7. Das Haus

Dummschwätzer- Selbstsicher begann er seinen Fund mit Kollegen zu teilen, berichtete von den Wundern, die das Gestein mit den richtigen Mitteln vollbringen konnte. Niemand glaubte ihm, schlimmer noch, sie hielten ihn für einen aufgeblasenen Lügner. Verärgert zog er sich aus der Gemeinschaft der Wissenschaftler zurück und behielt seine Entdeckung für sich. Die Zeit würde zeigen, wer im Recht war.

Mit der Sonne fand sie endlich den Mut nach Hause zu gehen. Ihr Körper schmerzte, ihr Abendkleid war ruiniert. Stundenlang war sie durch die dunkelsten Ecken der Stadt gelaufen und hatte sich telekinetisch immer wieder über die Häuser gehoben.

Im Fliegen fand sie ein wenig Ruhe, doch der Fall brachte die Tatsachen mit sich. IZANAGA existierte. IZANAGA hatte Macht. IZANAGA hatte die Kontrolle über ihr Leben. Ihre verweinten Augen ließen sie die Welt in einem Schleier sehen. Ihre Füße hinterließen blutige Abdrücke auf dem Bürgersteig. Erschöpft öffnete sie die Eingangstür und trat in die Wohnung. Es roch nach frischem Kaffee und Frühstück.

William saß an der Küchentheke und sprang sofort auf als er sie bemerkte. Sein Körper schien unter Strom zu stehen. Auch er hatte müde Augen und nasse Wangen.

"Wo warst du?", fragte er zornig und ballte die Hände zu Fäusten. Bevor Ava antworten konnte, musste sie dieses furchtbare Kleid loswerden. Das unangenehme Ding behinderte nicht nur ihre Bewegungen, der Zipp stach sie auch immer wieder in den Rücken und hinterließ sicherlich seit Stunden rote Striemen. Mit einem erleichterten Seufzer öffnete sie das Kleid und warf es schwungvoll von sich.

Williams Augen folgten dem Kleidungsstück und betrachteten schließlich ihren halbnackten Körper kritisch. Ohne Zweifel suchte er nach Verletzungen, die Sorge hatte weitere Falten in seine Stirn gegraben. Ava schniefte laut und stützte die Hände in ihre unbekleideten Hüften, die Tatsache, dass sie nur ihre Unterwäsche trug, störte sie nicht weiter. Seinem aufgebrachten Blick begegnete sie mit Entschlossenheit.

"Ich musste nachdenken."

"Die ganze Nacht?! Ich hab mir Sorgen gemacht!", warf er ihr entgegen. Er zitterte. Avas schlechtes Gewissen meldete sich. Wie lange hatte William wohl in der Hofburg nach ihr gesucht? Wie lange hatte er auf sie Zuhause gewartet? Ava senkte den Blick, sie hätte ihm eine Nachricht zukommen lassen müssen. Ihm solche Sorgen zu bereiten war nie ihre Absicht gewesen. Zaghaft trat er näher und griff nach ihren Händen.

"Ich dachte dir wäre etwas zugestoßen...ich dachte du wärst..." Schnell suchte sie seinen Blick und schüttelte vehement den Kopf. "Es geht mir gut. William, sieh mich an. Mir fehlt nichts." Bebend atmete er ein. "Du hättest tot sein können. IZANAGA hätte..."

"Aber das haben sie nicht. Ich musste einfach allein sein. Ich musste nachdenken." William trat zurück, in seiner Miene zeigte sich Unverständnis.

"Hättest du das nicht auch hier tun können? In Sicherheit?" "Mit dir über meine Schulter blickend?", entgegnete sie zynisch. Gekränkt ließ William die Schultern hängen.

"Aber es wäre sicher gewesen." Sanft lächelnd umarmte sie ihn, legte ihren Kopf an seine Schulter und horchte auf das regelmäßig schlagende Herz in seiner Brust. Er erwiderte die Umarmung nicht, einem Stein gleich wies er ihre Wärme ab.

"Wirst du gehen?", hörte sie ihn erstickt murmeln. Langsam zog sie sich zurück und betrachtete ihren Geliebten. Tränen bildeten sich in seinen Augen, während er sie unbeirrt ansah.

"Wirst du mich verlassen?", fragte er noch einmal lauter und der Schmerz in seiner Stimme brach ihr Herz. Zärtlich nahm sie sein Gesicht in ihre Hände und legte ihre Stirn an seine.

"Nein....nein. Du bist meine Familie und ich bin deine." "Ich dachte..." "Ich weiß, es tut mir leid. Gestern Nacht hat Hutter mit mir geredet. Und mir sind einige Dinge klargeworden."

"Was hat er gesagt?" Kopfschüttelnd weigerte sie sich seine Worte zu wiederholen.

"Unwichtig. Wichtig ist, dass ich Unrecht hatte. Ich wollte die Vergangenheit und meine Familie vergessen, wollte die Gefahren um uns ignorieren, aber...was wir leben ist eine Fantasie, ein Traum, den andere viel zu leicht zerstören können. Mir ist klargeworden, dass ich so ein Leben nicht mehr führen will. Vor zwei Jahren hast du mir ein bisschen Freiheit erspielt und ich werde dir dafür ewig dankbar sein. Durch dich habe ich gemerkt wie viel ich verpasst habe. Und wie wertvoll jeder Tag ist."

"Ich liebe dich.", hauchte er während Tränen über ihr Gesicht liefen und sie zu zittern begann.

"Aber du hast recht. Wir haben keine echte Freiheit. Wir haben was andere uns gönnerhaft überlassen. Für echte Freiheit muss ich kämpfen und ich weiß nicht ob ich das kann...ob ich stark genug bin...aber ich will es versuchen." William presste sie an sich und küsste ihren Scheitel.

"Es tut mir so leid, dir wehgetan zu haben. Ich hätte nie an unserer Familie zweifeln dürfen. Du hast recht, William. Du hattest die ganze Zeit über recht.", wisperte sie und weinte leise. "Ich wünschte es wäre anders." Gemeinsam betrauerten sie den Frieden, der sie die letzten zwei Jahre begleitet hatte, bis William schließlich laut ausatmete.

"Du bist eisig kalt." Bibbernd zog er sich zurück. Ava zuckte leicht lächelnd die Achseln. "War eine lange Nacht."

"Und du hast deine Kräfte benutzt.", bemerkte er mit einem Blick auf ihr blasses Gesicht. "Ich brauchte ein Ventil. Das Alles ist echt viel zu verdauen."

"Ich weiß, geht mir genauso. Komm, ich glaub du brauchst eine heiße Dusche, um dich wieder aufzuwärmen."

"Und einen Kaffee." William lachte und schob sie zum Badezimmer. "Zuerst Duschen, danach Kaffee."

"Willst du mit?", hauchte sie verführerisch und biss sich auf die Unterlippe. William legte den Kopf schief.

"Wollen ja, auf jeden Fall, aber du hast eine harte Zeit hinter dir. Bist du sicher?" "Sonst hätte ich nicht gefragt.", entgegnete sie schnell und zog ihn am T-Shirt zu sich. Ihr Kuss war voller Erwartung und Erleichterung. Die gesamte Anspannung ihres Streites war verflogen und machte ihrem gewohnten Zwischenspiel Platz. Keuchend lösten sie sich voneinander lange genug, um William Zeit für sein Einverständnis zu geben.

"Ich glaube ich könnte eine Dusche vertragen.", meinte er spielerisch und umfasste ihre Hüften, "weißt du letzte Nacht, hat mich meine Freundin sitzen lassen und ich hab das nicht gut verkraftet."

"So eine dumme Kuh. Zum Glück hast du jetzt mich und ich verspreche dir so etwas nie zu tun.", flüsterte sie an seinen Lippen, ihre Arme lagen um seinen Hals er sie weiter und weiter zum Badezimmer drängte. "Wirklich?", fragte er als sie ihm das Shirt über den Kopf zog. Hingerissen küsste sie seinen Hals und öffnete die Tür.

"Ja, wirklich. Und jetzt küss mich." Diesen Befehl ließ er sich nicht zweimal sagen. Hungrig hob er sie in einer Bewegung hoch und verschloss die Tür hinter ihnen.

Glücklich und zufrieden öffnete er sie nach einiger Zeit wieder. Ava trug ihren blauen Bademantel, die Haare waren in ein Handtuch gewickelt und ihre Wangen zierte ein sanftes Rosa. Alles fühlte sich warm und kribbelig an. Ihr Körper schien zu pulsieren und auf ihrem Gesicht lag ein dümmliches Grinsen. William stand nur in seiner Lieblingsjogginghose bekleidet neben ihr. Schmunzelnd bemerkte er ihr Grinsen.

"Hab ich meine Arbeit gut gemacht?"

"Sehr gut. Jetzt fehlt nur noch der Kaffee und was Essbares. Dann bin ich wunschlos glücklich." So leicht zufrieden zu stellen? Das krieg ich hin." Geschwind ging er in die Küche während Ava sich auf das Sofa fallen ließ und den Kopf mit geschlossenen Augen zurücklehnte.

Sie wusste den Moment der Ruhe zu schätzen, versprach sich selbst ihn nie zu vergessen. William kam mit zwei Häferln und einem Sackerl voller Brioche-kipferln zurück. Das Sackerl ließ er auf ihren Schoss fallen.

"Glücklich?" Ava biss in eines der Kipferl und stöhnte. Die süße Speise war göttlich. "Ich nehme das mal als ja.", lachend biss auch er in sein Frühstück, doch als er ihre Füße bemerkte dämpfte sich seine Stimmung. Ava folgte seinem Blick und sah die vielen kleinen Risse an der Haut ihrer Füße.

"Der Asphalt ist nicht gnädig mit Leuten, die barfuß herumlaufen. Aber es sieht schlimmer aus als es ist. Tut so gut wie nicht weh, das Blut ist schon getrocknet." Sorgenvoll legte er einen Arm um ihre Schultern.

"Versprich mir besser auf dich aufzupassen. Dein Körper ist stark, aber nur wenn du ihn gut behandelst." Liebevoll küsste sie seine Wangen. "Ich werde es versuchen." Ihr Blick fiel auf die Uhr und erschrocken setzte sie sich auf.

"Oh mein Gott. Die Arbeit! Ich muss anrufen und Bescheid sagen, dass ich heute später komme. Oh Basima wird mich umbringen."

"Beruhig dich. Ich hab bei deiner Arbeit längst angerufen und dich krank gemeldet. Bei meiner übrigens auch. Ich wusste nicht, wann und ob du nach Hause kämst, aber ich wollte nicht dass du Ärger kriegst. Ich weiß, wie sehr du deine Arbeit liebst." Gerührt kuschelte sie sich an seine Schulter.

"Ich liebe dich." "Vermutlich nicht so sehr wie deine Arbeit", lachte William und erntete einen bösen Blick und einen leichten Schubser. "Du kannst echt gemein sein."

"Marla übernimmt deine Schicht und Basima will, dass du dich ordentlich auskurierst. Was auch immer wir tun, wir haben Zeit es herauszufinden." Nickend trank sie einen Schluck.

"Dann bin ich froh, ich denke wir haben eine Menge zu besprechen." "Was meinst du?", fragend hob er die Augenbrauen.

"Na unsere Suche nach IZANAGA. Unser Kampf. Ich hab keine Ahnung wo wir anfangen sollen." Offensichtlich begierig ihr seine Forschung zu zeigen, legte William sein Frühstück beiseite und rannte in das Arbeitszimmer. Zurück kam er mit einer unscheinbaren brauen Akte und einem breiten Grinsen.

"Also,", begann er und breitete die Zettel zwischen ihnen aus, "es ist nicht leicht etwas herauszufinden. Ich hab nach dem Ursprung des Namens begonnen. IZANAGA ist japanisch und wie es aussieht angelehnt an eine der zahlreichen japanischen Schöpfungsmythen. Izanagi und Izanami sind die zentralen Urgötter. Keine Ahnung was das für eine Bedeutung hat, aber vielleicht hatte der Gründer von IZANAGA so etwas im Sinn."

"Weißt du was über die Drahtzieher?" Wenn es William selbst nach zwei Jahren nicht gelungen ist näheres herauszufinden, standen ihre Chancen wohl schlecht. Bekümmert schüttelte er den Kopf.

"Bis vor kurzem hatte ich keinerlei Bild von der Organisation. Aber nachdem mein Informant umgebracht wurde und ich zur Polizeistation gebracht worden war, hat sich jemand zu erkennen gegeben. Laut ihm ist er nur ein kleines Rädchen in einer großen Maschinerie und tatsächlich glaube ich ihm das. Ich bin keine Bedrohung, warum sollten sie also jemand anderes als einen einfachen Mörder schicken."

Ava verzog den Mund, der Gedanken, dass William einem kaltblütigen Mörder gegenübergesessen hatte, war beunruhigend. "Ich habe alles probiert, aber selbst Hutter konnte mir keine Namen beschaffen."

"Heißt das ihre Verbindung zu unserer Regierung besteht schon länger als Hutter in der Politik ist?" Verwundert riss William die Augen auf und strich sich nachdenklich übers Kinn.

"Das könnte sein. Damit wissen wir schon mal, dass die Antworten, die wir suchen in der Vergangenheit liegen." Seine Miene wurde unsicher und Ava wusste welchen weg seine Gedanken genommen hatten.

"Wir wissen, dass meine Eltern für IZANAGA gearbeitet haben und das Georgette etwas mit ihnen zu tun hatte. Wenn wir den Ursprung von Georgette finden, wartet dort vielleicht auch IZANAGA.", meinte er vorsichtig. Ava seufzte und senkte den Blick. Sekundenlang betrachtete sie ihre Finger, strich über eines ihrer roten Geburtsmale und versuchte sich vorzustellen, wie es wäre Georgettes Leben zu erforschen.

Wäre sie bereit alles was Milo ihr erzählt hatte, in der realen Welt zu sehen? War William dafür bereit? "Weißt du woher Georgette kommt? Wo sie geboren ist? Ich weiß, du hast viel mit Milo geredet...hat er etwas erwähnt, dass uns helfen könnte?" In seiner Stimme schwang Neugierde und eine große Portion Mitgefühl. Unsicher gab sie nach.

"Nichts Genaues, aber er hat mir das Haus gezeigt, in dem sie aufgewachsen ist. Und ein paar andere Dinge." "Welche Dinge?" Ava wackelte unruhig auf ihrem Platz und mied seinen Blick.

"Es ist...nichts Schönes." Beunruhig rückte William näher und zwang sie ihn anzusehen. "Egal was es ist, du kannst es mir sagen."

"Georgette...meine Mutter...hatte kein schönes Leben. Ihr sind schlimme Dinge passiert, bevor sie durchgedreht ist. Milo wollte, dass ich sie verstehe, also hat er mir Teile davon gezeigt." Schockiert blieb ihm der Mund offenstehen.

"Wie schlimm genau waren-" "sehr schlimm. Kein Kind sollte durch solche Qualen gehen. Aber ich kann dir das Haus zeigen, wie er es mir gezeigt hat. Den Rest...behalte ich lieber für mich. Ich habe kein Recht ihre Geschichte zu erzählen.", wisperte sie und hatte das unschuldige Kind vor Augen, dass ihre Mutter vor so vielen Jahren gewesen war.

"Wie? Wie könntest du es mir zeigen?", irritiert verzog William das Gesicht. Ava lächelte sanft und griff nach seinen Händen. "Ich zeige dir dasselbe Kopfkino, das Milo mir damals gezeigt hat. Vielleicht finden wir in den Details etwas."

"Ist es wie unsere Kopfkinos?"

"Nicht ganz. Was ich dir zeigen werde, sind Milos Erinnerungen. Die Welt wie er sie damals wahrgenommen hat. Etwas verschoben...verdreht. Du wirst die Umgebung nicht wie in unseren Kopfkinos beeinflussen können." Nickend verdaute er das Gehörte.

"Ich bin bereit." Ava schenkte ihm ein letztes Lächeln und schloss die Augen. In ihrem Verstand beschwor sie das Haus ihrer Mutter herauf. Baute Ziegelstein um Ziegelstein, erinnerte sich an jedes noch so kleine Detail und befand sich kurz darauf erneut vor dem großen, dunklen Gemäuer, dass ihr Bruder so sehr gefürchtet hatte.

Wie damals strahlte es eine ungeheuerliche Kälte aus und wartete verheißungsvoll auf unschuldige Seelen. Ängstlich wagte es selbst die Sonne nicht, die düstere Stimmung zu zerbrechen. Der Anblick ließ sie erschaudern und mit einem tiefen Atemzug verband sie ihren Geist mit Williams.

Sanft zog sie ihn in das vorgefertigte Kopfkino auf dessen Erscheinungsbild er nun keinen Einfluss mehr haben würde. Ein Umstand, der zweifellos unangenehm sein musste. Kurz darauf öffnete William die Augen in Milos Kopfkino und sah sich staunend im Garten vor dem Haus um. Umgeben von Gemüse und Blumen drehte William sich im Kreis, schien völlig fasziniert von der ungewohnten Situation.

"Wow, es fühlt sich merkwürdig an. Irgendwie steif und unbeweglich. Als würde ich in einem Gemälde stecken." Nickend gab sie ihm recht.

"Normalerweise bauen wir gemeinsam an einem fließenden Bild....das hier...ist alles Milo." Ein seltsamer Gedanke, ihr Bruder war seit zwei Jahren tot, doch hier standen sie nun in seinen Erinnerungen. William bemerkte das alte Gemäuer vor ihnen und zeigte fragend darauf.

"Ist das...", er ließ die Frage offen und sah sie neugierig an. "Das Haus der Familie Park oder wie auch immer sie geheißen haben." Sein Blick glitt über die graue Fassade und die wuchtige Hintertür.

"Ich hab noch nie so ein Gebäude gesehen. Wer baut sich so eine deprimierende Fassade?" Ava trat neben ihn und folgte seinem Blick.

"Das Haus ist genauso wie Milo es gesehen hat. Für ihn war dieses Haus nichts als Angst und Schrecken. Seine Gefühle spiegeln sich in dem was er gesehen hat."

"Dann wird es schwer, das Haus zu finden." "Leider." Williams Augen wanderten zu ihr.

"Ich weiß, dass hier ist nicht einfach. Ich lass dich nicht alleine. Versprochen." Ava nickte, doch es war nicht sie um die sie sich sorgte. Dieses Haus beherbergte Grauen, das sie bereits kannte. William dagegen würde einiges zu verarbeiten haben.

Die Hintertür quietschte unangenehm als sie eintraten und den schmalen Flur ins Wohnzimmer gingen. Die grauen Wände und das schwummrige Licht der Lampen taten ihr Übriges, um sie ängstlich zittern zu lassen. Beklemmt überließ sie William die Detektivarbeit.

"Milo muss wirklich furchtbare Gefühle mit diesem Haus verbunden haben. Ich glaube kaum, dass irgendwer hier leben wollen würde. Allein die schwarzen Vorhänge würden mich zutiefst deprimieren." Sein kritischer Blick brachte sie zum Lächeln, auch wenn ihr nicht danach war.

"Die Vorhänge werden ihn wenig interessiert haben." "Stimmt.", gab er ihr recht. William betrachtete die Möbel, den Blick aus dem Fenster, doch am längster verbrachte er vor den Bildern der Familie. Es hingen nicht besonders viele davon an den Wänden. Die meisten davon waren von einem Ehepaar. Keine Kinderbilder, weder von Georgette noch von Milo.

"Das müssen dann wohl Georgettes Eltern gewesen sein. Weißt du wie sie hießen?" "Milo nannte sie damals Edith und Hans." Erfreut lächelte William.

"Damit können wir was anfangen. Kann ja nicht so viele Ehepaare mit diesen Namen geben. Was weißt du noch?" Nachdenklich setzte Ava sich auf den großen, dunkelbraunen Lehnsessel vor dem Kamin und spielte mit ihren Haaren.

"Sie haben ein zweites Kind erwartet als meine Mutter sieben war. Glaube ich. Und sie waren religiös. Sehr religiös." "Weißt du welche Religion?" "Katholisch, denke ich. Milo hat etwas von einem Pfarrer oder Priester erwähnt." William nahm die Information auf und trat auf den Gang zum ersten Stock. Zögerlich folgte sie ihm und zwang sich mit allergrößter Anstrengung die Kellertür zu ignorieren.

"Was ist im ersten Stock?" "Ähm...das Elternschlafzimmer." "Und das Kinderzimmer für Georgette und Milo, oder?" Ava schüttelte langsam den Kopf. "Nein, nicht so richtig."

"Okay. Ich schätze das hat etwas mit der Kellertür zu tun, die du wie einen wahr gewordenen Albtraum angestarrt hast. Ist Georgettes Kinderzimmer da unten?" Sie wollte da nicht noch einmal runter, die Bilder von Georgettes Misshandlungen, von Milos Misshandlungen waren wie eigenen Erinnerungen in ihrem Gedächtnis eingespeichert.

Sie hatte den Albtraum ihrer Familie erlebt und konnte ihn nicht wieder durchmachen. William schien ihre Qualen zu spüren und zog sie in den ersten Stock.

"Ich werde dich nicht danach fragen, wenn es nicht notwendig ist. Vielleicht finden wir oben einen Hinweis." Das erste Zimmer in dem dunklen Obergeschoss war das elterliche Schlafzimmer. Die Tür zu dem Zimmer stand weit offen, eine Blutlache war über die Schwele getreten und lag still im Türrahmen. Der Geruch sagte ihnen lange vor dem Anblick was sie erwarten würde. Fliegen wiesen ihnen den Weg zum Ehebett.

Die Leichen von Georgettes Eltern lagen nach wie vor darin. Brutal auseinandergerissen klebten Eingeweide an Wänden und Bettpfosten. Tote Augen starrten erschrocken an die blutbespritzte Decke.

Die Farbe wich aus Williams Gesicht. Avas Herz begann zu rasen, ihre beschleunigte Atmung zog mehr stinkende Luft in ihre Lungen und wie William musste sie sich konzentrieren, um nicht vor das Bett zu kotzen. Als Milo ihr diese Erinnerung hatte zeigen wollen, war ihre Weigerung genug gewesen. Und nun war es ausgerechnet William, der sie in dieses Zimmer gebracht hatte.

"Hans und Edith, nehme ich an.", brachte er nasal nuschelnd hervor, offenbar bemüht durch den Mund zu atmen. "Ja, so hat Milo sie das letzte Mal gesehen und so haben sie in seinem Gedächtnis überlebt." William taumelte einen Schritt zurück.

"Er hat das gesehen?! Scheiße, wie alt war er da?" "Etwa zehn schätze ich. Mutter war sehr wütend auf ihre Eltern gewesen...sie hat Milo praktisch gezwungen dabei zu sein."

"Sie hat das getan? Sie hat ihre Eltern so auseinandergerissen? Aber wieso...wieso würde sie so etwas tun?" Wütend verzog sie das Gesicht. Wie sollte sie ihm die jahrelange Folter erklären? Den sexuellen Missbrauch und das Töten ihrer Schwester Mara. Keine ihrer Worte waren genug. Bevor sie antworten konnte, bemerkte sie aus dem Augenwinkel ein Bild.

Ihr Großvater Hans und ein ihr bekannter Priester waren darauf zu sehen. Die Gesichter grinsend und die Arme umeinander gelegt, standen sie vor einem Schild. Ein Ortschild, das im Hintergrund gut zu lesen war. Erschrocken konnte sie den Blick nicht abwenden. Selbst als William sich neben sie stellte, blieb ihr Fokus auf dem Bild.

"Das ist es. Das ist wonach wir gesucht haben.", hauchte er ungläubig. Starybol. Die Heimat ihrer Mutter hieß Starybol.

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