vier; caspian

Du hast dein Wort gehalten, Lennox. Am Abend, als die Sonne langsam hinter den grünen Hügeln unterging und das goldene Abendlicht die Welt in eine magische Atmosphäre tauchte, hast du vor meinem Haus gestanden.

Ich schaute aus dem Fenster und sah dich an; deine schwarzen Haare waren vom Sommerwind zerzaust, dein gemustertes Hemd war halb offen und flatterte um deinen Körper herum. In der einen Hand hieltest du eine Flasche Weißwein. Der Zeigefinger der anderen schwebte über der Klingel. Es schien so, als würdest du dich nicht trauen, zu drücken; als wärst du unsicher und nervös.

Das wollte ich natürlich nicht; wollte dich vor diesem Zwiespalt der Gefühle bewahren.

»Ich bin hier oben«, sage ich zu dir und lehne mich aus dem offenen Fenster heraus.

Du schreckst auf, siehst nach oben; unsere Blicke treffen sich. Du räusperst dich. »Kommst du jetzt, oder was?«

Ich lache darüber, wie du deine vorherige Unsicherheit so einfach überspielst, als hätte ich dich nicht dabei ertappt.

Mit einer schnellen Bewegung schließe ich das Fenster, ohne dich aber aus den Augen zu lassen. Vom Stuhl fische ich ein frisches, weißes Poloshirt.

Ich sehe, wie dein Blick über meinen nackten Oberkörper streift; wie du schnell wegsiehst, ein Feuerzeug aus deiner Tasche holst und damit herumspielst.

Das breite Grinsen auf meinem Gesicht kann ich mir nicht verkneifen. Ich schlüpfe in das weiße Shirt, greife nach den wichtigen Dingen, die ich brauche, und stopfe sie mir in die Taschen meiner Hose.

Dann verlasse ich mein Zimmer. »Ich gehe noch etwas spazieren«, sage ich zu meiner Mutter, die auf dem Sofa im Salon sitzt, ein Buch in den Händen. Sie sieht nicht mal auf; nickt nur. So ist das, seit wir hier sind. Sie genießt das Landleben viel zu sehr, als mir recht ist.

Seufzend haste ich die Treppen hinab und trete aus der Haustür.

Du stehst etwas abseits und folgst mit dem Blick den Weinsträuchern, die an dem alten Haus emporwachsen. Nach ein paar Sekunden reißt du deine Augen los und siehst stattdessen mich an. Dein Blick wandert wieder über meinen Körper und ich will nicht lügen; es gefällt mir.

»Quentin hat keine Zeit. Er ist mit Carla und den anderen unterwegs.« Du räusperst dich.

Das weiß ich schon, schließlich ist Quentin mein Cousin. Er hat es mir schon vor ein paar Stunden erzählt.

»Willst du nicht auch lieber da dazu?«, willst du wissen. Wieder fängst du an, mit dem Feuerzeug herumzuspielen.

»Du?«, stelle ich die Gegenfrage.

»Nein. Ich mag es nicht, den ganzen Tag von so vielen Menschen umgeben zu sein. Ich muss auch mal alleine sein«, antwortest du und siehst mir in die Augen.

»Wir könnten zusammen alleine sein.« Ich lächle dich leicht an.

Als du es erwiderst, bekomme ich ein warmes Gefühl in der Brust.

»Okay, dann also los. Ich zeige dir den Platz, wo ich immer hingehe, wenn ich alleine sein will.« Du gehst voraus und ich folge dir.

Wir gehen eine halbe Stunde schweigend nebeneinander her; du führst mich durch Felder mir hohem Gras, durch Weinplantagen und über sandige, kleine Wege.

Ich mag es, dass wir nicht reden. Alles, was ich höre, ist dein ruhiger Atem, die zirpenden Grillen und die alten Olivenbäume, dessen Äste sich im Wind biegen. Mir reicht das; ich genieße das Gefühl eines schönen Sommerabends.

»Bald sind wir da«, meinst du schließlich.

Keine zehn Minuten später stehen wir auf einer Wiese, auf der ein Haufen Bäume stehen und in deren Mitte sich ein kleiner Tümpel befindet. Der Ort hat beinahe etwas unwirkliches. Er ist so friedlich; so unberührt.

»Meine Großmutter hat mir diesen Platz gezeigt. Während sie ein Buch gelesen hat, habe ich im Schatten der Bäume gespielt und im Wasser nach Fischen gesucht.« Du lächelst bei dieser Erinnerung.

»Es ist wirklich schön hier.«

Wir gehen zu einem großen Baum und setzten uns darunter ins Gras; lehnen uns an den Stamm und starren in den Himmel. Der Sonnenuntergang ist leider schon vorüber, aber dafür sieht man so langsam Sterne am Horizont.

Still hängt jeder seinen eigenen Gedanken nach, während wir die leuchtenden Punkte in weiter Ferne beobachten, die mit jeder Minute sichtbarerer werden. Die Dunkelheit um uns herum verstärkt sich ebenfalls schnell.

Du öffnest die Weinflasche und trinkst einen Schluck. Dann reichst du sie mir und ich lasse die Flüssigkeit meine Kehle hinunter rinnen.

»Findest du es nicht auch bemerkenswert?« Ich setzte die Flasche ab und gebe sie dir zurück. Als du sie entgegennimmst, berühren sich unsere Fingerspitzen und ein seltsames Kribbeln breitet sich in meinen aus. Ich schüttle verwirrt den Kopf und ziehe meine Hand schnell zurück.

»Was?«, entgegnest du.

»Dass es noch so viele Lebensformen geben könnte; irgendwo dort oben. Vielleicht sitzen zwei von ihnen auf ihrem Planeten, wie wir auch, gerade da und denken darüber nach.« Ich lasse meinen Blick von Stern zu Stern gleiten und muss bei der Vorstellung schmunzeln.

»Du meinst grüne Marsmenschen?« Du lachst. Ein sehr schöner Klang.

»Nein.« Augenverdrehend nehme ich dir die Flasche wieder ab und trinke selbst ein paar Schlucke. »Aber jetzt mal im Ernst. Glaubst du daran?«

Du wirkst plötzlich nachdenklich, dein Blick ist fest auf den Himmel geheftet. »Ich könnte mir schon vorstellen, dass es irgendwo da oben noch weitere Lebensformen gibt. Immerhin ist das Universum so groß; es ist fast undankbar, dass wir die einzigen sind. Aber ich möchte mich eigentlich nicht so in das Thema vertiefen, sonst drehe ich durch, weil ich die Antwort ja doch nicht kenne.« Du siehst mich an und ich erwidere deinen Blick stumm. Plötzlich ist dein Gesicht ein ganzes Stück näher als zuvor, dein Atem ist schneller geworden. »Willst du auch eine?«, fragst du und hältst mir deine Zigarettenpackung unter die Nase.

Etwas verwirrt nicke ich und ziehe eine heraus. Als du in deiner Tasche nach Feuer kramst, bist du schon wieder weiter weg von mir und es scheint so, als hätte es den Moment von eben nie gegeben.

Als deine Zigarette aufleuchtet, drehst du dich zu mir. Doch anstatt, mir das Feuerzeug zu geben, beugst du dich schon wieder so nah zu mir und zündest mir die Zigarette an. Ich vergesse beinahe, daran zu ziehen, weil mein Blick so auf dich und deine warmen Augen gerichtet sind; auf dein Gesicht mit den weichen Zügen.

Dann bist du wieder weg von mir; pustest den weißen Rauch in die dunkle Nacht hinaus. Ich starre dich wie hypnotisiert an, lasse meinen Blick immer und immer wieder über dich gleiten. Ich weiß nicht, ob du es bemerkst, aber wenn, macht es dir wohl nichts aus. Vielleicht genießt du es ja sogar.

Nach einer Weile legst du dich auf den Rücken, breitest deine Arme aus und schließt die Augen. »Spürst du das? Das ist Freiheit, Caspian.«

Ich lege mich ebenfalls so hin; dicht neben dich. Meine Finger berühren deine, als ich meine Arme genauso austrecke, wie du. Wieder kribbelt meine Haut. Ob du es auch spürst? Warum spüre ich das überhaupt? Was passiert mit mir?

Du öffnest die Augen und drehst deinen Kopf zu mir. Du siehst mich still an, ich sehe dich still an. »Und?«, sagst du dann.

»Ich spüre es«, flüstere ich; weiß aber nicht, ob ich damit wirklich die Freiheit meine oder dieses andere Gefühl.

Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie eine Sternschnuppe über den Himmel gleitet und drehe meinen Kopf zu ihr. »Hast du das gesehen?«

»Ja.«

»Jetzt dürfen wir uns etwas wünschen.«

Es ist still, während wir uns einen Wunsch ausdenken. Ich weiß nicht mal, was ich mir wünschen soll. Vielleicht, dass meine Mutter sich doch nicht dazu entscheidet, hier her zu ziehen? Andrerseits: Ist es hier wirklich so schlimm, wie ich dachte? Mein Blick fällt bei dem Gedanken auf dich.

»Was hast du dir gewünscht«, fragst du.

»Wenn ich dir das sagen würde, geht es nicht in Erfüllung, Lennox«, sage ich gespielt tadelnd.

Du drehst dich auf die Seite, bis du schon wieder so nah bei mir bist und siehst mich an. »Sag das nochmal.«

Verwirrt ziehe ich eine Braue hoch. »Was?«

»Meinen Namen«, wisperst du.

Mein Herz macht einen kleinen Überschlag und ich weiß beim besten Willen nicht, warum. »Lennox«, flüstere ich. »Wieso?«

Du lächelst mich an und das Lächeln fühlt sich an wie warmer Tee, cremiger Milchschaum und der Geruch nach Zimt. »Ich weiß nicht. Ich mag es, wenn du ihn sagst. Es hört sich irgendwie anders an, wie bei den anderen.«

Kurz fällt mein Blick auf deine Lippen und ich weiß nicht mal, warum. Was will ich von dir? Was ist das für ein Gefühl in mir, verdammt?

»Wollten wir nicht eigentlich über Viola reden?«, sage ich hastig.

Dein Lächeln verblasst. Augenverdrehend legst du dich wieder auf den Rücken. »Was soll ich sagen? Ich kann einfach keine emotionale Beziehung zu Mädchen aufbauen.«

»Warum nicht?«, hake ich nach.

»Ich habe Vertrauensprobleme und zwar ziemlich starke«, erklärst du mir leise. Du sagst nicht, warum, aber ich frage auch nicht nach.

»Und trotzdem liegst du hier und vertraust mir das Alles an«, schlussfolgere ich.

»Das stimmt«, wisperst du, »ich weiß auch nicht, warum. Vielleicht, weil du kein Mädchen bist?«

Ich überlege kurz. »Wenn du dich von Mädchen so eingeschüchtert fühlst, warum machst du dann etwas mit ihnen?«

Du runzelst die Stirn. »Wie meinst du das? Mit wem sollte ich sonst etwas machen.«

Ich verstehe deine Anspielung und zucke nur mit den Schultern. »War nur so ein Gedanke.«

Wieder breitet sich Stille zwischen uns aus. Der Mond scheint nun hell und kraftvoll auf uns hinab, er lässt dich silbrig glänzen; es gefällt mir. Wenn ich dich jetzt anfasse, fühlt es sich dann anders an? Deine Haut sieht in dem Licht weicher aus, beinahe flüssig.

Ohne nachzudenken, strecke ich meine Hand aus und streiche über deine Wange. Ich höre, wie du tief Luft holst und mich daraufhin mit großen Augen ansiehst. Aber du stoppst mich nicht.

Also streiche ich weiter über deine Haut. Ich beuge mich über dich, stütze mich auf meiner anderen Hand ab; mein Ellbogen versinkt im weichen Gras.

Ich bin froh, dass du nichts sagst, denn wenn es so wäre, würden wir beide diese Situation wohl schnellstmöglich beenden.

Meine Hand ist bei deinem Mund angekommen und streicht leicht über deine Oberlippe. Du keuchst auf; ein schöner Laut.

Ich beuge mich vor, so weit, dass meine Lippen über deinen schweben.

In diesem Moment kreischt ein Vogel auf; er flattert aus einem Gebüsch, seine Flügel schlagen laut, dann fliegt er gen Himmel.

Wir schrecken zurück und der Moment ist sofort vorbei.

Ich rolle mich weg von dir, versuche, meinen Atem zu beruhigen. Was war das eben?

»Wir sollten gehen«, meinst du; deine Stimme ist seltsam belegt.

Ich nicke, stehe auf, klopfe das Gras von meiner Hose.

Schweigend treten wir den Rückweg an. Und während du vorgehst und nicht mehr wagst, mich nur anzusehen, frage ich mich, was zur Hölle das hier ist.

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