Im Zeugenstand
„Es wird erneut Hermine Jean Granger in den Zeugenstand gerufen!"
Als sich Hermine erhob und in die Mitte des Gerichtssaals trat, brach Getuschel aus.
„Können Sie die Aussagen von Mr. Potter bestätigen, Miss Granger?"
„Ja, Sir.", antwortete sie dem Richter.
„Berichten Sie mir davon!"
Sie schluckte schwer, ließ sich allerdings nicht beirren. Es war für Hermine nicht leicht, die Geschehnisse des Krieges vor ihrem geistigen Auge immer wieder abzuspielen. Wie ein Film in Endlosschleife - ein grausamer Horrorstreifen.
„Harry hat mir alles erzählt", begann sie. „Er hat Professor Snapes Erinnerungen im Denkarium gesehen. Dadurch erfuhr Harry, dass der Professor immer nur Dumbledores Mann war. Nachdem ich davon Kenntnis hatte, bin ich zurück in die Heulende Hütte. Ich wusste, dass es für Professor Snape noch eine letzte Chance gab. So habe ich ihn mit Hilfe der Phönixträne zurückgeholt."
„Also hatten Sie die Information zu seiner Loyalität nur aus zweiter Hand? Sie hatten also nicht selbst Zugang zu diesen Erinnerungen? Wie kam es dann, dass sie diese Information einfach glaubten? Wenn ich mich recht erinnere, sind Sie dafür bekannt, alles zu hinterfragen. Oder irre ich mich, Miss Granger?"
„Ja Herr Vorsitzender Richter, das ist korrekt." Hermine ließ sich von seinem autoritären Blick nicht aus der Fassung bringen. „Harry ist mein bester Freund, er würde mich niemals belügen. Ohnehin hätte er dazu keinen Grund gehabt. Ich hatte keine Zweifel an seinen Worter... Aber ja, natürlich habe ich hinterfragt. Ich habe diesen Mann meine gesamte Schulzeit hinterfragt. Schließlich war mir bereits als Schülerin bekannt, dass Professor Snape ein ehemaliges Mitglied der Todesser war. Es rankten sich zahlreiche Gerüchte um ihn. Da kam man nicht umhin, sich um ihn Gedanken zu machen."
Der Vorsitzende Richter nickte, sein Blick huschte zu Harry, ehe er wieder Hermine ins Verhör nahm. „Haben Sie eine Erklärung dafür, weshalb Severus Snape bis zum heutigen Tag geschwiegen hat? Warum er uns nicht selbst erklärt, wie eins zum anderen führte und warum er all das getan hat? Diese unzähligen Verbrechen?" Die polternde Stimme des Richters hallte von den Wänden wider. Warum war er so aufgebracht? Es schien, als wäre er mit ihren Antworten nicht zufrieden. „Haben Sie überhaupt einen Schimmer davon, was dieser Mann für Grausamkeiten vollbracht hat?"
Hermine atmete tief ein und aus und mahnte sich selbst, sich zu beruhigen. Es war nicht das erste Mal, dass sie aussagen musste. Der monatelange Prozess zerrte offenbar nicht nur an ihren Nerven. Es schien, als hätte auch der Richter mittlerweile die Schnauze voll von Snapes ewigem Schweigen. Doch sie würde nicht aufhören, die Wahrheit vorzutragen. Snape hatte sich entschieden, sich dem Gericht zu verweigern, und sie hatte sich dagegen entschieden, nichts unversucht zu lassen, ihn zu verteidigen.
Auf die letzte Frage antwortete sie schließlich wahrheitsgemäß: „Nicht im Entferntesten".
Sie war selbst durch den Krieg gegangen und hatte Spuren davon getragen. Hermine hatte gekämpft, Folter am eigenen Leib erfahren und Grausamkeiten gesehen. Sie hatte Freunde im Kampf verloren und zum Teil auch sich selbst. Allerdings hatte sie nicht den blassesten Schimmer, wie das Doppelleben eines Severus Snapes ausgesehen haben musste. Seine Verbrechen waren nicht ungeschehen zu machen und trotz allem - Snape hatte das hier nicht verdient! Anstatt sich im St. Mungos von den Strapazen des Krieges zu erholen, saß er auf einer Pritsche in Askaban fest. Als wäre das ein geeigneter Ort für seine Genesung! Die Zauberergesellschaft wollte nur den Todesser in ihn sehen. Er war mehr als das gewesen! Daran gab es für Hermine keinen Zweifel.
„Vielen Dank, Miss Granger... Es wird Lucius Malfoy in den Zeugenstand gerufen!"
Als sich Hermine umwandte, um sich zurück auf die Tribüne zu begeben, erschrak sie vor Malfoys Anblick. Der sonst so stolze Aristokrat wirkte angeschlagen, sein blondes Haar hing ihm fransig über die Schultern. Als sich ihre Blicke trafen, hatte Hermine mit allem gerechnet - immerhin war sie seine Feindseligkeit gewohnt. Aber diese unfassbare Eindringlichkeit in seinem Blick überraschte sie. Als würde er ihr etwas mitteilen wollen.
Nach der Schlacht um Hogwarts, hatten die Malfoys versucht aus Europa zu fliehen. Am Ende hatten die Auroren das Familienoberhaupt gefasst, während Mrs. Malfoy und Draco die Flucht gelungen war. Im Gegensatz zu Snape, hatte Malfoy sich dem Gericht gestellt. Er wäre dumm gewesen, es nicht zu tun. Am Ende hatte er gestanden. Schließlich hatte er sich schon während der Schlacht um Hogwarts offen als Anhänger Voldemorts gezeigt. Hermine hatte nie herausgefunden, welche Unsummen Malfoy dem Zaubereiministerium gezahlt haben musste, um tatsächlich nur mit Fußfesseln davonzukommen. Malfoy war zwar an sein Anwesen und den umliegenden Ländereien gebunden, stand dort allerdings unter keiner direkten Beobachtung durch das Ministerium. Abgesehen davon, dass sein Zauberstab kontrolliert wurde, konnte er im Grunde tun und lassen, was er wollte. Auch wenn sich Hermine ärgerte, dass Malfoy sich so mühelos den Konsequenzen entziehen konnte, war sie sicher, dass Malfoy seine Zeit im Manor in Einsamkeit fristete. Er mochte zwar weiterhin erhabenen Hauptes durch die Zaubererwelt schreiten, aber jetzt, nachdem seine Familie ihn verlassen hatte, hatte er niemanden mehr. Und beim besten Willen, konnte sie sich nicht vorstellen, dass ein paar ehemalige Todesserkollegen auf einen lauschigen Besuch zum Teetrinken vorbeikamen.
„Sie haben Mr. Snape bereits zu seiner Schulzeit kennengelernt, ist das korrekt?", wandte sich der Richter nun an Malfoy.
„Ja, wir hatten uns in dieser Zeit angefreunden", bestätigte er.
„Sie sprechen also von einer Freundschaft. Ich gehe davon aus, dass sie ihn deshalb gut einschätzen können. Welchen Eindruck hatten Sie... hatte Mr. Snape es genossen sich in den gesellschaftlichen Kreisen der Todesser zu bewegen?"
„Severus war immer schon zurückhaltend gewesen und doch bin ich mir sicher, dass er besonders als junger Mann die Gesellschaft genossen hat."Der Richter schien noch nicht zufrieden mit der Antwort. „Was konkret hat Mr. Snape genossen? Wie sahen Versammlungen der Todesser aus?"
„Das war davon abhängig, in welchem Rahmen diese stattfanden."
„Ich bitte um konkrete Erläuterung."
„Nun," Malfoy räusperte sich, um dann auszuholen. „Zum Einen gab es die offiziellen Versammlungen, die vom Lord persönlich einberufen wurden. Und zum Anderen die Treffen, die der Rekrutierung neuer Anhänger dienten. Der Dunkle Lord hatte ein besonderes Gespür, die innigsten Bedürfnisse und Sehnsüchte der Rekruten zu erkennen. Nach diesen Bedürfnissen wurden die Versammlungen ausgerichtet. Die Personenwahl variierte, schließlich war man penibel darauf bedacht, dass sich die Rekruten im Kreis der ausgewählten Anhänger wohlfühlten."
„Welche innigsten Bedürfnisse hatte ein Severus Snape?"
„Nun, zu Beginn seiner...Karriere," Malfoy räusperte sich erneut, ehe er fortfuhr, „war es einfach diese zu erkennen. Im Laufe der Zeit verschloss er sich zunehmend, seine Okklumentikwälle wurden stärker. Der Dunkle Lord förderte diese Fähigkeit, schließlich sollte auch kein Albus Dumbledore hinter die wahre Gesinnung von Snape blicken können. Wenn Sie mich fragen, war aber besonders der Tod von Lilly Potter ausschlaggebend für seine Verschlossenheit."
„Sie weichen mir aus, Mr. Malfoy. Meine Frage bezog sich auf die konkreten Bedürfnisse Mr. Snapes."
Malfoy zögerte und für einen Moment traf erneut sein Blick auf Hermine.
„Es war; Anerkennung, Macht und Kontrolle wonach er sich sehnte", antwortete er dem Richter.
„Das überrascht nicht. Und mit welchen Methoden wurde Snape schließlich rekrutiert?"
„Er bekam seine Aufgabe und Funktion als Tränkemeister. Der Dunkle Lord erkannte seinen enormen Wissensdurst und seine Fähigkeiten in der Zaubertrankkunst. Severus war ein Halbblut unter Todessern. Auch wenn er mit seinem Blutstatus nicht dienen konnte, so konnte er es doch mit seinen Talenten."
„Das würde das Bedürfnis der Anerkennung abdecken. Wie sah es mit dem Bedürfnis nach Macht und Kontrolle aus? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Voldemort jemals gewillt war, etwas von seiner Macht abzugeben, oder irre ich mich?"
„Einerseits gab es natürlich auch Experimente mit der dunklen Magie, die Snape faszinierten und ihn mit der Macht spielen ließen und andererseits... nun ja, wir hatte auch Frauen unter den Anhängern."
„Wie meinen Sie das, Mr. Malfoy? Er wird doch nicht..."
Malfoys Augen verfinsterten sich, ehe er sich erhob. „Eins will ich klarstellen. Und egal was sie in Severus und mir sehen wollen...aber Severus und ich hätten uns niemals an einer Frau vergangen! Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden..." Ohne Aufforderung wandte sich Malfoy um und trat zurück auf die Tribüne.
***
Als Hermine an diesem Abend zusammen mit Harry das Zaubereiministerium verließ, war sie geplättet von den vielen Informationen über das Leben ihres einstigen Zaubertränkeprofessors. Nach Lucius Malfoy hatten weitere Zeugen ausgesagt. Neben Arthur Weasley war Minerva McGonagall unter denen gewesen, die versucht hatten Snape nicht noch stärker zu belasten. Sie standen hinter dem goldenen Trio, doch nach allem was passiert war, fiel es ihnen schwer, es zu glauben. Auch dieser Gerichtstag ging ohne Urteil zu Ende.
Seit Monaten sprach die Welt über Snape, doch Snape sprach nicht mit der Welt. Hermine hatte mehrmals versucht ihn in Askaban zu besuchen und war jedes Mal an den Gefängnistoren abgewiesen worden. Sie hatte sich so lächerlich gefühlt. Wie hatte sie nur glauben können, dass er ausgerechnet sie, die nervige Miss Neumalklug sehen wollte? Das eigentlich Verrückte an der ganzen Situation war, dass sie sich so stark für diesen Mann interessierte. Warum sog sie jede noch so kleinste Information über sein Privatleben auf? Empfand sie aufgrund ihrer Rettung so etwas wie ein Pflichtbewusstsein ihm gegenüber? Oder war es diese heimliche, stille Faszination, die sie schon seit Jahren für ihn hegte?
„Hey Hermine?" Harry wedelte mit seiner Hand vor ihrem Gesicht „Du, ich hab dich was gefragt! Wo bist du denn schon wieder mit deinen Gedanken...du wirkt in letzter Zeit so abwesend."
„Sorry Harry, was wolltest du wissen?"
„Ich wollte dich fragen, ob du heute noch Lust hast zu mir und Ginny in die neue Wohnung zu kommen. Als kleine Einweihungsparty versteht sich. Ron und Lavender sind natürlich auch eingeladen. Luna wird später dazustoßen."
„Ja natürlich, sehr gern Harry."
Hermines bester Freund ließ sich allerdings nicht so leicht zufrieden zu stellen. „Okay alles klar. Und jetzt verrätst du mir, was in deinem Kopf vor sich geht. Mine, du weißt, es tut dir nicht gut, alles mit dir alleine auszumachen. Du weißt, es ist wichtig darüber zu sprechen."
„Ja du hast Recht. Danke, dass du immer für mich da bist. Es ist nur..." Sie stockte und wich seinem Blick aus. In diesem Moment erinnerte sie sich an die Eindringlichkeit in Lucius Malfoys Augen. „Harry sei mir nicht böse, aber ich muss heute Abend noch etwas anderes erledigen. Es lässt mir sonst keine Ruhe. Ich versuche nachzukommen, okay?"
„Schon in Ordnung. Aber du weißt, du kannst mit mir über alles sprechen, ja?"
„Danke Harry, das werde ich", antwortete sie und zog ihn in eine enge Umarmung.
Am Liebsten hätte Hermine einen entspannten Abend mit ihren Freunden verbracht. Auf Lavender hätte sie zwar nur zu gerne verzichtet - aber naja - diese gehörte nun zu Ron und wenn man ihn sehen wollte, dann war Lavender immer mit dabei. Hermine hatte sich eingestehen müssen, dass sie und Ron sich letztes Jahr etwas vorgemacht hatten. Durch die Strapazen auf der Flucht, hatten sie jemanden gebraucht. Sie hatten Nähe gesucht und die im Anderen gefunden. Es hatte wenige Wochen gedauert, bis sie begriffen hatten, dass sie nicht füreinander bestimmt waren. Die Trauer um die Verstorbenen, hatte sie zeitweise auch als Freunde auseinandergetrieben. Jeder hatte auf seine Art und Weise versucht, mit der traumatisierenden Vergangenheit und den Verlusten umzugehen. Während Ron sich in Ablenkungen gestürzt hatte, hatte Hermine sich zurückgezogen. Auch vor Harry und Ginny. In den letzten Wochen hatte sie sich wieder mehr Zeit für ihre Freunde genommen. Es gab ihr Kraft, nicht allein zu sein.
Ehe Hermine apparierte, kroch ihr ein letzter Gedanke durch den Kopf; ja, das war es, was dem Professor all die Jahre gefehlt hatte – er war immer nur allein gewesen. Selbst seinem einzigen Freund, wenn man es überhaupt Freundschaft nennen konnte, hatte er sich nicht anvertrauen können. Wo doch Lucius Malfoy seit jeher auf der anderen Seite gestanden hatte – der Seite der Todesser. Und ein Gespräch mit diesem besagten Todesser, würde sie nun führen.
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