fünf; lennox
Der Mond scheint hell und bricht durch die Vorhänge meines dunklen Zimmers. Er spiegelt sich in dem Wasserglas auf meinem Nachttisch wider; lässt es silbern glänzen.
Das Kissen unter meiner Wange wird warm und ich wälze mich genervt zur anderen Seite. Ich kann nicht schlafen, obwohl ich total müde bin.
Ich schaue auf die Uhr. 03:46. Ob Caspian noch wach ist? Wahrscheinlich nicht. Ich trete ans Fenster und schaue hinaus. Der Garten liegt still und verlassen da.
Warum denke ich an ihn?
Vielleicht ist es idiotisch, aber ich habe das Gefühl, ihn sehen zu müssen. Immer, wenn ich an unser letztes Treffen denke, geht es mir so. Kurzentschlossen ziehe ich mir ein Hemd und Shorts über und schleiche leise die Treppe hinunter.
Der Weg zu ihm ist zum Glück nicht so weit und ich bin froh, dass ich mit zehn die Angst vor Dunkelheit abgelegt habe.
Eine große Wolke hat sich vor den Mond geschoben und nur die gerade schwach leuchtenden Sterne spenden mir etwas Licht, sodass ich sehe, wo ich langlaufe.
Warum schlägt mein Herz schneller, wenn ich an den blonden Jungen denke?
Über mir fliegt eine Sternschnuppe über den Himmel. Ich fühle mich warm und sicher.
Geborgen.
Seine Augen tanzen vor meinen inneren.
Als ich bei seinem Haus ankomme, schaue ich nach oben, wie beim ersten Mal, als ich hier war.
Aber er ist nicht alleine. Ich höre Gelächter aus dem Zimmer. Männliches und weibliches.
Ich will mich umdrehen; gehen, so schnell ich kann. Ich wurde nicht eingeladen – ich sollte nicht hier sein.
»Lenny!«, brüllt eine Stimme, ehe ich mich umwenden kann. Quentin streckt seinen Kopf aus dem Fenster heraus. »Ich wollte dich gerade anrufen, dass du deinen Hintern hier her bewegen sollst.« Er grinst mich an.
Ich zwinge mich zu einem Lächeln. »Meine Mutter hätte dich umgebracht, wenn du mitten in der Nacht zuhause angerufen hättest.«
Er zuckt nur lachend mit den Schultern. »Klettre den Balkon hoch, Caspians Mutter schläft«, fügt er leiser hinzu und deutet auf den verschnörkelten Balkon auf der Seite des Hauses. Er ist mit den Gittern verbunden, an denen die Weinsträuchern emporwachsen.
Seufzend ziehe ich mich an ihnen hoch, bis ich das kühle Metall des Balkons zu fassen bekomme und mich ächzend übers Geländer ziehe. Schwarze Haarsträhnen fallen mir ins Gesicht und ich streiche sie zurück.
Quentin klopft mir auf den Rücken. »Woher weißt du, dass wir hier sind?«
Überrumpelt schaue ich ihn an und weiß nicht, was ich sagen soll.
»Ich habe ihm Bescheid gegeben.« Caspian lehnt im Türrahmen. Seine blonden Haare fallen ihm locker ins Gesicht. Seine Arme sind verschränkt und an seinen Fingern glitzern Ringe. Er trägt ein hellgrünes Poloshirt und beige Shorts. Seine weißen Sneaker leuchten im Dunklen. Auf seinen Lippen liegt ein Lächeln. Ein verschworenes. Verklärtes. Eins, das nach »ich habe dir aus der Patsche geholfen, gern geschehen«, ruft; nach »ich weiß, dass du eigentlich nur mich sehen wolltest«.
Ich spüre, wie ich rot werde.
Hoffentlich sieht man es im Dunkeln nicht.
»Komm rein und trink ein Bier mit uns«, sagt Quentin. Er verschwindet drinnen.
Ich bleibe reglos stehen. Caspian auch.
»Hey«, sage ich leise.
»Hi.« Seine Stimme ist rau und trotzdem sanft.
Ich bekomme eine Gänsehaut. Dabei ist es doch so warm heute Nacht.
Langsam gehe ich an ihm vorbei ins Innere. Spüre seinen Blick auf meinem Rücken, wie er sich förmlich einbrennt. Mir wird heiß.
Das Zimmer ist groß. Ein breites Bett mit weißem Gestell und blauer Bettwäsche steht am Fenster. Daneben ein hölzerner Nachttisch, auf dem ein paar Bücher und eine warme Lampe mit stoffüberzogenem Schirm steht.
An der anderen Wand ein Schrank aus Holz, die eine Tür steht offen und gibt den Blick auf seine üblichen Poloshirts frei.
Neben der Balkontür ein Schreibtisch, übersäht mit beschriebenem Papier; Büchern und Stiften. Auf dem Stuhl davor liegen jede Menge Klamotten.
An den Wänden hängen Poster und Bilder.
Die anderen sitzen auf dem Holzboden. Quentin, Viola, Carla, Francesca und Tomas. Sie spielen Karten, rauchen, trinken Bier.
Ich gehe nicht zu ihnen, sondern trete an die Wand und schaue mir die Bilder an, die dort hängen.
Sofort spüre ich, wie Caspian hinter mich tritt.
Eines der Bilder ist ein Foto, auf dem eine jüngere Version von ihm und seine Mutter zu sehen ist. Das andere ist ein Poster von David Bowie, das Cover von Heroes, daneben eins von The Smiths, The Queen Is Dead.
»Du stehts auf Schnulzen?« Das Lächeln in meiner Stimme ist kaum zu überhören.
»Ein falsches Wort und du fliegst raus.« Auch er lächelt, dafür muss ich mich nicht umdrehen.
Das Lachen und Geschwätz der anderen tritt in den Hintergrund. Plötzlich sind da nur noch Caspian und ich.
Ich gehe weiter; weiß, dass er mir folgt. An einer anderen Wand hängt ein großer Ausdruck von Claudes Monets japanischer Brücke über dem Seerosenteich.
»Magst du Kunst?«, fragt er mich. Seine Stimme ist näher, als ich dachte.
»Wer mag keine Kunst?«, entgegne ich.
Ich nehme eins der Bücher auf seinem Nachttisch in die Hand. Die Verwandlung von Kafka.
Endlich drehe ich mich um. »Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du voll das Klischee bist?«
Er lacht leise. Zuckt mit den Schultern.
Das warme Licht der Lampe lässt seine Augen leuchten.
»Kommt her, wir spielen jetzt was zusammen!«, ruft Quentin zu uns herüber.
Wir gehen zu ihnen herüber und ich lasse mich zwischen Viola und Quentin nieder.
»Hey.« Viola sieht mich an. Ihr Blick ist weich. Sie nimmt meine Hand. Sie ist warm und vertraut. Ich lächle. Ich glaube, ich könnte Viola echt gerne mögen. Aber nicht für immer. Ich weiß nicht, warum.
Wir spielen ein paar Runden Karten; ich trinke drei Bier und zünde Caspian immer als erstes seine Zigaretten an, wenn er nach Feuer fragt.
Viola streicht mir mit den Händen durchs Haar. Caspian schaut mich mit seinen ozeanblauen Augen an. Viola berührt mit den Händen meine Wange. Caspian lässt seinen Blick über mich schweifen. Viola küsst mich kurz. Caspian und ich halten währenddessen Blickkontakt.
Irgendetwas stimmt nicht. Mir ist schwindlig. Die Luft ist stickig und ich habe das Gefühl, die Decke kommt auf mich zu.
Warum verhalte ich mich so seltsam? Warum ist Caspian ... Caspian? Und warum kann ich mich nicht einfach bei Viola fallen lassen, so wie ich es möchte?
Die Sonne geht auf, als die anderen verschwinden. Ich lasse mir Zeit, mache langsam. Tue so, als müsste ich meinen Schuh binden. Räume die Karten zusammen. Die leeren Flaschen.
Viola lächelt mich an, als sie geht. Bildet mit ihrer Hand das »Ruf mich an«-Zeichen; dann ist sie weg.
Alle sind weg.
Caspian kommt zu mir herüber. Nimmt die leeren Flaschen und stellt sie in die Zimmerecke. Bedankt sich; packt die Spielkarten in seine Schreibtischschublade.
Ich setze mich schweigend auf sein Bett. Es ist weich und gemütlich.
Meine Augen sind schwer.
»Du gehst nicht?«
»Willst du, dass ich gehe?«, rutscht es mir heraus. Ich weiß einfach nicht, was mit mir los ist. Warum verhalte ich mich so seltsam?
»Lennox ...« Caspian kommt zu mir und setzt sich mit gegenüber hin. Zieht seine Schuhe aus und breitet sich auf dem Bett aus. »Findest du nicht, du solltest Viola eine Chance geben?«
Ich blinzle einmal. Zweimal. »Doch. Aber es ist schwer.«
»Warum ist es das?«
»Ich habe Angst.«
»Vor was hast du Angst?«
»Davor, dass man mich vergisst. Vor zu viel Nähe. Davor, dass mir dann plötzlich alles zu viel wird. Davor, dass ich nicht richtig lieben kann, weil ich das Gefühl habe, dass ich nicht so gut darin bin, Leute an mich ran zu lassen. Viola hat alles verdient, ich glaube, ich biete ihr nichts.« Ich starre Caspian an.
»Ich glaube nicht, dass du nichts bieten kannst. Ich glaube, du hast Angst, dich fallen zu lassen. Ich glaube, du musst auf deine Gefühle vertrauen. Ich glaube, du musst einfach mal auf dein Herz hören. Und man vergisst dich nicht so schnell. Dafür bist du zu ... da. Viola weiß das.«
Aus Reflex rutsche ich ein Stück näher. Warum bin ich so? Warum benehme ich mich so? »Ich glaube, Viola weiß selbst nicht, wie sie auf ihr Herz hören soll. Schließlich sagt sie auch nie direkt, was sie denkt. Sie macht Andeutungen und schwimmt dann wieder ans andere Ufer zurück.«
»Ich glaube, Viola hat eben auch selbst Probleme und weiß nicht, wie sie damit umgehen soll. Es ist nicht immer alles so einfach. Viola kann das Ufer vielleicht nicht ohne Weiteres verlassen, kann sich nicht vollständig treiben lassen. Du musst ihr Zeit geben, dann wird es vielleicht einfacher.«
Es geht nicht mehr um Viola und mich.
Es geht um ihn und mich.
Ich weiß es.
Er weiß es.
Und trotzdem sprechen wir es nicht aus. Ich, aus Angst, dass es dann zu real wird; zu zerbrechlich.
Er aus seinen eigenen Gründen.
»Ich gebe ihr alle Zeit, die sie will und braucht«, flüstere ich. Stehe auf. Drehe um. Verlasse das Zimmer. Laufe im frühen Sonnenlicht still nachhause.
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