Zweiter Akt / Erste Szene
Narayana liegt im Bett und schläft. Nataraja tritt auf.
NATARAJA: So verletzlich und doch so wertvoll. Die meisten Menschen missverstehen mich, glauben, ich sei hasserfüllt oder gar nihilistisch.
NARAYANA: (mit dem Rücken zum Publikum) Du glaubst ja auch an nichts.
NATARAJA: Auch das ist ein Glaube.
NARAYANA: Dieses Nichts, dein Nichts ist die Hölle auf Erden.
NATARAJA: Gott ist immer das, als das man ihn definiert.
NARAYANA: So könnte ich auch etwas gesundes, positives glauben? An eine Erlösung? Eine Rettung?
NATARAJA: Natürlich, aber du weiß, dass das Lügen sind.
NARAYANA: Genauso könnte ich das Nichts als eine Lüge bezeichnen.
NATARAJA: Nur zu! Glaubst du daran, dass es eine Lüge ist, oder wünschst du es dir nur?
NARAYANA: Was schlägst du vor?
NATARAJA: Du muss es akzeptieren und dich dann arrangieren.
NARAYANA: Aber wie? Wenn nichts eine Bedeutung hat, wenn nichts objektiv einen Wert hat? Nicht einmal mein Leben...
NATARAJA: Gib ihm eine Bedeutung. Mach dich bedeutsam. Erreiche etwas! Schinde dich, bis du über dich hinauswächst! Du willst ein Künstler sein? Dann beweise, dass dieser Wille in dir steckt! Hör auf, dich zu verkriechen und dich anzubiedern und mach etwas, entscheide dich!
NARAYANA: Ich kann nicht sein, was ich sein will!
NATARAJA: Niemand kann das, aber wir müssen uns daran messen lassen, wie sehr wir es versucht haben und wie nahe wir unserem Ideal gekommen sind.
NARAYANA: Niemand ist unzerstörbar. Niemand ist ein Fixpunkt. Wir wachsen und altern und verändern uns ständig. Wunden brechen auf, heilen wieder, vernarben. Ganz von allein.
NATARAJA: Dagegen hilft nur Ekel. Gesunder, antreibender Ekel.
NARAYANA: Selbstekel ist Selbstbesessenheit!
NATARAJA: Du kannst tun, was du willst.
NARAYANA: Nur: Du lässt mich nicht! Sogar im Schlaf suchst du mich heim! In meinen Träumen bist du!
NATARAJA: Hättest du lieber den Arzt?
NARAYANA: Ich hätte lieber meine Ruhe!
NATARAJA: Wer hätte gedacht, dass das Nichts so laut ist...
NARAYANA: Zyniker!
NATARAJA: Es fällt alles auf dich zurück...
NARAYANA: Ketzer!
NATARAJA: Sei nicht albern...
NARAYANA: Meine Seele bespuckst du und behauptest, du lästerst nicht?
NATARAJA: Deine Seele? Ist das dein Ernst? Du glaubst an eine Seele, nicht aber an mich, behauptest du?
NARAYANA: Ich muss nicht glauben, es reicht, wenn ich hoffe.
NATARAJA: Hoffnung taugt nichts. Sie verblendet. Was du brauchst, ist Gleichgültigkeit, eine Stärke, die dich immun macht gegen Ängste, Schwächen, Enttäuschung, Glauben. Was ist schon ein Leben, wenn es sich nicht aus dem Sumpf der Mittelmäßigkeit zu erheben vermag? Welchen Sinn hat es? Was ist so schlimm an einem Tod, wenn er eine Bedeutung hat.
NARAYANA: Sterben als Kunstprojekt! Ist es das, was dir vorschwebt?
NATARAJA: Wenn du Leben als Kunstprojekt nicht auf die Reihe bekommst...
NARAYANA: Warum tust du mir das an?
NATARAJA: Weil ich dir helfen will. Du klammerst dich an etwas Sinnloses. Du musst es loslassen, damit du ihm einen Sinn geben kannst. Du musst beweisen, dass du diszipliniert genug bist, dass man dich zurecht ein Genie, ein Vorbild, ein Idol nennen kann. Bisher bist du ihnen immer nur hinterher gelaufen. Ich will, dass die Leute dich anhimmeln!
NARAYANA: Ich weiß nicht, ob ich das will und ob ich das aushalte.
NATARAJA: Wenn du es nicht willst, dann bitte mich zu gehen! Wenn du es ernst meinst, bist du mich los. Aber so lange du noch mit mir streitest, weiß ich, dass es dich interessiert, was ich zu sagen habe.
NARAYANA: Du willst, dass ich ein Märtyrer werde!
NATARAJA: Unsterblich immerhin.
NARAYANA: Eine Lüge viel mehr.
NATARAJA: Ein Glaube.
NARAYANA: Abhängig von Sympathien.
NATARAJA: Bist du dir denn selbst sympathisch? Willst du es gerne sein? Zufrieden sterben oder unzufrieden leben. Du hast die Wahl! Stärke in der Selbstbestimmung oder Schwäche in der Selbstaufgabe...
NARAYANA: Dann wähle ich die Selbstbestimmung! Nur: Was steckt hinter dieser hohlen Phrase? Bestimme ich, dich zu verbannen? Bestimme ich, mich dir zu ergeben?
NATARAJA: Die Entscheidung liegt bei dir. Aber es wird langsam Zeit, sie zu treffen, meinst du nicht? Bald werden sie dir dein Abendessen bringen. Wirst du es essen? Wirst du es verweigern? Kannst du sie täuschen? Willst du ihnen schmeicheln? Hast du ihr Vertrauen? Brauchst du meine Hilfe oder schaffst du es alleine, dir die Zahnbürste in den Hals zu stecken?
NARAYANA: Lass mich schlafen! Bitte, lass mich einfach schlafen! Nur für eine Stunde! Ich brauche Ruhe! Diese Fragen... Wieso gehen sie nicht weg? Nicht im Schlaf, nicht, wenn ich wach bin! Wo ist der Unterschied zwischen Traum und Realität? Wieso finde ich keine Ruhe? Wieso verbiete ich sie mir? Die Unruhe ist wie der Hunger. Mein Bewusstsein braucht die Gewissheit, die Kontrolle zu behalten. Der Ekel sorgt dafür. Die Angst... Aber warum gehen die Fragen nicht weg? Nicht einmal dann, wenn ich sie beantworte, verschwinden sie. Sie ignorieren die Antworten. Sie misstrauen den Antworten. Sie verweigern sich den Antworten. Als hätten sie Angst sich aufzulösen, wenn sie beantwortet würden, als würden sie an Relevanz verlieren. Als könnte ich sie vergessen. Als hätten sie Angst vor der Bedeutungslosigkeit. Ich will schlafen und nicht mehr denken! Was bedeutet schon Bedeutsamkeit, wenn man nur schlafen könnte!
NATARAJA: Alles.
(Nataraja ab)
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