▫️Ein Abend zu zweit▫️

Ich klopfe an Arius Zimmertür.

Mein dreiviertels Tag auf der Erde ist eigentlich ganz normal verlaufen, wenn ich meine Unsichtbarkeit als "normal" abstemple.
Nach der Schule bin ich mit dem Bus zu Mia gefahren und habe ihr das Neuste aus Veron berichtet. Dass Ariu Punkte sieht, fand sie genauso verwirrend wie der Richter und ich - aber warum das so ist, könnte uns vermutlich nur Arius Vater erklären.
Nun, der Besuch bei Mia war jedenfalls das bisherige Highlight meines ereignislosen Tages. Umso mehr habe ich mich auf Veron gefreut... Und natürlich Ariu.

Letzterer reißt mich aus meinen Gedanken, als er die Zimmertüre öffnet und den Kopf durch den Türspalt steckt.
"Ah, du bist wieder da!"

Lächelnd lässt er mich in sein Zimmer und wir setzen uns gemeinsam auf sein Bett.

"Ich wollte dir doch mal zeigen, was ein Handy ist!", durchbreche ich die Stille, die sich zwischen uns auszubreiten beginnt.

"Heute hab ich endlich dran gedacht, es mitzunehmen! Hier, schau!"

Ich angele mein schwarzes Smartphone aus der Hosentasche und halte es Ariu hin, welcher es mit großen Augen betrachtet.

"Wahnsinn! Ein Händie! Darf ich mal?",
haucht er ehrfürchtig und berührt mein Handy vorsichtig mit dem Zeigefinger.

Innerlich muss ich grinsen. Ein Mensch, der noch nie ein Handy gesehen hat. Auf der Erde, oder zumindest in Deutschland, wäre das schon sehr absurd.
"Natürlich."

Vorsichtig nimmt er das Handy und wiegt es in seiner Hand.
"Das ist ja total leicht!"

Ich beobachte, wie er mein Smartphone angetan hin und her dreht und jeden Zentimeter in Augenschein nimmt.

"Warte mal kurz."
Ich nehme ihm das Handy aus der Hand und schalte es an, dann gebe ich es ihm zurück.

Fasziniert verfolgt Ariu, wie das Handy hochfährt.

"Ist das deine Familie?"
Er deutet auf den Sperrbildschirm. Offensichtlich hat er mich auf dem Bild erkannt.

"Ja", antworte ich und spüre währenddessen einen kleinen Stich in meinem Herzen.
Aus einer Melancholie heraus habe ich das Familienfoto vor ein paar Tagen als Sperrbildschirm eingerichtet.
Ich weiß nur nicht, ob das wirklich so eine gute Idee war, denn jedes Mal, wenn ich nun auf mein Handy schaue, stimmt es mich traurig.

"Das ist meine kleine Schwester Lucy." Ich deute auf das Mädchen, das neben mir zwischen Mom und Dad steht. "Und das sind meine Eltern", mein Finger zeigt abwechselnd auf die beiden Gestalten, die Lucy und mich flankieren.

"Deine Schwester und du, ihr seht eurer Mutter sehr ähnlich."
Ariu betrachtet weiter das Foto.
"Aber die Augen habt ihr von eurem Vater."

"Hm", mache ich und weiß nicht Recht, was ich darauf erwidern soll. Zum Glück wechselt Ariu selbst schon das Thema.

"Und was kann man damit jetzt alles machen?", fragt er und hält mir erwartungsvoll mein Handy entgegen.

Ich nehme es wieder an mich und halte es so, dass er ebenfalls den Bildschirm sehen kann.
Dann lege ich meinen Zeigefinger auf den Scanner an der Rückseite des Gerätes und erwecke es damit richtig zum Leben.

"So. Schau, du siehst jetzt verschiedene Anwendungen", wende ich mich anschließend wieder an Ariu, der sich tief über mein Handy beugt.

Ich tippe mit dem Finger auf das kleine grüne Telefon. "Hier kannst du andere Menschen anrufen, also wie bei einem normalen Telefon", erkläre ich, und Ariu macht große Augen und nickt stumm.

Nachdem ich wieder im Menü bin, wähle ich andere Anwendungen und versuche, sie ihm irgendwie näher zu bringen.

Mir fällt auf, das das gar nicht mal so leicht ist. Genau wie bei unserem Gespräch über Fernseher verstricke ich mich immer tiefer in Dinge, die Ariu nicht kennt, bis mir auffällt, dass wir schon eine ganze Weile vor meinem Smartphone sitzen.

"Vielleicht sollte ich mich mal ein wenig bremsen. Ich glaube, ich habe dich eh schon genug verwirrt", meine ich beinahe etwas verlegen und sehe zu Ariu.

Seine Augen sind schon fast so groß wie Suppenteller.
"Das kann ja alles!"

Ich runzle überlegend die Stirn.
"Naja, so würde ich es jetzt vielleicht nicht nennen. Es kann viel... aber deshalb beschäftigen sich viele Leute auch ständig damit. Anstelle in der realen Welt zu leben, achten sie fast nur noch auf ihre Handys und sind am laufenden Band damit beschäftigt, ihre Nachrichten zu checken, Spiele zu spielen, ... Es kommt teilweise schon fast einer Sucht gleich."

Scheinbar sagt Ariu das Wort etwas, jedenfalls wirkt er so, als wäre er nun nicht mehr ganz so angetan von meinem Handy. Auch wenn ich das gerade erreichen wollte, um Ariu gleich von Anfang an keine Illusionen diesbezüglich zu machen, habe ich trotzdem den Drang dazu, ihn wieder zu beruhigen.

"Aber keine Angst, solange du das Ding auch mal guten Gewissens beiseite legen kannst, sollte alles okay sein." Ich zwinkere ihm zu und ein Lächeln huscht über seine Lippen, ehe sich wieder ein nachdenklicher Ausdruck über sein Gesicht legt.

"Schade, dass es bei uns so etwas nicht gibt. Händies, Fernsea... Das alles klingt trotz allem irgendwie total cool."

Ich seufze. So etwas hatte ich fast schon befürchtet.
"Nun, ich kann nicht bestreiten, dass es bei dir hier sehr viele Dinge nicht gibt, die bei uns schon längst produziert werden. Aber dafür habt ihr etwas, was bei uns nur selten der Fall ist: eine saubere, schöne Umwelt."

Ariu legt die Stirn noch mehr in Falten.
"Wie meinst du das?"

"Naja, auf der Erde stehen überall Fabriken und verpesten die Luft und" - fast hätte ich den Begriff Autos verwendet - "manche Menschen werfen ihren Müll einfach in die Umwelt.
Wir produzieren zu viel Abfall, Abgase und vieles mehr... Es hat also schon sein Gutes, dass bei dir hier noch so wenig Technologie erfunden wurde."

Wir verfallen in Schweigen.
Ich glaube, Ariu versucht sich gerade ein Bild von der Erde zu machen. Zu gerne würde ich gerade in seinen Kopf blicken können, um zu sehen, was er sich unter meiner Welt vorstellt.
Dann kommt mir eine Idee.

"Wollen wir ein Foto von uns machen?"

Ariu blinzelt mich verständnislos an.
"Damit?" Er deutet auf mein Handy, woraufhin ich nicke.

Ariu zuckt die Schultern. "Okay."

Ich tippe das Kamera-Symbol an und schalte dann auf Innenkamera um, während Ariu mir neugierig über die Schulter sieht. Ich kann nicht widerstehen und fotografiere gleich mal. Bilder mit Überraschungseffekt sehen immer am lustigsten aus. Arius erschrockener Gesichtsausdruck, als plötzlich das Klicken der Kamera zu hören ist, bestätigt meine Gedanken.

"Hey!"

Ich rufe die Galerie auf und das Bild ist wirklich ein Schnappschuss geworden. Arius Augen sind riesig und er sieht zum Schießen komisch aus. Mein Gesicht ziert ein breites teuflisches Grinsen.
Ich wusste ja, was ich gerade vorhatte.
Ariu prustet los, als er das Bild sieht.

"Du hättest mich ruhig vorwarnen können, verdammt!"
Sein Gesichtsausdruck zeigt mir, dass er mir jedoch nichts übelnimmt.

"Neuer Versuch?", schmunzle ich, und schieße noch ein paar weitere Fotos, dann stecke ich das Smartphone wieder weg.

Irritiert sehe ich hoch, als Ariu abrupt aufspringt. Seine Augen leuchten und sein Gesichtsausdruck sagt mir, dass ihm gerade irgendein Gedanke gekommen ist, für den er sofort Feuer und Flamme ist.

"Meinst du, du könntest mich mit auf die Erde nehmen? Wenn du zurückspringst? Nur für einen Tag! Denkst du, dass das gehen würde?"

Ich zögere.
Tatsächlich habe ich auch schon ein paar Mal in die Richtung gedacht. Aber ich weiß nicht, ob es ginge. Und ich weiß auch nicht, ob das so gut für ihn wäre.
In diese Welt zu reisen, die so anders als Veron ist... Und, wenn man von den Nachkommen einmal absieht, so viel gefährlicher.

Also zucke ich mit den Schultern.
"Ich weiß nicht, Ariu... Wie stellst du dir das vor? Meinst du wirklich, dass das eine gute Idee ist? Und was willst du deiner Mutter sagen?"

Der junge Mann verfällt in Schweigen.
Dann erhellt sich sein Gesichtsausdruck wieder.
"Vielleicht... dass wir zelten? Wir können ja auf der Wiese neben Kay ein Zelt aufschlagen und du versuchst darin, mich bei deinem Sprung mitzunehmen? Einen Versuch ist es doch wert! Ich würde wirklich gern einmal deine Welt sehen!"

Arius Augen strahlen mich an, und im selben Moment weiß ich, dass ich verloren habe. Ihm kann ich diesen Wunsch einfach nicht abschlagen.

"Wenn du unbedingt willst - von mir aus. Aber ich kann dir nicht versprechen, dass es klappt!", erwidere ich also, immer noch leicht widerwillig.

Als mir Ariu daraufhin jedoch um den Hals fällt, sind meine Zweifel mit einem Mal weggewischt.

~ 🗝️ ~

Kurz darauf stehen wir unten im Wohnzimmer, in dem wir Manuela vorfinden.

"Mom? Jenny und ich möchten heute zelten gehen. Das geht doch klar, oder? Es ist so schön draußen!"

Ein Blick aus dem Fenster zeigt mir, dass Ariu eine ziemlich abstrakte Vorstellung von schönem Wetter hat. Es schüttet wie aus Eimern.
Auch Manuela scheint es aufgefallen zu sein, denn sie runzelt die Stirn.
"Schönes Wetter?"

Ariu sieht kurz zum Fenster hinüber und verzieht überrascht das Gesicht.
"Oh, vorhin hat noch die Sonne geschienen. Ach, das Wetter bessert sich schon wieder. Das macht uns nichts aus."

Manuela schaut ihren Sohn misstrauisch an, dann nickt sie.
"Wenn ihr heute Nacht beschließt, dass euch das Wetter doch nicht zusagt, habt ihr aber Pech - vor morgen früh lass ich euch nicht ins Haus, klar?", fragt sie scherzhaft.

"Alles klar, Frau Mayer!"

Manuela schüttelt den Kopf und lächelt, was mich zum Grinsen bringt.

"Ach- und heute zieht übrigens Lukka bei uns ein!" Sie wirft mir einen entschuldigenden Blick zu.
"Dir macht es doch nichts aus, wieder bei Lyda zu wohnen, oder?"

"Ähm, nein, passt schon", erwidere ich, merke aber selbst, dass ich mich nicht sehr begeistert anhöre.

Zum Glück verhindert Ariu etwaige Peinlichkeiten, indem er mich die Treppe hoch zum Packen zieht.

Im Anschluss daran brechen wir auf.
Meine Laune bessert sich zusehends, denn der Regen weicht einem leichten Nieseln und nach einigen weiteren Minuten hört es ganz auf zu regnen.

Ariu hat mir eine Taschenlampe gegeben, die einigermaßen hell leuchtet und wir versuchen, nicht über diverse Dinge zu stolpern.

"Deine Mutter heißt Mayer mit Nachnamen?", erkundige ich mich, da mir das vorhin irgendwie aufgefallen ist.

"Ja. Sie hat den Namen meines Vaters nicht angenommen, aber mein Vater hat darauf bestanden, dass ich seinen Nachnamen annehme und wie er "Clavis'" heiße.

"Okay... Wo schlagen wir eigentlich unser Zelt auf?"

Wir haben gerade das Tor passiert, das nach Kay führt und ich habe ehrlich gesagt keine große Lust, unser Gepäck noch viel weiter zu schleppen.

"Vielleicht irgendwo, wo es ein bisschen versteckter ist, damit es nicht gleich jedem auffällt oder ein paar Kinder beim Spielen auf das leere Zelt stoßen?", überlegt mein Begleiter, und wir finden tatsächlich einen Platz, der ein wenig abgelegen, aber immer noch auf der Wiese zwischen Gestrüpp liegt.
Das Zelt müsste dort eigentlich genau hinpassen.

"Gut. Hast du dieses Zelt jemals aufgebaut?"

Ich beäuge das zusammengeschnürte Bündel, das ein Viermannzelt sein soll.

"Ähm... Nein, ehrlich gesagt nicht."
Ariu kratzt sich überlegend am Kopf.
"Aber es gibt ja zum Glück eine Anleitung."

Mit spitzen Fingern zieht er ein vergilbtes, zerrissenes Stück Papier aus einer Seitentasche des Zeltbündels und rümpft die Nase.
Es sieht so lustig und gleichzeitig süß aus, dass ich zu lachen beginne.
Ariu fällt sofort mit ein.

"Na dann! Ich leuchte dir, du hast die große Ehre, das Zelt aufzubauen."

Arius Gesichtsausdruck nimmt eine hilflos-schockierte Form an und ich lache nur noch mehr.

Er nimmt den Plan und dreht ihn in den Händen. "Wie rum hält man das Ding überhaupt?"

Ich nehme ihm die Bauanleitung des Zeltes aus der Hand und gebe ihm dafür seine Taschenlampe.
"Hier, leuchte du mal."

Seufzend beginne ich den Plan zu studieren.
"Bei mir daheim gibt's Wurfzelte... Die sind innerhalb von Sekunden aufgebaut", beschwere ich mich, obwohl ich weiß, dass uns das auch nicht weiterhilft.
Wir müssen uns wohl oder übel mit der veralteten, klassischen Variante abgeben.

Eifrig basteln wir vor uns hin, wechseln uns immer mal wieder mit dem Halten der Taschenlampe und dem Bauen ab, und nach einiger Zeit schlägt Ariu tatsächlich den letzen Hering in die Erde.

"Fertig", jubelt er, "wir haben es geschafft!"

"Ja, wow! Unser erstes, selbst gebautes Zelt! Wahnsinn!", spotte ich grinsend und er stößt mir seinen Ellenbogen zwischen die Rippen.

"Hey! Das ist eine zu würdigende Leistung!" Ariu zwinkert mir zu.

Ich reibe mir meine Seite und zucke mit den Schultern. "Wenn du meinst."

"Wie viel Uhr haben wir denn mittlerweile?"

Ich leuchte wieder auf meine Armbanduhr.
"21.40 Uhr", gebe ich Ariu Auskunft.

Wir versuchen, uns einige Zeit mit dem Essen der mitgebrachten Brote zu vertreiben. Anschließend versuchen wir aus Blättern Papierflieger zu basteln, was uns so semigut gelingt.
Schließlich kommt mir eine Idee, und ich hole mein Handy hervor.

"Wir können die Bilder mal alle anschauen, die wir vorhin geschossen haben."

Ariu rutscht näher zu mir heran und ich rufe die Galerie auf.
Bei unserem ersten Foto fange ich an. Es sieht einfach urkomisch aus. Ariu lacht leise in sich hinein.

"Hey, warte kurz." Ich tippe ein paar Mal auf dem Bildschirm meines Handys herum, bevor ich es sperre und Ariu dann den Sperrbildschirm zeige. Jetzt sind darauf nicht mehr meine Familie und ich zu sehen - sondern Ariu, zusammen mit mir. Uns sieht direkt sein erschrockenes Gesicht entgegen.

Nun prustet er los. "Na super!"
Ich entsperre mein Handy erneut, damit wir die restlichen Fotos auch noch anschauen können. Es sind einige weitere lustige Bilder dabei, aber keines übertrifft das allererste an Komik.
Dann kommt ein Foto, von dem ich mich gar nicht entsinnen kann, es geschossen zu haben. Ich finde es wunderschön.

Zum ersten Mal sieht Ariu nicht direkt in die Kamera, sondern in mein Gesicht. Er scheint in meine Betrachtung versunken zu sein. Mein Gesicht ist von einer leichten Röte überzogen, ich sehe zaghaft mit einem meine Mundwinkel umspielenden Lächeln zu Ariu hoch.

Ich drehe meinen Kopf und sehe Ariu an, denn ich will wissen, was er von dem Bild hält. Er starrt gebannt auf den Bildschirm meines Handys. Ich bin mir sicher, dass er merkt, wie ich ihn ansehe, dennoch wendet Ariu seinen Blick nicht von dem Foto ab.

Schließlich gebe ich es auf und wische einmal über den Bildschirm, um das nächste Foto ansehen zu können. Doch der Bildschirm zeigt kein anderes Bild an. Dieses ist das letzte, das ich geschossen habe.
Ich beiße mir auf die Unterlippe. Arius Schweigen beunruhigt mich. Mein Daumen wandert zum Home-Button, um das Foto von Ariu und mir vorerst vom Bildschirm zu verbannen und diese angespannte Atmosphäre zwischen uns hoffentlich wieder zu vertreiben.

"Nein - warte."
Arius Stimme klingt tief und dunkel und jagt mir einen Schauer über den Rücken. "Ersetz doch unser erstes Bild durch dieses."

Erst verstehe ich nicht, was er will. Dann kapiere ich, dass er meint, ich solle meinen Sperrbildschirm umändern.
Ich tippe wieder auf dem Bildschirm herum, dann zeige ich Ariu jedoch nicht den Sperrbildschirm - da habe ich das Quatschbild gelassen - sondern mein neues Hintergrundbild.
Als ich hochsehe, um Arius Reaktion darauf mitzubekommen, sehe ich, wie ein Lächeln erst um seine Mundwinkel huscht und dann in seinen Augen aufblitzt.

"Schön." Er sieht mir nun direkt in die Augen und jetzt grinst er wirklich. "Wunderschön."

Eine Gänsehaut durchläuft meinen Körper, als zu meinem vernebelten Gehirn hindurch sickert, dass er damit vielleicht - wahrscheinlich - nicht nur unser gemeinsames Foto gemeint hat.

Ich räuspere mich. Mein Hals fühlt sich so trocken wie die Sahara an. Mindestens.

Ariu scheint sich ebenfalls wieder zu sammeln, er blinzelt einige Male, ehe er ein Stück von mir wegrückt. Falls er denkt, dass ich das nicht gemerkt habe, hat er sich geirrt. Am liebsten würde ich ihm hinterher rutschen, aber ich zwinge mich, auf meinem Fleck Wiese sitzen zu bleiben und Ariu etwas Raum zu geben.

"Wie viel Uhr haben wir jetzt?"

Ich sehe ihm an, dass er sich um ein normales Gespräch bemüht.

"22.53 Uhr. Wir haben noch Zeit."
Mir entweicht ein leises Stöhnen - ich kann meine Augen schon jetzt kaum noch offen halten, so müde bin ich. Aber ich muss noch über eine halbe Stunde lang warten, bis ich, mit oder ohne Ariu, nach Hause zurückspringe.

Theoretisch könnte ich ja schlafen, überlege ich, aber dann wüsste ich nicht, wann ich zurückspringe und könnte nicht versuchen, Ariu mitzunehmen.

"Erzähl mir bitte irgendwas spannendes, sonst schlaf ich ein."
Ich gähne und stecke Ariu damit an.

"Was soll ich dir denn erzählen?", nuschelt er und ich zucke nur mit den Schultern.

"Ich bin nicht sonderlich kreativ, weißt du?"

"Ist mir egal."

Ariu lacht. Dann scheint er sich aber tatsächlich einen Ruck zu geben.

"Es gab einmal einen kleinen Jungen. Er war nicht älter als sechs Jahre. Sein Name war Guaniaro", beginnt er leise.

"Seine Eltern nannten ihn liebevoll Sonnenkind, da er sich mit der Sonne verstand, wie mit einer guten Freundin. Er liebte es, draußen zu sein und die Sonnenstrahlen auf seiner Haut zu spüren. Selbst wenn es regnete, schien um ihn herum die Sonne zu scheinen. Seine Eltern ließen ihn gewähren, akzeptierten diese absurde "Freundschaft".

Aber eines Tages waren seine Eltern verschwunden. Guaniaro hatte den Tag liegend auf einer Wiese verbracht, nur in Gesellschaft der Sonne. Zuerst war er traurig, verzweifelt. Er suchte seine Eltern überall, fragte jeden nach ihnen, aber sie blieben verschwunden. Guaniaro wusste nicht, wohin mit der Trauer. Bisher war er immer glücklich gewesen, ihm hatte es an nichts gefehlt.

Die Sonne versuchte, ihn zu trösten, doch er fand keinen Gefallen mehr an ihrem Strahlen. In seiner Verzweiflung ließ er sich vom Mond verführen. Dieser flüsterte ihm schon lange Zeit ein, dass die Sonne an allem Schuld sei. Schließlich hatte sie den Tag mit ihm verbracht, sie hatte ihn davon abgehalten, bei seinen Eltern zu sein.
Er ließ sich auf das böse Geflüster des Mondes ein, und seine Trauer verwandelte sich in Wut. Guaniaro kehrte der Sonne den Rücken zu.

So wurde aus dem Sonnenkind ein verbitterter Junge, der innerlich von Wut und Trauer zerfressen war. Die Sonne zog sich immer mehr zurück - sie war enttäuscht, dass Guaniaro dem Mond mehr vertraute als ihr, seiner treuen Freundin. Denn eigentlich war es der Mond, der für das Verschwinden von Guaniaros Eltern verantwortlich war.
Er wollte, dass Guaniaro sich gegen seine Freundin wendete, um an Macht zu gewinnen, weil er wusste, wie sehr die Sonne Gefallen an dem kleinen Jungen gefunden hatte. Der Mond ahnte, dass Guaniaro ihr schmerzlich fehlen würde, wenn dieser wirklich die Seite wechseln würde. Und so ließ er Guaniaros Eltern verschwinden, als hätte es sie nie gegeben.

Die Sonne verlor ihr helles Strahlen und die Welt wurde in die tiefe Dunkelheit der Nacht getaucht.
Das alles kümmerte den ehemals so lebensfreudigen Guaniaro längst nicht mehr. Denn der Mond hatte mit dem Licht der Sonne auch das Licht aus seinem Herzen genommen."

Arius Blick ist gen Himmel gerichtet. Seine Augen schimmern im Licht des Mondes, und irgendetwas an der Art, wie er diese Geschichte erzählt, bewegt mich tief.
"Das hast du dir nicht erst gerade ausgedacht, oder?", wage ich irgendwann, nachzufragen.

Ariu schüttelt den Kopf.
"Das hat mir mein Vater erzählt, als ich klein war. Er hat gesagt, egal was je passiert, ich solle niemals so werden, wie Guaniaro. Ich solle mich immer daran erinnern, dass die Welt niemals nur aus Schlechtem besteht."

Ich versuche, mich in Ariu hineinzufühlen, weiß aber nicht, ob mir das so wirklich gelingen mag.
"Dein Vater muss ein toller Mann gewesen sein."

Er nickt als Antwort nur, mit den Gedanken immer noch ganz weit weg.

"So wie du es bist."
Eigentlich hatte ich nicht vor, das laut auszusprechen.

Blinzelnd dreht Ariu sich zu mir, in seinem Gesicht steht die Überraschung förmlich in Großbuchstaben geschrieben.
Dann hebt er die rechte Hand und streicht mir sanft über die Wange.
"Danke", flüstert er. "Danke Jenny."

Ich liebe es, wie er meinen Namen ausspricht. Als wäre ich etwas Besonderes. Als -

Stopp. "Liebe!?", kreischt ein Stimmchen in meinem Kopf, doch zu meiner Überraschung wird es beinahe sofort von einer viel kräftigeren Stimme übertönt.

"Gesteh es dir doch endlich ein!", herrscht sie mich aus meinem Kopf heraus an. "Gesteh dir doch endlich ein, dass du in ihn verliebt bist."

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Heyy☺️

Na, was meint ihr?
Haben die beiden Potenzial?:D

Ich hoffe, das Kapitel war nicht zu unspektakulär...
Habt ihr auch schon einmal in die Richtung gedacht, dass Jenny Ariu mit auf die Erde nehmen könnte?

Liebe Grüße und weiterhin ganz viel Spaß beim Lesen,
Elvy

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