13. Kapitel

Rankensee betrachtete die drei winzigen Fellbündel, die an Birkensees Bauch im Dämmerlicht der Kinderstube schliefen. Sie waren noch keinen Sonnenaufgang alt.
Als Moon Rankensee berichtet hatte, dass alles gut gegangen war und Mutter wie Junge zwar müde aber gesund waren, hatte sie erleichtert aufgeatmet. Nachdem Borkensprung ihr von den Schwierigkeiten bei der Geburt von Birkensees erster, inzwischen verstorbenen Tochter erzählt hatte, hatte sie sich schreckliche Sorgen gemacht.

Die Königin blinzelte sie an und gähnte.
»Sind sie nicht wunderbar?«, miaute sie und ringelte ihren Schweif enger um die drei kleinen Katzen.
Es waren eine schildblattfarbene und eine hellbraune Kätzin sowie ein hellbrauner Kater mit dunklen Pfoten. Birkensee und ihr Gefährte Kieselfang hatten sie Glutjunges, Schilfjunges und Roggenjunges genannt.

Rankensee wollte ihrer Freundin gerade antworten, als außerhalb des Baus Rufe ertönten.

»Das sind sie«, miaute sie, bevor sie sich verabschiedete und aus der Kinderstube ins Freie tappte, um zu sehen, was los war.

Kaum war sie um die Ecke gebogen, hielt sie verwundert inne. Das war Flamme, die da mit schlammverschmiertem Pelz mitten im Lager stand. Was will sie hier und warum ist ihr Fell so dreckig?

Überall um sie herum wurden die Pelze gesträubt und Krallen ausgefahren. Die Krieger hielten Abstand zu der FederClan-Kätzin, die einst zu ihnen gehört und sie dann verraten hatte. Noch. Wenn Rankensee sich umsah, schien es ihr, als würden sich die meisten Katzen am liebsten auf Flamme stürzen und ihr das Fell über die Ohren ziehen.

Nur die ehemaligen Streuner Kielfang, Borkensprung und Kleestaub, sowie Flammes Tochter sahen recht gelassen aus. Jades Blick zuckte zwar zwischen ihrer Mutter und ihren Clangefährten hin und her, doch ihr Pelz lag glatt an ihrem Körper.

»Blattschatten!«, rief Flamme, die offensichtliche Feindseligkeit der BlattClan-Katzen ignorierend.

Die Anführerin trat aus ihrem Bau. Rankensee erkannte keine Spur Verwunderung in ihren Zügen, ebenso wenig wie irgendeine andere Gefühlsregung.

»Was willst du hier?«, verlangte sie zu wissen.

Flamme neigte den Kopf. »Es wurden Junge aus dem FederClan von Adlern entführt und ich weiß von dem Nest, das diese Fuchsherzen an der Grenze zum NachtClan errichtet haben. Möglicherweise können wir sie retten.«

»Warum bringt Flamme dann keine FederClan-Katzen zur Verstärkung mit? Und was soll der Schlamm in ihrem Pelz?«, zischte Kieselfang, der neben Rankensee stand, leise.

Die Kriegerin wusste darauf keine Antwort und bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, sprang Eagle auf Flamme zu.

»Für diese Jungen interessierst du dich, aber für dein eigenes nicht?«, knurrte er.

Flamme wirbelte zu ihm herum. »Würdest du sie etwa nicht vor dem sicheren Tod retten wollen?«

»Doch, natürlich!« Eagle schnaubte vor Wut. »Was bildest du dir eigentlich ein? Du...«

Weiter kam er nicht, denn er wurde von Jade unterbrochen. Die Schülerin war zwischen Flamme und Eagle getreten und miaute an ihren Vater gewandt: »Wie oft soll ich dir noch sagen, dass meine Mutter bereut, was sie getan hat? Diesmal macht sie es besser.«

»Das wird sie bestimmt«, murmelte Blattstern und fügte dann lauter hinzu: »Aber wir haben keine Zeit, dies nun auszudiskutieren. Das Leben der Jungen ist in Gefahr. Borkensprung, Jade, Kieselfang, Kleestaub und Rankensee, ihr werdet Flamme begleiten und helfen, sie zu retten.«

Die genannten Krieger traten vor und verließen angeführt von Flamme das Lager. Während Rankensee hinter ihnen her sprang, fiel ihr auf, dass abgesehen von Jade keine einzige Katze der ehemaligen Streunerbande die Rettungsmission begleitete. Aber das war auch gut so. Sie durften sich jetzt nicht von Streitereien über Flammes Fehler aufhalten lassen, selbst wenn Rankensee jeden verstanden hätte, der damit angefangen hätte.

»Wo genau müssen wir denn hin?«, wollte Kleestaub wissen.

»Das weiß ich nicht«, gab Flamme zu und zeigte auf Jade. »Meine Tochter hat mir davon berichtet. Sie kennt den Weg.«

Die Schülerin trat an die Spitze der Patrouille und nickte. »Folgt mir!«

Obwohl auch Borkensprung, Rankensee und Kieselfang das Nest an der Grenze gesehen hatten, protestierte niemand dagegen, dass eine junge, unerfahrene Kätzin die Führung der Rettungsmission übernahm. Dafür war keine Zeit.

Zielstrebig führte Jade die Katzen zu dem Punkt der NachtClan-Grenze, an dem der Adler sie angegriffen hatte. Rankensee schauderte es bei dem Gedanken, erneut auf den Raubvogel zu treffen. Seine gebogenen Klauen zu erblicken, den spritzen Schnabel und die mächtigen Schwingen, die kräftig genug gewesen waren, zwei Jungen mit sich zu tragen. Einerseits fürchtete sich Rankensee vor dem Moment, in dem sie an ihrem Ziel ankommen würden, andererseits konnte es gar nicht schnell genug gehen.

Ein Ast peitschte ihr ins Gesicht und brachte sie dazu, sich wieder aufs hier und jetzt zu konzentrieren. Einen Augenblick blieb Rankensee stehen, um die Schmutzpartikel wegzublinzeln, die ihr ins Auge geschleudert worden waren, dann setzte sie mit großen Sprüngen hinter den anderen her.

Vereinzelte Bäume standen in diesem Teil des Territoriums; der Bewuchs wurde in Richtung NachtClan-Grenze immer dichter. Die Eichen und Linden, an denen sie vorüber hasteten, wurden zunehmend höher, ihre Stämme dicker. Sträucher und Ansammlungen von Brombeerranken lösten das Grasland ab, bis die harte Fläche des Donnerwegs vor ihnen auftauchte.

Es dauerte nicht lange, bis Rankensee das Adlernest in den Bäumen entdeckt hatte. Es ist so hoch! Soweit sie das aus der Entfernung erkennen konnte, waren die Äste dort oben nicht besonders dick und die Baumkrone wankte im Wind. In diesem Augenblick war das Einzige, was der Kriegerin noch mehr Angst einjagte, der Donnerweg, obwohl sie tief in ihrem Inneren wusste, dass die Klettertour, die ihnen bevorstand, gefährlicher werden würde. Den Pfad der Zweibeinermonster hatten die BlattClan-Katzen auf ihren Grenzpatrouillen schon oft überquert und die Erfahrung hatte gezeigt, dass einem nichts geschah, wenn man achtsam genug war. Ein Sturz aus einem der größten Bäume am Donnerweg hingegen...

Eigentlich jagten Rankensee große Höhen kaum Angst ein. Diese Furcht hatte sie bisher nur bei Klippenfall beobachtet. Aber als sie das Astwerk um das Adlernest herum betrachtete, wie es vom Wind durchgeschüttelt wurde, wurde ihr schwindelig, obwohl sie noch festen Boden unter den Füßen hatte.

»Rankensee!«, riss Kieselfang sie aus ihren Gedanken. »Flamme hat einen Vorschlag gemacht.«

»Einen Vorschlag?«, echote die Kriegerin.

»Ich werde nach oben klettern«, begann Flamme. »Die Adler scheinen nicht in ihrem Nest zu sein, zumindest kann ich nichts erkennen. Wir sollten uns beeilen. Ein Kampf gegen Greifvögel in der Baumkrone wäre verheerend.« Sie machte eine kurze Pause und wies auf die beiden Katzen, die neben ihr standen. »Jade und Borkensprung haben sich bereiterklärt, mich zu begleiten. Du und Kieselfang, ihr klettert nur die ersten paar Fuchslängen den Stamm hinauf, oder bleibt gleich ganz unten und behaltet den Himmel im Auge. Wenn ein Raubvogel auftaucht, gebt ihr Alarm. Einverstanden?«

»Einverstanden.« Es wunderte Rankensee, dass Flamme sich dafür gemeldet hatte, auf den Baum zu klettern. So viel Einsatzbereitschaft für andere Katzen hätte sie ihr nicht zugetraut. Aber sie war auch froh darüber. So wurde ihr die Klettertour erspart und das Wachehalten war ebenso wichtig für den Erfolg ihrer Mission. Um Jade und Borkensprung hingegen machte sie sich Sorgen. Wenn nun der Adler zurückkehren würde, während ihre Clangefährten noch in der Baumkrone umher kletterten, weit entfernt vom Erdboden... Dann würde Rankensee sie womöglich auch nicht mehr früh genug warnen können.

Jade, Flamme und Borkensprung sprinteten über den Donnerweg und Rankensees Herz pochte gleich etwas schneller. Selbst wenn sie die anderen Katzen nur beobachtete, wie sie den Weg der Monster überquerten, kehrte ihre uralte Furcht vor den unheimlichen Pfaden sofort zurück.

Zum Glück hatte Kieselfang entschieden, dass sie im FederClan-Territorium bleiben würden. Die Bäume im NachtClan-Gebiet waren größer als die, die Rankensee umgaben und ihre Äste hingen weiter über den Donnerweg. Auch wenn diese ihr Laub inzwischen verloren hatten, würden die Krieger drüben eine schlechtere Sicht nach oben in die Wolken haben.

»Wir sollten uns an verschiedenen Positionen aufstellen, damit kein Teil des Himmels unseren Blicken verborgen bleibt«, miaute Kieselfang.
Rankensee nickte und der Krieger tappte davon. Sie selbst betrachtete eine Weile die drei Katzen, die ihre Krallen in die Rinde des Baumes jenseits des Donnerwegs schlugen und begannen, den Stamm emporzuklettern. Dann kam sie ihrem Auftrag nach, blickte hoch in den sturmgrauen Himmel und hielt Ausschau nach einer Bewegung. Ein paar Mal zuckte sie erschrocken zusammen, als Flügelschlagen aus dem Wald ertönte, oder Vögel vor den Wolken umher flatterten. Raben, Tauben, Eichelhäher, kleinere Singvögel. Leben gab es dort oben genug.

***

»Adler!« Kieselfangs Ruf ließ Rankensees schlimmste Befürchtungen wahr werden. Sie warf einen Blick auf Flamme und ihre beiden Clangefährten drüben auf NachtClan-Territorium – sie hatten gerade den Weg zurück nach unten auf den Erdboden angetreten – dann suchte sie den Himmel nach dem Raubvogel ab. Tatsächlich entdeckte sie ihn über BlattClan-Gebiet. Er glitt durch die Luft, ohne direkt auf sein Nest zuzuhalten, scheinbar hatte er noch nicht bemerkt, was vor sich ging.

Beeilt euch!, flehte Rankensee in Gedanken, traute sich jedoch nicht, dies den anderen zuzurufen, aus Angst den Vogel dadurch auf sich aufmerksam zu machen. Die drei Katzen drüben auf dem Baum schienen Kieselfangs Warnung ohnehin gehört zu haben, denn sie warfen immer wieder hektische Blicke in den Himmel.

Dass sie alle jeweils ein kleines Bündel zwischen den Zähnen trugen und offenbar bei ihrer Suche erfolgreich gewesen waren, erleichterte Rankensee nur geringfügig. Wenn der Adler sie nun erwischte, wäre auch das umsonst. Mit angehaltenem Atem beobachtete sie, wie sich die drei nach unten hangelten.

Rankensees Blick zuckte zwischen dem Adler am Himmel und den Katzen auf dem Baum hin und her. Sie versuchte abzuschätzen, ob Flamme und ihre Clangefährten schnell genug sein konnten, um dem Vogel zu entkommen. Sie selbst konnte nichts weiter tun, als zuzusehen, oder nicht? Alles in ihr schrie danach, irgendetwas zu tun, statt untätig herumzustehen. Der Wunsch, wegzurennen, weit weit weg, zurück in die Sicherheit des Lagers war ebenso groß wie der, ihren Freunden zu helfen. Wenn ihnen etwas zustieß, würde sie sich das nie verzeihen können.
Dass Kieselfang über den Donnerweg sprintete, hätte sie fast nicht mitbekommen.

Der Adler stürzte nun direkt auf das Nest zu. Ein greller Schrei ertönte hoch oben in der Luft.

Jade war inzwischen beinahe auf dem Boden angelangt, Borkensprung und Flamme hingegen hatten noch ein paar Fuchslängen vor sich.

Wie in Trance trat Rankensee an den Donnerweg. Sein übler Gestank stieg ihr in die Nase und erinnerte sie daran, wie ihre tote Mutter hier gelegen hatte. Ein erneuter Schrei des Adlers ließ sie hochschrecken.
Drüben auf NachtClan-Territorium streckte sich Kieselfang Jade entgegen, um ihr das Junge abzunehmen, das die Schülerin trug. Als er das kleine Fellbündel gepackt hatte, sprang Jade die letzte Katzenlänge auf den Boden hinab, wechselte ein kurzes Wort mit Kieselfang, nahm ihm das Junge ab und rannte in den Wald des NachtClans hinein.

Dort sind sie durch die Bäume und Sträucher vor Angriffen aus der Luft geschützt, erkannte Rankensee.
Gerade schöpfte sie Hoffnung, dass die anderen auch ohne sie klarkommen würden, da miaute Borkensprung etwas. Kieselfang sah zu dem Kater, der hinter Flamme zurückgefallen war, hoch und begann ihm entgegen zu klettern. Irgendetwas machte Borkensprung sichtliche Schwierigkeiten.

Kieselfang war fast bei ihm angekommen, als etwas neben dem Baumstamm zu Boden fiel. Borkensprung hatte das Bündel, das er im Maul getragen hatte, fallenlassen.

Ein erneuter Blick nach oben verriet, wie nah der Adler inzwischen war.

Rankensee starrte zu dem winzigen Fellhaufen zwischen den Baumwurzeln hinüber. Er regte sich nicht. Das Junge... lebt es noch? Ich muss es da wegbringen!

Sie versicherte sich, dass der Donnerweg frei war, stürmte los und versuchte, sich nur auf das Junge zu konzentrieren. Nicht auf die Angst vor Monstern und dem Raubvogel, der in diesem Augenblick auf sie zu schoss.

Sie zwang sich, immer schneller und schneller zu werden, stoppte nur leicht ab, als sie wieder Gras unter ihren Ballen spürte, wollte das Junge im Lauf aufheben... und hielt irritiert inne.

Das war kein Katzenjunges, das da vor ihren Pfoten lag, sondern eine tote Feldmaus. Sie musste ebenfalls die Beute des Adlers gewesen sein.

»Renn!« Flamme war kaum zu verstehen, da sie einen kleinen, braun getigerten Kater trug. Sein Körper hing schlaff in ihrem Maul und Rankensee befürchtete das schlimmste. Jedoch bekam sie keine Gelegenheit, weiter darüber nachzudenken, denn die andere Kätzin stieß sie in Richtung Bäume. Nebeneinander rannten sie los, wurden bald vom dichten Unterholz des NachtClan-Territoriums umgeben und folgten Jades Geruchsspur in den Wald hinein.

»Was wollt ihr hier?« Ein Fauchen ließ sie herumwirbeln.

Nicht auch das noch!, ärgerte Rankensee sich, die die Stimme ihrer ehemaligen Clangefährtin sofort erkannt hatte. Ausgerechnet Mohnregen hatte ihr unerlaubtes Eindringen in NachtClan-Gebiet bemerkt.

Als Rankensee die Kriegerin zwischen den Bäumen ausmachte, sah sie, dass sie von Wolfsfeuer und Echolied begleitet wurde.

»Wir sind nur hier, um Junge zu retten«, kam eine Stimme aus den Schatten und Jade trat daraus hervor.
In dem Maul der Schülerin baumelte eine schwarze Kätzin mit weißer Brust. Jade legte sie vorsichtig in einen Laubhaufen.

»Laut dem Gesetz der Krieger mussten wir helfen«, erklärte Jade. »Das hier sind zwei FederClan-Junge, die von einem Adler entführt wurden, der auf eurem Gebiet am Donnerweg sein Nest hat. Als wir sie daraus gerettet haben, mussten wir vor ihm fliehen. Du kannst uns also kein Vergehen vorwerfen! Sei froh, dass du dich nicht selbst in Lebensgefahr begeben musstest.«

»Ach, und eure Rettungsmission beinhaltete auch eine Jagd auf unserem Territorium?«, knurrte Wolfsfeuer.

Im ersten Moment wusste Rankensee nicht, wie der Krieger auf diese mäusehirnige Idee kam, dann jedoch bemerkte sie Borkensprung, der von Kieselfang gestützt auf sie zu humpelte. Er trug die Maus in seinem Maul.

»Die habe ich in dem Adlernest gefunden!«, verteidigte sich Borkensprung. »Das ist meine!«

»Ach ja? Sie stammt von NachtClan-Territorium, also gehört sie uns.« Wolfsfeuer machte einen Satz nach vorne und versuchte, dem Streuner die Beute abzunehmen.

Borkensprung drehte sich weg, sodass Wolfsfeuer an ihm vorbei segelte – erstaunlich schnell, wenn man bedachte, wie er gerade noch gehumpelt hatte. »Vergiss es! Ich bin hier derjenige, der sein Leben riskiert hat, als er diese Maus fand, nicht du. Wären wir nicht gewesen, würde der Adler sie fressen!«

»Falls du wirklich zu einem Clan gehören willst, Streuner«, zischte Wolfsfeuer, »solltest du dich ans Gesetz der Krieger halten. Es ist verboten, Beute aus einem anderen Territorium mitzunehmen.«

»Ach, wenn ich sie nicht mitnehmen darf, dann esse ich sie eben hier!«

»Das wagst du nicht!«

»Genug jetzt!« Kieselfang war zwischen die beiden Kater getreten. »Die Jungen müssen dringend von einem Heiler untersucht werden und ihr streitet euch um eine Maus?«

»Kieselfang hat Recht«, miaute Borkensprung, drehte sich um und stapfte ohne ein weiteres Wort mit der Beute im Maul los in Richtung BlattClan-Grenze.

»Das wirst du noch bereuen, Beutedieb!«, jaulte Wolfsfeuer, während Echolied an dem Jungen im Laubhaufen schnupperte.

»Wenn ihr sie jetzt ins BlattClan-Lager bringt, müsst ihr erneut am Donnerweg und möglicherweise dem Adler vorbei. Ich werde Tropfenwolke und Mückenpfote holen«, miaute sie und rannte, ohne auf eine Antwort zu warten, davon.

Kieselfang nickte den anderen zu. »Ich kann hier nicht mehr viel ausrichten, ich sollte nach Borkensprung sehen.«

Seine Schritte entfernten sich und es wurde still zwischen den Katzen. Rankensee, die sich auch hier unter den Bäumen weit weg vom Donnerweg noch vor dem Adler fürchtete, ließ ihren Blick durch das kahle Geäst über ihren Köpfen schweifen, bevor sie sich zu Echolied gesellte. Die Kätzin hatte sich neben das fremde Junge gelegt und es an ihren Bauch gezogen, ganz so, als wollte sie es wärmen. Mit gleichmäßigen Zungenstrichen wusch sie das Blut aus dem schwarzweißen Fell. Erst auf den zweiten Blick erkannte Rankensee die schwache Atmung des Jungen; ansonsten zeigte es kein Lebenszeichen.

***

Die Sonne war am Horizont untergegangen, als Rankensee gefolgt von Flamme und Jade am BlattClan-Lager ankam. Sie trug die schwarzweiße Kätzin, die von den NachtClan-Heilern behandelt worden war und inzwischen sogar die Augen wieder aufgeschlagen hatte. Sofern Blattstern nichts anderes anordnete, würden sie das Junge erst einmal zu Moon in den Heilerbau bringen.

Der kleine FederClan-Kater hingegen hatte weniger Glück gehabt. Tropfenwolke hatte ihn untersucht und auf die Frage, wie es dem jungen Patienten ging, nur mit dem Kopf geschüttelt. Er war tot. Flamme würde ihn mit zurück zum FederClan nehmen.

Rankensee tappte als erste durch den Lagereingang, als Jades Miauen sie aufhorchen ließ. »Warte noch kurz, Flamme, ich will Blattstern darum bitten, dass ich dich zum FederClan begleiten darf!«

Die Schülerin drängelte sich an Rankensee vorbei, die ihr verwundert hinterher sah. Jade schien sich erstaunlich gut mit ihrer Mutter zu verstehen, trotz allem, was vorgefallen war. Einerseits konnte Rankensee das nachvollziehen – sie hatte ebenfalls ihre Mutter verloren und würde alles geben, um wieder bei ihr sein zu können – andererseits auch nicht. Denn Flamme hatte Fehler begangen, die Storm nicht gemacht hatte. Flamme hatte eine Katze – Rankensees Bruder – getötet und ihre Tochter im Stich gelassen. Rankensee war sich sicher, dass Storm sie und Sam niemals so verraten hätte.

Mit einem gemurmelten und nicht recht ernst gemeintem »Auf Wiedersehen« verabschiedete sich Rankensee von Flamme und trat ins Lager.

Kleestaub, die beim Kriegerbau gesessen hatte, sprang auf und tappte auf dem Weg zu Moon neben ihr her.

»Wie geht es dem Jungen?«, erkundigte sich die Kriegerin.

»Sie lebt«, miaute Rankensee durch das Fell in ihrem Maul. »Wo ist Borkensprung?«

»Er ist zu Moon gegangen. Gestützt von Kieselfang. Hat sich auf dem Baum eine Kralle ausgerissen.«

Das war es also gewesen, was Borkensprung beim Klettern aufgehalten hatte. Kein Wunder, dass er danach nur noch hatte humpeln können, aber das Wichtigste war, dass er dem Adler entkommen war.

In Moons Bau unter dem Rotdorn war bereits ein Nest für das FederClan-Junge vorbereitet, als Rankensee eintrat. Eine zweite mit frischem Moos bedeckte Kuhle direkt daneben zeugte davon, dass Borkensprung Moon von ihren zukünftigen Patienten erzählt und nicht gewusst hatte, dass eines der Jungen nicht überlebt hatte. Auf seinen fragenden Blick hin erklärte Rankensee Borkensprung, warum die kleine FederClan-Kätzin allein bei Moon im Heilerbau übernachten würde. Der Krieger senkte betroffen den Kopf.

Rankensee legte die schwarzweiße Kätzin, die schon wieder eingeschlafen war, in das Nest, beobachtete noch eine Weile, wie Moon eine Kräuterpaste herstellte und machte sich dann gemeinsam mit Kleestaub auf den Weg zum Kriegerbau. Es war ein langer, anstrengender Tag gewesen und auch wenn sie fürchtete, nach den Geschehnissen an diesem Abend nicht einschlafen zu können, wollte sie sich zumindest etwas ausruhen.

Im Lager standen sich Blattstern und Eagle gegenüber.

»Ich denke trotzdem, dass du sie besser hierbehalten hättest«, miaute der Zweite Anführer gerade.

»Meine Entscheidung ist getroffen. Was soll ich machen? Ihr hinterher rennen und sie zwingen, zurückzukommen, nachdem ich ihr erlaubt habe, ihre Mutter für eine Nacht zu begleiten? Solange Flamme noch hier bei den Clans ist, sollte sie die Chance haben, mit ihrer Mutter zu klären, was vorgefallen ist. Ich selbst habe auch...«

Blattstern verstummte und nickte Rankensee zu. »Wie geht es dem Jungen?«

»Moon kümmert sich um sie.«

»Was, wenn Jade nicht zurückkehren will und für immer bei ihrer Mutter bleibt? Wir haben uns so oft gestritten während der letzten Sonnenaufgänge. Sie scheint sich mit Flamme, dieser Verräterin, besser zu verstehen...«

Blattstern seufzte. »Lass uns das in meinem Bau klären.«

Die beiden Katzen machten sich auf den Weg zum Anführerbau. Rankensee sah ihnen hinterher. Sie hoffte, dass Eagles Befürchtung sich nicht bewahrheiten würde. Dieses Glück hätte Flamme nicht verdient.

»Kommst du?«, gähnte Kleestaub neben ihr.

Rankensee bejahte und folgte ihr zum Kriegerbau.

***

Ein Hase lag vor Rankensees Pfoten. Sie hatte ihn eben erlegt und scharrte nun Laub über ihre Beute, um sie später abzuholen. Zwei Sonnenaufgänge waren vergangen, seit sie das FederClan-Junge gerettet hatten.

Rankensee seufzte traurig bei dem Gedanken an den kleinen Kater, der von dem Adler getötet worden war. Bevor sie jedoch weiter über ihn nachdenken konnte, lenkte eine Bewegung sie ab. Im ersten Moment dachte sie, noch mehr Beute entdeckt zu haben, dann aber erkannte sie, dass es eine Katze war, die sich unter einem Strauch an der Grenze zum FederClan versteckt hatte. Als Rankensee näher kam, bemerkte sie, dass es Blattstern war.
Gerade wollte sie ihrer Halbschwester einen Gruß zurufen, als sie eine zweite Katze erblickte. Rauch. Die Stammeskätzin miaute etwas, was Rankensee aus der Entfernung nicht verstand. Blattstern neigte den Kopf und antwortete ihr.

Zu Rankensee, die sich hinter einem Baumstamm verborgen hatte, drangen nur vereinzelte Wortfetzen hinüber, die keinen wirklichen Sinn ergaben. Feindselig klangen sie jedenfalls nicht. Insgesamt machte die Unterhaltung einen freunlichen... fast vertrauten Eindruck. Blattstern und Rauch hatten sich nebeneinander gesetzt, blickten auf die grasbewachsenen Weiten des FederClan-Territoriums hinaus und plauderten.

Worüber reden sie da?, fragte sich Rankensee, fühlte sich jedoch unwohl bei dem Gedanken, näher zu schleichen, um die Kätzinnen verstehen zu können. Außerdem vertraute sie ihrer Halbschwester.

Hinter ihrem Baumstamm beobachtete sie die beiden eine Weile, doch es geschah nichts weiter. Sie wollte schon wieder gehen, als sie einen Blick auf ein orangeroten und einen grauen Pelz im Gras auf FederClan-Territorium erhaschte. Die zwei Katzen, die sich dort verbargen, schienen nicht entdeckt werden zu wollen, denn viel mehr als ein kurzes Aufblitzen von Fell bekam Rankensee von ihnen nicht zu sehen. Dennoch regte sich ein Verdacht in ihr. War das das Rotorange von Flammes Pelz gewesen?

Einige Herzschläge verstrichen, dann trat Wasserstern aus einem Flecken hohen Grases.

»Hallo«, rief er über die Grenze und nickte den Kätzinnen zu.

Blattstern und Rauch erwiderten seinen Gruß, miauten sich noch etwas zu und tappten jeweils in ihrem eigenen Territorium davon. Wasserstern sah ihnen mit schiefgelegtem Kopf nach, während Rankensee sich eilig vergewisserte, dass Blattstern sie hinter dem Baumstamm nicht entdecken würde.

Erst als die Anführerin verschwunden war, wagte sie sich aus ihrem Versteck. Was war das denn eben für eine seltsame Begegnung gewesen?

Kopfschüttelnd setzte sie ihre Jagd fort. Zwischen den Düften von herabgefallenem Laub, Moos und Kräutern suchte sie nach der Fährte eines Beutetiers. Doch es wurde mit der herannahenden Blattleere immer schwieriger, etwas zu entdecken.

Eine Weile streifte Rankensee im hohen Gras umher, in dem hier und dort Sträucher und junge Birken wuchsen. Nur um die gelegentlichen zur Hälfte überwucherten Ansammlungen von Zweibeinerzeug, das vor vielen Monden hier zurückgelassen worden sein musste, machte sie einen Bogen.

Ein Schrei. Er ließ Rankensee aufhorchen. Es klang, als sei da eine Katze in Not.

Sofort sprintete sie in die Richtung los, aus der sie den Ruf gehört hatte. Ihr Weg führte sie erneut an die Grenze zum Gebiet des Stammes. Schon aus einigen Baumlängen Entfernung erkannte sie, was los war und Angst packte sie. Eine rotbraune Kätzin rang dort mit einem Fuchs. Sie schlug sich tapfer, doch Rankensee wurde schnell klar, dass sie sich kaum mit Kampftechniken auskennen konnte.

Wer ist das? Rankensee meinte, die Rotbraune irgendwoher zu kennen, war sich aber sicher, dass sie weder zu NachtClan noch zum BlattClan gehörte.

Ein paar Herzschläge, bevor Rankensee bei der Fremden ankam, entdeckte sie Jade, die von der Seite auf sie zu schoss. Die Schülerin war gemeinsam mit ihr und Borkensprung auf die Jagdpatrouille aufgebrochen. Erst in dem Moment, in dem Jade sich in den Kampf stürzte, wurde Rankensee klar, wo sie die Rotbraune bereits einmal gesehen hatte. Sie war auf einer Grenzpatrouille des NachtClans dabei gewesen und war neben Hagelsturm hergelaufen. Schon damals hatte sie sich gefragt, wer die Fremde sein könnte.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top