Vierter Akt / Vierte Szene

Das Krankenzimmer. Nataraja. Narayana tritt auf.

NARAYANA: Ich bin wie ein leeren Gefäß, das man mit Ideen füllen muss. Aber irgendwo bin ich leckgeschlagen und meine Gedanken laufen aus, versickern und verlieren sich in der Vergessenheit, im Widerspruch und in der Leugnung.

NATARAJA: Es ist gut, nie zufrieden zu sein. Es lässt dich wachsen.

NARAYANA: Es lässt mich zerstören.

NATARAJA: Was es nicht wert ist, zu existieren, muss vernichtet werden.

NARAYANA: Vernichte dich selbst!

NATARAJA: Du versuchst, mich anzugreifen? Du? (weicht zurück) Was glaubst du, kannst du mir anhaben? Du bist ein Verlierer, Lügner, Schwindler, Heuchler. Niemanden interessiert sich für dich. Jeder ist schuldig. Heruntergekommen bist du – warum auch immer – du armer, kleiner Junge. Zerstört du mich, zerstörst du alles, was von dir übrig ist!

NARAYANA: Dann bin ich es nicht wert, zu bestehen!

NATARAJA: Aha, da spricht die Vernunft aus dir! (greift Narayana an und schlägt seinen Kopf gegen die Wand)

NARAYANA: Dich sollst du vernichten! Mach deinem Namen einmal alle Ehre! Feigling! Lügner! Du bist der Heuchler! Zerstörst alles außer dich selbst! (Es kommt zu einer Rangelei. Die beiden kämpfen verursachen dabei einigen Lärm.)

Der Arzt tritt auf und es gelingt ihm die beiden Kämpfenden zu trennen. Nataraja ab.

ARZT: Ist alles in Ordnung mit Ihnen?

NARAYANA: Sieht es für Sie etwa so aus, als wäre alles in Ordnung mit mir? Was stellen Sie nur immer für idiotische Fragen? Wäre ich hier, wenn alles in Ordnung mit mir wäre?

ARZT: Der Prozess der Heilung ist ein innerer Kampf, den Sie allein mit sich ausfechten müssen.

NARAYANA: Ich habe es satt, mir von Ihnen sagen zu lassen, was irgendwas ist! Ich habe es satt, dass Sie definieren wollen, was ich gefälligst sein soll! Ich habe es satt, dass Sie und nicht ich definieren, was Gesundheit ist!

ARZT: Gesundheit ist, nicht zu sterben.

NARAYANA: Sehen Sie mich an! Sie nennen es, einen Heilungsprozess. Ich nenne es Sterben!

ARZT: Ihre Aggression...

NARAYANA: ...ist ein Reflex auf Ihre Beschwichtigung.

ARZT: Aber sie richtet sich gegen Sie selbst.

NARAYANA: Wäre es Ihnen lieber, ich schlüge Ihren Kopf gegen die Wand? Ich bin zu stark, um mich hier drin brechen zu lassen. Ich bin zu schwach, um da draußen für mich einzustehen. Ich habe keine Freunde, die ich ohne Alkohol ertrage. Ich lüge ununterbrochen. Ich finde nichts Würdevolles in all den Hipsterromanen und den Lebenshilferatgebern, die mir meine Zurechnungsfähigkeit abstreiten, die die Einsamkeit nur in eine Form gießen, die sie Modernität nennen.

ARZT: Sie versuchen, eine Phantasie zu leben, das kann natürlich nicht gut gehen.

NARAYANA: Alles ist Phantasie! Sie sind Phantasie! Ich bin Phantasie! Dieser Raum ist Phantasie! Die Welt ist Phantasie! Nichts ist echt! Ich sehe mich selbst hier sitzen. Ich kann nichts von dem berühren, was ich sehe. Ich stehe außerhalb, eingehüllt in eine Sphäre aus Unbehagen. Ich existiere in der Zwischenwelt zwischen Gedanken und Handlung! Die Perspektive verrutscht und Sie verschwimmen wie eine Lüge oder eine Ausrede. Sie sind nicht real! An Ihnen kann ich mich nicht festhalten! Sie gleiten mir durch die Finger. Sie sind der Treibsand, der mich umfängt und herunterzieht. Irgendwohin, wo es niemanden interessiert, ob sie belogen oder bagatellisiert werden.

ARZT: Ich mache mir Sorgen um Ihren Zustand.

NARAYANA: Ist das alles, was Sie zu sagen haben? Ist das alles, was Sie über mich zu wissen glauben? Mein Zustand? Macht Ihnen Sorgen? Als würden Sie auch nur ein Wort von dem verstehen, was ich sagen! Als würde es Sie interessieren... Für Sie bin ich verrückt, nicht zurechnungsfähig, weiß nicht, was gut für mich ist. Sie glauben, ich brauche Führung. Sie geben mir diese lächerlichen zwölf Schritte an die Hand und lassen mich damit allein... Oh nein, Sie lassen mich nicht allein. Sie über lassen mich ihm. Was wissen Sie schon über mich? Für Sie sind alle Menschen gleich! Für Sie ist Ihre Arbeit mechanisch. Sie hantieren an den Gemütern herum, als wären darin Schrauben locker. Glauben Sie das? Dass Menschen repariert werden müssen wie Motoren? Hören Sie eigentlich zu, nehmen Sie die Dinge ernst, die man zu Ihnen sagt, oder fühlen Sie sich über die Ansichten Ihrer Schutzbefohlenen erhaben?

Wer bin ich? Wissen Sie es?

Ich bin eine jämmerliche Person, weil ich nicht besser bin als die Personen, die ich am meisten verabscheue, die sich etwas darauf einbilden, dass sie es auf die Reihe bekommen haben, den nächstbesten Schwachmaten zu heiraten, der nicht bei ihrem Anblick zu kotzen anfängt und die sich deshalb über die lustig machen, die ihr Leben nicht auf diese Weise wegwerfen wollen, die in der Lage sind, ihr Unglück zu erkennen, statt sich selbst etwas vorzulügen. Ich hasse Kompromisse. Ich hasse Normalität. Ich hasse Urteile. So, der Wert des Menschen misst sich also an seinem Erfolg? Ich verweigere mich diesem Konzept! Was ist es schon für ein Erfolg, herum zu vegetieren und nichts zu hinterlassen als eine Grabstätte in Übergröße?

ARZT: Sie sprechen wirres Zeug!

NARAYANA: Ach ja? Wirres Zeug ist es, das mich bewegt? Wirres Zeug ist meine Angst, meine Selbsteinschätzung und mein Entscheidung? Warum geben Sie mir also nicht gleich die Giftspritze? Weil sie hoffen, mich doch noch umdrehen zu können? Weil Sie glauben, auch ich könnte glücklich werden, wenn ich mich nur den altbewährten Konzepten unterwerfe? Sie sehen das Problem nicht: Unterwerfung ist keine Option!

ARZT: Ihr Hochmut ist das Problem!

NATARAJA: (aus dem Off) Seine Ignoranz ist das Problem!

NARAYANA: Ihre Ignoranz ist das Problem!

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