14. Das Wissen um Vergangenes

Weißes Blut- Die Tochter wurde krank. Ihre Diagnose schuf eine nie zuvor gekannte Angst. Der kluge Mann ertrank in ungekannter Furcht seine Tochter zu verlieren. Das Mädchen, das ihm so ähnlich war, wurde von einem Arzt zum nächsten gebracht. Unterschiedlichste Methoden wurden angewandt, doch ihr Zustand verschlechterte sich zunehmend.

"Peter sagte etwas von einem Niklaus auf den Josefa in ihren verwirrten Momenten sauer ist. Hast du ein Bild mit diesem Namen gefunden?" Sorgfältig besah er sich Avas Fotohäufchen näher. Sie hatte nicht nur ihre Familie aussortiert, sondern auch ungefähre Jahreszeiten.

Seine Freundin schüttelte den Kopf. "Kein Niklaus. Nirgends." Seufzend sah sie auf ihre Uhr und verursachte damit ein nervöses Grummeln in seinem Magen. Die Zeit lief, schon bald würde das Dorf aufwachen und wenn sie nicht in Peters Haus waren, wenn die Sonne aufging, würden sie sich einigen unangenehmen Fragen stellen müssen.

"Vielleicht ist ja eines der Bücher besonders auffällig.", murmelte sie und ging zu dem alten Bücherregal, das drohend über den Kisten waltete. William folgte ihr mit den Augen, darauf bedacht zu intervenieren sollte sie der Spielzeugkiste zu nahekommen. Ava hatte genug Albträume, sie sollte nicht auch noch so etwas sehen müssen.

Als sie sicher vor den Büchern angekommen war, widmete er sich einer weiteren Kiste. "Dokumente. Wer würde Hieronim wichtige Dokumente anvertrauen?", kopfschüttelnd nahm er sich den ersten Stoß heraus. Geburtsurkunden, Taufscheine und eine alarmierende Anzahl Führerscheine, alle bis 1996 datiert. Schnell rechnete er die Jahre durch und erkannte, dass Georgette Starybol kurz nachher zerstört hatte.

1996 musste das Jahr gewesen sein, in dem sie ausgebrochen war. Kaum ein Jahr später hatte sie ihre Herrschaft und Tyrannei über Europa begonnen. "Was haben wir denn hier?", hörte er Ava sagen und blickte auf. Sie stand nach wie vor, vor den Büchern, doch alle Konzentration lag auf einer kleinen Holzkiste in einem der oberen Regale. Mehrere Zentimeter hinderten ihren Zugriff auf das interessante Objekt.

William machte einen Schritt auf sie zu, doch da hatte Ava bereits ihre Telekinese eingesetzt und die Kiste herunterschweben lassen. Triumphieren lächelte sie ihn an und strich über das Kästchen in ihren Händen. Schöne Einkerbungen verzierten das dunkle Holz und machten die Kiste zu einer wertvollen Schatulle.

"Das sieht nicht so aus als würde es in diesen Keller gehören.", meinte er neugierig und legte die alten Dokumente zur Seite. Sanft strich Ava über die hölzernen Schnörkel und nickte. "Sie ist echt schön. Aber sie hat ein Schloss. Was auch immer Hieronim hier versteckt, es ist wertvoller als die restlichen Kisten."

"Kannst du das Schloss knacken?" Dumme Frage. Mit einem harschen knacks brachen die Scharniere des Deckels und offenbarten Hieronims letztes Geheimnis. Von seinem Platz am anderen Ende des Raumes konnte William nicht erkennen, was sie gefunden hatte, doch ihr Gesichtsausdruck fegte das Lächeln aus seinem Gesicht.

Alle Farbe war aus ihren Wangen gewichen, die Augen waren entsetzt aufgerissen. Das Zittern kehrte in ihre Glieder zurück. Etwas stimmte nicht. Leicht panisch lief er auf sie zu und schlang seine Arme um ihren bebenden Leib.

Das Kästchen fiel zu Boden, erbrach seinen Inhalt vor ihnen. Dutzende Kindergesichter starrten ihm entgegen. Ihre großen, verängstigten Augen bildeten ein grausiges Mosaik auf dem kalten Beton. Das waren keine Fotos von Weihnachtsfesten oder Taufen. Auf den Bildern war immer nur ein Raum zu erkennen. Dieser Raum, tief unter der Erde. Der Fokus lag auf dieser furchtbaren Matratze und dem jungen Mädchen, dass auf ihr saß...lag...weinte.

Er musste den Blick abwenden, musste atmen, auch wenn sein gesamter Körper lieber schreien würde. Ava weinte leise in seinen Armen. "Das ist...das ist alles Hieronim...er hat...nie aufgehört.", schluchzte sie und hob ihren Blick. William konnte ihr nicht in die Augen sehen, unmöglich. Alles was er sehen würde, wäre derselbe Gesichtsausdruck, den auch die Kinder auf den Bildern trugen.

"Wir müssen etwas unternehmen.", hörte er seine Freundin wispern. "Ja...ja. Das müssen wir." "William sieh mich an." Ihre Stimme wirkte härter, irgendwie stählern. Kopfschüttelnd starrte er an die Decke. Da kroch schon wieder Übelkeit durch seinen Magen. Warum konnte er nicht stärker sein?

"William!" Die Wut in ihrem Ton holte ihn zurück und langsam senkte er den Blick. Entgegen seinen Erwartungen empfing ihn offener Zorn und ehrliches Mitgefühl. Ihr Körper zitterte nicht mehr. Sie hielt ihn aufrecht, borgte ihm stärke, die er im Moment nicht finden konnte. 

"Wir müssen die Fotos einsammeln.", befahl sie eisern und ließ sich zu Boden fallen. William wurde widerwillig mitgezogen und landete neben ihr auf dem Hintern. Die Kälte kroch über den Beton in seine Kleidung und die Bilder waren aus der Nähe um ein Vielfaches grausamer. Details sprangen ihn an und bedrohten ihn mit einer qualvollen Vergangenheit.

Neben ihm seufzte Ava tief und begann die Bilder aufzuheben. William wollte ihrem Beispiel folgen und griff nach dem Foto eines etwa elfjährigen Mädchens. Das lange blonde Haar verdecke den Großteil ihres Gesichts, während das knappe Hemdchen auf ihrem Körper viel zu wenig verbarg. Mit zittrigen Händen wendete er das Bild. >Anna 2019< stand in krakeliger Schrift auf weißem Fotopapier.

"Das ist ein neues Foto.", bestürzt verbarg er seinen Mund mit den Händen. Ava biss die Zähne zusammen, als sie die Jahreszahl sah und begann die Bilder umzudrehen. Entgeistert betrachtete er sie in ihrem Tun.

"Lena, Alicija, Natalia, Wiktoria. Das sind so viele.", sinnierte sie, jedes Bild schien von einem anderen jungen Mädchen zu sein," Er muss das halbe Dorf in diesem Keller gehabt haben." "Oder er hat sich aus Klamstwo Nachschub geholt. Wann wurden sie gemacht?" William besah sich die Jahreszahlen und erkannte ein Muster, "In den letzten zwei Jahren scheint er keine gemacht zu haben. Davor war es jedes zweite Jahr ein Mädchen. 2017...2015...das geht zurück bis-", er konnte nicht weitersprechen.

Das Bild in seinen Händen hatte ihm die Stimme gestohlen. "Bis wann?", Ava sah ihm über die Schulter und erkannte den Grund für sein Zögern. "Magda." Daran war kein Zweifel. Sie war jünger, wesentlich jünger. Vielleicht zwölf oder dreizehn Jahre, aber ihr Gesicht war unverwechselbar. Ava atmete zittrig ein, doch William fiel selbst das schwer. Magda sah verstört aus, zu Tode verängstigt.

"Er hat ihr das auch angetan. Warum hat sie sich nicht gewehrt? Warum hat sie nichts gesagt? Wie viele Mädchen im Dorf mussten hier unten leiden und sind danach in seinen Messen gesessen.", brodelte es in ihm und wütend warf er die Bilder weg. Er konnte nicht länger auf die Gesichter verängstigter Kinder starren. Ava hob sie schweigend auf und legte sie zurück in die Kiste. Ihre Ruhe feuerte die Wut in seinen Adern nur weiter an.

"Warum sagst du nichts? Das Ganze ist einfach nur grausig. Und niemand hat ihn aufgehalten. Wenn sie doch nur etwas gesagt hätten."

"Vor langer Zeit habe ich meinen Bruder dieselben Fragen gestellt. Ich hab ihn gefragt, warum Mutter sich nicht gegen Hieronim und gegen ihre Eltern gewehrt hat. Mir kam es dumm vor, dass jemand so mächtiges wie meine Mutter, dass alles mit sich hat machen lassen. Willst du wissen, was er mir geantwortet hat?" Gebannt von ihren Worten nickte er. Ava strich ihm zärtlich über die Wange, in ihren Augen sah er ein gebrochenes Herz.

"Angst. Mutter hatte entsetzliche Angst. Hieronim hat darauf vertraut das diese Angst sie immer gefügig machen würde und mit ein paar einfachen Worten, kann man einem Kind sehr schnell einreden, dass all das hier ihre Schuld ist. Dass sie es verdient hat. Magda muss genau solche Angst gehabt haben oder hat sie noch immer. Wie sollte sie allein gegen einen Mann antreten, der von seiner Gemeinde, ihrer Gemeinde als Held gefeiert wird. Wer würde ihr Glauben? Immerhin leben wir in einer Welt in der Opfer sexueller Gewalt als Lügner abgestempelt werden. Magda muss in ihrem Schmerz unendlich einsam gewesen sein."

Das musste sie zweifellos. Williams Wut verschwamm, zurück blieb Trauer für die Qualen der Kinder. "Wir nehmen diese Bilder mit. Sie sind Beweisstücke. Vielleicht kann Peter mit ihnen Hieronim ein Ende bereiten.", hoffnungsvoll schloss er die Kiste und küsste Avas Stirn. Ihre Nähe war tröstend. Sein Blick fiel auf ein einzelnes Bild, das in seiner Rage auf dem Boden vergessen worden sein muss.

Vorsichtig hob er es auf und erwartete ein weiteres Beweisstück, stattdessen offenbarte ihm das Bild eine Baustelle. Ein halbfertiges Haus, dessen Rohbau sehr nach einem alten Krankenhaus aussah. Der Fassade nach würde er es auf Baujahr 1950 oder so schätzen. Vor dem Gebäude standen drei Kinder. Zwei sahen asiatisch aus. Ein älterer Junge und ein kleines Mädchen im Rollstuhl. Das dritte Kind war ein weißer Junge.

Vielleicht Hieronim mit seinem späteren Freund M. Alle drei lächelten verhalten in die Kamera, doch es war die Gebäudebeschriftung, die ihn interessierte. "St. Niklaus Szpital." "Was heißt das?", fragte Ava und nahm ihm das Bild ab.

Ihre neugierigen Augen tranken jedes Detail. William stockte. "St. Niklaus Krankenhaus. Es war ein Krankenhaus. Das muss der Niklaus gewesen sein auf den Josefa sauer war. Wir hatten Recht. Georgette war krank und sie wurde in dieses Krankenhaus gebracht. Was auch immer dort passiert ist, hat etwas mit ihren Fähigkeiten zu tun. Wir müssen dieses Krankenhaus finden!"

Das entfernte Schallen von großen Glocken ließ sie beide aufschrecken. Verwirrt sahen sie an die Decke, durch die das Geräusch kam. "Furia. Das muss aus Furia kommen.", hauchte Ava und sah ihn fassungslos an. William schluckte hart. Verdammt, dieses winzige Dorf hatte tatsächlich einen dorfweiten Wecker. Panik schoss durch seine Adern als ihm klar wurde, was das bedeutete.

"Wir müssen zurück. Schnell!", eilig packten sie die Schatulle in seinen Rucksack und liefen die Treppe hinauf in den Hauptraum der Kirche. William warf die Falltür zu. "Komm schon." Avas verbissener Gesichtsausdruck überraschte ihn. In ihren Händen lag das verbogene Schloss. "Es ist kaputt. Er wird wissen, dass wir hier waren." "Egal. Sobald wir Peter die Bilder gezeigt haben, wird er diesen Raum nie wieder benutzen." Nickend ließ sie das Schloss fallen und lief an seiner Seite aus dem Gebäude.

Der Horizont zeigte die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne, färbte den Himmel in einem weichen lila. "Mist.", fluchend ergriff er Avas Hand und trieb sie weiter. "Ich hasse laufen.", jammerte sie außer Atem. Sie hatten den Pfad nach Furia erreicht und betraten den immer noch dunklen Wald. "Ich wette, jetzt bereust dus, dass du nicht mit mir laufen gegangen bist." Wütend zeigte sie ihm die Zunge, zu kurzatmig, um eine patzige Antwort zu erwidern.

Der unebene Boden ließ ihn trotz seiner guten Kondition schon bald schwitzen. Zum Glück war der Weg nun heller, ein Verlaufen war ausgeschlossen. Avas Hand wurde immer rutschiger und schwerer, sie ließ sich zu einem großen Teil von ihm ziehen. Sie konnte zwar stundenlang in der Küche stehen und Torten dekorieren, aber Ausdauersport war nicht ihres.

Mitfühlend betrachtete er ihre knallroten Wangen und das schwarze Longshirt, dass an ihrem Oberkörper klebte. Die langen Haare waren in einem unordentlichen Knoten gebunden. "Können wir eine Pause machen?", japste sie schwach. Im nächsten Moment ertönten die Glocken erneut und fächerte ihre Angst weiter an.

"Wir haben keine Zeit." William nahm ihr den Rucksack ab und zog sie weiter. Hieronim konnte nichts von ihrem Fund erfahren, bevor Peter nicht die Beweisfotos und eine ausführliche Erklärung erhalten hatte. Ansonsten würde dieser falsche Priester alles abstreiten und sie als die Schuldigen darstellen. Das durfte einfach nicht passieren, hier ging es um Gerechtigkeit für Magda und all die anderen unschuldigen Kinder.

Völlig außer Atem und bis auf die Knochen verschwitzt kamen sie in Furia an. In einigen Häusern brannten die ersten Kerzen. Das Dorf erwachte. "Schnell. Wir müssen zurück zu Peters Haus.", keuchte er. Stöhnend folgte sie seinem Beispiel und bückte sich in den Schatten. Ohne Zwischenfälle kamen sie bei Peters Haus an und öffneten die Tür leise.

Sie waren auf halben Weg durch das Wohnzimmer als er Josefas hellwache Augen bemerkte. Ihr wütender Blick schien Flammen zu werfen. "Wo wart ihr?", krächzte die Alte und besah sich ihre Aufmachung genauer. Irgendetwas an William und Avas verschwitzen Antlitz musste einen Nerv getroffen haben.

Mit wutverzehrtem Gesicht stand Josefa auf und hob drohend die Fäuste. "Ihr zwei habt Unzucht getrieben! Wie letzte Nacht! Wollüstige, dumme Kinder! So ein Verhalten wird in Furia nicht toleriert!", schrie sie ihnen entgegen. Verärgert verschränkte William die Arme und wollte ihr Paroli bieten, doch seine Freundin schien andere Pläne zu haben.

Unerschrocken stellte sie sich vor ihn und sah Josefa stur entgegen. Sie wollte ihn beschützen, realisierte William mit einem warmen Lächeln. Nur zu gerne hätte er sie für diese einfache Geste geküsst, aber Josefas Gesichtsausdruck nach, sollte er Ava besser nicht zu nahekommen.

Just in diesem Moment traten Seb und Peter aus ihrem Schlafzimmer. "Babcia! Was ist los? Warum schreist du hier so früh herum?" Josefa zeigte auf sie. "Sieh sie dir an.", zischte Josefa vorwurfsvoll. Peters Blick glitt einmal über sie und leicht lächelnd trat er neben William.

"Hättet ihr das nicht auch im Schlafzimmer tun können?", flüsterte er mit Schalk in den Augen. William verdrehte die Augen. "Es ist nicht so wie du denkst." "Das ist es nie!", schrie Josefa wieder und griff nach Avas Arm, "du wirst Hieronim jetzt deine Sünden beichten."

"Babcia es ist noch nicht mal fünf Uhr morgens. Kann sie das nicht auch nach dem Frühstück machen?" "Nein, mit einer Hure werde ich mein Frühstück nicht teilen." "Hey! So wirst du sie nicht nennen. Haben wir uns verstanden?", mischte William sich wütend ein und versuchte Josefa von Ava fortzudrücken, doch die alte Frau hatte sich festgekrallt. Ihre krummen Nägel würden sicherlich rote Abdrücke auf Avas Haut hinterlassen.

"Ist schon okay. Ich werde mit ihr gehen.", beschwichtigend legte Ava eine Hand auf seine Schulter, "rede mit Peter, während ich beichte." "Nein, ich lass dich das nicht alleine machen." Ihr Blick war warm und durch ihr Band spürte er keinerlei Furcht. Sie war sich sicher, sie wollte Hieronim gegenübertreten. William biss sich auf die Unterlippe. Es war seine eigene Sorge um sie, die er kaum bändigen konnte.

"Er ist ein alter Mann, schon vergessen? Du musst keine Angst haben." "Aber du! Für deine Sünden wirst du büßen.", giftete Josefa und zog an ihrem Arm. William schüttelte den Kopf. Die Gesichter Hieronims Opfer kreisten in seinem Verstand. "Wenn irgendetwas passiert-"

"lasse ich es dich wissen. Sofort. Versprochen. Ich liebe dich.", lächelnd ließ sie sich von der Alten aus dem Haus ziehen. Alles in ihm wollte ihr folgen, bei ihr bleiben, aber er zwang sich keinen Muskel zu rühren. Seine Aufgabe war Peter. Die Schatulle in seinem Rucksack schien zehn Kilo zu wiegen, ihre Verantwortung presste ihm die Luft aus den Lungen.

Peter der von all dem nichts wusste, klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. "Mach dir keine Sorgen. Mina wird nur ein paar Mal beten müssen und die Sache ist erledigt. In einer Stunde ist sie wieder da. Hieronim ist zwar manchmal ein merkwürdiger Typ, aber im Grunde voll in Ordnung."

Genau da lag das Problem. Hieronim war kein >merkwürdiger Typ<, er war ein Monster. Peter diese Tatsache begreiflich zu machen, würde wohl doch schwieriger werden als gedacht. Seb richtete ein einfaches Frühstück her. Brot, Butter und eine Auswahl an verschiedenen Marmeladen landeten auf dem Holztisch. "Setz dich und iss erst mal. Du musst echt erschöpft sein. Bist ja vollkommen verschwitzt. Was habt ihr zwei da draußen getrieben? Oder besser, erzähls mir nicht. Ich will es gar nicht wissen."

Peters rote Wangen suggerierten unanständige Gedanken. Er könnte nicht ferner von der Wahrheit sein. "Ich muss mit dir reden. Es ist dringend." Peter nickte nur und führte ihn zum Tisch.

Seb legte eine Scheibe Brot auf seinen Teller und ein Glas Wasser vor seine Nase. Auch er trug dieses vieldeutige Lächeln auf den Lippen. Er schien dieselben Gedanken wie sein Freund zu haben. Durstig ignorierte er Seb und Peters Anspielungen und stürzte das Wasser herunter. Erst nach dem letzten Tropfen merkte er wie durstig er gewesen war. Erleichtert lehnte er sich zurück während Seb wortlos sein Glas nachfüllte. Er flüsterte etwas auf Polnisch. Darüber lachend nahm Peter neben ihm Platz. Seb gab auch ihm ein Brot und seelenruhig begannen sie zu frühstücken.

Die Szene wirkte so unschuldig, so fern von den Grauen in diesem Keller in Starybol. Es tat ihm leid um den Frieden, den er in Peters Haus stören musste. "Ich muss dir etwas über Hieronim erzählen.", begann er seufzend und beugte sich vor. Peter winkte ab.

"Er ist echt nicht so schlecht wie er jetzt vielleicht wirkt. Er war immer gut zu unserer Familie." "Aber wieso? Wieso war er gut zu euch?" "Was meinst du?", Peter verengte die Augen und legte sein Brot zu Seite. Seine Frage kam ihm wohl verdächtig vor. "Wieso beschützt er euch, obwohl ihr mit Georgette verwandt seid?"

"Ich denke er hat etwas für meine Großmutter übrig. Die beiden sind schon seit Ewigkeiten befreundet." "Oder er fühlt sich schuldig, weil er eurer Familie etwas Furchtbares angetan hat." William traute Hieronim zwar nicht besonders viel Gewissen zu, doch welchen anderen Grund gab es Peter und Josefa zu beschützen? Peter wirkte nun völlig verwirrt. "Was redest du da für einen Unsinn? Was soll er unserer Familie angetan haben?"

"Georgette war nicht immer ein Monster." "Du denkst Hieronim hat sie dazu gemacht? Ach, komm schon, Liam. Der alte Mann ist vieles, aber kein Zauberer. Er kann niemanden diese Gaben geben." "Davon rede ich nicht.", tief durchatmend holte William das Kästchen aus seinem Rucksack und legte es vor sich auf den Tisch. Seb und Peter blickten irritiert auf das Objekt vor ihnen.

"Georgettes Eltern haben sie wegen diesen Fähigkeiten eingesperrt. In den Keller ihres Hauses. Hieronim hat das so veranlasst. Und während er mit Georgette, ...mit diesem Kind allein war, hat er ihr weh getan. Sehr, sehr wehgetan." "Was sagst du da?", hauchte Peter unsicher. Eine Anschuldigung wie diese war keine leichte Sache. Selbst eine Anschuldigung ohne Beweise konnte das Leben eines Menschen vernichten.

William straffte die Schultern und zwang sich Peter in die Augen zu sehen. "Er hat Georgette vergewaltigt. Immer und immer wieder. Er ist Milos Vater und der Vater von Georgettes erster Tochter Mara. Und sie war nicht sein einziges Opfer."

Langsam öffnete er das Kästchen und holte die Fotos heraus. Nach und nach legte er jedes von ihnen vorsichtig auf den Tisch zwischen ihnen. Die Augen der Kinder verfolgten seine Bewegungen. Seb keuchte entsetzt und hielt sich den Mund mit beiden Händen zu.

Peter erbleichte und stand auf.  "Nein, nein. Das ergibt keinen Sinn. Ich kenne diesen Mann, seit ich auf der Welt bin! Er würde so etwas niemals tun." Ohne zu antworten, legte William weiter die Fotos auf. Als er bei Magda ankam, riss Peter ihm das Bild aus den Händen. Seine Augen studierten jedes Detail. "Das kann doch nicht wahr sein.", schluchzte er und senkte den Kopf, "das kann unmöglich Hieronim gewesen sein."

Mitfühlend biss William die Zähne zusammen und gab Peter einige Sekunden. "Bist du sicher?", fragte er schließlich und suchte seinen Blick.

William nickte. "Wir haben dieses Kästchen im Keller unter der Kirche in Starybol gefunden. Zusammen mit der Matratze, die du auf den Bildern siehst. Du hast selbst gesagt, dass Hieronim niemanden in dieses Archiv lässt. Wer sonst hätte also Zugang und die Möglichkeit diese Bilder zu machen?"

Niemand. Selbst Peter musste das zugeben. Frustriert ballte er die Hände. "Habt ihr nach diesen Informationen gesucht? Hast du vorher gewusst, was Hieronim Georgette angetan hat?" William verzog das Gesicht. "Ich...es ist kompliziert."

"Ja oder nein?" Der starre Zug um Peters Lippen schien in Stein gemeißelt. Unsicher gab William nach. "Ja." "Woher hast du es gewusst?" Die falsche Frage. Ihre Antwort könnte Peters Beziehung zu ihnen vernichten, sein Vertrauen zerstören. William wollte nicht ohne Ava antworten, doch Peters Blick forderte mehr als eine Halbwahrheit.

"Milo. Georgettes Sohn hat es meiner Freundin erzählt." "Wieso?" Wie viele Stunden hatte er selbst mit dieser Frage verbracht. Milos Motive waren in dem Chaos der Vergangenheit verstrickt, aber bei einem war William sich sicher. "Er wollte ihr Vertrauen gewinnen, wollte ihr erzählen, woher Georgettes....Wut kam. Ich glaube ein Teil von ihm, brauchte ihre Bestätigung, dass das was ihnen passiert, ist monströs war und es keinen anderen Weg für Georgette und ihn gegeben hat, als selbst zu Monstern zu werden."

Da war ein Funke Verständnis in Peters Augen, er wusste worauf William anspielte. "Sag es.", hauchte er trotzdem und William beugte sich. "Ihr richtiger Name ist Ava Park. Georgettes einziges lebendes Kind." Fassungslos ließ Peter sich auf seinen Sessel fallen. "Ihr habt gelogen." "Nein, wir haben nur nicht alles erzählt. Wir wussten nicht wie ihr reagieren würdet und wir brauchten diese Infos über Georgette."

"Und jetzt da ihr sie habt? Werden euch eure Verfolger in Ruhe lassen?" Niedergeschlagen senkte er den Kopf. "Vielleicht. Aber etwas von dem Puzzle fehlt noch." "Sie kam mir bekannt vor. Gestern in Starybol. Wir bekommen nicht viele Nachrichten, besonders nicht über Ava Park, aber irgendetwas an ihr...", Peter schüttelte den Kopf und sah auf die Fotos vor ihm, "was soll ich mit diesen Bildern machen?"

Das war doch offensichtlich. William war die Hände in die Luft. "Zeig sie dem Dorf! Rede mit Magda und den anderen Opfern. Hieronim darf so nicht weitermachen. Das jüngste Bild ist von 2019! Wenn du nichts unternimmst..., wenn du nicht dafür sorgst, dass das Dorf sich wehrt, wird dieses Jahr ein anderes Kind in seinem Keller sitzen und von ihm missbraucht werden."

Peters Gesicht war ausdruckslos und ungelenk sammelte er die Bilder ein. "Wenn ich das tue, und die Menschen glauben mir, zerstöre ich damit meine Heimat. Und alles was wir die letzten zwanzig Jahre aufgebaut haben. Ohne Hieronim ist Furia verloren. Der Skandal würde uns vernichten.
Nein, viel wahrscheinlicher ist, dass mir niemand glaubt. Das diese Fotos und die Anschuldigung begraben werden und ich als Unruhestifter aus unserer Gemeinde ausgestoßen werde. Selbst Babcia könnte mich nicht davor schützen. Egal welchen Ausgang, wenn ich tue, was du verlangst, verliere ich mein Zuhause für immer."

Erbost riss William ihm die Bilder aus den zittrigen Händen und suchte Magdas Foto. Mit zornesroten Wangen hielt er es Peter vor die Nase. "Erzähl das Magda. Sieh ihr in die ängstlichen Augen und sag ihr, dass du lieber mit diesem Wissen leben willst, anstatt ihr Gerechtigkeit zu verschaffen."

Bebend nahm Peter ihm das Bild ab und legte es zu den anderen in das Kästchen. Mit einem leisen klick, schloss er es und verbarg den grausigen Inhalt ein ums andere mal. Entgeistert starrte William seinen Gastgeber an. Peter mied seinen Blick.

"Ich kann nicht.", hauchte er und verließ das Wohnzimmer.

Anmerkung der Autorin: Och Peter...was haltet ihr von seiner Reaktion? Hättet ihr anders gehandelt? Und was wird Ava bei Hieronim erwarten 🙈

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