Kapitel 1
„Marie, wo zur Hölle bist du?", schrie meine bester Freundin Liz aufgeregt in das Telefon.
Automatisch hielt ich mein Handy etwas weiter von meinem Ohr weg. Ich konnte ja verstehen, dass sie aufgeregt war, aber deshalb musste sie nun wirklich nicht in ihr Handy schreien. Und ich wusste auch, dass ich zu spät zu unserem Treffen war.
Seufzend versuchte ich mich mit dem Blick auf die steile Holztreppe vor mir zu fokussieren. „Ich bin in fünf spätestens zehn Minuten drüben. Ich wollte heute noch das gerissene Reithalfter austauschen und Mama hat die Ersatzteile irgendwo auf dem Dachboden verstaut. Vielleicht finde ich da ja noch einen schönen Strinriemen, oder so für die Fotos!"
„Das wäre Mega, wenn du noch so etwas findest. Ich bin noch nicht dazu gekommen mir einen Neuen zu kaufen. Gestern war ich einfach noch viel zu aufgeregt, Haddy endlich bei mir zu haben."
„Ich schaue mal, aber du kommst jetzt erstmal wieder herunter. Haddy läuft dir nicht so schnell weg und zu putzen haben wir doch bestimmt eh genug!"
„Da hast du Recht. Viva sieht aus wie Schwein."
Sofort musste ich entnervt die Luft einsaugen. Ja sicher! Natürlich. Eigentlich dachte ich es würde sich auf Grund des trockenen Wetters mal in Grenzen halten, aber da hatte ich wohl die Rechnung ohne meine Fuchsstute gemacht.
„Ja, geil.Genau dann wenn wir Fotos machen wollen."
Tief atmete ich durch, ehe ich die Tür zum Dachboden aufdrückte.
Schrappend öffnete sich die schwere Holztür. Die Scharniere ächzten. Der Geruch nach Staub und abgestandener, warmer Luft schlug mir entgegen. Ich konnte im fahlen Licht, dass durch eines der Dachfenster hereinfiel, die Stapel an Schabracken und Decken, eine Box mit Halftern und noch drei weitere Boxen mit Pferdesachen erspähen. Dahinter standen noch alte Möbel, die wohl noch meinen Großeltern gehört hatten. Sie hatten früher in diesem Haus gelebt. Papa hatte viele von den Möbeln mit weißen Tüchern abgedeckt und man konnte lediglich an ihrer Form erkennen was sich wohl darunter verbarg.Als Kind hatte ich oft gedacht dass sich unter den Larken Moster oder Geister versteckten. Selbst jetzt schlug mein Herz immer noch schneller, wenn ich an ihnen vorbei musste.
„Dann wollen wir mal."
Liz seufzte. „Klingt als würdest du länger brauchen als fünf bis zehn Minuten."
Ich wollte gerade zu einer Entschuldigung ansetzten und ihr beteuern, dass ich mich beeilen würde, da sprach Liz einfach weiter.
„Weißt du was? Lass dir Zeit. Dieser süße Springreiter ist auch hier und läuft gerade mit seinem Schimmel zur Halle."
„Wer? Springreiter kenne ich viele, aber süß finde ich keinen von ihnen." Das meinte ich voll und ganz ernst!
Liz stöhnte auf. „Du weißt schon, dieser blonde, große, der bis letzte Woche noch im Stalltrakt gegenüber gestanden hat."
Nö, wusste ich ehrlich gesagt nicht. Schon immer hatte ich mich aus vielem das am Stall war heraus gehalten. Ich hatte meine Leute mit denen ich mich verstand. Leider auch die, die ich mied.
„Aha!", machte ich gedehnt und öffnete die erste Plastikkiste.
Nur Halfter und Führstricke, teilweise noch von Mamas alter Stute Lucky. Kurz strich ich über ein Halfter, das ich besonders mit der Stute verband und versank in einer meiner liebsten Kindheitserinnerungen, in der mein Papa mich auf die langbeinige Braune gesetzte und Mama mich auf ihr geführt hatte.
Liz lief wohl Richtung Halle. „Du weißt nicht wen ich meine?"
„Nein" Ich schloss den Deckel, der transparenten Plastikbox wieder.
Das war typisch Liz. Sie war immer ziemlich gut informiert, was auch daran liegen konnte dass sie bis vor wenigen Wochen noch einige der Verkaufspferde mitgeritten war und mit der Tochter unseres Stallbesitzers, trotz der mindestens achtzehn Jahre Altersunterschied, ziemlich dicke war.
Ich schob die Box beiseite und ging neben der Nächsten in die Hocke. Das Handy mir zwischen Ohr und Schulter klemmend, öffnete ich mit beiden Händen den roten Plastikdeckel.
„Welche Farbe wolltest du Haddie nochmal anziehen? Ich habe hier drei Strinriemen"
„Rot!", kam es von Liz wie aus der Pistole geschossen und ich zog einen dünnen Lederstrinriemen mit roten Strasssteinen aus der Box.
„Dann habe ich einen für dich. Zumindest für heute. Der müsste noch von Lucky sein."
„Geil! Das wird so super aussehen. Ich habe extra die Eskadron, die ich zum Geburtstag bekommen habe mitgenommen. Die wird Haddie so gut stehen!"
„Mhm... Ich muss immer noch ein Reithalfter finden. Ich weiß dass wir noch ein Neues hier irgendwo haben müssen. Mama hatte vor drei Wochen eins mitbestellt, als sie sich eine neue Reithose gekauft hat."
Auch die Kiste schloss ich wieder und schob sie zur Seite. Blieb nur noch die Letzte. Wieder klemmte ich mir das Handy zwischen Schulter und Ohr und lüftete den Deckel.
Endlich wurde ich fündig. Direkt obendrauf lag ein nagelneues dunkelbraunes Reithalfter und schien nur so darauf gewartet zu haben, dass ich es endlich an mich nahm.
„Manchmal bin ich echt etwas neidisch, dass deine Mutter auch reitet. Auch wenn du dir dadurch ein Pferd mit ihr teilst. Meine weiß nicht mal wie man ein Pferd festhält"
Ich richtete mich wieder auf und schloss die Box, nachdem ich das Reithalfter zur Seite gelegt hatte. Die Holzdielen unter meinen Füßen knarzten und ächzten, als ich die Boxen wieder an ihren Platz verfrachtete. Manchmal war es als würde dieses alte Haus mit einem reden wollen.
Plötzlich blitzte etwas im fahlen Licht zwischen zwei Dielen auf. Neugierig ging ich wieder in die Knie und legte mein Handy vor mir auf den Boden. Liz stellte ich auf Lautsprecher und machte die Taschenlampe an.
„Oh man! Der reitet so verdammt gut! Frederike meinte er wäre vor zwei Jahren bei den Europameisterschaften gewesen, aber man kennt ja Freddie, die quatscht viel wenn der Tag lang ist."
Mit den Fingern glitt ich zwischen die Dielen und konnte etwas hartes, glattes erfühlen. Da lag doch etwas zwischen den Dielen, oder vielmehr unter den Dielen.
„Mhm" machte ich, während ich versuchte unbeholfen die Diele anzuheben.
„Aber ey, wenn ich mir das jetzt so angucke könnte das echt sein. Krasser Sprung, den hättest du sehen sollen! Wow! Einfach wow!"
Ich bekam die Diele endlich zufassen. Staub wirbelte mir entgegen, als ich sie hochzog. Augenblicklich musste ich niesen. Staubkörner flogen durch die Luft, wie feiner Glitzer.
„Was machst du? Räumst du jetzt euren Dachboden um?"
„Nein. Quatsch. Hier liegt nur etwas unter einer der Dielen."
„Bestimmt eine Schatzkarte!", lachte Liz.
Neugierig beugte ich mich über das kleine Loch im Boden. Mein Herz pochte aufgeregt gegen meine Brust und ich stellte mir vor was es wohl sein konnte. Liz könnte Recht haben und es war tatsächlich so etwas aufregendes wie eine Schatzkarte oder vielleicht war es auch etwas was die Vorbesitzer des Hauses hier versteckt hatten. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass Oma oder Opa etwas hier oben unter den Dielen versteckt hatte.
Im Schein meiner Taschenlampe wurde ein Buch sichtbar. Der dunkel blaue Einband war abgegriffen und einige der wahlos auf der Vorderseite verteilten Aufkleber pellten sich ab. Es war mir auf anhieb sympathisch, was wohl vor allem an den vielen Pferdeaufklebern liegen konnte.
„Es ist keine Karte, sondern ein Buch"
„Ein Buch? Wie langweilig!"
Gezielt griff ich nach dem Buch und fischte es aus der kleinen Lücke. „Gar nicht langweilig. Das sieht aus wie ein Tagebuch!" Oder wie aus der Wendy.
„Willst du jetzt im Leben von fremden Menschen herum wühlen?"
„Ich will nur mal reinsehen und vielleicht weiß ich dann auch wem es gehört und kann es demjenigen zurückgeben"
„Als ob derjenige noch lebt. Oder hat dein Vater eines seiner alten Tagebücher auf dem Dachboden in einem Geheimversteck vergessen?"
„Keine Ahnung, sieht eher nicht danach aus. Ich tippe aus Pferdemädchen, aber das lässt sich ja herausfinden!"
„Du, mach das mal ohne mich. Hannah kommt gerade. Ich will mal fragen ob es wirklich stimmt, dass Stefanie Jacobsen zurück an diesen Stall kommen soll, oder ob Feddie wieder nur gelabert hat. Bis gleich, dann kannst du mir auch persönlich erzählen was es mit dem Ding auf sich hat."
„Mache ich. Bis gleich" Ehe ich mich versah hatte Liz schon aufgelegt.
Ich musst an mich halten das Buch nicht sofort aufschlagen, aber in diesem Dämmerlicht würde ich wohl nur mit Taschenlampe in der Hand ein Wort entziffern können. Das kam mir aber angesichts meiner Vermutung Respektlos vor. Wenn jemand sein innerstes nach außen gekehrt hatte, dann wollte ich es in Ruhe lesen.
Schnell legte ich das Buch zum Reithalfter und dem Stirnriemen. Mit Mühe legte ich die Diele wieder zurück an ihren Platz. Wie ein Puzzlestück glitt sie beinahe lautlos zurück an in ihre Lücke in der sie schon seit Jahrzehnten lag.
Könnte Liz vielleicht noch etwas warten? Obwohl sie hatte ja schon selbst gesagt ich solle ihr von dem berichten was ich hier gefunden hatte und dafür würde ich wohl hineinschauen müssen. Sie war doch bestimmt mit ihrem Springreiter beschäftigt. Eine halbe Stunde würde ich schon noch haben.
Ich stand auf, klopfte mir den Staub von den Knien und griff mir meine Ausbeute vom Boden. Mit schnellen, aufgeregten Schritten hastete ich die Treppe herunter und in mein Zimmer. Das hatte ich nun wirklich nicht von meinem Dachbodenausflug erwartet.
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