zwei; caspian

Lennox,

mein Lennox,

ich habe mich entschieden, dir diesen Brief zu schreiben. Vielleicht, weil ich nie genug Mut hatte, es dir persönlich zu sagen, vielleicht weil ich vor deiner Reaktion Angst hatte, denn sie hätte es für mich nicht leichter gemacht.

Nenn mich gerne einen Feigling; ich komme damit klar. Nenn mich alles was du willst, Hauptsache, dir geht es danach besser. Denn ich will, dass es dir gut geht. Auch ohne mich.

Ich sitze hier, mit meinem Füller und diesem verdammten Papier und habe ehrlich gesagt keine Ahnung, was ich genau schreiben soll. Denn in mir sind so viele Gefühle; ich kann sie gar nicht alle aufs Papier bringen. Aber ich werde es versuchen.

Doch bevor du weiterliest will ich dir sagen, dass es mir leidtut. Alles. Und zwar unglaublich.

Jetzt werde ich anfangen. Das hier ist der sechste Versuch, diesen Brief zu schreiben; vor diesem habe ich fünf zerrissen. Ich hoffe einfach, dass es jetzt klappt.

Alles fing mit diesem einen Tag im Juli an. Auf der Party. Lennox, erinnerst du dich an diese Party? Quentin hat uns vorgestellt und du hast mich angesehen, mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen. Und irgendetwas hattest du an dir, etwas, dass ich bewunderte. Vielleicht war es deine selbstsichere Ausstrahlung, vielleicht deine Augen, die mich sofort in ihren Bann zogen.

Du gabst mir eine Zigarette und dann standen wir da, rauchend, in der warmen Nachtluft. Das war ein Gefühl, dass ich gar nicht beschreiben kann. Schon damals hatte ich die unterbewusste Vorahnung, dass du mir wichtig werden würdest. Aber ich habe es mir viel zu lange nicht eingestanden.

»Das wird sicher lustig«, antwortete ich dir, nachdem du mir angeboten hattest, mir alles zu zeigen. Ja, lustig ... Es war alles, Lennox, aber sicherlich nicht lustig. Aber dazu komme ich erst später...

Du lächelst mich an, deine Augen halten die meinen gefangen. Zusammen stehen wir am Rande der Gruppe, trinken, rauchen und sagen kein Wort.

»Und, gibt's hier hübsche Mädchen?«, durchbreche ich die Stille und sehe dich von der Seite an. Dabei mustere ich deine Kleidung. Du siehst ganz anders aus, als da wo ich herkomme; aus der Stadt. Du trägst eine Jeansshorts und dazu ein kurzärmliges, rotes Hemd. Deine schwarzen Haare fallen dir locker in die Stirn; die schwarzen Haare, die aussehen wie flüssiges Wasser bei Nacht.

Alle hier tragen buntere Sachen, als die Jungs in meiner Klasse. Aber bei dir, bei dir fällt es mir besonders auf. Das Rot ist in einem starken Kontrast zu dem Schwarz deiner Haare und dem Weiß deiner Schuhe. Und deine Augen, deine Augen haben den warmen Braunton einer geschmolzenen Schokolade im heißen Sonnenlicht.

Du lachst und nickst. »Ja, so einige.« Du wackelst mit den Augenbrauen und deutest auf eine Gruppe Mädchen, mit kurzen Kleidern und Hosen, die ihnen gerade einmal bis zur Mitte der Oberschenkel reichen.

Ich lege den Kopf schief und mustere sie. Eine fällt mir besonders auf, sie ist groß, honigblond und trägt ein wassergrünes, luftiges Kleid.

Du folgst meinem Blick und nickst wissend. »Carla. Sie verdreht jedem Jungen den Kopf. Aber«, du beugst dich etwas vor und grinst, »sie weiß es eben auch. Sie ist ein Profi, wenn es darum geht, mit Herzen zu spielen.«

Ich nicke nur und nehme einen Zug von meiner Zigarette. »Solche Mädchen gibt es bei uns auch.«

Jetzt legst du den Kopf schief und pustest weißen Rauch in die schwarze Luft. »Wie ist es in der Stadt?« Deine Stimme klingt neugierig und ich wende mich von Carla ab.

»Laut, voll, aber abenteuerlich«, antworte ich knapp. Ich will nicht daran denken, denn wenn ich es tue, beginne ich nur, alle zu vermissen, die ich verlassen musste. Nur, damit meine Mutter entscheiden kann, ob sie aufs Land zieht. Dabei will ich nicht von zuhause weg. Ich liebe die Stadt.

»Und?«, lenke ich vom Thema ab. »Hattest du mal was mit Carla?«

Du lachst wieder und schmeißt den Stummel deiner Zigarette auf den Boden. »Auch«, antwortest du grinsend und ich hebe die Augenbrauen.

»Verstehe.« Ich wende mich kopfschüttelnd, aber mit einem Grinsen auf den Lippen, ab und schaue wieder in Carlas Richtung. Jetzt wirft sie die Haare zurück und lacht laut über irgendetwas.

»Geh doch zu ihnen«, schlägst du vor, aber ich winke ab. Ich hasse es, einfach in eine bestehende Gruppe zu kommen; bin damit jedes Mal überfordert.

»Okay, ist auch gar nicht mehr nötig«, fügst du hinzu und verwirrt hebe ich den Blick. Carla sieht mich an, auf ihren Lippen ein Lächeln, dann bewegt sie sich auf uns zu.

Direkt vor uns bleibt sie stehen und mustert uns eingehend. »Na, Jungs?«

Du grinst sie an. »Na, Carla? Wie viele Jungs waren es heute?«

Carla zeigt dir den Mittelfinger, aber du lachst nur und leerst dein Bier in einem Zug. »Du schuldest mir immer noch ... einen Gefallen«, sagt sie dann zu dir und schaut dich von unten an, klimpert mit ihren Wimpern.

Wieder lachst du. »Jeder Zeit, Blondie, aber ich denke dein Terminplan ist voll, was Gefallen angeht, richtig?« Du kramst wieder die Zigarettenpackung hervor und zündest dir eine Neue an.

Carla lächelt süß, aber ich sehe, dass sie angesäuert ist. »Du hast recht, vielleicht sollte ich mich auch lieber an diesen halten, wenn es nach den Erzählungen von Viola geht.«

Du versteifst dich kaum merklich, hast dich aber im nächsten Moment wieder im Griff und trittst etwas näher an Carla heran. »Ich war einfach nicht in Stimmung, verstehst du? Aber sie war geradezu besessen.«

Carla hebt die Brauen und mustert dich abschätzig, aber dann nickt sie bestätigend. »Das dachte ich mir schon.«

Und ich denke mir, dass du Carla anlügst, aber halte den Mund.

Dann dreht Carla sich zu mir, auf ihren Lippen liegt ein verlockendes Lächeln und sie lässt ihren Blick lang und ausgiebig über mein Gesicht und meinen Körper wandern. »Hallo, Neuer«, flötet sie und legt mir die manikürte Hand auf die Brust. »Ich bin Carla.«

Ich lächle sie an, ihre Körperwärme sickert durch den Stoff meines T-Shirts. »Caspian«, antworte ich knapp und mustere sie ebenfalls, wenn auch nicht ganz so eingehend, wie sie mich vor wenigen Sekunden.

»Willkommen«, sagt sie sanft. »Wenn du etwas brauchst, melde dich bei mir.« Sie schenkt mir einen langen Blick, dann wendet sie sich ab, grinst dich frech an. »Und bei dir melde ich mich.« Sie geht zu den anderen Mädchen zurück.

»Sie ist ...«, beginne ich, breche aber ab, weil mir einfach kein Adjektiv einfällt, das sie beschreibt.

»Bestimmend?«, schlägst du vor und ich nicke grinsend.

»Ja, da trifft es vielleicht ganz gut.«

Wir lachen kurz und du bietest mir ebenfalls eine zweite Zigarette an, aber ich lehne ab. Ich rauche zwar, aber nicht so viel, wie wohl du.

Den restlichen Abend mischen wir uns zusammen in die verschiedenen Gruppen, unterhalten uns. Du stellst mir alle Leute vor. Wir trinken, lachen zusammen mit den anderen und hin und wieder wickelt mich ein Mädchen in ein Gespräch ein.

Gegen Mitternacht verschwindest du mit Viola, ihr geht auf die andere Seite des Sees zu. Ich schaue euch hinterher. Wenn ich heute daran denke, kann ich fast den Stich Richtung Herzgegend spüren, aber damals war da nur dieses seltsame Gefühl, dass vielleicht gerademal eine halbe Sekunde angedauert hat.

Carla schiebt sich in mein Blickfeld und folgt meinem Blick. »Viola und Lennox. Die beiden sind seltsam«, erklärt sie, während sie einen Zug von einer Zigarette nimmt. »Manchmal läuft da was und manchmal reden sie wochenlang nicht miteinander. Kein Mensch versteht das.« Sie zuckt mit den Schultern und sieht mich an. »Schönes T-Shirt, nebenbei«, sagt sie und legt wieder ihre Hand auf meine Brust.

Ich lächle sie an, sie erwidert es, ihre blauen Augen wandern zu meinem Mund. »Hast du eine Freundin in der Stadt?«, will sie eine Spur leiser wissen.

Ich schüttle den Kopf. Seit Juliet gab es niemanden.

Sie grinst. »Auch wenn du ja gesagt hättest, hätte ich das hier gemacht.« Sie beugt sich vor und drückt ihre weichen Lippen auf meine.

Erst bin ich überrascht, erwidere den Kuss dann aber und lege die Hände auf ihre Taille.

»Aber ich habe natürlich ein besseres Gewissen, weil du nein gesagt hast«, flüstert sie gegen meine Lippen.

Ich lache leise. »Ach ja?«

Sie nickt und küsst mich wieder. Und ich bekomme gar nicht mit, dass du an diesen Abend nicht wieder kommst. 

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top