sechs; caspian
Ich habe das Gefühl, es ist nur Minuten her, dass ich dein Gesicht gesehen habe. Dich Lachen gesehen habe. Dass ich der Grund dafür war.
Es tut mir leid, Lennox. Mein Lennox.
Ich kann es nicht oft genug sagen. Du wirst mir nie verzeihen. Aber du wirst damit abschließen. So wie du es musst.
Warum machen Menschen so viele Fehler? Warum verletzten wir andere? Mit unseren Entscheidungen? Unserer einfachen Existenz? Unseren Worten.
Ich habe dich mit allem verletzt, was ich zu bieten habe. Dabei war am Anfang alles so gut. So unschuldig.
So ... perfekt.
Du hast mich angesehen, als du Viola geküsst hast, an jenem Abend, als du das erste Mal in meinem Zimmer warst. Weißt du das noch?
Und ich ... habe Panik bekommen. Und dann doch nicht mehr.
Er ist ein Junge.
Ja und?
Er ist Lennox, mein Lennox.
Die Tage gingen ineinander über. Wurden zu einem großen Durcheinander von langen See-Tagen, Partys, Spaziergängen und Lachen.
Und von dir. Überall warst du.
Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte, Lennox. Ich kannte das nicht.
Er ist ein Junge.
Ja und?
Er ist ein Junge.
Ja und?
Die ganze Zeit. Die ganze Zeit.
Ich mag keine Jungs.
Woher willst du das wissen? Du bist erst achtzehn. Du weißt gar nichts.
Aber ich wusste doch alles. Alles, worauf es ankommt, zumindest.
Ich wusste, dass ich dich mag. Auch, wenn du ein Junge bist. Irgendwo in mir war es mir nicht egal. Und gleichzeitig war es scheißegal.
Manchmal denke ich, dass ich nicht auf Jungs stehe. Ich stehe einfach nur auf Lennox. Mein Lennox. Nur du.
Am Ende wolltest du dann wissen, was ich bin. Wie ich mich definiere. Ich konnte es nicht sagen. Du warst sauer. Lennox, nur weil du plötzlich wusstest, wer du bist, heißt das nicht, dass ich es weiß. Ich weiß es nicht. Was ich bin, wie ich bin.
Ich muss es herausfinden. Und habe dafür noch mein ganzes Leben Zeit. Ohne mich sofort festzulegen. Ohne zu entscheiden, welches Geschlecht ich eines Tages womöglich mal heiraten werde. Ich bin bereit, es herausfinden. Neue Erfahrungen zu machen. Das verdanke ich dir.
Tut mir leid, dass es mir zu schnell ging. Zu fest. Zu eng. Du wusstest, wer du bist. Und hast von mir erwartet, dass ich es auch wissen muss. Aber so einfach ist das nicht.
Verstehst du mich jetzt ein bisschen? Verstehst du, wie ich mich fühle? Verstehst du, dass du mir nicht peinlich warst, sondern ich einfach Zeit brauche?
Ich musste gehen.
Du weißt nun, warum.
Du wirst mich hassen.
Hasse mich. Hass ist besser als verletzt zu sein. Hass ist besser, als mir nachzutrauern. Sei wütend.
Aber vielleicht – vielleicht – verstehst du mich ja.
Damals, als ich meinte, ich brauche Zeit, das hast du sie mir gegeben.
So viel ich brauchte.
Abstand. Nähe. So viel ich vertragen konnte.
Warum konntest du mir am Ende diese Zeit plötzlich nicht mehr geben?
Es war ein schwüler Tag, als es das erste Mal passierte. Die Sonne schien uns schier zu erdrücken. Wir saßen am See.
Carla schaut zu mir herüber. Sie lacht. Sie will was von mir.
Du schaust zu mir herüber. Eifersucht in deinen Augen? Wann war der Punkt, an dem du dir selbst eingestanden hast, dass du mich mehr magst, als du dachtest, Lennox? Wusstest du es da schon? Oder hast du, wie ich, versucht, es noch irgendwie zu verarbeiten? Dir über deine Gefühle klar zu werden?
Es wird Nachmittag. Die anderen wollen Party machen, am gewohnten Platz. Ich solle mitkommen, flötet Carla. Ich würde es nicht bereuen.
Ich schaue zu dir. »Ich bleibe noch kurz.«
Du starrst mich an.
Es war ein spontaner Gedanke.
Du verstehst.
»Kommst du, Kumpel?« Quentin schaut dich an.
»Ich mache ein Nickerchen«, entgegnest du und tust so, als wärst du abwesend. »Ich komme in ein paar Minuten.« Du lässt dich auf dein Handtuch sinken, schließt die Augen. Deine Haut glänzt golden in der Sonne.
Ich tue so, als würde ich meine Sachen zusammenpacken.
»Caspian?«
»Geh vor, ich kann meine Ringe nicht finden. Stell mir ein Bier kalt.« Ich wühle im Sand, als würde ich meine Ringe suchen, die jedoch alle sicher in meinem Zimmer liegen. Auf dem Schreibtisch. Neben dem Blatt Papier, das über und über mit deinem Namen beschriftet ist.
Lennox Lennox Lennox Lennox
Lennox? Lennox. L.E.N.N.O.X Lennox?!
LENNOXLENNOXLENNOXLENNOXLENNOXLENNOX!
lennox.lennox.lennox.lennox.lennox
lenny, lenny?
Als Quentin weg ist, stehe ich auf. Ziehe mein Handtuch zu dir rüber, lege mich neben dich. Unsere Schultern berühren sich. Du bist warm und weich.
Wir sind ganz allein. Geschützt von den Bäumen, die uns Schatten spenden.
Ich schwitze. Weil es heiß ist. Weil ich nervös bin. Weil ich mir immer noch unsicher mit dem bin, was ich hier tue.
Du drehst deinen Kopf zu mir. Schaust mich an. Ich streiche dir über deine Wange.
»Wie lange braucht Viola noch Zeit, ich drehe durch.« Du grinst.
Ich grinse. »Wenn du weiter von ihr redest, muss ich kotzen.«
Du setzt deine beste Unschuldsmiene auf. »Waaas? Es geht gar nicht um Viola?«
Ich unterbreche dich, indem ich dich küsse. Du schmeckst nach Sonne, nach Pfefferminze, nach Rauch. Deine Lippen sind weich. Zart.
Unser Kuss ist erst zögernd. Fragend. Dürfen wir so weit gehen? Ist es für uns beide okay?
Dann forscher. Sicherer. Fordernd. Unsere Zungen tanzen miteinander. Der Kuss wird tiefer, leidenschaftlicher. In meinem Inneren entzündet sich ein Feuer.
Du lässt mich brennen, Lennox. Nur du. Nur du. Nur du.
Deine Hände liegen auf meiner nackten Brust. Meine Hände in deinem Haar.
Deine Lippen an meinem Hals, meinem Bauch, meinen Händen. Überall. Ich kann nicht mehr atmen.
Du nimmst mir die Luft zum Atmen, Lennox.
Und dann bist die Luft zum Atmen, Lennox.
Wir wissen, wir können nicht so weit gehen, wie wir wollen. Wir sind an einem öffentlichen Strand. Wir sind noch nicht bereit.
Aber unsere Küsse ... Noch nie hat sich etwas so richtig angefühlt.
Du flüstert »Davon kann Viola nur träumen« gegen meine Lippen.
Ich lächle. »Ich träume bestimmt auch davon.«
»Wenn du das tust, musst du einfach nur herkommen und dann musst du nicht mehr nur träumen.« Ich ersticke deine Worte mit Küssen.
»Die anderen fragen sich bestimmt schon, wo wir bleiben.« Du seufzt. »Geh als erstes, ich kann jetzt nicht. Ich muss klarkommen.«
Mein Blick wandert zu deiner Badehose. Ich lache. »Ich auch nicht, Lennox.«
Also bleiben wir kurz liegen. Warten. Lächeln. Zwingen, uns nicht wieder zu küssen, um die Lust nicht wieder zu entfachen.
Dann stehe ich auf, nehme meine Sachen und wende mich zum Gehen. »Das sollten wir dringend wiederholen, Lennox.«
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