Kapitel 3 - Kunst Raum
Nach einem Moment schlucke ich schwer und öffne die Tür links neben mir, dabei fühlt es sich an, als würde mir gleich das Herz aus der Brust springen. Aber dann kehrt Stille ein und jegliche Emotionen in mir kommen zum Stillstand. Erleichtert atme ich aus. Zum Glück sind es nur Treppen, die einen eine Etage höher führen. Aber jetzt wird es knifflig, denn wenn etwas laut knarrt, dann sind es die Treppen, die einen anschließend auch verraten. Schritt für Schritt bewege ich mich in Zeitlupe die Treppen hoch, dabei beiße ich mir fest auf die Unterlippe.
,,Scheiße", entkommt es mir flüsternd, als ein lautes Knarren einer Stufe entweicht. In Sekundenschnelle werde ich starr und spitze meine Ohren. Ich hoffe echt, dass mich keiner gehört hat; ich weiß ja nicht, was sich unter dieser Treppe befindet. Kurz zögernd bewege ich mich wieder weiter und komme nach etwa zehn weiteren Stufen an einer Tür an, welche direkt an die letzte Stufe grenzt. Erleichtert atme ich auf, aber dann schwer wieder ein. Na gut Dylan, dann ab durch die nächste Tür. Sanft drücke ich den Griff runter und öffne die Tür einen Spalt. Ich linse hindurch und gehe Stück für Stück mit der Tür nach vorne. Ich schließe die Tür hinter mir und erblicke dabei eine riesige Halle. Ich befinde mich auf einer Art Balkon, welcher rechts neben mir anfängt und bis zur anderen Wand Seite wie ein U-lang gezogen ist. In der Mitte führt eine große Treppe hoch, wo sich auch direkt eine Tür befindet. Gegenüber von mir auf der anderen Seite befindet sich ebenfalls eine Tür. Und als wäre das nicht genug, hängt in der Mitte der Halle ein riesiger leuchtender Kronleuchter von der Decke, welcher wirklich wunderschön aussieht.
Gerade als ich näher zum Rand gehen will, höre ich etwas, ich höre Geschrei von unten. Blitzschnell gehe ich in die Hocke und linse durch das Geländer, dabei erblicke ich die Frau von eben, wie sie völlig außer sich ist und ihren, ich denke mal Mann anschreit, welcher auch echt gruselig aussieht. Er sieht aus wie 40 und ist größer als die Frau. Er hat kurze, dunkle Haare und grüne Augen. Sein Gesicht ist von tiefen Falten gezeichnet, während sein Gesichtsausdruck einfach nur düster ist. Er trägt ein schweres, dunkles Gewand und einen schwarzen Umhang. Um seinen Hals hängt eine antike Kette mit unbekannten Symbolen. Sein Verhalten wirkt kontrolliert und berechnend, seine Bewegungen sind von einer Art Schwere begleitet. Verdammt, das kann nur der Vater der Familie sein, das muss er einfach sein, es würde perfekt passen.
,,Siehst du das Auto da draußen?", zeigt sie wütend zum Fenster. ,,Er ist immer noch hier und sucht Connor, wie kann es sein, dass er nach einem Monat hier herfindet?", schreit sie laut den Mann an und klatscht ihm dabei eine.
,,Woher soll ich das denn wissen?", entgegnet er ihr pissig. ,,Das ist alles deine Schuld, du wolltest ja unbedingt diesen blöden Connor haben."
,,Gesteh dich so mit mir zu reden", wütet sie und holt erneut aus. Dieser Schlag hallt durch die ganze Halle. Wie aus Reflex zucke ich zusammen.
,,Scheiße, die Diele", flüstere ich und blicke für einen Bruchteil einer Sekunde an mir runter. Ich schaue wieder durchs Geländer und husche reflexartig zurück. Mein Herz beginnt zu rasen, während meine Atmung hastig zunimmt. Scheiße, scheiße, scheiße, sie haben gerade zu mir gesehen, sie wissen, dass ich hier bin, nein, nein, nein. Panisch haue ich mir mehrmals gegen den Kopf. Das war so dumm von mir, ich hätte die nicht ausspionieren dürfen, fuck. Okay Dylan, beruhig dich, vielleicht haben sie dich nicht ganz gesehen, schließlich ist die Spalte zwischen dem Geländer sehr klein. Nun bewege ich mich sanft wieder vorwärts, dabei kreuze ich hoffnungsvoll meine Finger.
,,Scheiße", bricht es aus mir heraus. Reflexartig springe ich aus der Hocke auf und schaue übers Geländer.
,,Die beiden sind weg", sage ich zittrig. Ein eiskalter Schauer fährt mir über den Rücken, während ich mich schrittweise vom Geländer weg bewege. Ich schaue nach links und ohne nachzudenken, laufe ich los, ich laufe, als würde es um mein Leben gehen. Nichts nehme ich mehr wahr, alles huscht an mir verschwommen vorbei, nur meine Sicht nach vorne ist klar. Ich laufe und laufe immer weiter, ich durchschreite die Tür auf der anderen Seite der Halle. Der Raum, in den ich gelange, ist dunkel, meine Augen nehmen ihn kaum wahr und können sich nicht schnell genug an die Dunkelheit gewöhnen, da ich bereits durch die nächste Tür schreite. Ohne darüber nachzudenken, erblicke ich auch schon ein Versteck; es ist eins unter einem Laken. Mit meinem Rücken stelle ich mich an das Objekt unterm Laken und presse mir die Hand vor den Mund. Mist, Mist, Mist, beruhig dich doch, du blöder Atem. Plötzlich höre ich, wie eine Tür langsam quietschend aufgeht. Ich zucke zusammen. Ich muss jetzt die Luft anhalten, ich habe keine andere Wahl. Langsame Schritte ertönen im Raum, sie kommen immer näher. Der Schweiß läuft mir bereits an der Stirn runter, während ich den Schlag meines Herzens im Kopf hören kann. Ich bin mir ganz sicher, es ist die Frau. Man kann hören, dass sie Schuhe mit Absätzen trägt. Scheiße, ich muss aufhören zu zittern, das gezitter wird mich sonst noch auffliegen lassen.
Ich zucke erneut zusammen. Ich kann ihre Silhouette sehen, sie steht unmittelbar vor mir. Jegliche Emotionen in mir sind in diesem Moment verschwunden. Sie steht jetzt direkt vor meinem Versteck. Ich fühle mich, als könnte ich nicht mehr Atem, als wäre die Zeit stehen geblieben, selbst schreien könnte ich nicht, ich fühle mich wie in Schockstarre.
,,Selena", ertönt es aufeinmal schreiend, gefolgt von einem lauten Knall. ,,Aurelia läuft Amok, schnell!"
,,Ist ja gut, ich komme ja", schreit sie genervt zurück. ,,Dieser alte Vollidiot, der kriegt auch nichts hin, irgendwann bringe ich ihn noch um", meckert sie vor sich hin und läuft stampfend davon.
Sie ist weg, Gott sei Dank, endlich kann ich wieder atmen. Das war echt knapp, fast hätte sie mich gehabt.
,,Scheiße ey", sage ich und reibe mir mit beiden Händen durchs Gesicht, dabei kommen mir vereinzelt die Tränen. Ich kann das einfach nicht mehr, wie soll ich bitte nur Connor befreien? Das, was ich hier miterlebt habe, ist doch nur die Spitze vom Eisberg, das weiß ich. Da steckt mehr dahinter als der aggressive Umgang zwischen den beiden. Und was es ist, will ich eigentlich auch gar nicht mehr wissen, ich möchte doch nur Connor befreien und mit ihm von hier verschwinden, dann kann die Familie von mir aus tun, was sie will, nur ich kann ihn einfach nicht verlieren, ich liebe ihn und will es ihm endlich sagen.
Okay, genug geweint, jetzt muss ich mich zusammenreißen, schließlich komme ich hier mit Weinen höchstwahrscheinlich nicht raus, vor allem nicht mit Connor. Aber sag mal, was riecht hier eigentlich so komisch? Das ist mir eben schon aufgefallen, als ich den Raum betreten habe. Aber es ist nicht nur das, ich spüre etwas an meiner Hand, es fühlt sich so merkwürdig komisch und glitschig an. Vorsichtig drehe ich mich um. Ehe ich richtig realisieren kann, was es ist, rutscht mir blitzschnell das Herz in die Hose. Panik ergreift mich. Hektisch suche ich mir einen Weg, um unter dem Laken hervorzukommen, jedoch wird alles nur noch schlimmer. Ganz verheddert kämpfe ich mit meinen Armen um mich.
Was ist denn jetzt los? Wieso habe ich jetzt ein Gefühl von Schwerelosig... autsch. Verdammt, noch lauter hätte ich jetzt auch nicht hinfliegen können, oder?
,,Was zur Hölle?", entweicht es mir geschockt. Was ist das? Das kann nicht echt sein, das ist doch krank. Oh Mann, mir wird gleich schlecht. Leicht würgend sehe ich das Ding an und halte mir die Hand vor dem Mund, dabei realisiere ich erst jetzt, was für eine kranke Familie das ist. Eine derart verstörende Art von morbider Kunst habe ich ja noch nie in meinem Leben gesehen.
Eine verdrehte Skulptur mit abgerissenen Gliedmaßen, von denen rotes Blut tropft. Sie sind mit rostigen Nägeln und Draht zu einer grotesken Masse verbunden. Zerfetzte Hautfetzen hängen herab, während abgetrennte Köpfe auf unheimliche Weise in einem Albtraum aus Augen und Lippen zusammengesetzt sind. Die Verwesung und der Gestank von Verfall durchdringen den Raum. Ich kann kaum beschreiben, wie verstört ich bin, ich schaffe es kaum, meinen starren Blick von der Skulptur abzuwenden, da es fast so ist, als würde sie mich ansehen.
Mein Atem beschleunigt sich, als mir ein Gedanke kommt. Sprunghaft stehe ich auf und sehe mich um. Ich mag kaum den Gedanken aussprechen, welchen ich gerade habe. Flott laufe ich zu einem der anderen vom Laken überdeckten Objekten und ziehe dort das Laken mit einem starken Ruck runter. Eiskalt läuft es mir erneut den Rücken herunter, während ich die Skulptur in Zeitlupe entdecke. Beim Anblick halte ich mir vor schreck nur die Hand vor dem Mund und gehe langsam ein paar Schritte rückwärts. Ein Gefühl von tausenden tanzenden Nadeln auf meiner Haut durchzieht Wellen weise meinen Körper. Was zur Hölle ist das für ein kranker Scheiß? Unaufhaltsam kommen mir die Tränen. Es fühlt sich an, als würde alles um mich herum, zu drehen beginnen.
Was ich sehe, ist unbeschreiblich, es ist eine verstümmelte Schaufensterpuppe, sie erstreckt sich in ungefähr zwei Meter Höhe vor mir. Sie ist ein monströses Opus des krankhaften Wahnsinns. Ihre künstliche Haut scheint mit menschlichen Überresten verschmolzen zu sein, wobei blutige Sehnen und zerrissene Muskelfasern durch die durchsichtige Oberfläche schimmern. Abgetrennte Gliedmaßen ragen hervor, von plastischen Fasern umschlungen, während die deformierten Körperteile in einem schaurigen Ballett der Zerstörung miteinander verschmelzen. Die verdrehten Gesichter tragen groteske Grimassen aus Schmerz und Verzweiflung, und aus den leblosen Augen sickert düsteres Blut.
,,Ich glaube, mir wird... oh nein..."
Wie aus Reflex passiert es, nach mehrfachen Würgen kommt mir der Mageninhalt vom Mittag hoch. Scheiße, ich halte es in diesem Zimmer nicht mehr aus, ich muss hier raus, schnell. Dieser metallische und ekelerregender Geruch von Verwesung macht mich langsam echt wahnsinnig.
Unbeholfen, leicht schwankend, während ich mir den Mund zu halte und mit der anderen Hand meinen Bauch, stürme ich aus dem Raum. Schnell erblicke ich ein Klavier, an welches ich mich setze, dabei lege ich meine Hände ans Gesicht. Tränen beginnen mir erneut in Strömen an den Wangen herunterzulaufen, ich kann es einfach nicht wahrhaben, was ich gerade gesehen habe. Ich will nur noch aus diesem Haus heraus, ich schaffe das einfach nicht. Ich will zwar Connor befreien, aber wie soll ich das tun? Diese Familie ist krank und gefährlich, wer weiß, was sie tun wird, wenn sie mich kriegt. Ich mag mir auch kaum vorstellen, was sie Connor bereits angetan haben. Ich hoffe nur, er lebt noch, das hoffe ich wirklich, obwohl es mir lieber wäre, wenn er bereits erlöst worden wäre und hier keine Qualen durchleben muss. Verdammt, ich muss ruhiger atmen, sonst hyperventiliere ich noch. Das kann ich jetzt gar nicht gebrauchen, denn dann riskiere ich es wirklich, dass mich diese kranke Familie doch noch in die Hände bekommt.
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