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Als ich wieder zu mir komme, ist immer noch alles schwarz um mich herum und mein Hinterkopf pocht fürchterlich. Mir wird klar, dass ich einen Sack über den Kopf habe. Mein Körper wird durch das ruckelige Fahren hin und her geschleudert. Ich bin also in einem fahrenden Wagen.
„Scheiße, was wollt ihr von mir?", frage ich, denn ich bin lange genug in dem Geschäft um diese Situation einschätzen zu können. Es wird ungemütlich! Die nächsten Stunden werden kein Zuckerschlecken, das ist mir klar.
„Halt deine Fresse!", werde ich zum Schweigen aufgefordert. Die Stimme kommt mir sofort bekannt vor. Wenn ich mich nicht irre, dann gehört sie zu Jimmy, einem Handlager der Scariglia-Familie.
„Jimmy? Das bist doch du!", sage ich.
„Nein und jetzt halte gefälligst die Schnauze!"
Ich bin mir jetzt ziemlich sicher, dass die Stimme zu Jimmy gehört, auch wenn er es vehement abstreitet.
„Zieh mir dieses Ding vom Kopf, du machst dich ja lächerlich!"
Die Antwort erfolgt nicht verbal sondern mit einem gezielten Faustschlag in die Nierengegend. Der Schmerz fährt mir direkt in Mark und Bein und ich schnappe nach Luft. Unter diesem scheiß Sack bekomme ich aber fast keine Luft, was meine Lage nicht gerade erträglicher macht. Ich beschließe also erstmal zu gehorchen und ruhig zu sein.
Mir wird langsam klar, wieso ich hier bin: Dieser miese Verräter Charly muss mich direkt an die Scariglias verpetzt haben! Er ist offenbar inzwischen auch eines ihrer Schoßhündchen. Kein Wunder, dass er so seltsam reagierte, als die Mafia zum Thema wurde. Wenn ich das hier überleben sollte, dann fackel ich deinen dreckigen Pub ab, du Hund!
Irgendwann stoppt der Wagen und ich werde hinausgezerrt. Ich trage noch immer den verdammten Sack auf meinem Kopf und kann nicht sehen, wo ich bin. Ich habe keine Ahnung, wie lange ich weggetreten war. Sind wir noch bei den Docks? Unwahrscheinich, denn dieser unverwechselbare Geruch vom Fluss hat sich verändert. Der Gestank von faulen Eiern liegt nun in der Luft. Schwefel! Anscheinend haben die Scariglias ihr Hauptquartier ins Industriegebiet verlegt. Dass die Mafia auch hier schon so viel Einfluss hat, ist mir neu. Es beunruhigt mich, doch ich akzeptiere es. Ändern kann ich es ohnehin nicht.
Ich werde an beiden Seiten gepackt und mitgezerrt. Zwei starke Personen führen mich in ein Gebäude. Wenn ich raten müsste, sind das Jimmy und Antonio, zwei Kleinkriminelle der Mafia, mit denen ich schon hin und wieder zu tun hatte. Eklige Mistkerle, dumm aber loyal. Für die Scariglias würden sie wirklich alles tun ohne nur einmal nachzufragen wieso sie es überhaupt tun sollen.
Meine Füße gleiten über industrielle, metallische Böden. Es scheint so, als würden wir endlose Gänge durchschreiten. Irgendwann platziert man mich auf einem unbequemen Holzstuhl, wo man mich mit einem dicken Seil festbindet und mir endlich diesen Sack vom Haupt zieht.
Meine Augen brauchen nicht lange um sich an die neue Umgebung zu gewöhnen, denn besonders hell ist es in dieser baufälligen Lagerhalle nicht. Ich blicke direkt in das vernarbte Gesicht von Jimmy, ganz so wie ich es bereits vermutet hatte.
„Jimmy, ich hab es doch geahnt! War mir doch klar, dass du das sein musst. Was ist nur los mit dir, dass du es vorhin im Auto abgestritten hast?"
„Du solltest einfach die Schnauze halten!", erwidert der schmale und recht kurz geratene Jimmy. Neben ihm steht Antonio, der mich nur böse anstarrt und wie immer den anderen das Reden überlässt. Er sieht immer noch aus wie ein beschissener muskelbepackter Affe und sicher ist er auch weiterhin genauso dumm wie einer. Deswegen nennt man ihn auch den Gorilla. Er checkt einfach nicht, dass die Leute sich über ihn lustig machen, wenn sie ihn bei diesem Namen nennen und ist sogar stolz auf diesen Namen. Er hatte ihn sich sogar im Nacken tattowieren lassen.
„Und wenn das nicht unser Silberrücken Antonio ist!", grüße ich ihn. Er nickt mir nur kurz zu und schaut mich unverändert böse an.
„Und was machen wir jetzt?", frage ich.
„Na, was wohl?", antwortet Jimmy und grinst mir dabei schelmisch mit seiner grässlichen Visage entgegen. „Reden!"
„Ich hab ein beschissenes Telefon! Wenn ihr mit mir reden wollt, könnt ihr auch einfach anrufen. Ganz ohne Entführungen und dunkle Lagerhallen. Das wäre doch viel einfacher, oder?"
„Das könnten wir natürlich. Aber wer versichert uns denn dann, dass du auch die Wahrheit sagst?"
„Tja, das kann dir niemand versichern. Du weißt so gut wie ich, dass in Bone City nur Lügner leben."
Ich merke wie sich die Miene von Antonio verändert. Dieser Idiot denkt offensichtlich angestrengt über meine letzte Aussage nach. „Moment, wenn George aus Bone City ist und sagt, dass hier alle lügen, dann muss er ja auch lügen, aber dann..."
„Denk bloß nicht zu viel drüber nach, das überfordert dich nur und bringt dein Affenhirn ganz durcheinander!", unterbreche ich ihn. Ich kann es in dieser Situation absolut nicht gebrauchen, wenn der Gorilla jetzt auch noch den Mund aufmacht. Ich bereue es noch im selben Augenblick, denn ich habe den Kerl jetzt richtig wütend gemacht. Er kommt bedrohlich auf mich zu und holt aus!
Ein Güterzug trifft bei voller Fahrt auf mein Kinn und ich bin ernsthaft erstaunt, dass mein Kiefer das mitmacht ohne zu brechen! Dieser Drecksack Antonio war mir noch nie besonders sympathisch! Er ist ein einfältiger Dummkopf, aber er hat eine harte Rechte, das muss ich ihm zugestehen.
Es folgen jetzt noch viele weitere Schläge! Wie vom wilden Affen gebissen drischt er auf mich ein! Mit jedem Schlag schwillt mein Gesicht weiter an und mein Magen protestiert bei jedem Hieb auf's Heftigste. Ich spucke Blut und habe das Gefühl kotzen zu müssen. Ich würde lügen, wenn ich jetzt sagen würde, dass es das erste mal für mich wäre auf's Übelste vermöbelt zu werden, dennoch ziehe ich es für gewöhnlich vor selbst ordentlich auszuteilen. Wenn ich nicht an den Stuhl gefesselt wäre, würde der Gorilla auch mal an meiner eisernen Faust riechen dürfen!
Erst als sich eine schwere Metalltür mit einem lauten Quietschen öffnet und einen Lichtstrahl in den Raum wirft, lässt Antonio von mir ab.
Ich blicke auf die Gestalt, die sich zu uns gesellen möchte und erkenne einen vornehmen Herren mit nach hinten gegelten Haaren und einem schicken, weißen Anzug. Natürlich kenne ich auch ihn: Es ist Don Giovanni persönlich, das Oberhaupt der Scariglia-Familie! Ohja, er heißt wirklich wie dieser Typ aus der gleichnamigen Oper von Mozart. Und ich hoffe, dass er irgendwann genauso wie der Giovanni aus der Oper zur Hölle fährt! Ich wünschte er würde besser früher als später von den Flammen des Höllenfeuers umschlungen und von der Erde verschluckt werden, so wie ich es einmal bei einer Vorstellung gesehen hatte! Ich hasse ihn! Dieser Mistkerl hat mein Leben zerstört und hält die Zügel dieser verrotenden Stadt in seiner Hand!
„Na sieh einer an! Der gute, alte George Kruger!"
„Don Giovanni! Wird das hier etwa sowas wie ein beschissenes Klassentreffen?"
„Ich treffe gerne alte Bekannte. Aber ich muss sagen, Georgie, du siehst wirklich scheiße aus!"
„Dafür hat dein Gorilla schon gesorgt. Er hat ganze Arbeit geleistet!"
„Du kennst ihn. Er neigt von Zeit zu Zeit dazu etwas zu übertreiben. Er ist vielleicht ein grober Kerl, aber er ist loyal."
„Der sah schon so scheiße aus, bevor ich angefangen haben ihn zu Brei zu schlagen, Don", erklärt sich Antonio. Der Don sieht ihn nur verständnislos an und ignoriert seine Aussage.
„Es tut mir weh, dich so zu sehen Georgie! Ein Mann mit deinen Talenten, der sich als Privatdetektiv verdingen muss!"
„Es tut mir leid, dass ich nicht so erfolgreich bin, wie du es dir wünschst. Ich komme zumindest über die Runden..."
„Du gibst keine sonderlich gute Figur ab als Detektiv, oder hat sich deine Profession inzwischen etwa geändert? Für wen arbeitest du? Etwa für den irischen Mob?"
„Mit diesen irren Iren will ich nichts zu tun haben!"
„Ich habe zur Zeit ein paar Probleme mit ihnen."
„Davon hab ich gehört. Aber ich habe nichts mit den Iren am Hut."
„Du arbeitest also immernoch als jämmerlicher Detektiv?"
„Naja, zur Polizei konnte ich ja wohl schlecht zurück, da blieb mir nicht viel übrig als selbständig zu werden."
„Du hättest wunderbar mit uns zusammenarbeiten können. Ich hätte dich zu einem reichen Mann gemacht! Ich war immer an einer blühenden Partnerschaft mit dir interessiert, Georgie, aber du musstest es ja versauen! Es war deine Schuld, dass du aufgeflogen bist!"
„Wenn man sich mit dem Teufel einlässt, dann ändert sich nicht der Teufel. Der Teufel ändert dich! Das ist ein Gesetz der Natur. Ich wusste es damals nur leider nicht besser."
„Ich glaube es nicht, er nennt mich einen Teufel! Hast du das gehört Antonio?"
Antonio zögert keine Sekunde und hämmert mir seine Faust erneut mit voller Wucht in die Magengrube.
„Lass jetzt gut sein, Antonio! Begraben wir endlich die Vergangenheit und kommen zum Geschäftlichen: Was weißt du über Thomas Ives. Wieso suchst du nach ihm?"
Ich ringe noch eine ganze Weile nach Luft. Dann antworte ich ihm: „Seine Schwester war bei mir und hat mich gebeten nach ihm zu suchen."
„Mehr nicht? War das etwa wirklich alles?"
Antonio ballt bedrohlich seine Hand zur Faust und die stark ausgeprägten Muskelpartien an seinem Oberarm spannen sich an, bereit erneut zuzuschlagen.
„Ja...", sage ich. Meine merkwürdigen Visionen von Ives behalte ich für mich. Er würde es mir ohnehin nicht glauben.
„Und du weißt wirklich nichts über die Ware?"
„Welche Ware?"
„Thomas Ives hat für mich gearbeitet. Er hat heiße Ware an den Docks angenommen und zu mir transportiert. Und das alles, ohne das irgendwer Fragen stellt. Weißt du das?"
„Nein. Ich wusste nichts darüber."
„Der gute Thomas war immer sehr zuverlässig. Es enttäuscht mich zutiefst, dass er nun samt meiner Lieferung wie vom Erdboden verschluckt ist. Du weißt nicht zufällig mehr darüber oder?"
„Seine Schwester hat mir gesagt, dass er vor einer Woche nicht von der Arbeit nach Hause gekommen ist und sich seitdem nicht mehr bei ihr gemeldet hat."
„Glaubst du, dass er sie kontaktieren würde, wenn er urplötzlich zu einer Menge Geld gekommen und aus der Stadt geflohen wäre?"
„Sie sagte, sie stehen sich sehr nahe. Sie sind Zwillinge", sage ich und habe es noch nicht einmal ausgesprochen, da bereue ich es auch schon. Mir wird direkt klar, dass die Schwester das einzige Druckmittel ist, das Don Giovanni gegenüber Ives hat. Ich habe sie soeben der Mafia ans Messer geliefert und ihr Leben in Gefahr gebracht! Diese Mistkerle haben doch tatsächlich ein paar Infos aus mir herausbekommen, die ich ihnen unter keinen Umständen sagen wollte. Ich verfluche mich selbst und ganz besonders meinen erlahmten Verstand, der vom Whiskey verseucht längst nicht mehr so scharf wie früher einmal ist.
„Lasst dieses Mädchen in Ruhe!", fordere ich vehement, „Sie ist ohnehin schon viel zu zart für diese Stadt."
„Oh, mach dir um sie keine Sorgen! Wir werden ihr schon nichts tun! Also zumindest nicht, wenn Ives wieder auftaucht."
„Nein! Bitte nicht! Sie hat nichts damit zu tun."
„Das ist mir egal. Ich werde alles tun, um meine Ware zurückzubekommen und ich habe das Gefühl, dass ich dafür ihre Hilfe benötige."
„Ich werde Thomas Ives für euch finden! Du brauchst das Mädchen dafür nicht." Ich würde gerade alles sagen, was irgendwie dabei helfen würde, diesen unschuldigen Engel zu beschützen. Dass ich mich selbst damit nur noch weiter hineinreite? Egal! Ich suche diesen Ives ja ohnehin schon.
„Oh, das würdest du für mich tun? Das ist aber lieb von dir, Georgie!", sagte Don Giovanni mit einer gewaltigen Portion an gespielter Freundlichkeit in seiner Stimme. „Jimmy, Antonio! Macht ihn los."
Wenig überraschend folgen die beiden Handlanger ihrem Boss aufs Wort und lösen meine Fesseln. Es wundert mich, dass sie mich wirklich ziehen lassen.
„Ich glaube dir, dass du mir alles gesagt hast, was du weißt und auch, dass du nichts mit den Iren zu tun hast. Sieh es als kleinen Vertrauensvorschuss! Sollte ich wider Erwarten herausfinden, dass du gelogen hast, tja, dann bist du nirgendwo in dieser Stadt mehr sicher!" Giovanni Scariglia setzte ein falsches Lächeln auf, drehte sich um und verschwand durch die Tür.
Ich blickte ihm noch eine Weile hinterher, bis ich sah, wie das Narbengesicht Jimmy mit dem Sack auf mich zukam.
„Oh, nicht schon wieder dieser miefige Sack!"
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