Kapitel 10 - Durchatmen
Während wir gemeinsam im Aufzug hinabfahren, spüre ich auf einmal eine seltsame Nähe zu Connor, welche die Enge des Aufzugs immer mehr verstärkt. Sein Atem mischt sich mit meinem, und ich kann die Hitze seines Körpers nah bei mir spüren. Obwohl wir beide von Angst und Sorge erfüllt sind, fühle ich mich in diesem Moment auch gleichzeitig geborgen und gestärkt durch seine Anwesenheit. Denn endlich habe ich es geschafft ihn zu retten und bei mir zu haben, zumindest, Vorübergehend, denn erstmal müssen wir noch dieser irren Familie entkommen und es in ein Krankenhaus schaffen.
Plötzlich spüre ich etwas, es ist Connor seine Hand, welche nach meiner tastet. Ich komme ihm mit meiner Hand entgegen und umschließe sie. Ein flüchtiges Lächeln huscht über sein Gesicht, dabei wirft er mir, mit seinem Kopf an die Aufzugwand gelehnt, einen beruhigenden Blick zu. Es ist fast so, als hätten wir den Schrecken überstanden und endlich Ruhe. Doch dann kommen wir zum Stillstand. Die Tür des Aufzuges öffnet sich mit einem dumpfen Klirren und holt uns wieder in die Realität zurück.
Ich steige aus und helfe Connor vorsichtig aus dem Aufzug. Damit er nicht noch das Gleichgewicht verliert, stütze ich ihn etwas ab. Ich hole daraufhin mein Handy heraus, welches nur noch 10 % zeigt, verdammt, bald ist es leer. Ich leuchte durch den Raum, auf der Suche nach einer Sitzmöglichkeit für Connor und irgendwas, um Licht machen zu können. Dabei erfassen meine Augen jedoch ganz andere Sachen. Das hier unten scheint ein Vorratskeller zu sein, ein ziemlich kleiner und verstaubter, wenn ich das so sagen darf. Ich und Connor können aber nicht anders als zu husten, diese Luft hier unten ist echt stickig. Außerdem hängt auch ein echt muffiger Geruch von altem Holz und feuchtem Mauerwerk in der Luft.
Schritt für Schritt bewegen wir uns nun durch den Raum. Die Regale an den Wänden sind vollgestopft mit alten Konserven, verstaubten Flaschen und anderen Vorräten. Die ganzen Lebensmittel scheinen hier schon seit Ewigkeiten zu liegen und nur auf ihre Entdeckung zu warten. Einige der Konservendosen sind bereits rostig und eingedellt, während andere noch halbwegs akzeptabel sind. In einer Ecke des Raumes entdecke ich einen kleinen Tisch und ein paar alte Stühle, die sich in einem wirklich erbärmlichen Zustand befinden, aber immerhin bieten sie eine Möglichkeit, uns auszuruhen. Außerdem stehen auf dem Tisch auch ein paar verstaubte Flaschen Wasser. Ich begleite meinen besten Freund direkt zum Tisch rüber und setze ihn auf dem Stuhl ab.
,,Wasser", sagt er mit einer kratzigen und schwachen Stimme. Ich zögere nicht lange und mache ihm eine Flasche auf. Er nimmt sie an sich und beginnt zu trinken; dabei lässt er sich auch keine Zeit. Ich bin wirklich froh, dass er wusste, wo dieser Ort ist. Schließlich ist er bereits ein Monat hier und dass er am Leben ist, kann nur daran liegen, dass er, wie auch ich, durch das Haus lief und versuchte immer und immer wieder dieser Familie zu entkommen. Moment mal, seit einem... Monat? Das macht doch... ich verstehe nicht...
Völlig erschrocken und verwundert, lasse ich mich auf dem Stuhl neben meinen besten Freund langsam nieder. Mein Blick dabei ganz starr nach vorne gerichtet. Er überlebt seit einem Monat hier, wie? Wie kann es sein, dass er noch nicht entkommen ist? Hier stimmt etwas ganz und gar nicht, ich muss ihn darauf ansprechen.
,,Connor?", setze ich zittrig an und drehe meinen Kopf zu ihm.
,,Hmmh?"
,,Die Familie, sie... sie hält dich nicht wirklich hier gefangen, oder?" Bei dieser Frage höre ich, wie er schwer schlucken muss. Er dreht leicht seinen Kopf zu mir und schaut mir tief in die Augen; sein Ausdruck dabei ist sehr ernst.
,,Ich wusste, dass du diese Frage früher oder später stellen würdest, als ich dich das erste Mal in diesem Haus gesehen habe. Ich wusste auch, dass du es schaffen würdest, der Familie immer wieder zu entkommen, denn ich weiß, was für ein Kämpfer du sein kannst. Und um deine Frage zu beantworten, nein, sie halten mich nicht wirklich hier gefangen."
,,Aber wieso bist du dann noch hier? Du hättest schon längst hier weg sein können?", frage ich ihn verwundert, dabei ziehe ich eine Augenbraue hoch.
Leicht seufzend dreht er seinen Kopf wieder nach vorne, dabei lehnt er sich nach hinten.
,,Diese Familie hier, sie ist nicht mehr die, die sie einst war. Als ich hier ankam, wiesen sie mich ab, sie wollten mich nicht hier haben. Ich fand einen Weg ins Haus, durch ein rostiges altes Kellerfenster."
,,Durch das bin ich auch rein."
,,Ja genau und erst hatte ich natürlich keine Ahnung; ich dachte, die würden nicht glauben wollen, dass ich existiere, aber dann begegnete ich einem von ihnen, meinem Vater, welcher mich K.O. geschlagen hatte. Als ich wach wurde, versuchte ich ihm alles zu erklären, warum ich hier sei, doch er hörte mir nicht zu, er bereitete nur etwas an seiner Werkbank vor. Durch irgendwas wurde er dann schlussendlich unterbrochen, einem Schrei, dem er folgte und da sah ich meine Chance, ich befreite mich und hatte nur noch einen Gedanken, aus diesem Haus zu entkommen und die Polizei zu rufen. Denn was ich auf dieser Werkbank sah, trieb meinen Puls in die Höhe. Er schien irgendeine Art von Ritual zu vollziehen und was da lag... Mittlerweile komme ich damit klar, aber... verdammt, mir wird davon schon wieder echt schlecht, da lag ein wirklich schrecklich entstellter Kopf, auf der Stirn mein Name eingeritzt."
In diesem Moment kehrt Stille ein, eine Träne läuft an seinem Gesicht hinunter. Wie auf Knopfdruck umschließe ich seine Hand mit meinen Händen.
,,Danke nebenbei, dass du mich gesucht hast; ich wollte das zwar nicht, aber wärst du nicht gekommen, hätte ich vielleicht mehr als nur meinen Arm verloren. Du hattest echt ein gutes Timing", sagt er etwas unbeholfen und reibt mit seiner Hand über die Stirn. ,,Na gut, aber jetzt weiter im Text, nachdem ich meinem Vater entkommen war und auch kurz vor einem Ausweg gestanden hatte, fand ich etwas. Ich fand unzählige Vermisstenanzeigen, die über 20 Jahre zurückreichten und nicht nur das; es klingt jetzt sehr verrückt, aber diese Familie scheint nicht ein Tag gealtert zu sein; irgendwas muss mit ihr passiert sein. Also blieb ich hier, um dem ganzen auf den Grund zu gehen; dabei machte ich wirklich erschreckende Entdeckungen, jedoch keine, die all das erklären würde. Ich wurde immer wieder gejagt und auch gefasst, aber ich konnte irgendwie immer entkommen. Ich begann das Haus zu kennen, ich wusste, wo was ist, wo sich welcher Raum und Gang befindet. Ich fand versteckte Wege und trieb die Familie immer mehr in den Wahnsinn. Der Ort hier wurde mein Zufluchtsort, ich ruhte mich hier aus, schlief hier und ernäherte mich vom Vorrat der Familie, den sie vor denke, über 20 Jahren hier angelegt hatten. Wahrscheinlich für Notlagen oder so. Auf jeden Fall schaffte ich es lange hier zu überlegen, aber mittlerweile ist mir das Geheimnis dieser Familie echt egal, ich will nur noch hier raus und wieder bei dir..."
Seine Stimme bricht ab, er sieht zu mir hoch, tief in die Augen, dabei kommen ihm die Tränen. Mir kommen sie jedoch auch, ihn so zu sehen, völlig am Ende und verstört von dieser Psycho-Familie, bricht mir echt das Herz. Ich hätte ihn vor einem Monat einfach heimlich hinterherfahren sollen, das wäre wirklich das Beste gewesen. Den Anblick, wie immer mehr Tränen in seine Augen schießen, schaffe ich einfach nicht zu ertragen. Ich springe vom Stuhl auf und umklammere ihn, dabei halte ich ihn ganz fest im Arm. Er erwidert die Umarmung und legt seinen Arm um meinen Rücken und zieht sich mit seiner Hand an mir fest.
,,Jetzt bist du nicht mehr allein, zusammen finden wir einen Weg hier raus und gehen dann nachhause und machen es uns schön gemütlich. Natürlich halten wir erst bei einem Krankenhaus, um deine Wunde zu versorgen, aber danach werden wir eine wundervolle Zeit haben, na was sagst du?", spreche ich sanft. Er nickt spürbar. Wir gehen wieder auseinander und blicken uns in die Augen.
,,Dylan, warum weinst du denn jetzt?", fragt er mich verwirrt, dabei seine Augen ganz glasig.
,,Connor, ich habe dich so vermisst, ich dachte, ich würde dich nie wiedersehen, vor allem, als nach deiner letzten Nachricht Funkstille herrschte. Du warst mein Antrieb bis jetzt, um mich durch dieses irren Haus zu kämpfen, ich wollte so oft gehen und aufgeben, aber dann kamst du mir immer wieder in den Sinn, meine Liebe zu dir ließ mich immer weiterkämpfen", sage ich und ziehe meinen Stuhl direkt vor ihn hin und setze mich drauf.
,,Du bist so unglaublich stark", flüstert er und legt seine Hand auf meine Wange. Ich lege meine Hand auf seine, dabei schmunzelt er kurz. Mir laufen jedoch nur noch mehr Tränen über die Wangen, verdammt wie gerne ich ihn jetzt einfach nur...
Bevor ich jedoch meinen Gedanken zu Ende denken kann, spüre ich plötzlich die sanfte Berührung seiner Lippen auf Meinen. Ein elektrisierender Schauer durchfährt blitzschnell meinen Körper, als sich unsere Lippen treffen. Die Zeit scheint stillzustehen, während ich mich in diesem unerwarteten Kuss verliere, welchen ich mir gerade eben noch sehnlichst gewünscht hatte.
Nach einem Moment endet der Kuss genauso plötzlich, wie er auch begonnen hatte, aber seine Wirkung hallt noch lange nach. Unsere Lippen lösen sich voneinander, die Luft zwischen uns ist elektrisch aufgeladen. Mein bester Freund lächelt mich sanft an, während ich noch versuche, meine Gedanken zu sortieren und das Gewirr an Emotionen zu verstehen, welche jetzt in mir tobt. In diesem Moment weiß ich, dass sich etwas zwischen uns verändert hat, etwas, das ich noch nicht in Worte fassen kann, aber dennoch spüren kann. Eine merkwürdige Stille erfüllt den Raum, sie wirkt irgendwie so schön und merkwürdig zugleich. Jedoch sinkt Connor sein Kopf nach unten. Ich muss irgendwas sagen.
,,Connor, das war wirklich unglaublich schön", gebe ich schon fast schwärmend von mir; dabei lege ich meine Hand auf seine und beginne mit meinem Daumen zärtlich seinen zu streicheln. Jedoch ändert sich sein Ausdruck nicht, er sieht irgendwie noch trauriger aus.
,,Hey, was ist denn los? Bitte nicht traurig sein. Ist es wegen des Kusses?", spreche ich in einem ruhigen Ton zu ihm und hebe dabei mit meiner anderen Hand seinen Kopf am Kinn hoch. Ich erhasche seine Augen, welche einfach nur fertig aussehen.
,,Tut mir leid... ich... es ist nicht...", setzt er stotternd an, doch seine Stimme versagt. Er atmet daraufhin einmal tief durch.
,,Weißt du, der Kuss war wirklich wunderschön, ich bin wirklich froh darüber, dass du genauso empfindest, nur..."
,,Nur was?", frage ich sanft. Er versucht mehrmals, meinem Blick auszuweichen, jedoch erfolglos. ,,Komm, sag es schon, was beschäftigt dich? Ist es dieses Haus?"
Er nickt. ,,Ja, unter anderem liegt es an diesem Haus und der Familie, es ist aber... ach man, warum ist das nur so schwer... ich habe einfach Angst nicht mehr mit dir hier herauszukommen, auch wenn ich das Haus kenne. Ich weiß wirklich nicht, wie wir entkommen sollen. Außerdem wird diese Familie weiterhin morden, das schaffe ich nicht mit meinem Gewissen zu Vereinbaren und... und..."
,,Und was?"
,,Und jetzt fehlt mir auch noch mein beschissener Arm", sagt er in einem frustrierten Ton und wischt mit seiner Hand, die er von meiner wegzieht, über seine Augen. Ich schaue ihn nur für einen Moment an, ehe ich ihn fest in eine Umarmung ziehe.
,,Mach dir keine Sorgen, wir haben es so weit geschafft, dann schaffen wir auch den Rest und das zusammen, wir überlegen uns einen Plan, mit dem wir noch stärker als je zuvor werden und dann wird alles wieder gut", spreche ich aufmunternd zu ihm. Spürbar nickt er nur noch und vergräbt sein Gesicht in meine Schulter. Wenige Momente später lösen wir uns voneinander und schauen uns leicht lächelnd in die Augen und streicheln einander sanft die Wange, dabei wische ich mit den Daumen seine übrigen Tränen von den Augen.
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