Kelly und der Kernreaktor

Kapitel 5

„Mein Name ist Kelly", sagte die junge Frau mit dem fröhlichen Lächeln und den funkelnden hellblauen Augen, die ihrem typisch amerikanischen Äußeren einen sympathischen Ausdruck verliehen. Erik betrachtete mit einer hochgezogenen Augenbraue, wie das Mädchen vor dieser Halbgöttin stand und ihr eine Hand entgegenhielt, als erwartete sie tatsächlich, dass Janiyana danach griff und sie wie eine Gleichaltrige begrüßte. Vielleicht hatte Erik vergessen Kelly zu sagen, dass sie aus einer komplett anderen Zeit stammte und deshalb sicher niemandes Hände schütteln würde. Doch umso länger Janiyana einfach nur da saß, sie erstaunt und unglaublich einschüchternd ansah, umso unwohler fühlte sich Kelly und ließ ihre Hand langsam wieder sinken.

Kurz sah sie hilfesuchend zu Erik, doch er konnte nichts für sie tun. Kelly musste es ganz alleine schaffen, die Herrin dieses Hauses dazu zu bringen, ihr nicht gleich den Kopf abzureißen. Er spürte wie ein Muskel in seiner Wange zuckte, als Kelly ihr zittriges Lächeln gezwungen beibehielt und nervös ihre bunt lackierten Fingernägel betrachtete.

Dabei hatte er geglaubt, nach dem Anblick heute morgen würde ihn nichts mehr so sehr in seine Bann ziehen können.

Als Janiyana nach einem ausgiebigen Bad in einem feinen und fast durchsichtigen, weißen Seidenkleid an ihm vorbei glitt und die Skyline von Manhattan betrachtete, hatte ihre überirdische Schönheit ihm fast einen Schock verpasst. Einer, der nicht lange hielt, denn die zweite Überraschung war auf dem Fuß gefolgt. Mit einer unendlichen Eleganz hatte sich seine Herrin vor den Kamin gesetzt, die Füße neben sich auf die Sitzfläche gezogen und sich mit erstaunlicher Scharfsinnigkeit und unendlicher Geduld dem Tablet auf ihrem Schoß gewidmet. Seit Stunden googelte sie nun schon alles was nicht verstand. Beeindruckend für eine Frau, die nicht einmal in der Lage gewesen war, das Gerät zu starten.

Von Personen allerdings schien sie nicht so schnell angetan zu sein, wie von der Technik. Sie ließ ihren Blick über Kelly gleiten, die sich bei dieser Musterung sichtlich unwohl fühlte, bevor Janyjana ihren Kopf zu ihm drehte und ihn ansprach.

„Ist sie mein Abendbrot?"

Weil Erik sie anblickte, bemerkte er nicht sofort wie Kellys sowieso schon blasser Teint, noch eine Spur durchscheinender wurde und sie instinktiv einen Schritt zurück machte.

„Nein", flüsterte die fröhliche Blondine nur ängstlich und lenkte damit Janyjanas Aufmerksamkeit wieder auf sich.

„Ich meine, natürlich gebe ich euch mein Blut, wenn ihr es wünscht, es wäre mir eine... Ehre", haspelte sie schnell weiter und senkte den Kopf dabei, als würde damit ihre Angst nicht noch offensichtlicher werden. Zeit für Erik, die Situation zu retten.

„Verzeiht. Kelly wird euch nicht optimal nähren können, sie ist erst vor vierzig Jahren verwandelt worden und eigentlich nur hier, um eure Wünsche entsprechend der Einrichtung des Hauses oder allem Anderen was es zu organisieren gilt, zu entsprechen. Damit ist sie Quasi... eure Haus- und Hofmeisterin."

Janiyana blinzelte ein paar Mal kurz, als sie die Information verarbeitete und brachte dann tatsächlich so etwas wie ein Lächeln zustande.

„Oh. Das triff sich gut, da gibt es etwas was ich haben möchte."

Kellys Augen blitzten freudig auf bei der Erwartung in ihrer eigentlichen Rolle gebraucht zu werden und entspannte sich, bevor sie sich höchst interessiert über das Tablet lehnte, was Janiyana ihr entgegen streckte. Das Gesicht der jungen Vampiren versteinerte sich und sie sah Erik mit großen, vollkommen verängstigten Augen an.

„Das ist ein... Kernreaktor."

„Ja, Ich finde seine Funktionsweise ansprechend, ich möchte einen haben!", beharrte Janiyana mit einer kindlichen Naivität, die in Erik einen kleinen Sturm auslöste und den Drang in ihm weckte, dieses fast allmächtige Wesen zu beschützen. Eine Göttin aus einer Zeit vor Christi Geburt, die sich mit einem Tablet in der Hand einen Kernreaktor wünschte – abstruser ging es nicht mehr. Und wieder blieb es an Erik die Situation zu entschärfen.

„Das wird nicht möglich sein. Such weiter nach Atombomben und Radioaktivität. Kelly? Kümmere dich doch bitte um eine vertrauensvolle Dienerschaft, die es schafft ihr Widerauftauchen geheim zu halten."

Die Blondine nickte schnell und zögerte keinen Moment, den Raum zu verlassen, während Janiyana bereits die von ihm genannten Worte in der Suchleiste eintippte. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie neben dem Umgang mit dem Tablet auch die lateinischen Buchstaben bereits hervorragend beherrschte. Vielleicht hätte er Kelly doch nicht dazu zwingen müssen die uralte Sprache zu lernen, mit der Janiyana verschwunden war. Sie war unglaublich anpassungsfähig.

„Oh", entfloh es ihr als sie den Wikipedia Eintrag überflog.

„Du kannst bereits englisch?", fragte er, stellte sich hinter sie und widerstand dem Drang, die Strähnen ihrer langen, dunklen Haare zu berühren. Zumindest für einen Moment, dann war es ihm egal, dass es in ihrer Zeit nur engen Verwandten und Geliebten zustand, sie überhaupt zu berühren. Sie gehörte nicht ihm, trotz dem inneren Drang sie in seinen Besitz zu nehmen, war sie eine Göttin und er lediglich der besessene Idiot, der das Glück gehabt hatte, ihr dienen zu dürfen. Die Offenbarung, dass sie ihn hatte foltern wollen, überraschte ihn nicht und schmälerte sein Verlangen nach dieser Frau nicht im Geringsten.

„Es ist eine sehr simple Sprache. Wirst du sie erneuern lassen?"

„Was?", fragte er halb verträumte während er weiter ihre Haare durch seine Finger gleiten ließ, warum sie es zuließ, konnte er bei bestem Willen nicht sagen. Damals hätte man ihm dafür den Kopf abgeschlagen und in den Fluss geworfen. Und das würde er sicher auch mit jedem anderen Mann tun, der glaubte, das Recht zu haben sie so berühren zu dürfen.

„Deine Tätowierungen. Sie gehören zu dir und sie sind wunderschön."

„Sie gehören nicht mehr in diese Welt." Sie sah über ihre Schulter, ihre grünen Augen schimmerten. Weswegen konnte er nicht deuten.

„Wir gehören auch nicht in diese Welt." Seine Finger strichen über ihre nackten Schultern, eine gewagte Annäherung, die sie nicht tadelte, während er ihrem Blick standhielt.

„Wenn du es wünschst, natürlich", erwähnte er, als könnte er davon ablenken, dass er mit seinen rauen Finger Dinge berührten, die er nicht berühren sollte. Sie wandte sich wieder ihrem Tablet zu und Erik zog seine Hand fort, bevor er noch tatsächlich seinen Kopf verlor.

Wortwörtlich und im übertragenen Sinne.

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