Teil 38

Der restliche Tag vergeht wie im Flug und schon befinden wir uns samt unserer Koffer auf dem Weg ins Krankenhaus, um Theresa abzuholen.

"Bitte warten sie hier." weist Alexander den Taxifahrer an und betritt das Gebäude, ich ihm dicht auf den Fersen. Schon komisch, dass Theresa noch nicht hier draußen ist, doch vielleicht muss sie noch auf irgendwelche abschließenden Ergebnisse warten, oder hat schlicht die Zeit vergessen.

Doch als wir in der Traumatologie eintreffen sieht uns Schwester Birte mit großen Augen an.

"Ist Theresa noch auf ihrem Zimmer?" erkundigen wir uns fröhlich, während ich schon auf die Tür zu Zimmer 404 zugehe, wohin Theresa nach drei Tagen auf der Intensivstation zurück verlegt wurde.

"Nein." runzelt die Krankenschwester, die mich vor einer Woche angerufen hat, die Stirn. "Haben sie sie denn nicht schon vor zwei Stunden abgeholt?" wundert sie sich, was mir das Blut in den Adern gefrieren lässt.

"N..nein." stottere ich erschreckt und fahre fassungslos zu ihr herum; starre sie an. Das kann doch jetzt nicht wahr sein! Nicht, nachdem wir es bis hier her geschafft haben!

"Ist sie allein zum Ausgang gegangen?" will Alexander um Beherrschung bemüht wissen, doch sehe ich deutlich die Pulsschlagader an seinem Hals pulsieren.

"Ja, das ist sie. Sie sagte, sie würden sie abholen." sagt Birte verwirrt und blickt entschuldigend zwischen uns hin und her.

"Wirkte meine Mutter irgendwie anders?" ist Alexanders nächste Frage, die die Schwester mit einem erneuten "Nein." beantwortet.

"Sie war fröhlich, hat mir erzählt, wie glücklich sie ist, dass sie sich um sie Sorgen." zuckt sie ratlos mit den Schultern. "Hätte ich gewusst, dass sie gar nicht kommen, dann..."

"Schon gut." winkt Alexander resolut ab, während ich wie erstarrt auf das Gespräch lausche.

Ein mulmiges Gefühl macht sich in meinem Bauch breit; lässt meine Nerven flattern, meine Hände zittern. Selbst meine Beine werden ganz weich, als mir der Gedanke kommt, dass Theresa freiwillig zu Benno zurückgekehrt sein könnte.

Und das nachdem, was er ihr und auch mir angetan hat. Wie kann sie nur?! Und das auch noch FRÖHLICH?!

"Auf Wiedersehen!" packt Alexander mich plötzlich fest an der Hand und zerrt mich hinter sich her; dem Ausgang entgegen.

Wortlos stolpere ich ihm nach und kann keinen klaren Gedanken fassen. Immer wieder drehen sie sich um die Frage, wie Benno hier her kommen konnte, wie er unbemerkt mit Theresa verschwinden konnte und am meisten frage ich mich, wie er sich mit ihr verabreden konnte.

Oder hat er das gar nicht? Hat er sie vielleicht einfach hier abgepasst? Wollte Theresa einfach nur draußen auf uns warten. In der Sonne? Und nicht in dem stickigen Krankenhauszimmer? Und dann hat er sie gesehen und entführt?!

"Baby, ist gut!" zieht Alexander mich an seine Brust. Versucht mich zu beruhigen, als ihm meine stille Panik auffällt, die mich zum Zittern bringt. "Wir finden sie. Verlass dich drauf." versucht er die Ruhe zu bewahren, doch ist er reichlich blass um die Nase.

"J...j..aa." presse ich heiser aus meinem Mund. "Wwir ffinden sie!" stotternd sehe ich ihm in die Augen und schluchze kurz verzweifelt auf. Doch darf ich mich nicht gehen lassen. Ich muss mich zusammen reißen. Darf nicht vergessen...egal wie schlimm es für mich auch ist, für Alexander muss es noch tausendmal schlimmer sein.

Immerhin geht es hier um seine Mutter die verschwunden ist!

"Du hast Recht." sage ich zittrig und atme tief durch, wische mir mit einer energischen Geste die Tränen aus dem Gesicht und drücke aufmunternd seine Hand.

"Ich ruf sie jetzt an. Vielleicht hat sie ihr Handy ja dabei." kommt mir der rettende Gedanke, doch als hätte ich es geahnt, geht sie nicht dran.

"Und?" fragt Alexander angespannt und schließt gequält die Augen, als ich den Kopf schüttel. Wenn Theresa nicht an das Telefon geht, das Alexander ihr schon am ersten Tag geschenkt hat, so ist das nicht gerade ermutigend.

"Lass uns zu eurem Haus fahren." schlage ich unbehaglich vor. Ich hatte so gehofft, diesen Ort nie wieder sehen zu müssen, doch wo sonst sollten wir mit der Suche nach Theresa beginnen. Ist es doch der einzige Anhaltspunkt, den wir haben.

"Ist gut. Auch wenn ich nicht glaube, dass er sie dort hingebracht hat." zweifelt Alexander an meinem Vorschlag, öffnet mir aber schon die Tür zum Taxi und teilt dem Fahrer die Adresse mit.

Auf der Fahrt rufen wir bei der Polizei an, doch versuchen die uns zu beruhigen, obwohl wir ihnen die Sache mit Benno erneut darlegen, aber sollte sie freiwillig mit ihm gegangen sein, können sie nichts tun. Außer ihn zu verhaften, doch suchen sie ihn ohnehin schon.

Schweigend sitzen wir eng aneinander gekuschelt im Taxi auf der Rückbank und malen uns jeder für sich das Schlimmste aus. Wobei gekuschelt sich so heimelig anhört. Vielleicht klammern wir uns eher verzweifelt aneinander fest, um den Halt nicht zu verlieren, doch macht das wohl keinen Unterschied.

Wobei für mich das Schlimmste Theresas Leiche ist, die wir in ihrem Haus liegend vorfinden, oder Benno, der über ihrer blutüberströmten Leiche steht und sich ins Fäustchen lacht. So wie vor einer Woche, als er mir mit Bestimmtheit versicherte, das Theresa zu ihm zurückkommen werde.

Hat er Recht gehabt? Frage ich mich immer wieder. Wird sie freiwillig zu ihm zurückgegangen sein? Oder hat er sie entführt? Hält er Theresa womöglich sogar irgendwo gefangen?

Noch gestern hat sie mir gesagt, wie sehr sie sich darauf freut mit uns von hier weg zu gehen. Weg von Benno, von all den schrecklichen Erinnerungen, die sie mit ihm verbindet.

NEIN! Ich will nicht glauben, dass sie uns belogen hat! Wenn sie bei Benno ist, dann nur, weil er sie entführt hat. Weil er sie irgendwo festhält. Nur deshalb kommt sie nicht zu uns oder geht an ihr Telefon, einfach, weil sie es nicht mehr hat und weil er sie eingesperrt hat.

Wie sehr ich mir in diesem Moment wünschte, ich hätte Alexander nicht davon abgehalten seinen Vater zu Tode zu prügeln, auch wenn ich froh bin, dass sein widerliches Blut nicht an Alexanders unschuldigen Händen klebt.

An den Händen, die kalt und schwitzig in meinen liegen, die leicht Zittern und mit denen er versucht mir Halt zu geben und selbst Ruhe zu bewahren, so wie ich ihm versuche Zuversicht zu vermitteln.

Als das Taxi wenige Minuten später vor dem Haus hält sieht Alexander mich beruhigend an, streicht sanft mit seinem Daumen über meine Wange und drückt mir einen Kuss auf die Lippen.

"Ich bin gleich wieder da." sagt er mit belegter Stimme und wirft dem Eingang einen unergründlichen Blick zu. Ganz so als würde er sich fragen, ob er dort wirklich hineingehen sollte, oder ob er mich hier allein lassen kann. Und er scheint sich auch zu fragen, was ihn diesmal dort erwarten wird. Was ich nur zu gut verstehen kann, nachdem, was er beim letzten Mal mit ansehen musste.

Meine Hand, die ich an seinen Hals lege, den Daumen auf seinen Lippen zittert leicht, doch ist der fliegende Pulsschlag, den ich in meiner Handinnenfläche spüre, nichts im Vergleich zu dem meinen.

Mein Herz scheint stillzustehen. Scheint sich nicht zu bewegen zu wagen. Als hätte es Angst, wenn es schlüge, könnte jemand kommen und es anhalten.

"Geh schon. Ich komm schon zu recht." sage ich tapfer, dabei ist es das Letzte was ich will. Ich will nicht hier allein bleiben! So dicht an diesem Haus, in dem ich fast gestorben wäre. So nah an der Person, die mich versucht hat zu töten und dabei bin ich diesmal nicht mal allein, denn der Taxifahrer wird bei mir sein und so nicke ich ihm zuversichtlich zu, küsse ihn fest auf die Lippen und schiebe ihn dann sanft auf den Eingang zu, der am Ende des Gartenweges auf ihn wartet.

Eigentlich will ich ihn nicht allein gehen lassen, doch irgendwie bringe ich es nicht fertig mit ihm zu gehen.

Kurz schließt Alexander die Augen, atmet beherrscht durch, dann geht er entschlossenen Schrittes auf das Haus zu. Während ich mich Haltsuchend an das Taxi lehne und mit jedem Schritt, den sich Alexander weiter von mir entfernt nervöser werde.

Mein Herz, dass noch vor wenigen Augenblicken beinahe still gestanden hat pumpt mit jedem Schlag, das es tut, mehr Blut durch meine Adern. Unangenehm rauscht es in meinen Ohren und bringt meine Hände zum Zittern, meinen Puls zum Rasen.

Alexander hat erst die Tür erreicht; die Hand auf der Klinke und drückt sie hinunter. Ich hoffe...ich fürchte...ich wünschte sie würde sich nicht öffnen, doch das tut sie.

Und als ich sehe, wie Alexander das Haus betritt und meinen Blicken entschwindet, ist es um meine Beherrschung geschehen.

So sehr wie ich nicht das Haus betreten will, so sehr will ich auch nicht ohne ihn sein. Nicht so nah an seinem Vater, so nah an all dem, was in der letzten Woche geschehen ist und so stoße ich mich vom Taxi ab und renne auf wackeligen Beinen den gepflasterten Weg entlang zum Haus. Stoße die Tür auf und sehe mich hektisch um.

Wo ist er nur so schnell hin?!

Er muss gerannt sein! Nur wohin?! Soll ich rufen? Oder lieber nicht. Würde ich die Aufmerksamkeit auf mich ziehen, wenn ich es tue oder würde ich sie auf Alexander lenken, wenn ich mich zu erkennen gebe.

Ich bleibe still. Atme hektisch ein und aus, fühle meinen Puls rasen, meine Beine zittern, das Adrenalin durch meine Adern schießen.

Ich lausche. Stehe da und höre nichts. Nicht einen Laut. Dafür ist es viel zu laut. Zu laut in mir. Alles ist in Aufruhr. Mein Puls, mein Herz, meine Gedanken und meine Angst.

Panik frisst mich auf! Lässt mich wie angewurzelt auf der Stelle verharren und zieht mich dennoch weiter. Lässt mich die Treppe nach oben steigen, rechter Hand den Flur entlang gehen und vor der Bürotür verharren.

So nah am Ort des Angriffs, so nah an dem Ort, wo ich beinahe gestorben wäre, so nah an Benno, wage ich kaum zu Atmen; gebe keinen Laut von mir, dafür höre ich jetzt endlich etwas.

Stimmen. Leise. Schluchzend. Flüsternd. Erstickt.

Eine Frau und ein Mann. Mehr?

Erneut lausche ich den Geräuschen, halte die Luft an. Drücke leicht die Tür auf, die nur angelehnt ist und atme erleichtert auf. NEIN! Nur zwei Stimmen keine drei! Stockend trete ich in den Raum und sehe, kaum dass ich an dem kleinen Sideboard, welches gleich neben der Tür steht, vorbeitrete, zwei Menschen auf dem Boden knien.

Alexander hält seine Mutter im Arm, die schluchzend ihren Kopf an seine Schulter gelehnt hat und erstickt vor sich hinmurmelt.

Erst kann ich sie nicht verstehen, doch dann werden ihre Worte deutlicher, gefasster, ruhiger.

"Es ist weg." schnieft sie ein ums andere Mal, wobei ihr Tränen übers Gesicht laufen, als sie dieses von Alexanders Schulter nimmt "Es ist WEG. Er hat es mitgenommen."

"Was denn, Mum? Was hat er mitgenommen?" will Alexander flehend wissen, wobei seine Stimme ebenso erleichtert wie verzweifelt klingt.

"Das Medaillon." schluchzt sie erneut auf und deutet zum Safe, der noch immer offen steht, vom Bild nur mäßig bedeckt. "Ich wusste nichts von dem Safe, aber es muss da drin gewesen sein. Ich habe überall nach dem Anhänger gesucht, nur dort nicht." erneut stößt sie den Finger in Richtung Wand und bricht wiederrum weinend an Alexanders Schulter zusammen, doch mir fällt ein Stein vom Herzen.

Sie scheint, außer dass sie weint, in Ordnung zu sein. Die blauen Flecken in ihrem Gesicht sind die Alten, die langsam grünlich werden. Die schwächer ausgeprägten sind schon bräunlich und andere, kleinere, ganz verblasst. Ihr gebrochener Arm steckt natürlich noch im Gips, doch sieht dieser aus wie gestern.

Nichts deutet darauf hin, dass ihr etwas fehlt, oder das sie gewaltsam hier her gezerrt wurde. Gegen ihren Willen, doch frage ich mich, was sie dann hier macht.

Scheinbar fragt sich Alexander dasselbe. "Warum hast du nicht im Krankenhaus auf uns gewartet?" fast er sie an den Schultern und schiebt sie leicht zurück, sieht ihr in die Augen und wischt ihr zart eine Träne aus dem Augenwinkel, der von Falten durchzogen ist und ihrem Gesicht eine sanfte Wärme verleiht.

"Ich kann nicht ohne die Kette gehen." schluchzt sie verzweifelt. "Sie ist alles, was ich noch habe. Alles, was mich hier gehalten hat. Ich kann nicht ohne die Kette gehen." wiederholt sie ihre Worte.

"Aber warum hast du denn nichts gesagt?" seufzt Alexander verzweifelt auf. "Du hättest doch nicht herkommen müssen."

"Ich wollte nicht, dass ihr...das Emely noch mal hier herkommen muss." hebt sie das erste Mal den Blick und sieht mich entschuldigend an. Alexanders folgt dem ihren und als er mich sieht, weiten sich erschreckt seine Augen, scheint sich zu fragen, was ich hier tue. Auch ich frage mich das, doch gehe ich zielstrebig auf ihn zu, als er die Hand in meine Richtung ausstreckt.

Zitternd knie ich mich neben ihn, schmiege mich an seine andere Schulter, während er seine Mutter warmherzig anlächelt. "Du hättest nicht herkommen sollen." sagt er erneut, legt eine Hand an ihren Hinterkopf und drückt ihr einen Kuss auf die Stirn, dann lässt er sie los. Sieht ihr zuversichtlich in die Augen, während er sanft meinen Rücken streichelt und mir die Panik nimmt, die mich, seitdem er das Haus betreten hat fest in ihren Krallen hielt. "Emely hat das Medaillon seit jenem Tag, als Benno..." beginnt er, bricht jedoch ab, als er merkt, wie ich mich in seinen Armen versteife; zu zittern beginne.

"Du hast das Amulett?!" wendet sich Theresa direkt am mich; ungläubig, erfreut. Legt fest die Arme um meinen Hals, schluchzt überglücklich auf und beginnt meine Wange und meine Stirn mit Küssen zu überhäufen, als ich nicke. So überwältigt ist sie.

"Wir wollten es dir heute geben, als Entlassungsgeschenk sozusagen." klärt Alexander sie auf. Legt seine Hand begütigend auf ihren Arm, der noch immer fest um meinen Hals liegt, was sie ihren Griff lockern lässt.

"Ich weiß gar nicht was ich sagen soll!" schlägt sie sich überwältigt die Hand vor den Mund. Abwechselnd sieht sie uns an, dann steht sie mit einem tiefen Atemzug auf. "Lasst uns hier verschwinden. Wir waren länger als nötig an diesem Ort." einladend hält sie uns die Hände hin, die wir ergreifen und aufstehen, doch als ich aus dem Büro trete und den Blick flüchtig Richtung Schlafzimmer richte, lasse ich ihre Hand los, wende mich dem Ort zu, der mir noch immer schlaflose Nächte bereitet.

"Geh schon vor." bitte ich Theresa, doch schüttelt sie verneinend den Kopf, bleibt jedoch an der Treppe stehen, während Alexander mir folgt.

Auch seine Dämonen scheinen gewaltig zu sein, als wir Hand in Hand vor der Tür stehen.

Unsicher blicken wir uns an, dann fasse ich beherzt nach der Klinke und stoße die Tür auf. Ein unangenehmes Gefühl macht sich in meinem Bauch breit, krallt sich in meinen Eingeweide und lässt Übelkeit in mir aufsteigen, als ich das Bett sehe, die Bilder, die sich in meinen Erinnerungen eingebrannt haben wieder in mir aufsteigen.

Dennoch betrete ich den Raum, doch weiß ich nicht, was ich erwartet habe.

Das Laken vom Bett wurde entfernt, aber es sind noch immer bräunliche Flecken auf der Matratze zu sehen, dort, wo das Blut aus meiner Nase und meiner Lippe sie durchtränkt haben. Auf dem Boden daneben, wo Benno gelegen hat, ist aus dem Teppich etwas herausgeschnitten worden, doch befinden sich auch bräunliche Flecken seitlich am Holz des Bettes.

Abdrücke von Händen; deutlich sichtbar auf der rechten unteren Ecke der Matratze. Eingetrocknete Blutflecken über den Teppich getropft Richtung Tür. Von mir sind sie nicht. So doll habe ich nicht geblutet, als ich ging. Also müssen sie von Benno sein. Man kann leicht seinen Weg verfolgen, den er genommen haben muss und dem ich jetzt verfolge, wo ich die Spuren vor mir sehe.

Spuren, denen ich vorher keine Beachtung geschenkt habe. Tropfen um Tropfen folge ich dem Weg ins Bad, wo überall Blutflecken sind. In der Dusche, am Waschbecken, doch finden sich sonderbarerweise auch Haare dort, von denen ich mich frage, woher sie stammen. So sind sie mir doch nicht aufgefallen, als ich nach dem Anhänger gesucht habe.

Auch am Spiegelschrank sind blutige Fingerabdrücke, auch wenn das Blut, wie überall, dunkel braun ist und nicht mehr tiefrot.

Ich öffne den Schrank, doch befindet sich nichts darin, was eigenartig ist. Nichts was da nicht sein sollte oder das er nach dem Benutzen zurück gelegt hätte. Sicher hat er was eingesteckt. Dinge die er auf seiner Flucht braucht, doch könnte ich mir vorstellen, dass er jetzt anders aussieht, wenn ich mir die Haare in der Dusche so ansehe.

Noch einmal betrete ich das Büro, während Alexander mir schweigend folgt, mich nicht einen Moment aus den Augen lässt.

Er fragt nicht, was ich tue oder warum ich es tue, er lässt mich einfach und ich hätte es ihm auch nicht sagen können. Ich muss einfach sehen, was er gemacht hat, nachdem wir weg waren. Muss versuchen, zu verstehen, wie er gehandelt hat, doch schien er sehr überlegt reagiert zu haben.

Noch einmal stehe ich vor dem Safe, schaue hinein, doch ist nichts drin, was merkwürdig ist, nur muss er auch hier nochmal gewesen sein, bevor er das Haus verlassen hat, denn selbst hier finde ich kleine Mengen Blut am Rahmen des Bildes und der Tür des Safes, die irgendwie merkwürdig aussehen.

"Lass uns gehen." fasst Alexander sanft nach meiner Hand, zieht mich weg vom Safe, den ich Minutenlang nur angestarrt habe und führt mich die Treppe nach unten. Schweigend steige ich ins Taxi ein. Sitze wie betäubt auf dem Sitz neben Alexander, während uns der Mann zum Flughafen bringt.

Mr. Rigatore wartet, macht ein erstauntes Gesicht, sagt aber nichts, zu meinem reservierten Verhalten oder Theresas verfärbtem Gesicht.

Reicht Alexander nur die Hand und stiegt dann nach uns ein. Schließt die Türen, startet die Maschine und wartet auf die Starterlaubnis.

Wie Tot lasse ich mich in einen der Sitze fallen, schnalle mich an, ziehe die Beine dicht an den Bauch; Schlinge die Arme darum. Lehne den Kopf mit geschlossenen Augen ans Fenster.

Alexanders besorgtes Gesicht entgeht mir nicht, auch seine beruhigenden Worte kann ich hören, doch dringen sie nicht zu mir durch, so dass ich ohne auf ihn zu reagieren an meinem Platz verharre, seine Hand auf meinem Knie, und dem Geruch eines Whiskeys in der Nase, doch steht das Glas unberührt vor mir, wo er es hingestellt hat, nachdem wir gestartet sind.

Auch als der Flieger landet, habe ich noch kein Wort gesagt, doch trägt Theresa inzwischen ihr Willkommensgeschenk... Abschiedsgeschenk... Erbstück... was auch immer um den Hals und wirkt deutlich ruhiger, als ich mich fühle.

Mein Auto steht noch immer in der Tiefgarage des Flughafengebäudes, wo Alexander es mit unseren Taschen und Koffern vollstapelt, nachdem er mich auf den Beifahrersitz geschoben hat.

Beinahe unbeteiligt lasse ich es über mich ergehen und gehe auf seine beruhigenden, besorgten, hilflosen Versuche mich aus meiner Tranche zu reißen überhaupt nicht ein. Viel zu sehr bin ich in meinen Gedanken gefangen. In der Angst, jederzeit und überall von Benno angegriffen, verschleppt und vergewaltigt zu werden, denn der Leere Safe, der sich mir präsentierte war bei genauerem hinsehen nicht so leer, wie ich gedacht hatte, doch wurde mir das erst klar, als ich Minutenlang auf diesen einen, blutigen Punkt gestarrt hatte und den er allein für mich dort zurückgelassen hatte.

Quasi als Drohung. Direkt an mich gerichtet.

Er wollte meinen Tod. Nicht zwangsläufig um mir eines Auszuwischen, sondern schlicht, um seinem Sohn all das zu nehmen, was dieser und auch ich, ihm genommen hatten.

Er wollte seinem Sohn schaden und jetzt, wo er wusste, wie sehr wir uns liebten, hatten wir ihm einen Weg gezeigt, mit dem er Alexander endgültig zerstören konnte. So endgültig, wie ich mich gerade zerstört fühlte, als mir der einzige Weg in den Sinn kam, wie ich Alexander vor der drohenden Katastrophe bewahren konnte.

Ich liebte ihn. Mehr als mich selbst. Mehr als ich es sagen konnte. Für ihn würde ich alles tun. Und wenn das hieß mich von ihm zu trennen, nur um ihn zu schützen, dann würde ich das tun.

Blieb mir denn etwas anderes Übrig?

Ich denke nicht.

Um ihn zu schützen, vor seinem Vater, vor mir, vor dem, was mein Verschwinden, mein Tod oder meine gesundheitliche Unversehrtheit für ihn bedeutete würde ich mein Leben geben und so verschloss ich mich vor ihm. Vor mir selbst. Eigentlich vor allem.

So aussichtslos kam mir alles vor, so alles vernichtend, das ich an nichts anderes, als dieses kleine Zeichen, ein schlichtes, kleines Kreuz, denken konnte.

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3381 Worte
10.12.16

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