14 - Julia : Die Maschine - Teil 1


Julia seufzte genervt. Diese Sauklaue ist echt schlimm! Wer soll denn das lesen können? K.Mahoney, K.Mallory, K.Marley... dieses Geschmiere könnte alles mögliche heißen."

Die Unterlagen waren ein einziges Durcheinander, die Steuer machte sich nicht von selbst, und die Kaufabrechnung für die Harley würde dem Finanzamt sicherlich nicht gefallen, wenn weder Name noch Adresse leserlich darauf ausgewiesen waren. Noch lagen sie gut im Zeitplan, aber wenn noch mehr solche Highlights auf sie warteten, sah sie schwarz. Sie würde wohl Max danach fragen müssen. Der hatte die Maschine schließlich angeschleppt, aber der wäre erst wieder am Samstag da.

Eine tolle Aufgabe hatte sie sich mit diesem Chaosbüro aufgehalst. Berge von Papier: Das war keine Zettelwirtschaft mehr, sondern eine ausgewachsene Gastronomiekette. Bildlich gesprochen. Ob das wirklich so eine gute Idee gewesen war, ihren Tätigkeitsbereich auszuweiten? Sie hatte jetzt schon keine Lust mehr, und dabei war erst Montag. Aber à propos Gastronomie. Ein Kaffee wäre jetzt schön gewesen. Während die schwarzbraune Flüssigkeit in der altersschwachen Kaffeemaschine vor sich hin blubberte, ließ Julia ihren Blick durch die Glasscheibe der Trenntür zwischen Büro und Werkstatt fallen.

Da stand die Maschine, an der Chris jetzt schon seit Wochen herumwerkelte. Max hatte sie zu einem Spottpreis erworben. Ein unschlagbar günstiges Angebot, hatte er gesagt; ob das Teil aus einer Konkursmasse stammte oder aus einem Nachlass, entzog sich ihrer Kenntnis, spielte aber auch keine Rolle. Vermutlich war das Bike weit unter Wert zwangsversteigert worden, und so wie sie Max einschätzte, würde er es mit einem satten Gewinn weiterverkaufen, wenn Chris mit seiner Arbeit fertig war.

Ach ja, seufzte sie, manche Dinge änderten sich eben nie. Wozu leider auch gehörte, dass sie nie selbst in den Genuss einer Fahrt darauf kommen würde. Selbst wenn er nur die üblichen Kosten auf den Kaufpreis drauf rechnete, würde die Harley für Julia nur ein Traum bleiben. Ein Traum in Weiß, Rot und Silber, maßangefertigt, für wen auch immer. Wer auch immer sie kaufte, sie hoffte nur, dass es jemand war, der sein Glück zu schätzen wusste, vorausgesetzt, er oder sie wurde beim Kaufpreis nicht übervorteilt.

Aber warum machte sie sich eigentlich Gedanken? Nach ihrer Meinung fragte ja sowieso niemand. Wozu auch? Sie war ja nur das Heinzelmännchen, das für Chris die Werkstatt und neuerdings auch das Büro in Schuss hielt; der blinde Passagier, der nach Entdeckung durch den Werkstattbesitzer seine Überfahrt durch tatkräftige Unterstützung abarbeiten durfte; die Freundin plus des besten Kumpels. Jemand ohne wirkliches Mitspracherecht.

Aber wenigstens hatte sie sich ihren Kram, den Lukas nach ihrem spektakulären Auszug so lange unter Verschluss gehalten hatte, wiederholen können. Nicht, dass ihr Herz an dem Inhalt ihres Kleiderschranks gehangen hätte oder sie ohne ihre Schuhe leben konnte, aber die wirklich wichtigen Dinge endlich wieder bei sich zu haben, ließ sie in gewisser Weise doch ruhiger schlafen. Ihren Fiat, ihren Laptop, ihre CD-Sammlung.

Obwohl es sie wurmte, dass sie Hilfe gebraucht hatte, um ihr gutes Recht durchzusetzen, auch wenn Lukas mit seinen ausgetauschten Schlössern vermeintlich am längeren Hebel saß. Wenn man es alleine nicht hinbekam und das Geld für einen vernünftigen Anwalt fehlte, waren gute Freunde unbezahlbar. Gute Freunde, von denen einer etwas mehr war, und der andere, der sich mit Paragraphen auskannte und Julias Ex darüber erfolgreich aufklären konnte, was ihm zustand und was nicht.

Julia den Zugang zur ehemals gemeinsamen Wohnung zu verwehren, gehörte jedenfalls nicht zu seinen Rechten; genauso wenig wie seinen Freundeskreis dafür sorgen zu lassen, dass sie am Ausgehen keine Freude mehr haben würde; und ihre Freunde einschüchtern zu wollen, schon gar nicht. Einschüchtern zu wollen.... bei diesem Gedanken musste Julia unwillkürlich  grinsen; als ob sich Tim von so einer Nullnummer beeindrucken lassen würde – oder, wie Max diese Pfeife genannt hatte: Pappkamerad!

Ja, diese Bezeichnung traf es ausgezeichnet. Große Klappe und nichts dahinter. Wenn Lukas solche Mätzchen nötig hatte, dann tat er ihr leid. Und diesen Idioten hatte sie mal geliebt? Sie konnte es im Nachhinein kaum glauben, wie sehr sie an ihm gehangen hatte. Liebe machte eindeutig blind. Nie wieder, das schwor sie sich, würde sie ihr Herz noch einmal so verschenken, oder verschwenden – je nachdem, wie man es sah. Dann lieber eine unkomplizierte Freundschaft plus mit jemandem, den sie nur am Wochenende sah und der die ganze Woche über unterwegs war. So konnte sie sich auf ihren Job doch gleich viel besser konzentrieren. Ein Job in einer Werkstatt anstatt in einem Steuerbüro – das hätte sie vor Monaten auch nicht gedacht. Wie so vieles, was seitdem passiert war.

Mit dem angeschlagenen Kaffeebecher in der Hand, schlenderte sie hinüber zur Werkstatt und öffnete die Tür. Die auf Hochglanz polierte Harley schimmerte im kalten Licht der Leuchtstoffröhren. Liebevoll ließ Julia ihre Hand über die Kurven der Maschine gleiten. Es musste herrlich sein, auf ihr zu fahren und sich den Wind um die Nase wehen zu lassen. Sie schloss die Augen und stellte sich vor, wie sie über die Landstraße dahinglitt...

Bisher hatte sie diesen Traum in weiter Ferne schweben sehen, doch nun stand dieser Traum vor ihr, und sie konnte ihn mit Händen greifen. Mehr aber auch nicht, ein Traum würde er so oder so bleiben – schließlich gehörte das Motorrad jemand anderem, und dieser Jemand würde nicht mehr lange warten wollen, bis er sich endlich selbst darauf schwingen konnte, um damit zu fahren. Aber bis dahin...

Bis dahin stand das Bike hier und wartete auf den letzten Schliff, den Chris ihm verpassen wollte. Die ultimative Modifizierung, zugeschnitten auf den Wunsch des Käufers, der schon in den Startlöchern stand und es gar nicht mehr erwarten konnte. Der Käufer, den Max schon an der Angel hatte und der bereit war, jeden Preis für dieses Goldstück zu zahlen. Julia hätte sich am liebsten für Chris gefreut. Eine Maschine günstig zu erwerben und dann gegen einen ordentlichen Aufpreis weiterzuverkaufen – wen hätte das nicht gefreut?

Andererseits - der vierstellige Betrag, für den die Harley unter den Hammer gekommen war, konnte in Julias Augen unmöglich im Sinne der Betroffenen gewesen sein. Wie bei einer Zwangsversteigerung von Immobilien, dachte sie; einer wurde immer über den Tisch gezogen. Dass Max sich darauf eingelassen hatte, fand sie weniger schön. Das Bild, das sie sich von ihm nach Chris' Erzählung über seinen Lottogewinn gemacht  und dem, was er damit angestellt hatte, bekam deutliche Kratzer. Nicht, dass so ein Anzugtyp überhaupt nach ihrem Geschmack gewesen wäre, aber immerhin war er der Bruder von Chris, und der konnte nun wirklich nichts dafür.

Manche Dinge änderten sich tatsächlich nicht so schnell.

Sei's drum, dachte sie, und umkreiste das Motorrad. Ja, wenn Chris mit seiner Arbeit fertig war, würden er und Max jeden Preis dafür verlangen können. Aber warum wurde sie bei dem Gedanken daran so unruhig? Warum ging ihr das so gegen den Strich? Sie wurde das Gefühl nicht los, dass sie entweder Chris falsch eingeschätzt hatte oder die gesamte Situation. Natürlich wünschte sie ihm, dass es mit seiner Werkstatt endlich vorwärts ging. Aber um jeden Preis? Und noch etwas machte sie ganz kribbelig. Schon als sie die Harley zum ersten Mal in der Werkstatt gesehen und von Chris erfahren hatte, wie sie in seinen Besitz gekommen war, hatte sie gedacht, dass sie diese Geschichte schon irgendwann einmal gehört hatte.

Déjà-vu, hatte ihr ein inneres Stimmchen ganz leise und ganz weit aus der Ferne zugeflüstert. Es liegt mir auf der Zunge, doch ich komm nicht drauf... Wie oft hatte sie so etwas schon erlebt? Ach, es war zum Aus-der-Haut-Fahren. Was auch immer dahinter steckte, es würde ihr schon noch einfallen.

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