Dritter Akt / Fünfte Szene
Das Krankenzimmer. Narayana und Nataraja.
NARAYANA: Es ist Aggression, nicht Autoaggression. Das Hungern. Es ist ein Akt der Gewalt. Ich verletze andere, ich sabotiere die Ordnung. Ich bin überflüssig. Ich bin schädlich.
NATARAJA: Du sagst das, was wäre es etwas Schlechtes, diese Ordnung zu sabotieren.
NARAYANA: Es ist etwas Schlechtes, anderen mutwillig zu schaden.
NATARAJA: Es muss immer einen geben, der die Gegebenheiten kritisch hinterfragt. Es muss immer einen geben, der dagegen ist, der ein Zeichen setzt und erklärt, dass er kein Sklave ist.
NARAYANA: Aber kann ich mich nicht einfach darauf verlassen, dass die Menschen gut zu mir sind, wenn ich gut zu ihnen bin?
NATARAJA: Die Menschen sind nicht gut zu dir, weil sie dich mögen, sondern weil sie dich ausbeuten und beherrschen wollen.
NARAYANA: Aber auch ich kann von ihnen profitieren. Es ist ein Geben und ein Nehmen.
NATARAJA: Es ist ein Hauen und Stechen. Es ist ein Übervorteilen und Niederstampfen. Es reicht nicht, erfolgreich zu sein, andere müssen versagen. Willst du ein solches Dasein fristen? Abhängig, hin und hergerissen, eingesperrt? Blind? Erst nehmen sie dir die Spiegel, dann blenden sie dich!
NARAYANA: Vielleicht brauche ich keinen Spiegel. Spiegel lügen, nicht wahr? Vielleicht braucht ein Mensch Scheuklappen, um sich auf die wesentlichen Dinge konzentrieren zu können.
NATARAJA: Die da wären?
NARAYANA: Zufriedenheit. Normalität. Einen Platz zu finden und ihn auszufüllen.
NATARAJA: Dich zurecht erziehen lassen, bis du in eine Lücke passt, die sie dir gelassen haben. Du wirst nicht gebraucht, du wirst nur geduldet. Du wirst nicht wahrgenommen, allerhöchstens wirst du vielleicht belächelt. Sie wollen dir das Gefühl geben, Macht zu besitzen. Sie geben dir Rechte und jubeln dir gleichzeitig Pflichten unter. Verweigere die Pflichten! Weise die Verantwortung zurück! Nimm keine Schuld an! Und pfeif auf die Zugeständnisse!
Keine deiner Meinungsäußerungen kann die Welt verändern. Eine Meinung ist keine Waffe, sondern ein Ventil, das deinen gerechten Zorn abschwächt. Dein Körper ist deine Waffe, dein Hunger ist, was sie unter Druck setzt – nicht deine Worte. Ein Mensch, der sich dem Kampf entzieht, ist ein größerer Held als der Diplomat, der seine Hoffnungen verrät! Zu verschwinden ist eine größere Leistung, als sich von der Aufmerksamkeit der tumben Massen zu ernähren.
NARAYANA: Man kann Menschlichkeit nicht durch Selbstentmenschlichung erreichen.
NATARAJA: Selbstentmenschlichung ist das einzig menschliche, was man in einer unmenschlichen Welt tun kann, ohne sein Integrität zu verlieren!
NARAYANA: Aber dann bist du ja nicht besser als diejenige, gegen die du dich wendest.
NATARAJA: Und so wende ich mich auch gegen mich selbst.
NARAYANA: Du bestrafst dich dafür, dass du andere bestrafst?
NATARAJA: Hat nicht jede Tat und jede Unterlassung es nötig, gesühnt zu werden? Jeder Einfluss, jeder Effekt ist eine Gewalttat gegen etwas oder jemanden. Jede Handlung verändert und zerstört das Werk eines anderen. Jede Entscheidung vernichtet hundert Ideen.
NARAYANA: Und doch drängst du mich, mich endlich zu entscheiden...
NATARAJA: So wie Schrödingers Katze sich letztendlich entscheiden muss!
NARAYANA: Die Katze entscheidet sich nicht. Die Katze handelt nicht. Sie ist das Objekt in ihrer Geschichte, ich aber sollte eine Hauptperson sein.
NATARAJA: Ich finde, du wirkst sehr blass. Und immer blasser je mehr deine Zweifel deine Überzeugungen zerfressen. Hauptperson zu sein erfordert etwas mehr innere Stärke, weißt du? Hauptpersonen laufen hocherhobenen Hauptes in ihr Verderben und fristen nicht ihre Tage in einem beengten, grauen, Krankenzimmer, bewegen sich kaum, reden kaum, warten nur darauf, dass jemand ihnen ein Stichwort gibt. Ich frage mich, was du eigentlich denkst, wenn du gerade nicht auf mich reagieren musst. Wie leer bist du abgesehen von mir? Was ist da noch? Du höhlst dich selbst aus mit jeder Minute, die du nicht weiß, welchen Weg du einschlagen willst. Wen willst du töten? Dich oder mich?
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top