Heimkehr

Hermine hätte nach Hause gehen sollen – sich auf die Couch einkuscheln im Wohnzimmer ihrer Eltern. Eine dampfende Tasse heißen Kakao in der Hand, während ihre Mutter sie mit liebevollen Fragen überschüttete und ihr Vater Pfannkuchen zubereitete, wie er es immer tat, wenn Hermine Streit mit jemanden hatte. Doch sie war nicht zu ihren Eltern appariert, wie sie Harry gesagt hatte. Stattdessen befand sie sich an dem Ort ihrer Albträume, an dem sie nie wieder zurückkehren hatte wollen.

Das Ganze war ein Witz! Malfoys Strafe war ein Witz – und in diesem Moment fühlte sich Hermine selbst wie ein Witz. Warum war sie verdammt nochmal schon wieder hier? Ihr zerbrochenes Herz kannte die Antwort. Das Bild von Snape, wie er dort angekettet und gebrochen in Askaban kauerte, schnürte ihr immer noch die Kehle zu. Hermine sah für sich keinen anderen Weg, als hierher zu kommen. Auch wenn sie sich innerlich dafür verfluchte!

Wenn man bedachte, dass Malfoys Bewegungsradius auf sein Anwesen und seine weitläufigen Ländereien beschränkt war, konnte seine Strafe nur als schlechter Scherz gesehen werden. Hermine hatte nie wirklich darüber nachgedacht, wie unermesslich reich die Malfoys waren; das Anwesen erstreckte sich vor ihr wie ein endloses Meer aus Wiesen und Feldern. Immer wieder fragte sie sich, wann sie endlich die Stallungen erreichen würde – und warum bei Merlin sie nicht apparieren konnte! 

Natürlich wusste sie es: Ein Apparier-Bann lag über Malfoys Anwesen. Ein lächerlicher Versuch der Strafverfolgung, ihn besser im Griff zu haben. Was für ein Witz... Wenn diese wüssten, dass Malfoy im Besitz eines schwarzmagischen Zeitumkehrers war, wäre er wohl schneller in Askaban als er hochkarätiger Strafverteidiger sagen konnte.

Hermine stand bis zu den Knien im Schlamm, trotz der kniehohen Gummistiefel, die ihr eine Hauselfe gereicht hatte – eine kleine unsichere Kreatur, hatte ihr am Tor mit zitternder Stimme erklärt, wo Malfoy zu finden sei. Natürlich würde jemand wie Malfoy sich nicht davon abhalten lassen, weiterhin Hauselfen zu beschäftigen; gesellschaftliche Moralvorstellungen waren auch weiterhin für ihn ein Fremdwort.

Das schottische Nieselwetter trug nicht gerade zur Verbesserung ihrer Laune bei. Was für ein Bild gab sie nur ab! Die knallrote Regenjacke wirkte wie ein leuchtendes Signal in der tristen Landschaft; ihre buschigen Haare sahen mehr nach einem Wischmopp aus als nach einer Frisur. Nicht einmal Ginnys Superhaarglättungszauber hätte das wieder richten können. Seit wann war sie so eitel geworden? Lag es an diesem ganzen Prunk um sie herum, dass sie sich plötzlich so unsicher fühlte? 

Die ellenlange gepflasterte Auffahrt des Manors, die akkurat geschnittenen Buchsbaumhecken und Marmorfiguren schüchterten sie ein – als würde hier ein König residieren. Doch hier im hintersten Eck seiner Ländereien schwammen die Wiesen und Felder förmlich im Matsch; der Luxus schien plötzlich weit entfernt zu sein. 

Als Hermine die Stallungen erreichte, stand Malfoy schließlich vor ihr – wie einem historischen Roman entsprungen: elegant und unnahbar, mit einer schwarzen Samtschleife, die seine blonden Haare zurückhielt. In der einen Hand hielt Malfoy einen Striegel, in der anderen eine Reitgerte, als wäre er der Herrscher über diese weitläufigen Ländereien. Zuckerbrot und Peitsche, schoss es Hermine durch den Kopf, während sie fröstelnd ihre Hände aneinander rieb.

„Ich fragte mich, wie lange Sie wohl hierher brauchen würden", bemerkte er, ohne sich zu ihr umzudrehen. 

Hermine klappte die Kinnlade herunter. „Sie wussten, dass ich komme?"

„Ja, Milly hat mich vor zwei Stunden informiert. Sie wissen sicherlich, dass Hauselfen selbst von der Aurorenzentrale nicht daran gehindert werden können zu apparieren?"

„Der Besucherausweis vor meiner Haustür...", murmelte Hermine.

„Kluges Mädchen", erwiderte Malfoy und tätschelte den Hals seiner Stute.

„Und Sie haben mich den ganzen Weg hierher gehen lassen? Anstatt mich am Tor in Empfang zu nehmen oder mir wenigstens entgegenzukommen?"„

Wir wollen doch nicht, dass sie vergessen, wer ich bin, nicht wahr?"

Hermine knirschte mit den Zähnen. Wie hätte sie jemals vergessen können, wer dieser Mann war? 

Malfoy gab seiner Stute einen Klaps, um sie in ihre Stallbox zu treiben. Erst dann wandte er sich Hermine zu. „Sie haben Fragen, nehme ich an?"

Hermine nickte hastig; ihre Neugierde überwog dem Drang, ihm einen Fluch auf den Hals zu jagen. „Warum wurde der Zeitumkehrer schwarzmagisch modifiziert?"

„Weil er dadurch die Eigenschaft gewonnen hat, steuerbar zu sein", erwiderte Malfoy kühl. „Es ist nun möglich, chronologisch durch die Zeit zu springen. Sie können unnötige Zeitspannen überspringen und gewinnen so Zeit für das Wesentliche. Außerdem sind sie so im Stande, Ihr Vergangenheits-Ich aus dem Weg zu räumen und laufen nicht Gefahr, über Ihre eigenen Füße zu stolpern."

„Wie meinen Sie das?" Sie runzelte die Stirn.

„Ihnen ist nun möglich, Geschehnisse durch das neu Erlebte zu überschreiben; so wird das bisher Geschehene nicht mehr existieren. Je nach Bedarf können Sie aber auch parallel existieren – das heißt, Sie können zur selben Zeit mit Ihren Freunden im Gemeinschaftsraum verweilen und gleichzeitig bei Severus in den Kerkern sein."

„So oder so würde das doch auffallen!"

Malfoys Augen funkelten hinter seinem arroganten Lächeln. „Deshalb wurden auch Sie für diese Aufgabe erwählt und nicht ihr fahrlässiger Freund Potter! Ich denke, Sie wissen besser als jeder andere, wie Sie es einsetzen müssen. Natürlich müssen Sie die Balance halten, um mögliche Komplikationen zu vermeiden."

Hermine schluckte schwer. „Was ist der Haken? Dieser enorme Eingriff in die Zeit ist ja wohl unmöglich kalkulierbar."

„Natürlich gibt es mögliche Komplikationen." Malfoys Stimme war jetzt ernst geworden. „Ihnen muss bewusst sein, dass gefährliche Parallelen in Ihrem eigenen Selbst entstehen können. Wenn die 17-jährige und die heute 19-jährige Hermine Granger parallel agieren, kann das zur Destabilisierung führen. Daher werden Sie sich immer wieder mit Ihrem jüngeren Ich verbinden müssen."

„Halten Sie mich nicht zur Närrin, Mr. Malfoy! Als Todesser haben Sie ein Interesse daran, dass Ereignisse der Vergangenheit – insbesondere solche, die zum Sturz Voldemorts beigetragen haben – ausgelöscht werden! Warum sollte ich Ihnen vertrauen?"

„Das werden Sie nicht", erwiderte Malfoy unbeeindruckt und ließ seinen Blick über die Stallungen gleiten. „Nach diesem Gespräch werden Sie Nachforschungen anstellen. Vermutlich werden Sie die Durmstrang-Bibliothek über verbotene schwarzmagische Experimente aufsuchen. Weil Sie den Verdacht einer Manipulation der Quellen haben, werden sie auch weitere Nachforschungen anstellen. Dabei werden sie über die Möglichkeit stolpern, die der modifizierte Zeitumkehrer bietet: eine Zeitlinie abzuspeichern, um sicherzustellen, dass der Sturz des Dunklen Lords nicht verhindert wird." Hermine war sprachlos; alles schien akribisch durchdacht zu sein – jede Eventualität eingeplant.

„Warum ich?", fragte sie irgendwann leise; diese Frage hatte sie schon einmal gestellt, doch Malfoys Antwort hatte ihr nicht genügt. „Warum reisen Sie nicht in die Vergangenheit, um Snape zu retten? Und wie sollte ich das überhaupt anstellen? Ihm zeigen, dass es sich lohnt zu leben?"

 Malfoy schwieg einen Moment lang und ließ seinen Blick über sein Gestüt wandern; seine Miene war nachdenklich geworden. „Ich bin in vielerlei Hinsicht nicht der Richtige dafür, glauben Sie mir. Ich war damals nicht im Stande und wäre es auch heute nicht. Und wie ich bereits sagte, sind Sie diejenige, die geradezu eine jungfräulicher Magiekraft besitzt, nicht ich." Er sah sie direkt an. „Davon abgesehen, sind Sie die intelligente Musterschülerin. Und Severus hat ein Vorliebe für Intelligenz und Fleiß." 

„Sie meinen also," begann Hermine zögernd „Ich soll ihm mit meinem Wissensdurst auf die Nerven gehen?"

„Ja! Und wie!"

„Wie stellen Sie sich das vor? Wir sprechen hier immerhin von Professor Snape!"

"Glauben Sie mir: Irgendwann wird er nicht mehr widerstehen können. Bringen Sie ihn dazu, Ihr Mentor zu werden!"


***

Malfoy hatte Recht behalten. Hermine hatte unzählige Stunden in den magischen Bibliotheken Europas verbracht, um Nachforschungen anzustellen. Sie war jedem Hinweis über modifizierte Zeitumkehrer nachgegangen, hatte Gefahren und Risiken bis ins kleinste Detail recherchiert. Es gab wenig Forschung in diesem Bereich, was darauf zurückzuführen war, dass nur eine Handvoll dieser seltenen Artefakte überhaupt existierte. Geschweige davon gab es kaum jemanden, der eine Zeitreise mit einem modifizierten Zeitumkehrer gewagt bzw. diese überlebt hatte. Die unzähligen Gefahren und die nicht abzuschätzenden Risiken lagen auf der Hand. 

Es war der Abend des 26. Prozesstages – ein Tag wie jeder andere, an dem Severus Snape sich auch weiterhin in Schweigen hüllte. Gleichwohl war es der Tag, an dem Hermine Granger eine Entscheidung getroffen hatte. 

Sie war Harry die letzten Tage erfolgreich aus dem Weg gegangen. Hermine wollte sich nicht erklären. Ihr Vorhaben hätte Harry ohnehin nicht gutgeheißen, stattdessen hätte er alles daran gesetzt, sie davon abzuhalten. 

Hermine nahm ihre Tasche zur Hand, darin hatte sie nur ihre Schuluniform und ihren Zauberstab eingesteckt. Alles andere, würde sie sich bei Bedarf unauffällig von der 17-jährigen Hermine borgen müssen. Sie wollte die Spuren, die auf ihre doppelte Identität hinwiesen, so gering wie möglich halten.

Hermine warf einen letzten Blick in den Spiegel. Ihr Haar trug sie seitlich nach hinten gesteckt, so wie sie es in ihrem 6. Schuljahr häufig getragen hatte. Sie war kaum gealtert und war sich sicher, dass niemand etwas bemerken würde. Kurze Zeit später apparierte sie nach Hogsmeade.


„Hey Hermine!" Hermine beschleunigte den Schritt Richtung Schloss, als sie die bekannte Stimme erkannte.„Jetzt warte doch mal!"

Hermine gab auf und blieb stehen. Es hatte ja doch keinen Sinn, von ihrer Freundin wegzulaufen.„Hey Ginny. Was machst du denn hier in Hogsmeade?", fragte Hermine schließlich und wandte sich zu ihrer Freundin um, die sie eingeholt hatte.

„Das hab ich mich gerade über dich auch gefragt." Ginny lächelte sanft. „Ich bin hier, um mich bei Qualitäts-Quidditschbedarf einzudecken. Hier in Hogsmeade gibt es schließlich die beste Ausrüstung und bald beginnen wieder die Spiele. Dafür will ich natürlich gewappnet sein."

Hermine umklammerte nervös den Zeitumkehrer in ihrer Manteltasche. Wie konnte sie Ginny nur abschütteln, ohne dass sie skeptisch werden würde? 

Doch Ginny fragte nicht, stattdessen sah sie sie mit dieser aufrichtigen Offenheit an, die sie wohl von ihrer Mutter vererbt bekommen hatte. 

„Ich weiß, dass du nicht mit uns darüber reden willst, Mine. Und das musst du auch nicht. Ich wollte dir nur auf den Weg geben, dass egal, was dich bedrückt, du immer auf mich zählen kannst, ja? Ich verurteile dich nicht, niemals! Glaub mir! Vielleicht ist gerade nicht die Zeit dafür...aber falls du eines Tages jemanden brauchst, ich bin da, ja?"

Hermine hatte einen Kloß im Hals. Für einen kurzen Moment überkam ihr der Wunsch, sich Ginny anzuvertrauen. Ihr alles zu erzählen - die Begegnung mit Malfoy, Snapes Anblick in Askaban, dem ungewöhnlichen Angebot von Malfoy und der nun bevorstehenden Zeitreise. Doch sie konnte nicht.

„Danke" hauchte Hermine stattdessen und schloss ihre Freundin in die Arme. „Ich werde McGonnagall besuchen. Vielleicht hat sie einen Praktikumsplatz für mich."


Kurze Zeit später erreichte Hermine die Tore Hogwarts. Mit zittrigen Fingern zog sie den modifizierten Zeitumkehrer aus ihrer Manteltasche und betrachtete ihn. Der violettschimmernde Sand im kleinen Sanduhr-Glas rieselte unaufhörlich. Sie hielt ihn fest in ihrer Hand, spürte die Kälte des Metalls. Es war höchst riskant und gefährlich, aber die Möglichkeit, die Vergangenheit zu verändern, um Snape zu retten, ließ ihr keine Wahl. 

Mit einem letzten Blick auf das Schloss drehte Hermine die feinen Rädchen fünfmal im Uhrzeigersinn. Ein sanftes Vibrieren durchfuhr ihren Körper, während sich die Welt um sie herum aufzulösen begann.

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