Neid

 Kapitel 33:

„Erinnerung? Als ich ging, existierte die Kuppel noch." Die, die Atmosphäre des Planeten ersetzende Kuppel, hatte aus reiner Energie bestanden, die irgendwann so schwach wurde, dass man sie künstlich verstärken musste. Ihr Volk hatte den Planeten, der längst zu alt war, um sich selbst am Leben zu erhalten, aus sentimentalen Gründen quasi künstlich beatmet. Vielleicht war er auch einmal so schön gewesen wie die Erde. Mit Meeren und einem rotierenden heißen Kern, der alles im Gang hielt.
Sie hätten auch einfach Portale öffnen und innerhalb der Ebene eine neue Heimat finden können, doch wie bereits erwähnt: Sie waren der Inbegriff der Sesshaftigkeit. Neues zu suchen, lag nicht in ihrer Natur.
„Und als ich ging, existierte zumindest dieser Turm noch. Der, und einige Gebäude. Jetzt ist alles verschwunden." Janiyana hatte es gewusst, sie alle hatten das. Ihr Volk existierte nicht mehr, ihre Brüder und Janiyana selbst hatten ihren Verlust durch so viele Ebenen hindurch gespürt. Und Janiyana befürchtete den Grund dafür zu kennen.
„Kronos. Er hat sie alle vernichtet, weil er mich nicht finden konnte." Die Rache eines Mannes, der es nicht gewohnt war, einmal nicht das zu bekommen, was er wollte. Sie gehörte ihm, das war nun einmal so, doch nur deswegen bedeutete es noch lange nicht, dass sie es einfach so hinnahm.
Yorinas furchtbares Grinsen wurde noch breiter und sie offenbarte wieder diese unmenschlich spitzen Zähne, die in dem Kindergesicht absolut fehl am Platz wirkten. So, wie sie selbst in dieser Erinnerung.
„Das könnte möglich sein, ist sogar wahrscheinlich, wenn ich daran denke, dass er die absolute Zerstörung beherrscht. Aber für alle anderen war es einfach ein wanderndes, schwarzes Loch, das alles verschlungen hat. Kronos hatte schon immer eine Schwäche für diese Dinger."
Janiyana schluckte.
„Du hättest sie retten können." Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. Dieser Zivilisation hatte sie angehört, sie wurde vergöttert und dennoch hatte sie alle sterben lassen. Grausamkeit, das war der einzige Grund dafür. Das Kind zuckte mit den Schultern, ihre Korkenzieherlocken sprangen niedlich um das runde Gesicht.
„Sie hätten sich selbst retten können, wenn sie nicht so zögernd gewesen wären. Es gab genügend von ihnen, die Portale in anderen Winkeln der Ebene hätten öffnen können, vielleicht haben es einige auch getan. Aber der Großteil wartete einfach ab, bis es zu spät war. Als ich ging, waren die meisten schon in der Zeitanomalie gefangen, die alles so weit verlangsamt hatte, dass sie nicht mehr entkommen konnten. Schwarze Löcher sind schon etwas Extremes und sie funktionieren in allen Ebenen gleich. Interessant, oder? Trotz der physikalischen Abweichungen."
Ja, das war es. Für jemanden, der überhaupt kein Verständnis für die Bedeutung des Lebens hatte. Niemals hätte Janiyana gedacht, dass Yorina so sein könnte. Demeter war gütig, lebenspendend und beschützerisch – diesen Glauben hatten die Geschwister mit auf die Erde gebracht, denn das war das Bild, was ihnen selbst beigebracht wurde. Erst als keine Unterstützung von der Göttin ihres Volkes kam und sie sich allein gelassen in einer fremden Welt zu Recht hatten finden müssen, bemerkten sie die Grausamkeit in ihrem Wesen. Und dieser Teil von ihr schien sich immer weiter zu verstärken.
„Kannst du es neu erschaffen? Unser Volk?", fragte Janiyana. Yorina sah sie eine Weile lang schweigend an. Es war auch ihr Volk gewesen, wie hatte sie es sterben lassen können? Bedeutete ihr ihre Heimat wirklich so wenig?
Die sonst so gespenstisch klaren, kalten Augen zeigten plötzlich Frustration und man sah ihr deutlich an, dass sie die folgende Offenbarung am liebsten nie mit jemandem geteilt hätte. Warum sie es jetzt tat, konnte sie Janiyana nicht erklären.
„Ich erschaffe gar nichts, Kind meines Volkes." Janiyana legte den Kopf schräg. Das verstand sie nicht.
„Du bist das Leben, du erschaffst es, Kronos zerstört es. Das ist eure Aufgabe." Ein bitteres Lachen überzog die kindlichen Züge der Göttin.
„Das ist eine lustige Lüge, nicht wahr? Stell dir vor, wie lustig ich es fand, als ich herausfand, dass ich nicht die Macht dazu habe. Urkomisch. Der Witz des Jahrhunderts, quasi. Natürlich habe ich eine Weile gebraucht, um zu verstehen, dass es nur eine Lüge ist." Wieder runzelte Janiyana fragend die Stirn. Das göttliche Kind trat neben sie, hob den Kopf und betrachtete den leeren Fleck am Himmel. Tiefschwarz, ohne Sterne. Das schwarze Loch. Unsichtbar und doch sichtbar. Das Ende ihres Volkes.
Dann begann Yorina mit einer merkwürdigen Melancholie in der Stimme zu erklären.
„Ich glaube, die eigentliche Lüge unseres Volkes war es, sich einzureden, der Aufstieg würde uns tatsächlich allmächtig machen. Wir werden mächtiger, ja. Aber dennoch haben wir nichts Gottgleiches an uns. Ich erschaffe die Ebenen nicht wirklich, ich bin wie eine Flamme, die an eine Zündschnur gehalten wird, damit die Bombe hoch geht und alles seinen Anfang nimmt. Aber was dann geschieht, kann ich nicht wirklich steuern. Ich bin so lange durch die Ebenen gereist, um eine zu finden, auf der ich tatsächlich allmächtig bin und immer wenn ich einen Leerraum berührt habe, habe ich den Zündstoff geliefert, um eine neue zu erschaffen. Ich glaube genau dafür bin ich da, eine ewig Suchende, die nebenbei erschafft, ob sie nun will oder nicht. Der einzig Aufgestiegene, in dem ich eine gewisse Göttlichkeit sehe, ist Kronos. Er ist das Ende und er bringt es auch tatsächlich zu Ende. Bei ihm ist es eine bewusste Entscheidung, kein Versehen." Sie lächelte bitter.
„Ich habe eindeutig den falschen Posten gewählt, nicht wahr?" Ihr Blick schwankte zu Janiyana, „ich habe so lange darauf hingearbeitet aufzusteigen, um kein kleines Rädchen in diesem Spiel zu sein. Ich wollte ein Gott werden und habe dafür Dinge getan..., doch letztendlich bin ich betrogen worden. Doch ich werde mir nehmen was mir zusteht."
Janiyana begegnete ihrem Blick ungerührt, was sollte sie auch anderes tun? Weglaufen war keine Option und auch wenn sie befürchtete, dass dies hier für sie nicht gut ausgehen würde, hatte sie doch nicht die Möglichkeit es zu verhindern.
„Du willst quasi noch weiter aufsteigen?" War das möglich? Sie wusste ja sowieso nicht, wie der ihr bekannte Aufstieg eigentlich passierte, war es wie eine Leiter, die man Stufe für Stufe erklomm? Hatte Yorina erst den ersten Absatz erreicht?
„Nein, Kind. Ich habe vor eine Position einzunehmen, die in meinen Augen tatsächlich göttlich ist. Doch leider ist sie besetzt. Noch."

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