▫️Der Auftrag beginnt▫️

Nach etwas über einer halben Stunde hetze ich zum Tor, ich komme ein wenig zu spät. Nachdem ich mich von Lyda verabschiedet habe, vergaß ich ganz, die Uhr im Auge zu behalten.

Ich sehe, dass Ariu schon da ist.
Er steht lässig an die Mauer neben dem Tor gelehnt. Vermutlich umgibt die Mauer das Dorf komplett und dient als grober Schutz dazu, dass man, wenn man nach Kay will, erst das von den Soldaten geschützte Tor passieren muss.

"Hi."

Ariu lenkt meine Aufmerksamkeit wieder zurück auf sich.
Mir fällt auf, dass er andere Jeans trägt. Sein Oberkörper steckt in einer schwarzen Jacke, die ihm, wie ich finde, sehr gut steht.
Ich merke, dass ich ihn vollkommen versunken anstarre und lenke meinen Blick schnell wieder auf Arius Gesicht.

"Äh, hi. Wartest du schon lange? Tut mir leid, ich hab die Zeit vergessen."

Er schüttelt den Kopf.
"Egal. Lass uns gehen. Je früher wir loslaufen, desto eher sind wir wieder da. Hoffentlich."

Wir gehen durch den Torbogen, diesmal lassen uns die Wachen sofort passieren, auch wenn sie mich immer noch misstrauisch anstarren.

"Wo laufen wir jetzt eigentlich lang?", frage ich Ariu.

"Keine Ahnung. Ich dachte, du bist diejenige, die von den Nachkommen kommt." Seine Stimme trieft vor Ironie.

"Haha", brumme ich, bin aber trotzdem ganz froh, dass er mittlerweile Bescheid weiß und ich nicht vorgeben muss, zu wissen, wo wir die Nachkommen finden.

"Okay. Theoretisch könnten sie überall sein, oder? Logischerweise aber nicht zu nah bei Kay, sonst hätten sie euch sicher schon längst gefunden."

Ariu betrachtet mich nachdenklich, dann nickt er.
Spontan entscheiden wir uns, in Richtung Osten zu laufen, Ariu hat in weiser Voraussicht einen Kompass mitgenommen, mit dem wir unsere Richtung von Zeit zu Zeit überprüfen können.
Wenn wir im Osten niemanden finden, können wir zurück nach Kay laufen und eine andere Richtung einschlagen.

Nachdem wir über die Wiese, auf der ich bei meinem ersten Sprung gelandet bin, gewandert sind, blicke ich zurück und kann Kay nicht mehr erkennen. Das Dorf liegt wirklich gut versteckt inmitten von mehreren kleinen Waldabschnitten. Schon kurz hinter der Wiese, auf der ich bei meinem ersten Sprung nach Veron gelandet bin, ist alles wild von Gebüsch überwuchert.
Es wird immer schwerer, sich durch das Gestrüpp hindurchzukämpfen, und sowohl Ariu als auch ich atmen erleichtert auf, als die Pflanzen in unserer Umgebung nach einiger Zeit wieder weniger werden.
Nun kommen wir besser und schneller voran.

Wir laufen schweigend nebeneinander her. Ab und zu kann ich mich nicht mehr beherrschen und beobachte meinen Begleiter heimlich. Ich schaue ihn aus dem Augenwinkel an und immer, wenn Ariu seinen Blick zu mir schweifen lässt, werde ich rot und richte meine Augen schnell wieder auf den Weg vor uns.
Nach geraumer Zeit kommt mir plötzlich ein Gedanke, und ich bleibe abrupt stehen..

"Du, Ariu... Ich glaube ich habe noch gar nicht erwähnt, dass ich nur fünf Stunden am Tag hier in Veron bin...
Von 18.30 bis 23.30 Uhr. Die Wissenschaftler haben die Armbänder so programmiert, dass sie pro Tag immer noch 19 Stunden auf der Erde verbringen würden."

Nach einem kurzen Blick auf meine Armbanduhr füge ich hinzu: "Das heißt, dass ich in einer Dreiviertelstunde wieder nach Hause auf die Erde springen werde."
Ich muss schlucken. Dass die Zeit so schnell vergangen ist, habe ich gar nicht bemerkt.

Ich könnte mich selbst dafür ohrfeigen, dass ich nicht früher daran gedacht habe.
Jetzt, da es mir eingefallen ist, frage ich mich, wie wir unter diesen Umständen unseren Auftrag überhaupt ausführen sollen. Ariu wird 19 Stunden lang auf mich warten müssen, bevor wir dann wieder fünf Stunden laufen können, nur um dann wieder den dreiviertels Tag auf meine Rückkehr nach Veron zu warten.
Das ist etwas... semioptimal.

"Echt jetzt?? Also bedeutet das jetzt, dass du immer um 23.30 Uhr verschwindest und erst um 18.30 Uhr am nächsten Tag wieder auftauchst? Soll ich dann 19 Stunden lang in irgendeinem Busch hocken, mich verstecken und auf dich warten oder wie?"

Ich sehe Ariu an, dass er das als Witz gemeint hat und grinse schief. So falsch lag er da jedoch gar nicht.

"Das wäre wohl das Beste. Ich habe herausgefunden, dass ich an dem Ort wieder auftauche, an dem ich mich vor meinem letzten Sprung aufgehalten habe."

Ariu sieht mich entsetzt an und stöhnt dann entnervt auf.
"Das ist jetzt nicht dein Ernst oder? Wer weiß, wie lange wir unterwegs sein werden! Und ich darf jeden Tag 19 Stunden auf dich warten, um dann fünf Stunden lang mit dir nach dem Lager der Nachkommen zu suchen!"

Natürlich hat Ariu Recht. Er spricht genau das aus, was mir selbst gerade in den Sinn gekommen ist. Mir wird immer klarer, wie sinnlos diese ganze Aktion hier eigentlich ist. In den fünf Stunden pro Tag werden wir nicht wirklich weit kommen. Und an Arius Stelle würde ich verrückt werden, wenn ich jeden Tag 19 Stunden allein irgendwo mitten in der Pampa hocken dürfte.

Zerknirscht und ein wenig schuldbewusst sehe ich ihn an.

"Dann bin ich dafür, dass wir dieses Lager möglichst schnell finden", meint er zu mir, doch ich bringe nur mühsam ein halbherziges Lächeln zu Stande.

"Immerhin weiß ich jetzt Bescheid... Ich wäre ziemlich verwirrt gewesen, wenn du plötzlich verschwunden wärst. Und du kannst davon ausgehen, dass ich mit Sicherheit irgendwann woanders hingegangen wäre."

Allem Anschein nach versucht Ariu, die Sache trotz allem optimistisch anzugehen. Leider fällt mir das etwas schwerer.
Ohne weitere Worte gehen wir weiter.

Nach einiger Zeit sehe ich dann doch wieder einmal auf meine Uhr und packe Ariu erschrocken am Arm.
"In fünf Minuten springe ich zurück! Lass uns einen Platz suchen, an dem du es 19 Stunden lang aushalten kannst."

Ariu nickt schnell und wir schlagen uns durchs Gebüsch um nach einem Ort Ausschau zu halten, der einigermaßen verborgen liegt.

Meine Arme werden von den Dornen zerkratzt. Weil Ariu vor mir läuft, peitschen mir die Zweige ins Gesicht, die er im Laufen auf Seite biegt. Nachdem ich ein paar Mal vor Schmerz kurz aufgeschrien habe, hält Ariu mir die Äste schließlich aus dem Weg.

"Danke", murmele ich leise vor mich hin, und glaube, ein Zucken um seine Mundwinkel zu sehen, als ob er sich ein Lächeln verkneifen würde.

Letztendlich finden wir, ohne uns größere Verletzungen zugezogen zu haben, eine einigermaßen lichte Stelle zwischen den Büschen, die aber durch das Gestrüpp ringsherum trotzdem gut verborgen liegt.
Es riecht nach Harz und Moos.

Ich lasse mich nieder, Ariu setzt sich mir gegenüber und sieht mich abwartend an. Verträumt verliere ich mich in seinen Augen. Wenn mir jemand vor einer Woche erzählt hätte, dass ich bald einem wunderschönen, attraktiven Jungen in einer anderen Welt gegenübersitzen würde, mit dem ich auf einen Spionageauftrag geschickt worden bin, hätte ich mir an die Stirn getippt und bei der Polizei angerufen, um denjenigen in eine geschlossene Anstalt einweisen zu lassen.
Nun aber hocke ich hier und kann es plötzlich gar nicht mehr erwarten, dass die nächsten 19 Stunden vorbei sind und ich wieder hier bei Ariu bin.

Noch ganz versunken bemerke ich, wie auch schon alles vor mir verschwimmt.
Ich höre Ariu nur noch scherzhaft fragen, ob er unser Versteck hier wenigstens verlassen könne, wenn er aufs Klo müsse.
Eine Antwort von mir erhält er nicht mehr.

~ 🗝️ ~

Ich wache davon auf, dass irgendetwas wie blöd auf meinem Nachttisch summt. Das Geräusch erinnert mich an eine dicke brummende Hummel, und noch im Halbschlaf frage ich mich, wie die denn in mein Zimmer gekommen sein könnte. Mein Fenster war die ganze Nacht geschlossen. Doch dann bemerke ich die wahre Ursache des Geräusches und nehme den Anruf an, den mein Handy mir meldet.

"Hallo?", nuschle ich mit belegter Stimme.

"Jenny?" Am anderen Ende der Leitung scheint Mia zu sein.

"Ach du bist's. Warum rufst du mich mitten in der Nacht an? Ich bin doch gerade erst eingeschlafen."

Hinter vorgehaltener Hand gähne ich. Ich habe Mia gestern meine Nummer gegeben, damit wir uns nicht jedesmal treffen müssen, wenn ich ihr etwas erzählen will, oder sie mir.
Jetzt ruft sie mich scheinbar von ihrem altertümlichen Telefon an, das sogar noch eine Wählscheibe hat.

"Ich rufe an, um dich zu wecken! Dein Bus fährt in zehn Minuten! Beeil dich! Nur weil dich keiner mehr sieht, kannst du es dir nicht erlauben, die Schule zu schwänzen! Den Stoff musst du sonst später nachholen!"
Der Ton ihrer Stimme erinnert mich an meine Eltern.

Wieso sorgt Mia sich darum ob ich in die Schule gehe oder nicht? Kann ihr doch egal sein.

Mein Gehirn befindet sich noch im Halbschlaf und arbeitet deshalb ein wenig langsam.
"Häh?"

Ich höre ein genervtes Seufzen.
"Wenn du nicht in die Schule gehst, verpasst du den ganzen neuen Stoff, den deine restliche Klasse durchnimmt."

"Na und?"
Ich kapiere immer noch nicht so ganz, was Mia von mir will. In meinen Augen sieht es so aus, als hätte ich die Wahl zwischen Weiterschlafen und Schule. Die Entscheidung fällt mir nicht wirklich schwer.

"Jenny! Willst du das ganze Zeug nachholen, wenn die anderen dich wieder bemerken? Wie willst du ihnen denn dann erklären, warum du keine Ahnung hast von dem Schulstoff des letzten, sagen wir mal, halben Jahres? Du wirst ewig brauchen, bis du das alles nachgeholt hast!"

"Oh. Stimmt. Scheiße!" Endlich hat mein Gehirn den Schalter von "Nacht" auf "Tag" umgelegt und beginnt zu verarbeiten, was Mia gesagt hat. Bevor ich auflege, bedanke ich mich bei ihr, dann springe ich vom Bett.

Eine leise Stimme in meinem Hinterkopf stellt sich trotzdem eine Frage, die ich verbissen zu ignorieren versuche.
Lohnt es sich überhaupt? Werde ich je wieder gesehen werden?

Als ich außer Atem an der Haltestelle ankomme, ist der Bus gerade eingetroffen, denn alle Schüler drängen sich noch an den Türen. Ich habe es also rechtzeitig geschafft. Erleichtert komme ich sogar relativ früh in den Bus und beschließe zu stehen. Denn man sieht ja weder mich, noch mein Schulzeug, und ich bin nicht gerade erpicht darauf, dass sich irgendjemand auf meinen Schoß setzt.

Es ist stickig und heiß im Bus. Die Luft ist abgestanden, die in Veron war eindeutig besser.
Ich denke an gestern Abend.
Das war alles ganz schön verwirrend.

Ob Ariu wohl eine Freundin hat?

Es würde mich nicht wundern. Ich mag das, was ich bisher von ihm und seinem Charakter mitbekommen habe - und er sieht unbestreitbar gut aus.
Als ich mir vorstelle, wie er mit irgendeinem Mädchen händchenhaltend über die Wiese vor Kay schlendert, spüre ich förmlich, wie sich mein Herz verkrampft. Außerdem habe ich plötzlich den Drang, kräftig gegen den Sitz meines Vordermanns zu treten.
Ich runzle die Stirn.

Warum reagiere ich denn ausgerechnet auf Ariu so?, frage ich mich.
Ich kenne ihn erst seit einigen Stunden. Und Ariu trägt eine Pistole bei sich, um mich damit möglicherweise zu erschießen. Sollte ich da nicht eher Wut, Hass, oder möglicherweise Angst mit ihm verbinden?

Ich stöhne laut auf. Vor einer Woche hatte ich noch Sommerferien. Ich habe meine Großeltern vermisst und hatte ein bisschen Bammel vor der Schule. Ansonsten hatte ich keine besonderen Probleme.
Wenn ich dagegen an jetzt denke...

Ich weiß von einer Art Parallelwelt.
Auf der Erde bemerkt mich keiner mehr, mal abgesehen von einer alten Frau, zähle ich in Gedanken auf.
Meine Familie weiß noch nicht mal mehr, dass es mich gibt.
In Veron bin ich auf einen megatollen Auftrag ausgeschickt worden, der beinhaltet, einen Haufen geisteskranker Mörder auszuspionieren.
Und, da ich mich ja um sonst nichts sorgen muss, fühle ich mich auch noch zu demjenigen hingezogen, der mich auf diesen Auftrag begleiten soll.
Ariu.
Der mich erschießen wird, wenn ich auch nur irgendetwas tue, was ihn stört.
Yippie!

Ich frage mich, ob es denn noch schlimmer kommen kann.
Was habe ich denn bitte verbrochen, dass mich dieses Schicksal ereilt?

Schließlich verbiete ich mir, weiter darüber nachzudenken. Stattdessen durchforste ich meinen Kopf nach anderen Dingen. Mir kommt wieder in den Sinn, dass ich meine Herkunft von der Erde anscheinend mehr schlecht als recht verbergen kann. Ich beginne, mir darüber den Kopf zu zerbrechen.

Wenn Ariu schon gemerkt hat, dass ich nicht von den Nachkommen kommen kann, wer wird es dann noch alles merken? Und wo wird das hinführen?
Und unser Auftrag... Wer weiß, wie der noch enden wird?

In Gedanken zwinge ich mich schon wieder, einen Schlussstrich zu ziehen.

Gibt es denn gar keine harmlosen Themen mehr?

~ 🗝️ ~

In der Schule muss ich feststellen, dass ich die falschen Hefte eingepackt habe. So schreibe ich also Englisch im Matheheft und Physik im Deutschheft mit, da mein Schreibblock natürlich auch zu Hause liegt und mich die anderen aus meiner Klasse nicht hören würden, wenn ich sie nach einem Blatt fragen würde. Daheim muss ich die Einträge dann wohl oder übel nachtragen.

~ 🗝️ ~

"Du solltest das doch alleine durchziehen! Und was machst du? Erzählst gleich dem nächsten Typen, der dir über den Weg läuft, wo du herkommst! Wieso glaubst du eigentlich, dass du ihm vertrauen kannst? Du hast doch selbst gesagt, du hättest diesen Ariu gestern Abend zum ersten Mal gesehen!"

Ich habe gerade Mia den gestrigen Abend geschildert und sie ist fast ausgeflippt als sie hörte, dass meine Herkunft von der Erde mittlerweile auf Veron bekannt ist - wenn auch nur Ariu.

"Ich habe eben das Gefühl, ihm vertrauen zu können!", verteidige ich mich etwas kläglich. Schnell schiebe ich ein paar handfestere Argumente hinterher.

"Er würde sich wundern, wenn ich mich auf einmal wie aus heiterem Himmel in Luft auflöse! Außerdem soll er mich begleiten und er kennt sich in der Gegend um Kay tausendmal besser aus als ich. Ariu kann mich beschützen, und wenn ich ihn nicht dabei hätte, würde ich vielleicht noch nicht einmal diesen Auftrag bei den Nachkommen lebendig überstehen! Es brächte dich und die aus Kay doch auch nicht viel weiter, wenn ich mich dort verirre, verdurste oder von irgendjemandem umgebracht werde, oder Mia?"

Schon der Gedanke daran, alleine die Nachkommen ausspionieren zu müssen, von denen ich noch nicht einmal weiß, wo sie sich überhaupt aufhalten, und dabei auf irgendeine Art und Weise umzukommen, lässt mich erschauern.

Mia seufzt.
"Ja, du hast Recht", meint sie und scheint sich langsam wieder zu beruhigen.

"Aber achte in Zukunft besser darauf, wem du dich anvertraust, in Ordnung?"

"Ja." Ich verdrehe die Augen und habe plötzlich das Gefühl, Ariu verteidigen zu müssen. "Ich bin mir sicher, er wird es niemandem erzählen."
Und das glaube ich wirklich.

"Wie kannst du dir da so sicher sein?" Sie sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an und mir wird klar, dass ich besser den Mund gehalten hätte. Unwillkürlich werde ich rot.

Wieso habe ich überhaupt mit dem Thema angefangen?

"Ähm... Er wirkt sehr... vertrauenswürdig?"
Es klingt eher nach einer Frage.

Und auch Mia muss am Klang meiner Stimme gehört haben, dass ich ihr etwas verschweige, denn ihre Augen leuchten interessiert auf.

"Mehr gibt's eigentlich nicht zu berichten", wechsle ich schnell das Thema. "Kann ich heim und schlafen? Ich bin hundemüde."

"Mach das. Aber stell morgen früh deinen Wecker! Ich möchte nicht jeden Tag deinen persönlichen Weckdienst spielen! Und vergiss nicht, mich morgen Nachmittag anzurufen und mir zu erzählen, was in Veron los war", ruft sie mir noch zu, bevor ich das "Antike Paradies" verlasse und mich auf den Heimweg mache.

~ 🗝️ ~

Aus Gewohnheit grüße ich meine Familie, die im Wohnzimmer auf unserem neuen Sofa sitzt.
Auf Lucys Schoß liegt die Katze und schnurrt. Ich habe immer noch nicht herausgefunden, wie sie heißt.

Abrupt bleibe ich stehen und drehe mich auf dem Absatz um.
Ich will meine Familie nicht mehr sehen.
Es ist schrecklich, zu beobachten, wie glücklich sie alle ohne mich sind.

Im Prinzip weiß ich ja, dass es nicht an mir liegt, und dass ich genauso wenig dafür kann, dass mich keiner bemerkt, wie meine Familie.
Trotzdem finde ich es deprimierend.

Während ich die Treppenstufen zu meinem Zimmer hochsteige, sehe ich auf mein Handy. Es ist bereits nach 16.00 Uhr, und ich muss noch Hausaufgaben machen. Die kann ich dann genau wie meine Klassenkameraden korrigieren, wenn die Lehrer die Lösungen an die Tafel schreiben oder sie der Klasse vortragen.

Ich sehe mir die Hefteinträge der letzten Unterrichtsstunden durch, aber dazu, intensiv zu lernen, kann ich mich nicht aufraffen. Da ich eh nicht abgefragt werde, genauso wie ich Schulaufgaben und Exen nicht mitschreiben kann, weil ich sie nicht ausgeteilt bekomme, empfinde ich es als sinnlos, mich stundenlang auf den nächsten Schultag vorzubereiten.
Da kann mir Mia getrost den Buckel runterrutschen, das mache ich nicht.

~ 🗝️ ~

Ich sehe dem Sekundenzeiger zu, der auf meiner Armbanduhr langsam seine Runden dreht.
In ein paar Minuten ist es 18.30 Uhr.

Schnell schalte ich das Licht in meinem Zimmer aus, dann laufe ich zu meinem Bett und lege mich hin. Mein Gleichgewichtssinn scheint bei den Sprüngen nach Veron und wieder zurück ziemlich durcheinander zu kommen, wie ich eigens feststellen musste.
Im Liegen macht sich das glücklicherweise nicht ganz so stark bemerkbar, wie ich bei meinem gestrigen Sprung festgestellt habe.

Mein Blick gleitet zu meinem Wecker, aber die Frage nach der Uhrzeit erübrigt sich, da ich den allmorgendlichen Störenfried nur noch verschwommen sehe.

Schnell schließe ich die Augen, damit mir nicht allzu schlecht wird, dann habe ich schon wieder das Gefühl, dass irgendjemand innerlich an mir zieht.
Ich spüre etwas tief in mir, das wie ein Sog an mir zieht und weiß, dass ich mich bereits nicht mehr in meinem Bett befinde.

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