20 - Julia : Schall und Rauch
„O'Reilly kommt nicht. Der Deal ist gestorben."
Max' Worte holten Julia unsanft in die Wirklichkeit zurück. Vergessen war der schöne Moment, als sie und Chris einander in die Augen geschaut hatten. So ein blöder Hund, bahnte sich der Ärger in ihr seinen Weg – die beiden Brüder hatten einen Teil der fürs Geschäft so notwendigen Rücklagen in den Kauf eines Motorrads investiert, und nun machte der Besitzer des Irish Pubs, der es hatte kaufen wollen, einen Rückzieher – von der ganzen Arbeit, die sich Chris gemacht hatte und die nun für die Katz war, gar nicht erst zu reden.
Schall und Rauch: Wieder ein Kandidat, der nur Reden schwang, aber dann keine Taten folgen ließ.
Zuerst Lukas Förster, der ihr das Blaue vom Himmel versprochen, dann aber schnell sein wahres Gesicht gezeigt hatte... Sie konnte sich sein Gelächter, wenn er von dem Flop erfuhr, lebhaft vorstellen – dass er und seine Mischpoke Chris nicht ausstehen konnten, hatte der Typ an ihrem letzten Ausgehabend ja nun allzu deutlich gezeigt. Und jetzt Calum O'Reilly – keinen Fuß mehr würde sie ins Bogside setzen. Halali, der Schuss ins Brötchen - die Jagd ist eröffnet, dachte sie, kurz vorm Platzen.
„Ich glaub, ich steh' im Wald! Warum denn das?" entfuhr es Chris entgeistert. „Der Kerl kann es sich doch nicht einfach anders überlegen."
„Leider aber doch", klärte Max sie auf. „Bei der letzten Inspektion wurde in seinem Laden so einiges beanstandet, und jetzt kommen nicht nur neue Brandschutztüren dazu, sondern er hat auch noch ein Problem mit der Kühlung. Wenn er weiterhin sein 'Guinness Extra Cold' anbieten und nicht riskieren will, dass ihm die letzten Gäste auch noch wegbleiben, muss er eine neue Anlage einbauen – und da ist so eine Harley das letzte, was er gebrauchen kann."
Geschäft geht vor - wollte Max ihnen die bittere Pille auf diese Weise erträglicher machen?
Bei Chris wirkte die Besänftigungstour, nur bei ihr wollte sich das Resultat nicht einstellen. Der Ärger lag zwar nicht mehr wie ein Betonklotz in ihrem Magen, war aber auch noch nicht ganz verschwunden, sondern versetzte ihr Stiche – wie wenn man im Sommer barfuß über aufgeheizte Kieselsteine lief.
Am besten spülte sie das Geröll wie Max hinfort mit dem Whisky, der eigentlich zum Feiern bestimmt war. Trauerfeier mit anschließender Beerdigung Deiner Träume, dachte sie finster.
„Es ist, wie es ist", kam es von Max zurück. „Ich hoffe nur, dass ich schnell einen anderen Käufer finde."
Wie praktisch, dass sie jede Menge Fotos aufgenommen hatten – die konnten sie auch gleich für die nächste Annonce bei Mobile 24/7 verwenden.
Ja,wie überaus praktisch, äffte Julia Max in Gedanken nach, nachdem er sich empfohlen hatte und sie und Chris ratlos zurückließ. Nach dieser Nachricht hatten sie beide keine Ahnung, wie es jetzt weitergehen sollte, falls Max keinen Käufer fand.
„Komm, lass uns mal schauen, was wir bis jetzt haben." war Chris' einziger Kommentar, bei dem sich Julia fragte, ob ihm diese scheinbare Rückkehr zur Tagesordnung nur helfen sollte, sich seine Enttäuschung über das geplatzte Geschäft nicht anmerken zu lassen und den Schock zu verdauen.
Sie konnte nur vage Vermutungen darüber anstellen, was in ihm vorging; das gequälte Lächeln, das er sich abrang und das seine Augen nicht erreichte, sprach für sie Bände, und sie wunderte sich, warum ihr das alles so nahe ging. Aber da Spekulationen und Grübeln ihrer Erfahrung nach zu nichts führten, musste sie zugeben, dass es vielleicht wirklich besser war, wenn sie sich mit dem Sichten der Aufnahmen ablenkten.
Sie nahm noch einen herzhaften Schluck von dem rauchigen Scotch, dann schwang sie sich auf den klapprigen Bürostuhl, den sie eigentlich nach dem Verkauf der Harley hatte entsorgen wollen – ein Vorhaben, das sich genauso in Schall und Rauch auflöste wie der geplante Kauf einer neuen Kaffeemaschine. Hoppla, eine der Rollen stand kurz davor, sich zu verabschieden. Um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, stützte sich Julia irgendwo auf der Tischplatte ab. Ihre Hand berührte die von Chris, als dieser das Laptop startklar machte, und seine Blicke trafen sich mit ihren. Und wieder war es, als stünde die Zeit still.
Wie in einem Déjà-vu dehnten sich erneut die Sekunden zu Minuten, doch diesmal stieß niemand die Tür auf oder räusperte sich verlegen. Da war nichts und niemand, der sie daran hinderte, nun endlich damit fortzufahren, wobei sie von Max unterbrochen worden waren.
Was zwischen ihnen war, hatte nun schon lange genug vor sich hingeschwelt, und es hatte nur noch eine Fotosession gebraucht, um den nächsten Schritt zu wagen. Vergessen waren Laptop, Stuhl und Fotos. Julia und Chris hatten nur noch Augen füreinander und versanken in einem langen, hingebungsvollen Kuss.
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