▫️Angekommen - aber wo?▫️
Ich schlage hart auf dem Boden auf.
Mein erster Gedanke ist: Jetzt bist du völlig durchgedreht!
Dann versuche ich die Augen zu öffnen, was mir aber beim besten Willen nicht gelingen will.
Unter Stöhnen hebe ich die Hände, um zu testen, ob ich mir bei dem Sturz etwas gebrochen habe, aber es scheint alles heil zu sein.
Endlich gelingt es mir, die Augen zu öffnen, und ich sehe, dass ich mich auf einer Wiese neben einem Dorf befinde, das so gar nicht mit meinem Zimmer zu vergleichen ist. Das Dorf ist von einer Mauer umgeben, weswegen man von den Häusern nur Dächer sieht. Ich lege den Kopf in den Nacken. Über mir kreisen Vögel in der Luft.
Wo bin ich hier?
In der Ferne rennen ein paar Kinder zwischen Bäumen herum und rufen sich etwas zu, vermutlich spielen sie fangen.
Ich runzle die Stirn. Was zum Teufel ist los mit mir? Was soll das?
Ich schließe meine Augen erneut und versuche ruhig durchzuatmen.
Das ist doch nichts weiter als eine Illusion. Oder ein Traum. Was soll das auch sonst gewesen sein? Wenn ich jetzt die Augen öffne, sind die Wiese, das Dorf, die Kinder und die sonstige Umgebung verschwunden und ich befinde - nein, sehe - mein Zimmer wieder.
Dann liege ich am Boden und sehe meinen Schreibtischstuhl neben mir.
Vorsichtig öffne ich meine Augen wieder. Der Versuch, mich selbst zu beruhigen, scheitert kläglich und ich merke, wie ich zunehmend unruhiger werde.
WO BIN ICH?
Mein Blick bleibt auf den spielenden Kindern ruhen.
Gut. Ich werde jetzt nicht nur hier rumliegen und warten, bis mir der Himmel auf den Kopf fällt. Mal sehen ob hier Deutsch gesprochen wird. Wenn das hier alles irgendwie doch meiner Fantasie entspringt - und anders kann es ja gar nicht sein - dann werden die hier wohl kaum Chinesisch sprechen. Dann müsste ich sie doch eigentlich verstehen können.
Ich rapple mich auf und laufe langsam auf die Kinder zu.
Der Wind weht stärker und die Kälte kriecht mir in die Knochen, da ich keine Jacke anhabe. Woher hätte ich auch wissen können, dass ich auf einmal eine Jacke brauchen würde?
Ich saß ja daheim, in meinem warmen Zimmer. Dass ich plötzlich mitten im Nirgendwo, und dann auch noch im Freien landen würde, konnte ich doch nicht ahnen. Bibbernd gehe ich weiter.
Wenn das alles nur in meinem Kopf vorkäme, würde ich doch nicht frieren - oder?
Ich schließe die Augen und versuche, den Gedanken erstmal ganz weit weg zu schieben.
Konzentriere dich auf das, was du gerade tun kannst. Ausflippen kannst du auch später noch.
Unter meinen Füßen ist Gras.
Um mich herum ist insgesamt nur Wiese, und wo die Wiese aufhört, sieht man Büsche und Bäume. Und in einiger Ferne, hinter den Kindern, ist das Dorf zu sehen, das ich vorhin schon erspäht habe.
Hier sieht es ziemlich friedlich aus, und, mal abgesehen von den Kindern, ist es auch ziemlich leer hier.
Leider weiß ich nicht, wo "hier" überhaupt ist.
Wenn ich ehrlich sein soll, möchte ich nur heim.
Oder raus aus dieser Illusion in meinem Kopf.
Wie auch immer.
Als die Kinder mich bemerken, unterbrechen sie ihr Spiel und kommen zögernd näher.
"Wie heißt dieses Dorf?", frage ich und zeige in dessen Richtung.
Es ist zwar weit und breit kein anderes Dorf zu sehen, aber für den Fall, dass sie mich nicht verstehen, würden sie vielleicht durch meine Gestik erraten, was ich von ihnen will.
Ein kleines Mädchen tritt einen Schritt näher und sagt mit piepsiger Stimme: "Ich kenne dich nicht. Meine Mami hat gesagt, ich soll nicht mit Fremden reden! Vor allem nicht um K..." Erschrocken schlägt sie sich die Hand vor den Mund, so als hätte sie etwas falsches gesagt.
Auch die anderen Kinder schauen sich ängstlich an und rennen wie auf Kommando zu dem Dorf.
Ich seufze. Na immerhin sprechen die hier meine Sprache. Aber wenn das hier nur eine Vorstellung meinerseits wäre, hätte die Kleine mir doch gesagt, wie das Dorf heißt, oder?
Nun gut. Wenn ich herausfinden will, wo ich bin, muss ich mich wohl in das Dorf begeben.
Erst einmal werde ich jedoch das Gebüsch rund um die Wiese aufsuchen müssen.
Keine Ahnung, ob ich im Dorf so schnell eine Toilette zu Gesicht bekommen werde.
Nach einem kurzen "Toilettengang" und einer circa einstündigen Erkundung der näheren Umgebung zwinge ich mich schließlich dazu, nun endlich zu diesem Dorf zu gehen.
Auf meinem kurzen Spaziergang, den man aber auch gut und gerne als Hindernislauf durch wild wucherndes Gestrüpp betrachten könnte, habe ich auch einige mir bekannte Pflanzen gesehen.
Aber auch so viele, die ich nicht kenne.
Könnte ich mir so etwas wirklich ausdenken?
Würde ich hier nicht stehen, würde ich klar mit "Nein" antworten. Aber so... Alles andere ist noch unrealistischer als dieser Gedanke.
Ich nähere mich wieder dem Dorf und komme an dem Baum vorbei, bei dem sich die Kinder aufgehalten hatten.
Das Dorf ist komplett von dieser hohen Mauer umgeben und ich muss es erst halb umrunden, bevor ich einen Eingang finde.
An dem Tor stehen vier Wachmänner mit Gewehren, die mich misstrauisch beäugen.
Als ich näherkomme und den Eingang passieren will, hält mir einer der Männer den Lauf seines Gewehrs vor die Brust.
"Keinen Schritt weiter oder ich schieße!"
Erschrocken zucke ich zurück und wäre fast über meine eigenen Füße gestolpert.
Ein anderer Wachmann sagt gelangweilt: "Wo kommst du her? Hab dich hier noch nie gesehen. Ein Nachkomme scheinst du aber nicht zu sein." Er lacht.
Anscheinend soll ich das beantworten. Aber was heißt Nachkomme?
Der Wachmann, der mir das Gewehr vor die Brust gehalten hat, fährt mich an: "Wird's bald? Oder soll ich schießen? Bist du ein Spion? Kennen die das Dorf? Was willst du hier?"
Was? Spion? Was, zum Teufel, geht hier vor?
"Ähm...", beginne ich zu antworten, "ich bin... Touristin?"
Die Wachmänner brechen in Gelächter aus, was mich weitere Schritte zurückweichen lässt.
Wo bin ich nur?
"Touristin, ja? Dann sag mir doch mal, was dich hier her geführt hat!" blafft mich ein Wachmann an, der bis jetzt still gewesen ist.
Doch ehe ich antworten kann, legt mir jemand eine Hand auf die Schulter und sagt freundlich: "Jetzt lasst sie doch erst mal rein, Jungs. Ich behalte sie schon im Auge. Sie kann vorerst mit zu mir kommen bis wir alle Fragen geklärt haben. Sie sieht ja total verängstigt aus! Komm mit, meine Kleine!"
Ich wende meinen Kopf der Stimme zu und blicke in das Gesicht einer Frau, die mich beruhigend anlächelt.
Murrend lassen uns die Wachen durch.
"Danke", murmele ich ihr zu.
"Ach was. Keine Ursache." Sie schüttelt den Kopf und scheint einige Gedanken beiseitezuschieben.
"Ich bin übrigens Lyda. Ich verkaufe alle möglichen Heilkräuter. Hier lang!"
~🗝️~
Sie lotst mich über eine holprige Straße.
Lyda sieht schon älter aus. Irgendwie hat sie Ähnlichkeit mit einer Hexe. Und dass sie Kräuter verkauft, passt ja auch dazu. Aber Quatsch. Sie hat mir hier gerade geholfen und ich denke so über sie.
Aber sie ist doch gar nicht real... Vielleicht habe ich mir durchaus eine Hexe ausgedacht... Grimmig beende ich den Gedanken. Ich sollte mich schämen.
Außerdem... Wenn ich an eine Hexe denke, dann habe ich eher ein schlechtes Bild im Kopf, und Lyda hat mir gerade einen enormen Gefallen getan.
Jenny... Das hier passiert nicht nur in deinem Kopf.
So beängstigend der Gedanke auch ist, er drängt sich mir immer mehr auf. Und irgendwie weiß ich, dass es stimmt.
Befasse dich später damit, versuche ich mich etwas zu sammeln. Wenn du alleine bist, und die Zeit zum Nachdenken hast.
Ich lasse meinen Blick über die Umgebung schweifen. Eigentlich ist es hier gar nicht so anders.
Im Dorf sieht es eigentlich aus wie in jedem anderen Dorf auch, nur älter und geschäftiger, außerdem sind die Straßen gepflastert und nicht geteert.
Lyda betritt einen kleinen Laden, der ein wenig Ähnlichkeit mit dem Geschäft der komischen alten Verkäuferin hat. Der Gedanke lässt mich schaudern.
"Du trägst ja gar keine Jacke! Ist dir nicht kalt?"
"Äh, doch..." Ich beschließe, das Thema zu wechseln bevor sie weiter nachbohrt.
"Wo bin ich hier eigentlich?", frage ich die Frau.
Sie lacht. "Du weißt wirklich nicht wo du bist? Das wundert mich. Aber solange wir nicht geklärt haben, wer du wirklich bist und woher du kommst, darf ich dir das nicht verraten. Tut mir leid."
Ich bin verzweifelt. "Aber ich habe überhaupt keine Ahnung, wie ich hierhergekommen bin!", fange ich an.
"Wirklich! Sie können mir glauben!"
"Ich glaube dir ja, mein Kind. Aber ich kann dir trotzdem nicht verraten, wo du hier bist."
Lyda sieht mich entschuldigend an. Und ich habe die leise Ahnung, dass sie mir doch nicht glaubt. Trotzdem muss ich über die Bezeichnung "Kind" lächeln. Irgendwie haben ältere Leute das an sich, jüngere Personen immer mit "Kind" anzureden.
Meine Oma sagt das auch des Öfteren.
"Darf ich sie noch etwas fragen? Warum sollte ich ein Spion sein? Und was meinen die damit, wer ich bin und was ich will?"
Lyda seufzt. "Du weißt es echt nicht, oder? Aber ich darf dir auch diese Fragen nicht beantworten, bevor sie dich befragt haben. Der Richter wird dich morgen empfangen."
"Ähm... Richter?" Ich kapiere nicht, was sie mir sagen will.
"Geh erst mal hinauf. Wenn du dich ein wenig frisch machen willst, das Badezimmer ist gleich, wenn du die Treppe hochgehst, die erste Tür links. Wenn du im Gang oben einfach geradeaus läufst, findest du ein Zimmer, in dem du schlafen oder dich zumindest ausruhen kannst.
Du siehst ziemlich fertig aus."
Verwirrt und überrumpelt würde es eher treffen, denke ich, steige jedoch gehorsam die Holztreppe hoch.
Lydas Haus sieht von der Einrichtung und den Tapeten so ähnlich aus wie das Haus von Oma und Opa.
Die gleichen, altmodischen Möbel, fast die selbe, altertümliche Tapete...
Ich sehe die schwarz weißen Fotos schon fast vor mir, die die Wände im Haus meiner Großeltern zieren und bin schon dabei, mich in Erinnerungen an meine Großeltern zu verlieren.
Doch gerade als ich das Bad betreten will, spüre ich wieder diesen Ruck.
Und ich fühle mich, als müsste ich mich jeden Moment übergeben.
Ein Keuchen entweicht meiner Kehle, meine Augen weiten sich panisch, und meine Sicht verschwimmt.
Dann verschwindet die Tür vor mir.
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