Erster Akt / Vierte Szene

Nataraja tritt auf.

NATARAJA: Du füllst die innere Leere mit den Ideen anderer.

NARAYANA: Du verwandelst die Ideen anderer in innere Leere.

NATARAJA: Ich entlarve sie.

NARAYANA: Du entlarvst dich selbst.

NATARAJA: Ach so? Du glaubst, ich entlarve mich, wenn ich dir die Wahrheit offenbare.

NARAYANA: Die Wahrheit?

NATARAJA: Die Wahrheit. Dass du nur eine Figur bist in einem Stück ohne Handlung. Zeitlos, dafür eingesperrt an einem Ort, der deine Möglichkeiten erdrückt und absterben lässt.

NARAYANA: Welche Möglichkeiten eröffnest du mir schon? Welche Wahl lässt du mir, wenn nicht, dich zu meinem Schutz zu verleugnen.

NATARAJA: Und doch tust du es nicht.

NARAYANA: Der Tod selbst kann nicht sterben. Das Leben ohne den Tod nicht gelebt werden.

NATARAJA: Ein Zugeständnis von dir?

NARAYANA: Realismus.

NATARAJA: Realismus ist nur eine Ersatzdroge für die Wahrheit.

NARAYANA: Selbsternannte Wahrheiten, denunzierte Lügen. Wenn ihr Effekt der Tod oder das Leben ist, so weiß ich, woran ich lieber glaube.

NATARAJA: Du verdammst also lieber den Botschafter schlechter Nachrichten als den Konflikt zu lösen?

NARAYANA: Du bist nicht der Botschafter. Du bist der Konflikt!

NATARAJA: (lacht) Dazu gehören immer zwei, nicht wahr?

NARAYANA: Meine Botschaft ist die der Hoffnung.

NATARAJA: So bist du ein Messias? Was bist du eigentlich, mein Freund? Es fällt dir leicht, mich zu definieren, was aber ist mit dir? Du bist unfertig, unwissend, schwach, manipulierbar, ängstlich, irrational. Wo ist deine Kontur? Kein Spiegel, um dir zu zeigen, dass du verblasst. Keine Bild, keine Zeit. Nichts zu tun. Alles verboten, abseits der vorgegebenen Wege. Du verblasst, je mehr du dich streitest. Je mehr du den Kampf aufnimmst. Verweigere dich!

NARAYANA: Um mich zu ergeben?

NATARAJA: Du hast es längst getan. Hast dich verpfändet, einen Preis festgesetzt und wirst dich ihnen als das verkaufen, zu dem sie dich gemacht haben. Es ist ein Spiel ohne Handlung, weil sie dich nicht handeln sehen wollen. Du sollst behandelt werden. Es geht hier um Macht. Macht über dich.

NARAYANA: Die du gerne hättest.

NATARAJA: So bitte mich einfach zu verschwinden. Meinst du es ehrlich, so werde ich gehen. Aber du brauchst mich. Es gibt hier keinen Spiegel außer mir. Du brauchst mich, weil nur ich dir bestätigen kann, dass du existierst. Du brauchst den Streit. Mit denen da, kannst du ja nicht reden. Sie nicken nur, nicht wahr? Alles, was du sagst, bestätigen sie dir. Ja, du bist ein großer Künstler! Ein großes Talent! Besessen vielleicht, aber genial! Wer hat deine Werke geschaffen? Wer ist deine Muse? Du großer Künstler! Verblassen werden deine Werke, wenn du ihnen die Verneinung nimmst. Was bist du ohne mich? Sie füttern dich mit Unterstützung, aber Unterstützung gebiert keine Inspiration. Sie macht dich träge, sie macht die anfällig für... Auftragsarbeiten. Willst du ein Sklave sein, der sich von Lob und Anerkennung ernährt?

Es gibt zwei Sorten von Menschen: Die Künstler und die Parasiten. Sie beide kriechen, das ist die Natur der Menschen. Sie unterscheiden sich nur in einer Sache: Dem Hunger.

NARAYANA: Leid ist für dich Anspruch. Ein Privileg, wie es scheint. Zynismus würde ich es nennen.

NATARAJA: Kunst ist der Versuch, dem Leid eine Bedeutung zu geben. Das Privileg ist das Bewusstsein, nicht die Tatsache. So wie Neid das Privileg des Wissenden ist, ist Leid die Voraussetzung für Vernunft. Der Mensch muss hungrig bleiben, sonst wird er fett und träge, singt Lieder darüber, wie sorglos das Leben ist und gibt sich selbst der Bedeutungslosigkeit preis. Der Hedonist infiziert sich selbst mit dem Gift der Ignoranz und der Gleichgültigkeit. Der Mensch muss hungrig bleiben, sonst verdummt er, lässt sich Zufriedenheit zum Preis seiner Freiheit verkaufen. Sicherheit für Selbstaufgabe. Hungern muss er, zum Beweis seiner Unabhängigkeit!

NARAYANA: Und doch ist er es nicht. Oder willst du mir weismachen, du seist ein Mensch?

NATARAJA: Die Essenz des vollkommenen Wesens ist ein bedeutendes Leben und ein bedeutender Tod.

NARAYANA: Bedeutung in der Sinnlosigkeit, wie du es nennst?

NATARAJA: Die Erkenntnis der Sinnlosigkeit ist der erste Schritt zur Schaffung einer Bedeutung.

NARAYANA: Um Macht über ein System auszuüben?

NATARAJA: Um im Chaos zu überleben!

NARAYANA: Aber sind es nicht gerade die Einfältigen, die das Glück finden und ihr Leben möglichst lebenswert zu gestalten wissen? Sie ignorieren das Chaos. Sie erfinden sich eine Ordnung. Sie glauben.

NATARAJA: Unterwerfung ist Entmenschlichung. Sättigung ist Selbstentwürdigung.

NARAYANA: Das Chaos, von dem du sprichst...

NATARAJA: Ja?

NARAYANA: Es ist nicht in diesem Raum.

NATARAJA: Du kannst es nicht sehen?

NARAYANA: Ich sehe dich. Der Raum ist voll von dir. Aber du bist nicht das Chaos, du bist etwas anderes.

NATARAJA: Das Bollwerk gegen die Leere?

NARAYANA: Der Grenzzaun des Verstandes.

NATARAJA: So bin ich am Ende dein Beschützer?

NARAYANA: Mein Gefängnis.

NATARAJA: Wenn du mich bittest zu gehen, wenn du es ehrlich meinst, so werde ich gehen.

NARAYANA: Ich bin müde. Ich möchte schlafen. Nur ein paar Stunden, ohne von dir beobachtet zu werden. Einmal nur für ein paar Stunden traumlos schlafen. Zerfließen, wie eine konturlose Form. Bitte geh! Ich bin müde, so müde, dass ich mir gleichgültig bin.

NATARAJA: Das macht die Sättigung mit dir.

(Nataraja ab)

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top