▫️1. Schultag▫️

Die letzte Ferienwoche verging wie im Flug.

Wir haben Schulsachen gekauft, die Umzugskartons ausgepackt und uns auf andere Weise die Zeit vertrieben.
Mein neues Zimmer ist doch ganz in Ordnung. Wir haben es neu tapeziert, wodurch es gleich viel freundlicher aussieht.
Außerdem ist es größer, als das alte und es ist gar nicht mal so schlecht, mehr Platz zu haben.
Und dank der Möbel, die ich zusammen mit meinen Eltern in diversen Geschäften ausgesucht habe, wirkt der Raum auch nicht mehr so kahl.
Wenn ich ehrlich bin, gefällt mir das neue Mobiliar sogar sehr, besonders das neue, größere Bett und der riesige Kleiderschrank.

Zu meiner Empörung musste Lucy - im Gegensatz zu mir, natürlich - in ihrem Zimmer überhaupt nichts selbst einräumen. Das haben Mom und Dad für sie erledigt, während meine Schwester spielen durfte.
Sie sei ja noch so klein, hat meine Mutter gesagt. Ich finde, dass sie mit ihren sechs Jahren wenigstens einen Teil ihrer Sachen selber aufräumen kann. Sonst wird sie ja nie selbstständig, zumal meine Eltern schon mit dem restlichen Haus genug beschäftigt waren.
Aber mich fragt eben keiner.
Außerdem erledigen Mom und Dad das doch liebend gern für ihren kleinen Sonnenschein, wenn ich sie dagegen mal nach sowas frage, tippen sie sich nur mit dem Finger an die Stirn und antworten ironisch, dass sie ja sonst auch nichts Besseres zu tun hätten.

Alles in allem habe ich die Einrichtung meines Zimmers aber doch ganz gut hinbekommen.
Unser Haus sieht tapeziert und möbliert auch ganz anders aus und gefällt mir schon besser, als wenn alles noch so kahl war.
Aber trotzdem ziehe ich Omas und Opas Haus noch immer dem neuen vor.

Auf jeden Fall ist morgen der erste Schultag und ich bin total angespannt.
Ich liege in meinem neuen Bett und sollte eigentlich einschlafen, bin aber viel zu aufgedreht.
Meine Gedanken drehen sich um morgen, die Schule, die anderen Schüler, die Lehrer.
Ob ich wohl Freunde finden werde?
Hoffentlich muss ich mich nicht groß vor der Klasse vorstellen, ich hasse es, wenn mich alle anstarren.

Im alten Haus hätte ich mich jetzt leise die Treppe hinuntergeschlichen, sodass Mom und Dad nichts mitbekommen, und mich mit Oma unterhalten. Aber hier kann ich nicht einfach nach unten gehen, um zu meinen Großeltern zu kommen, da treffe ich höchstens auf meine Eltern, die mich dann anmotzen, warum ich noch nicht schlafe.
Also drehe ich mich auf den Rücken und versuche, in all der Schwärze die Zimmerdecke auszumachen. Früher hatte ich mal Sterne an der Decke kleben, Dad hatte sie mir irgendwann mal geschenkt. Ich habe keine Ahnung, wo die sein könnten. Bestimmt liegen sie in irgendeinem Regal oder Schubfach bei Oma und Opa. Ob die beiden wohl auch mal an mich denken?
Irgendwann werden meine Augenlieder schwer und ich falle in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

~🗝️~

Stöhnend schlage ich auf meinen Wecker ein, der auf meinem Nachttisch steht und mal wieder viel zu früh klingelt. Ich habe im neuen Bett besser geschlafen als im alten.
Mit einem Ruck bin ich auf den Beinen und plötzlich hellwach.
Heute beginnt die Schule wieder!

Ich finde den Ausschaltknopf meines Weckers und betätige ihn. Hastig dusche ich und ziehe mich an. Dann schwinge ich mir meinen gepackten Schulrucksack über die Schulter, eile die Treppe herunter und stolpere fast über meine Schwester, die am Fuß der Stufen hockt und vor sich hin summt. Wie immer ist sie früher wach als ich.
Nachdem ich mein Gleichgewicht wiedergefunden habe, werfe ich meinen Schulrucksack in die nächste Ecke und packe schnell die Brotzeit ein, die meine Mutter mir schon gerichtet hat. Sie ahnte wohl, dass ich heute früh kaum darüber erfreut sein würde, mir mein Pausenbrot selbst zu schmieren.
Mom und Dad haben den Tisch gedeckt und wir setzen uns schweigend zum Frühstücken, während Dad die Zeitung liest und das Radio läuft.

~🗝️~

Kurz vor acht stehe ich auf einem der langen Gänge der neuen Schule, zu der mich Mom gefahren hat. Morgen soll ich mit dem Bus hierher kommen, aber da ich noch keine Ahnung habe, wo die Bushaltestelle ist, nahm sie mich eben mit.
Das, was ich bisher von meiner zukünftigen Schule gesehen habe, ist vielversprechend. Sie ist hell angestrichen und hat viele Fenster. Aber sie stinkt nach Chemikalien und hat auch etwas zu viele Gänge. Ich weiß nicht, ob ich mich hier jemals zurechtfinden werde.

Lärmende Schüler und Schülerinnen strömen in kleineren Grüppchen und großen Pulken an mir vorbei. Alle sehen so aus, als wüssten sie genau, wo sie hin müssten, als fänden sie sich hier super zurecht. Ich komme mir ziemlich doof vor und könnte darauf wetten, dass es ziemlich unbeholfen aussieht, wie ich hier unschlüssig mitten in der Weltgeschichte herumstehe.
Vielleicht sollte ich einfach mal jemanden fragen, wo hier das Sekretariat ist und mir dort weitere Auskünfte über meinen Klassenraum geben lassen.
Vielleicht haben die da ja auch einen Schulhausplan, denke ich.

Gerade als ich beschließe, ein Mädchen, das auf mich zukommt, anzusprechen, tippt mir jemand auf die Schulter.

"Bist du neu hier?" fragt mich eine freundliche Stimme.

Ich fahre herum und stehe einem Mädchen gegenüber, das ungefähr einen halben Kopf kleiner ist als ich. Sie hat schwarze, glatte Haare und leuchtend grüne Augen, dazu trägt sie einen grünen Pullover und Jeans. Alles in allem ist sie hübsch, besonders ihre Augenfarbe gefällt mir. Ich habe mir schon immer grüne Augen gewünscht, meine blau-braunen sehen so langweilig aus.

"Äh, ja", stammle ich.

Das Mädchen lächelt. "Ich bin Linn. Und du?"

"Jenny." Ich atme tief durch und versuche, meine Stimme etwas gelassener klingen zu lassen.

Warum bin ich nur immer so nervös?

"Hast du zufällig eine Ahnung, wo der Raum 265 liegt?"

"Ja, wieso?", fragt sie erstaunt.

"Da ist, soweit ich weiß, mein Klassenzimmer", erwidere ich verlegen.

"Echt? Meins auch."

Gemeinsam laufen wir mehrere Treppen nach oben.
Ich sehe auf eine Uhr an einer Wand und als ich merke, dass wir schon ziemlich spät dran sind, mache ich Linn darauf aufmerksam und wir beschleunigen unsere Schritte.
Schließlich stehe ich keuchend vor der Tür, hinter der sich angeblich unser Klassenzimmer befindet, Linn dagegen grinst nur und meint: "An die Treppen wirst du dich schon noch gewöhnen. Du hast Glück, letztes Jahr hatten wir unser Klassenzimmer noch zwei Stockwerke höher."

Schnaubend betrete ich die Klasse. Die anderen Schüler starren mich an und ich frage mich, ob ich versehentlich zwei verschiedene Schuhe angezogen habe oder so. Der Lehrer ist noch nicht da.

Ich stelle mich vor zum Pult und schaue betreten auf meine Schuhe. Als ich kurz hochsehe, bemerke ich, dass Linn sich neben ein anderes Mädchen setzt und die beiden eine Unterhaltung beginnen.
Auch andere Schüler und Schülerinnen rufen ihr etwas zu, das ich nicht verstehen kann, und stellen sich neben Linn und die andere.
Sie scheint hier wohl ziemlich beliebt zu sein. Ich beneide sie ein wenig.

Die anderen in meiner Klasse wirken eigentlich ganz nett. Die meisten sehen mich mittlerweile nicht mehr an als wäre ich ein Alien, ein Mädchen lächelt mir aufmunternd zu. Ich spüre, wie meine Mundwinkel sich ebenfalls zu einem schüchternen Lächeln verziehen. Keine Sekunde später höre ich eine imaginäre Stimme, die mich zurechtweist.
Genau das wolltest du doch nicht! Leg diese verdammte Schüchternheit doch endlich mal ab!

Ich versuche mich an einem echten Grinsen, habe aber das Gefühl, dass mir das eher misslingt. Außerdem sieht das Mädchen ohnehin nicht mehr in meine Richtung, sondern hat sich auf ihrem Stuhl umgedreht, um mit den Jungs hinter sich zu flirten. In meinen Augen wirkt das jedenfalls so.
Aus Langweile mustere ich den Rest meiner Klasse. Die Anzahl an Jungen und Mädchen scheint ziemlich ausgeglichen zu sein.

Einige Mädchen sieht man vor dem ganzen Make-Up, mit dem sie sich zugekleistert haben, gar nicht mehr. Mit ihren hoheitsvollen Gesichtsausdrücken könnten sie jeder Königin Konkurrenz machen. Aber den Anblick bin ich aus meiner alten Klasse gewohnt.

Ein anderes Mädchen sieht aus, als würde sie jeden Moment einschlafen. In meinen Gedanken setze ich mich zu ihr und stelle mir vor, wie wir gemeinsam vor uns hin schnarchen. Bei der Vorstellung muss ich mich zusammenreißen, um nicht loszulachen.

Mein Blick gleitet über die Jungs. Einer von ihnen könnte sich gut zu der Schlafmütze gesellen, er sieht genauso übernächtigt aus. In einer Ecke des Klassenzimmers hängen ein paar andere Jungs schräg auf ihren Stühlen und lachen lauthals über ein Kommentar von irgendjemandem.
Gegenüber von ihnen scheinen die obercoolen Typen zu hocken. Mit starren Mienen sitzen sie auf ihren Stühlen, nicht bereit, irgendwen auch nur eines Blickes zu würdigen. Bei näherer Betrachtung stelle ich fest, dass sie ziemlich gut gebaut sind.

Als einer von ihnen den Blick hebt, werde ich zu meinem Erstaunen jedoch nicht rot.
Die vertraute Hitze bleibt aus. Auch der abschätzige Blick des Jungen stört mich komischerweise nicht. Verwundert merke ich, dass mir eigentlich komplett egal ist, was dieser kleine Teil meiner Klasse denkt. Die Typen mögen zwar ganz gut aussehen, aber schon aus sechs Metern Entfernung spüre ich, dass sie nicht wirklich in mein imaginäres Traumtyp-Schema passen. Schon allein die Blicke, die sie den Kosmetikstudios, die noch immer hoheitsvoll in die Runde blicken, zuwerfen, zeigen, wie oberflächlich diese Jungs sind.

Im Gegensatz zu ihnen scheint mich ein anderer Junge recht interessant zu finden. Zumindest springen ihm fast die Augen aus dem Kopf während er mich angrinst wie ein Honigkuchenpferd, das gerade im Lotto gewonnen hat.
Die Aufmerksamkeit dieses Jungen stört mich jedoch viel mehr als die Gleichgültigkeit der Supercoolen. Der Junge sollte sich dringend mal die Haare waschen und eine neue Frisur würde ihm vermutlich auch nicht schaden. Sein Gesicht ist von Pickeln nur so übersät und die Klamotten sehen aus wie seit Wochen nicht gewechselt - sein ganzes Erscheinungsbild spricht für sich.
Normalerweise störe ich mich ja nicht sonderlich an Äußerlichkeiten, aber allein der Gedanke, diesem Jungen die Hand zu schütteln... und seinem Gesichtsausdruck, in dem sich nun ein lüsternes Grinsen breit gemacht hat, nach zu urteilen, würde er gerne weit aus mehr mit mir machen, als bloß meine Hand schütteln.
Mir dreht sich der Magen um.
Oh Gott... Bitte sorg dafür, dass ich niemals mit diesem Jungen allein in einem Raum sein werde.

Ich schüttle angeekelt den Kopf und starre auf den Boden, da ich nicht weiß, wo ich sonst hinsehen soll. Unterdessen spitze ich die Ohren im Versuch, die Gespräche meiner künftigen Klassenkameraden mitzuverfolgen. Innerlich seufze ich.

~🗝️~

Endlich höre ich langsame, schwere Schritte auf mich zu kommen, die nur dem Lehrer gehören können. Schnell hebe ich meinen Kopf. Tatsächlich lächelt mich ein hochgewachsener Mann mittleren Alters an, während er sich mir nähert.
Er stellt sich mir als Herr Hejns vor. Ich nenne ebenfalls meinen Namen und bekomme den einzigen freien Platz zugewiesen, einen Einzeltisch in der letzten Reihe.

Toll. Schon mal keine Chance, mich während dem Unterricht mit jemandem zu unterhalten und so meine Mitschüler und Mitschülerinnen besser kennenzulernen.

Ich versuche, meine mürrische Miene zu verbergen und meine Laune wieder zu heben. Immerhin besser, als neben dem Honigkuchenpferd zu sitzen.

Ich schenke meine Aufmerksamkeit wieder dem Lehrer, der gerade meint, dass er die Klasse sowohl in Mathematik als auch in Biologie unterrichtet.
Anschließend stellt mich Herr Hejns kurz der Klasse vor und beginnt dann ohne große Umschweife mit dem Unterricht.
Ich bin froh, dass ich mich nicht selbst vor die Klasse stellen muss und Herr Hejns mich etwas über meinen alten Wohnort und mich erzählen lässt.

~🗝️~

Nach dem Schultag stelle ich fest, dass wir in meiner alten Schule so ziemlich denselben Stoff durchgenommen haben und ich dem Unterricht eigentlich ganz gut folgen kann.
Ich habe mich noch kurz mit Linn unterhalten und auch mit einigen anderen Klassenkameraden und Kameradinnen ein paar Worte gewechselt, denen offenbar die Informationen, die Herr Hejns ihnen über mich gegeben hat, nicht gereicht haben und mehr über mich erfahren wollten. Vielleicht wollten sie sich auch einen ersten Eindruck von mir verschaffen.

Mir sind alle eigentlich ganz nett erschienen. Die Kosmetikstudios und die Supercoolen waren nicht unter denen, die sich mit mir unterhalten haben. Ich hatte auch nichts anderes erwartet. Ich habe herausgefunden, dass der Junge, den ich etwas... abstoßend finde, Jhon heißt.
Und ich habe mich erfolgreich vor ihm versteckt.

In den Pausen habe ich mich vor dem Aufgang aufgehalten, in dem auch mein Klassenzimmer liegt. Rausgehen wollte ich nicht, aus Angst, den Klassenraum dann nicht mehr zu finden. Nur eine Toilette musste ich in einer Pause mal aufsuchen, aber die hatte ich schon vorher entdeckt.

Der Unterricht ging recht schnell vorbei und ich bin froh, dass wir nicht allzu viele Hausaufgaben aufbekommen haben und meine Mitschülerinnen und Mitschüler mich anscheinend einigermaßen sympathisch finden.
Nachdem Mom mich mit dem Auto abgeholt hat, beginne ich daheim mit den Hausaufgaben.

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