12 - Delia : Oster-Alarm
Zoff mit Delia - früher war sie nicht so gewesen, wenn Chris so zurück dachte - allein schon dieses Theater an Ostern. Ostern..
„Ostern fällt diesmal aus. Wegen Bodennebel!"
Ungläubig schaute Delia Tim an. Aprilscherze zu reißen, hatte ihm noch nie gelegen, aber der hier war an Dämlichkeit kaum zu überbieten. Wo war die versteckte Kamera?
„Mach dich doch nicht lächerlich", fauchte sie.
„Das ist kein Witz, Delia." Tim warf ihr die Zeitung zu. Stirnrunzelnd überflog Delia die Meldungen auf der Titelseite. „Kälteschock in Holland: Tulpen erfrieren in Amsterdam. Massensterben bei den Osterglocken."
Aber diese Nachricht konnte er kaum meinen. Nach nochmaligem Suchen fand sie den Artikel dann doch: „Bistum Mainz sagt Ostergottesdienste ab."
Wegen der Kältewelle? Nein, wegen einer Grippewelle, die alles bisherige in den Schatten stellte, antwortete er, und er zog dabei ein Gesicht, als ob man den Osterhasen selbst zu Quarantäne verdonnert hätte. Klar, bei der Hiobsbotschaft: „Ich bin mit dem LKW unterwegs. Damit die Märkte endlich ihren Klopapiernachschub bekommen. Dieser Monat ist echt für den Allerwertesten!"
Wie passend! Ostern ohne Tim, weil er wegen der blöden Hamsterkäufe jetzt Sonderschichten fahren musste? An Ostern Waren ausliefern... resigniert seufzte Delia, und dabei hatte sie sich so auf ein paar freie Tage mit ihm gefreut. Wegfahren war ja nun gestrichen – nur gut, dass sie noch nichts gebucht hatten.
Und Urlaub in Balkonien konnte durchaus auch etwas für sich haben. Gut, dass sie von der Kältewelle verschont geblieben waren und sie sich an ihrem Garten erfreuen konnte. Dort blühten schon Tulpen, Hyazinthen und Forsythien. Hoffentlich noch lange genug.
Hoffentlich noch lange genug? Zeit, den Garten zu genießen, hatte Delia ja nun ausreichend, und keine Gelegenheit, wenigstens mal für ein paar Tage wegzufahren. Einfach mal raus. Andere haben es da nicht so gut wie wir, dachte sie und hielt im selben Moment inne – denn das mit dem „wir" war auch so eine Sache.
Tims blöde Bemerkungen, wenn sie mal wieder geladen vom Einkaufen zurückkam, weil genau die Artikel fehlten, die sie so dringend brauchten. Wie konnte man nur so sorglos vor sich hin leben? Wie einfach er es sich doch so manches Mal machte: Wie – keine Nudeln? Dann kauf halt Reis oder Kartoffeln. Dreißig Rezeptbücher im Küchenregal, aber keine Ahnung, was Du kochen könntest? Keine Küchenrolle mehr zu bekommen? Irgendwo hab ich noch alte T-Shirts, die Du zu Putzlappen umfunktionieren kannst...
Schön, wenn man einen McGyver im Haus hat, was täte sie nur ohne ihn. Nur beim Toilettenpapier, da gingen dann auch Tim die Ideen aus, was sie statt dessen verwenden konnten. Ein schöner McGyver war das! Delia hätte ihn knutschen können – oder auch nicht, nachdem ihr aufging, dass der Herr zwar an der Quelle saß, aber nicht im Traum daran dachte, von der Fracht heimlich ein oder zwei Pakete für sie beide abzuzweigen.
„Diebstahl", hatte er entgegnet, „kann ich machen, wenn ich riskieren will, in hohem Bogen rauszufliegen."
Mein Gott, wenn das Personal beim REWE sich sein Kontingent sichern durfte, warum dann nicht die Fahrer, die die Ware auslieferten? Aber das war schon immer das Problem mit ihm gewesen, wenn sie so darüber nachdachte. Etwas zu riskieren und sich aus seiner Komfortzone herauszuwagen? No way. Außer in seinem geliebten Fitneßstudio, da war er der große Held.
Inzwischen war auch „der große Held" sauer. Er fragte sich ohnehin schon eine geraume Weile, wie lange das mit ihm und Delia noch gutging. Ihr ständiges Genörgel und dann das – „Mach dich doch nicht lächerlich, Tim" - ihn so anzufauchen, als er ihr schonend beibringen wollte, dass es mit dem verlängerten Wochenende nichts werden würde. Okay, vielleicht hätte er den blöden Witz vom Bodennebel zu Ostern besser bleiben lassen sollen, aber rund um die Uhr LKW zu fahren anstatt mit seiner Süßen das warme Wetter und den Sonnenuntergang am See zu genießen, trug nicht gerade zur Verbesserung seiner Stimmung bei. Rausgehen sollten sie ja auch nichtmehr.
Aber wenigstens hatte er seinen Job noch. Schließlich mussten die ganzen ALDIs, LIDLs, EDEKAs und REWEs mit den händeringend gesuchten Artikeln beliefert werden. Da war Home Office, so wie bei Delia - oder besser gesagt, mit ihrem Onlineshop - nicht möglich. Das Zeug beamte sich halt nicht auf Knopfdruck oder von alleine in die Märkte. Seinen flapsigen Spruch von dem Monat, der für den Allerwertesten war, hatte Delia nicht lustig gefunden – Tim dagegen ihre Idee, bei dieser Gelegenheit gleich ein paar Pakete abzuzweigen, noch viel weniger.
„Klar, Süße, kann ich machen, wenn ich Bock darauf hätte, aus meinem Job zu fliegen!", hatte er genervt ausgerufen. Klauen ging gar nicht,und Diebstahl stand auf der Liste der Kündigungsgründe ganz oben. In so einem Fall war fehlendes Klopapier noch ihr geringstes Problem – dann konnten sie sich mit seinen Papieren den Hintern abwischen. Und wenn sie rund um die Uhr aufeinander hockten, gingen sie sich gegenseitig ja auch überhaupt nicht auf den Keks... aber diese sarkastische Bemerkung schluckte Tim lieber hinunter.
Als ob ich nicht längst selbst auf die Idee gekommen wäre und gefragt hätte, dachte er. Die Antwort hatte Nein gelautet – wo kommen wir denn auch hin, wenn es die LKW-Fahrer es jetzt auch noch den Marktangestellten gleichtun, die bereits ihren Teil beseite legen durften, so der Tenor seines Vorgesetzten. Wenn er nach dieser Absage trotzdem zugriff, wusste man doch gleich Bescheid und er wäre geliefert. Doch Delia wollte davon nichts hören, und motzte ihn weiterhin an. Frohe Ostern! Weiß Gott, was ihr diesmal schon wieder quersaß.
Irgendwann war Delia der Kragen geplatzt, und sie hatte Tim rausgeworfen. Na prima – so hatte er sich das Ende ihres Streits nicht vorgestellt. Und was jetzt? In der Fahrerkabine schlafen? Wäre nicht das erste Mal, dachte er. Wenigstens war jetzt Frühling, da würde er schon nicht so schnell erfrieren. Und wenn alle Stricke rissen, zog er halt wieder bei seinem Kumpel Chris ein – der konnte ohnehin jeden Euro gebrauchen, wenn ihm die Aufträge ausblieben.
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