▪️Gefangen▪️

Rick hat mit ein paar Schreien die Wachen zu sich gelockt, zumindest an das Zelt.
Die stehen da jetzt schon seit mindestens zwei Stunden dumm herum.

Eine Frau ist vor ein paar Minuten dazugekommen, sie ist völlig aufgelöst.
Einer der Soldaten war nach einiger Zeit zurück in Richtung Dorf aufgebrochen, um schließlich mit ihr zurückzukehren.
Außerdem begleitete sie noch eine andere, ältere Dame, die auch ziemlich erschrocken dreinschaut.

Nachdem die jüngere der beiden Frauen das Zelt erreicht hatte, ließ sie sich zitternd in dessen Eingang sinken, gefolgt von der alten Dame, die dem Anschein nach beruhigend auf sie einredete.
Wahrscheinlich ist sie die Mutter des Mädchens oder des Jungen, und hatte das Zelt als das ihre identifiziert.

Nachdem sie den Wachen berichtet hatte, wann die beiden zum Zelten losgegangen waren, begannen die Wachen eine - wie sich herausstellte, erfolglose - Suchaktion.
Danach gesellten sie sich ratlos wieder zu den beiden Frauen.

Für Rick wirkt es so, als würden die Menschen am Zelt mittlerweile annehmen, dass die zwei entführt wurden.
Eigentlich wollte er das nicht.
Diesen Umstand konnte er für sich selbst immerhin ausschließen - da war sonst niemand an dem Zelt, außer ihnen.

Für Außenstehende schien das - nach den Schreien des Jungen, die eigentlich von ihm, Rick, stammten - jedoch das offensichtlichste zu sein.

Rick grübelte eher in andere Richtungen nach, aber ihm will noch immer kein plausibler Grund für das Verschwinden der beiden Jugendlichen einfallen.
Es geschah so plötzlich...

Die Wachen beschließen zu warten, bis es hell wird, und dann noch einmal, diesmal gründlicher, nach Spuren zu suchen.
So ziehen sie gemeinsam wieder ab vom Zelt - bis auf die jüngere der beiden Frauen, die sich weigert zu gehen und stattdessen im Zelteingang sitzen bleibt.

~ 🗝️ ~

Auch nach Sonnenaufgang tat sich bei dem Zelt nichts neues, bis auf dass die Frau irgendwann erschöpft im Sitzen eingenickt ist.

Rick verzog sich auf seinen Baum, im Versuch, die kommende Suchaktion auf ein Neues ungesehen zu überstehen.
Zwischen den Blättern hatte er noch ein größeres Sichtfeld, doch auch von dort aus konnte er nichts erkennen, was ihm eine Erklärung für das Verschwinden der beiden liefern konnte.
Und auch die Wachen, die kurz darauf gemeinsam mit der älteren Dame wieder auftauchten, fanden keine Spuren.
Trotz, dass sie sich den kompletten Tag für ihre Suche Zeit nahmen.

Jetzt sind alle wieder vor dem Zelt zusammengetroffen.
Die beiden Soldaten, und die zwei Frauen. Der Ausdruck letzterer wirkt immer verzweifelter, und mittlerweile scheint niemand mehr zu wissen, was als nächstes am besten zu tun ist.

Und dann, gerade als Rick beschließt, vorsichtig wieder von seinem Baum herunterzuklettern und sich aus einer Astgabelung gleiten lässt, sind sie wieder da.

Das Mädchen und der Junge.
Genauso plötzlich, wie sie verschwunden sind. Wie aus dem Nichts heraus.

Vor Schreck rutscht Rick an der Rinde seines Baumes ab, kann sich nicht mehr halten und kracht unsanft auf den Boden.
Panisch späht er durch die Büsche, doch wenn sie ihn gehört haben, schenken sie dem keine Beachtung.

Die Mutter ist vor Schreck aufgesprungen und die alte Frau sieht aus, als bekäme sie gleich einen Herzinfarkt. Und auch die Soldaten starren die zwei Jugendlichen an und achten nicht auf die Geräusche aus dem Gebüsch.

Der Junge hält das Mädchen in den Armen, das ziemlich fertig aussieht. Sie hat die Augen geschlossen und bemerkt die anderen Leute erst gar nicht.
Erst als der Junge sie erschrocken loslässt und zurückweicht, bevor er zwischen der alten Dame, der Frau und den Wachen hin- und herschaut, öffnet sie verwirrt die Augen.

Sie zuckt zusammen, als sie sieht, dass sie nicht wie erwartet mit dem Jungen alleine ist, in ihrem Blick kann Rick selbst von seiner Position aus nackte Angst erkennen.
Was geht da bloß vor sich?

Die Frau hat sich mittlerweile aus ihrer Erstarrung gelöst und stürzt sich auf den Jungen.
Dementsprechend ist er ihr Sohn, schlussfolgert Rick.

Alle anderen haben sich noch immer nicht aus ihrer Starre gelöst.

Das Mädchen steht einfach nur da, mit herabhängenden Armen, den Kopf eingezogen und scheint auf eine Standpauke zu warten.
Wieder fragt sich Rick, wieso.

Leise kann er die Stimmen der mehrere Meter entfernt stehenden Leuten vernehmen.
"Ariu! Wo seid ihr gewesen? Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht!"

Die Mutter von Ariu blickt nun das Mädchen an.
"Was hat das alles zu bedeuten?"

Es sieht nicht so aus, als würde sie das Mädchen fragen, die Frage hängt eher bedeutungsschwer zwischen allen, die in Ricks Sichtfeld liegen.

"Das würden wir auch gerne wissen."
Die Wachsoldaten haben sich ebenfalls wieder gefangen und sehen sowohl Ariu als auch das Mädchen, deren Name noch nicht gefallen ist, grimmig an.

"Wir suchen euch schon seit letzter Nacht. Keine einzige Spur haben wir gefunden. Deine Mutter", der Soldat wendet sich an Ariu, "ist fast wahnsinnig vor Sorge geworden. Und dann taucht ihr einfach wieder auf, ganz so, als wärt ihr nie weg gewesen. Wo seid ihr gewesen? Waren Nachkommen da? Wurdet ihr entführt und konntet fliehen? Redet mit uns!"
Die herrische Stimme schallt zu Rick herüber und wirkt in der stillen, friedlichen Natur viel zu laut.

Ariu setzt zu einer Antwort an, doch das Mädchen unterbricht ihn.
"Nein..."
Ihre Stimme bricht.
Doch anstatt weiter zu reden, hebt sie schließlich zitternd den rechten Arm. Dann schiebt sie sich mit der linken Hand ein Stoffband, dass um ihr rechtes Handgelenk geschlungen ist, weiter den Arm hinauf, sodass ein anderes Band freigelegt wird.

Rick kann es nicht genau erkennen, er ist zu weit von dem Mädchen entfernt, aber es muss wohl irgendeine Bedeutung haben, denn auf einmal reden alle durcheinander, immer fassungsloser.
Ihre Stimmen erheben sich zu erschrockenen Ausrufen, für Rick unverständlich.

Nur der Junge, Ariu, bleibt einigermaßen gelassen, allerdings stellt er sich neben das Mädchen und legt schützend den Arm um sie, wobei er aussieht, als würde er sich am liebsten in den Hintern treten und das Mädchen auf den Mond schießen. Er zischt ihr irgendetwas ins Ohr, woraufhin das Mädchen nur kläglich mit den Schultern zuckt.

Aus den Ausrufen der Erwachsenen kann Rick brockenweise Wörter wie "gefährlich", "Lügnerin", "Verräterin" und "Spionin" hören, die sich wohl auf das Mädchen beziehen.
Es ist Rick ein Rätsel, wieso sie von einem auf das andere Mal so über sie reden.

Dann verstummen die Erwachsenen wieder und zwei der Wachsoldaten treten auf das Mädchen zu, das schon wieder erschrocken zusammenfährt.
Sie packen sie an den Schultern und herrschen Ariu an, dass er sie loslassen soll, was er jedoch nicht tut.
Ein weiterer Soldat reißt ihn von dem Mädchen weg. Dann legt ein Soldat ihr Handschellen an, die er an seinem Hosenbund befestigt hatte.

Die alte Frau sieht das Mädchen wütend an, gleichzeitig meint Rick jedoch auch so etwas wie Enttäuschung in ihrem Blick zu sehen.
Er steht einfach nur da, zur Salzsäule erstarrt und versteht gar nichts mehr.
Fragt sich, was das Mädchen getan haben könnte, um diesen Umgang zu rechtfertigen.
Am liebsten würde er ihr zu Hilfe kommen, aber dann würde er sich verraten. Und vermutlich würden sie mit ihm noch weniger zimperlich umspringen.

"Jenny!"
Ariu stößt einen kläglichen Ruf aus.

Die zwei Soldaten, die sie festhalten, beachten ihn jedoch nicht, sondern heben sie kurzerhand hoch und tragen sie davon.
Einfach so.

Nach einigen Metern dreht sie sich noch einmal um. Wirft Ariu einen Blick zu, den Rick einfach nicht deuten kann.
Und dann fällt ihr Blick auf ihn.

Auf Ricks Gesicht.

Reflexartig duckt er sich, einen leisen Fluch auf den Lippen.
Endlich aus seiner Starre erwacht.
Er kann nur hoffen, dass sie ihn für eine Illusion hält. Oder, dass ihr keiner glauben wird, falls sie doch ein Wort über ihn verliert.

Als er es wieder wagt, zwischen den Büschen hervorzuschauen, sieht er gerade noch, wie Arius Mutter, die alte Dame und der letzte verbliebene Wachsoldat, der Ariu noch immer mit eisernem Griff festhält, aus seinem Sichtfeld verschwinden.
Dann ist wieder alles still um ihn herum.

Verwirrt lehnt sich Rick an den Baum und versucht aus dem, was er gerade gesehen hat, schlau zu werden.

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