Fünfter Akt / Dritte Szene

Das Krankenzimmer. Nataraja. Narayana kommt hinzu.

NATARAJA: Was willst du noch hier? Wolltest du nicht leben? Wolltest du nicht hinaus gehen und ein Teil der Gesellschaft werden? Was störst du mich bei meinem letzten Monolog? Du willst ihn doch nicht hören!

NARAYANA: Dich schmerzt die Trennung mehr als mich und das ist Teil meines Triumphes.

NATARAJA: Und du glaubst, die Freiheit von Schmerzen, sei Leben? Ist es nicht eher der Tod, wenn man sich von allen Lasten befreit?

NARAYANA: Ja, das verdrehen von Bedeutungen war schon immer deine Spezialität. Aber ich bin stärker, ich bin bewusster als jemals zuvor.

NATARAJA: Licht, das erhellt, kann blenden, kann erschrecken, kann verbrennen.

NARAYANA: Und so wie ich die Vorhänge aufziehen, verkriechst du dich in den Schatten. Sprichst aus den Ecken, den dunklen Räumen. Aber diese Schatten werden kleiner, deine Stimme wird schwächer werden und das Licht wird jeden Winkel meiner Seele durchfluten.

NATARAJA: Und wie lautet deine Erkenntnis?

NARAYANA: Das Leben ist ein Kompromiss zwischen Ideal und Möglichkeit.

NATARAJA: Und wer nicht als Möglichkeit enden will, der wähle den Tod!

NARAYANA: Jeder will sterben, niemand will vergessen werden. Jeder will bewundert, niemand will gesehen werden. Jeder will fliehen, niemand will verpflichtet werden. Jeder will weinen, niemand will getröstet werden. Jeder will schreiben, niemand will gelesen werden. Jeder will ein Künstler sein, niemand will sich eingestehen, wie sehr er einem Muster gleicht.

NATARAJA: Zynismus von dir?

NARAYANA: Schwäche überwindet man mit Aggressivität.

NATARAJA: (lacht) Sie haben die also beigebracht, dich selbst zu bekämpfen, damit du dich nicht mehr selbst zerfleischest?

NARAYANA: Sie haben mir beigebracht, dass ein Mensch ein Mensch ist und kein Gott.

NATARAJA: Und was für ein Mensch möchtest du sein? Einer, der über das Menschsein hinauswächst, oder einer von den anderen.

NARAYANA: Den anderen?

NATARAJA: Es gibt fünft Typen von Menschen, die einen davon abhalten sollten, menschlich sein zu wollen:

Erstens: Die Maden, die Entwürdigung hinnehmen, wenn sie dafür Verantwortung abgeben können. Egoisten, Schmarotzer, Ignoranten.

Zweitens: Künstler, mit ihren Ansprüchen an sich und die Welt. Immer gelangweilt. Immer müde. Immer gelähmt. Immer maskiert. Immer verschlossen, stumm geheimnisvoll. Eine Enttäuschung für jeden aufrichtigen Geist.

Drittens: Die Architekten, die sich selbst erschaffen wollen und sich vor ihrem Schicksal fürchten. Die Selbstmanipulierer. Die, die sich Hürden in den Weg legen. Kunst vor Natur. Kontrolle vor Entwicklung. Plan vor Zufall. Enttäuschung vor Akzeptanz. Reflexion vor Erkenntnis. Arroganz vor Anpassung

Viertens: Die Nachahmer, die sich etwas zum Vorbild nehmen, weil sie bereit sind, sich ihre eigene Schwäche einzugestehen. Selbsterniedrigung. Selbstnegierung. Selbstleugnung. Selbsthass.

Fünftens: Die Beobachter und die Kommentatoren deiner Kleidung, deines Haarschnittes, deiner Verletzungen, deines Autos. Sie interessieren sich kein Bisschen für dich, wissen aber alles zu werten. Bist du allein? Bist du es nicht? Bist du es wert? Bist du nie zufrieden? Bist du mit zu wenig zufrieden? Ständig musst du Vergleichen standhalten, die du gar nicht ziehen willst.

Was willst du sein? Was willst du werden?

NARAYANA: Ich hasse diesen Druck. Ich hasse die Erwartungen. Ich hasse dieses Leben, das nach einem Muster ablaufen soll. Lebe ich in meinem Kopf, kann ich es nicht teilen. Bin ich also egoistisch? Aber ich fühle nichts für niemanden. Nur Langeweile.

NATARAJA: Bröckelt da deine neu errichtete Fassade?

NARAYANA: Wie viel Selbsthass erträgt ein Mensch?

NATARAJA: Wie viel Selbstverliebtheit ist gesund?

NARAYANA: Irrelevant! Hass und Liebe sind gleichermaßen durchtränkt von dem, was uns am Ende vergiftet: Besessenheit.

NATARAJA: Also ist Gleichgültigkeit der Schlüssel zur Zufriedenheit in deinem Sinne?

NARAYANA: Die Verweigerung von Freude wird belohnt mit dem Fernbleiben von Leid.

NATARAJA: Die Verweigerung von Leid wird bestraft mit dem Fernbleiben von Freude!

NARAYANA: Belohnung und Strafe sind Konzepte, die ich ablehne.

NATARAJA: Wie auch Ambition und Integrität?

NARAYANA: Ich würde sogar meine Aufrichtigkeit verpfänden, um dich loszuwerden!

NATARAJA: Deine was? Aufrichtigkeit? Du bist viel zu unsicher, um es mit der Ehrlichkeit ernst zu meinen! Du bist viel zu verwirrt, um einen klaren Gedanken zu formulieren, hinter dem du stehen kannst! Du bist abhängig und du bist schuldig!

NARAYANA: Schuldig?

NATARAJA: Wir sind alle schuld, die Last anderer zu sein. Der Mensch ist ein Parasit.

NARAYANA: Deshalb will ich ja etwas zurückgeben! Ich muss ein Teil der Gesellschaft werden, von der ich profitiere.

NATARAJA: Die dich versklavt und dich ausbeutet.

NARAYANA: Die mich schätzt und fördert.

NATARAJA: Die dich in eine Form gießen und aushärten lassen will.

NARAYANA: Wenigstens kann meine Form gesehen werden und ich muss mich nicht in den Schatten verkriechen. Unansehnlich, asozial, krank und mordlustig.

NATARAJA: Wagst du dich nun schon an Werturteile heran?

NARAYANA: Bestie!

NATARAJA: Wer an das Gute glaubt, wird am Bösen zerbrechen...

Nataraja ab.

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