Probleme mit Jade zu bekommen.

»Warum willst du das wissen«, erkundigte sich Rankensee.

»Ich vertraue Flamme einfach nicht.«

»Der würden ja auch nur Mäusehirne vertrauen!«, mischte sich Hagelsturm ein, natürlich wieder einmal viel zu laut, woraufhin Klippenfall ihr zu zischte, sie solle leise reden.

Hagelsturm schnaubte, sagte aber nichts mehr.

»Ich habe etwas beobachtet.« Rankensee starrte auf ihre Krallen, mit denen sie kleine Moosfetzen aus dem Nest neben ihr zupfte.

»Was denn?«, erkundigte sich Hagelsturm.

Für ein paar Herzschläge schwieg Rankensee, dann atmete sie tief durch und miaute: »Blattstern und Rauch an der Grenze. Sie haben dort geredet. Ich glaube, sie wollten nicht entdeckt werden, weil sie sich unter einem Strauch versteckt hatten und im FederClan-Territorium waren zwei Katzen, die die beiden beobachtet haben. Wenn ich mich nicht irre, war Flamme eine von ihnen.«

Seltsam, fand Klippenfall. Wären nicht Rauch, Blattstern und Flamme an Rankensees Erzählung beteiligt gewesen, hätte er die Geschichte für die eines ganz normales Gesprächs zweier Katzen auf Grenzpatrouille gehalten, die sich unter dem Strauch vor kaltem Wind oder möglichem Nieselregen verkrochen hatten. Er hätte gedacht, dass auch die zwei FederClan-Katzen nur zufällig vorbei gekommen sein könnten. Aber es waren nicht irgendwelche Katzen gewesen, von denen Rankensee da erzählt hatte. Es handelte sich um die drei Kätzinnen, denen Klippenfall von allen Katzen, die er kannte, am meisten misstraute.

»Außerdem gibt es da noch etwas...« Rankensee sah noch immer auf ihre Pfoten. Sie sprach so leise, dass selbst Klippenfall, der direkt neben ihr saß, sie kaum verstand. »Als der Kampf anfing, hat Blattstern mich losgeschickt, um Verstärkung vom FederClan zu holen. Ich dachte zuerst, sie hätten keinen Grund, dem BlattClan zu helfen. Warum sollten sie sich auch in einen Kampf gegen den NachtClan einmischen? Aber dann haben sich die Eltern von Ampferjunges und Rindenjunges – ihr wisst schon, die beiden Jungen, die vom Adler entführt worden sind – für mich eingesetzt.« Sie machte eine kurze Pause ehe sie hinzufügte: »Sie meinten, sie müssten dem BlattClan helfen, weil wir ihre Jungen gerettet haben. Sie kämpfen jetzt gegen den NachtClan, obwohl Tropfenwolke und Mückenpfote die ersten waren, die Ampferjunges behandelt haben. Ich glaube, sie wissen gar nicht, dass der NachtClan an der Rettung ihrer Jungen genauso beteiligt war, wie wir.«

Klippenfall kam ein Verdacht. »Gab es eine Katze aus eurem Clan, die die beiden zurück in den FederClan gebracht hat?«

Rankensee nickte. »Flamme und Jade. Vielleicht haben sie es ihnen nicht erzählt.«

»Flamme?« Klippenfall hätte eher mit Blattstern gerechnet.

»Ja, sie hat uns erst dazu gebracht, nach Ampferjunges und Rindenjunges zu suchen. Sie kam mit schlammverschmiertem Pelz in unser Lager gestürmt und hat uns von den verschwundenen Jungen erzählt und davon, dass sie vermutet, die Adler könnten sie mit in ihr Nest genommen haben.«

Mit schlammverschmirtem Pelz?, wunderte sich Klippenfall. Flamme würde wohl kaum auf der Suche nach den Jungen vor lauter Sorge vergessen haben, darauf zu achten, wohin sie trat und in eine Matschpfütze gefallen sein. Hat sie etwa verhindern wollen, dass jemand bemerkt, wie sie das BlattClan-Territorium betritt? Und warum ist sie überhaupt zum BlattClan gelaufen, anstatt dem FederClan von ihrem Verdacht mit dem Nest zu erzählen? War sie etwa schon allein unterwegs, als ihr die Idee kam? Oder waren alle anderen Krieger schon anderswo zur Suche eingeteilt gewesen? Klippenfall überlegte hin und her, doch nichts schien wirklich einen Sinn ergeben zu wollen. Er war kurz davor, das ganze vorerst als unlösbares Rätsel abzutun, als ihm doch noch eine Möglichkeit einfiel. Eine Möglichkeit, die nicht gerade beruhigend war.

Was, wenn Flamme selbst die Entführung zweier Jungen als Chance gesehen hat, ihre eigenen Ziele zu erreichen? Wenn sie ganz bewusst dazu beigetragen hat, dieses Bündnis zwischen FederClan und BlattClan entstehen zu lassen? Wenn sie von Anfang an wollte, dass nicht der FederClan, sondern der BlattClan die Jungen findet, damit die BlattClan-Krieger als Helden dastehen, denen Ampferjunges’ und Rindenjunges’ Clangefährten etwas schuldig sind? Wenn sie deshalb ganz bewusst verschwiegen hat, was unsere Heiler für Ampferjunges getan haben? Was, wenn sie nur deshalb hier ist, um alle gegen den NachtClan aufzubringen? Es hatte doch schon angefangen, als sie Hagelsturm auf dem Rückweg von Wolfsfeuers Kriegerprüfung über die Grenze gelockt, als Beutediebin beschimpft und so einen Streit provoziert hatte.

Möglicherweise hatte sie ja sogar schon beim ersten Angriff des FederClans auf NachtClan-Territorium ihre Pfoten im Spiel gehabt.

Etwas stieß Klippenfall in die Seite und er schreckte hoch. Hagelsturm hatte sich auf die Pfoten erhoben und tigerte in dem engen Bau auf und ab. »Ich muss hier raus! Wir müssen Rauch aufhalten, bevor sie beim Lager ist! Bestimmt wollte mich der SternenClan mit der Prophezeiung vor dieser Katastrophe warnen und trotzdem sitzen wir jetzt hier und tun nichts!«

»Die Prophezeiung sagt doch überhaupt nichts von einem Kampf« Rankensee blickte Klippenfall an, als erwartete sie, dass er die Antwort kannte.

»Was weiß ich!«, miaute Hagelsturm. »Das ist alles nur mäusehirniges, wirres Gerede, mit dem man nichts anfangen kann. Ich weiß nur, dass wir kämpfen müssen, um hier raus zu kommen!«

Der Krieger wollte gerade erklären, dass auch ihm die Prophezeiung nach wie vor ein Rätsel war, als ihm eine Idee kam. Und je mehr er darüber nachdachte, desto mehr Sinn ergab es.

Zwar hatte er noch nicht alles entschlüsselt, doch er meinte, einen Teil dessen verstanden zu haben, was der SternenClan ihnen mitgeteilt hatte. Innerlich schüttelte er den Kopf über sich selbst. Sie waren der Lösung so nahe gewesen, als sie sich während der Morgenpatrouille über die Warnung ihrer Ahnen unterhalten hatten. Nur eine eintscheidene Erkenntnis hatte ihnen gefehlt.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top