13 - Lukas : Ohne Spuren


„Von Natur aus war Lara eigentlich nicht so, doch irgendwie habe ich das Gefühl, dass sie schon länger so komisch ist. Gut, sie hatte dieses Jahr einige Aussetzer, aber... "

Nervös rieb Lukas seine kalten Hände. Wie aus Eis, dachte er, aber wäre der Beamte an seiner Stelle gewesen, wäre es ihm bestimmt auch so gegangen. Von jetzt auf gleich war Lara verschwunden. Noch einen Tag vorher hatte sie ihm geholfen bei den Vorbereitungen zu seinem Grillabend, zu dem sie trotz Einladung nicht aufgetaucht war. Grillen an Halloween, sein Stichwort.

Es war ihm egal, was andere dachten, und was war denn auch schon dabei... außerdem tat es nichts zur Sache: Lara war verschwunden, und wenn er sie anrief, meldete sich nur die Mailbox. Wie lange musste man bis zum Aufgeben einer Vermisstenanzeige warten? Lukas hatte keine Ahnung, und es war ihm auch egal. Dem Beamten war er noch eine Antwort schuldig. Stockend beendete er seinen angefangenen Satz.

„.. aber in der Woche vor diesem letzten Abend war sie nicht mehr sie selbst."

Nicht mehr sie selbst. Aber da war sie wenigstens noch da gewesen, wenn auch schweigsamer als sonst. Seinen Witz beim Einlegen der Steaks -Steaks, so blutig, dass man das Muhen noch hören kann - hatte sie nur mit einem müden Lächeln quittiert und sich danach verabschiedet. Sehr neblig war es da gewesen, gut möglich, dass sie vielleicht ihren Weg unterbrochen hatte und in diesen irischen Pub eingekehrt war. In den ging sie manchmal. Ach, hätte er sie doch bloß begleitet! Aber wie hätte er auch wissen können, dass er seine Schwester an diesem Abend zum letzten Mal sehen würde.

Schrödinger schob die Formulare zusammen, nachdem Lukas das Protokoll unterschrieben hatte und gegangen war. Eigentlich kam es gerade an Halloween oft vor, dass manche sich ins Koma feierten und erst Tage später in verkatertem und manchmal auch zerknirschtem Zustand wieder auftauchten, aber angesichts des Serienmörders und die Schlagzeilen über ihn, musste er Lukas Försters Sorge um seine Schwester ernst nehmen.

„The Devil's Party", „Mord an der Uni", „Studentin mit Seidenschal erdrosselt" - gut, dass sie den Irren jetzt hatten. Dass er sicher verwahrt in einer der Zellen saß, hatten sie dem beherzten Eingreifen zweier Gäste aus dem Bogside zu verdanken, die ihn mit Kabelbinder bewegungsunfähig gemacht hatten. Die beiden Gäste aus dem Bogside – bei Schrödinger machte es Klick. Er goss sich noch einen Kaffee ein, dann stattete er seinen Kollegen, die in jener Nacht vor Ort gewesen waren und den Kerl dingfest gemacht hatten, einen Besuch ab. Zehn Minuten später hatte er die Namen: Tim Lorenz und Lara Förster.

Zeit für Schrödinger, diesem Tim Lorenz, der die Vermisste anscheinend als Letzter noch lebend gesehen hatte, so schnell wie möglich auf den Zahn zu fühlen.

Leider hatte die Befragung nicht zu dem gewünschten Ergebnis geführt, und Schrödingers Team hatte den Verdächtigen wieder laufen lassen müssen, nachdem sich herausgestellt hatte, dass dieser ebenso ratlos über Laras Verbleib war wie die Kriminalbeamten. Den Beweis lieferten die wackeligen Bilder der Überwachungskamera: Vor dem Eingang zum Park war Lorenz zu Boden gegangen, Lara hatte ihm aufgeholfen, dann hatte sie sich in den Park hinein gewagt.

Er war ihr erst nach 18 Minuten gefolgt und dann nicht mehr aufgetaucht. So weit die Aufzeichnungen der Kamera vor dem Park – aber im frisch eröffneten Skulpturengarten gab es noch weitere davon, für den Fall, dass Vandalen ihr Mütchen an den Kunstwerken kühlen wollten. Und richtig: Die Kameras hatten eingefangen, wie Tim scheinbar ziellos durch den Park geirrt war, bis er irgendwann die erfolglose Suche nach Lara aufgegeben hatte. Nein, er hatte mit Lara Försters Verschwinden nichts zu tun – die Lösung zu diesem Rätsel lag im Park verborgen.

Sobald es am nächsten Tag hell genug war, durchstreiften Schrödinger und seine beiden Kollegen den Park. Bei der Kopie von Auguste Rodins Meisterwerk „Der Kuss" blieben sie stehen - besser gesagt, bei dem, was davon noch übrig war. Die weibliche Hälfte des Paares, Francesca da Rimini, lag umgestürzt und von Rissen durchzogen am Boden, während ihr Liebhaber, Paolo Malatesta, sich ein gutes Stück entfernt befand. Zu seinen Füßen ein zerschmettertes Tablet und zwischen seinen verkrümmten Fingern ein Damenhandschuh.

Beweisstücke? Nun, man würde sehen. Vielleicht kamen die IT-Experten mit den Trümmern weiter, und wenn dies wirklich Lara Försters Handschuh war, dann würde sich bestimmt ihre DNA an seiner Innenseite finden.

Er hatte den richtigen Riecher gehabt. Ein Abgleich mit der Haarbürste der Vermissten lieferte den letzten Beweis dafür, dass an der zerstörten Statue im Park, besser gesagt bei Paolo Malatesta jede Spur von ihr endete. Der seltsame Fall machte Schlagzeilen und erreichte dank der sich förmlich überschlagenden und reißerischen Darstellungen in der internationalen Boulevardpresse ungewöhnliches Aufsehen jenseits der deutschen Grenzen.

Auf der anderen Seite des Ärmelkanals wurde man bei hellhörig. Wie jeden Morgen auf seinem Weg zu Scotland Yard, holte sich DCI Connelly die Morgenausgabe des Guardian. Stets betrat er noch vor Dienstbeginn sein Büro und ließ sich einen Kaffee bringen, denn diese halbe Stunde am Morgen gehörte nur ihm und der Zeitung, der er sich angeregt widmete; sein eigentliches Interesse galt den Nachrichten aus aller Welt, und sie sparte er sich für gewöhnlich bis zum Schluss auf. Heute jedoch begann er seine Lektüre mit ihnen und traute seinen Augen kaum – ein Viertel der Seite wurde von einer Aufnahme Lara Försters eingenommen, und der Text dazu ließ ihn sprachlos zurück. Konnte es wirklich wahr sein? Seit sieben Jahren schon suchten seine Kollegen vergebens nach Hinweisen auf die Identität der jungen Frau ohne Papiere.

2013 hatten sie sie bei einem dreisten Fall von Einbruch und versuchtem Diebstahl in den Kellergewölben Seiner Lordschaft, Sir Randolph, festgenommen; und seitdem schwieg sie eisern - sowohl darüber wer sie war, als auch über ihren Komplizen, falls sie denn einen hatte.

Connelly hatte einen bestimmten Herrn im Verdacht, aber keinen Beweis. In Deutschland wurde eine Frau gesucht, die der unbekannten Gefangenen zum Verwechseln ähnlich sah? Euphorisch griff Connelly zum Telefon und wählte Schrödingers Nummer. Ganz gleich, was bei dem Gespräch herauskäme, mit einem rechnete er ganz fest: Mit dem Schweigen der seitdem einsitzenden Gefangenen würde es nun vorbei sein.

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