elf; lennox
Als wir eines Nachts auf Caspians Balkon liegen und er mir endlich eine richtige Antwort zu meiner Frage gibt, wie man eigentlich richtig liebt, fällt mir etwas auf.
»Du hast recht. Vielleicht stimmt wirklich alles mit mir. Vielleicht liegt es nur daran, dass ...« Ich verstumme. Weiß nicht, ob ich es laut aussprechen will.
..., dass ich Jungs mag.
Natürlich war mir das klar, denn ich habe immerhin Gefühle für Caspian.
Aber ich wusste trotzdem nie wirklich, was und wie ich eigentlich bin. Ist es nur Caspian? Mag ich auch Mädchen? Wer bin ich eigentlich?
Aber plötzlich ist es ganz klar. Ich bin schwul. Bei Mädchen fühle ich nichts, aber ich könnte mir vorstellen, dass auch andere Typen Erregung in mir wecken. Es ist also nicht nur Caspian, sondern einfach ... Ich stehe ausschließlich auf Typen.
Es ist, als wäre die Welt an ihren Platz gerückt. Und als hätte ich endlich einen Teil in ihr. Ich weiß, wer ich bin und was ich will. Zumindest was meine Sexualität angeht. Aber den Rest werde ich irgendwann auch herausfinden.
Ich werde erleben, wie man liebt; ich erlebe es bereits. Ich werde es verstehen und ich werde mich selbst dabei kennenlernen.
Das ist ein schöner Gedanke. Als wäre ich unbesiegbar.
Ich schaue Caspian an. Vielleicht geht es ihm genauso. Vielleicht ist er auch zu einer Erkenntnis gekommen. Vielleicht können wir endlich ... wir selbst sein.
Aber dann denke ich an Juliet. Wie sehr er sie geliebt hat. Und werde stutzig. Und verletzt.
Er liebt auch Mädchen? Oder war Juliet eine Ausnahme? Bin ich die Ausnahme?
Ich schleppe die düsteren Gedanken mit in meinen Schlaf. Vergiss es, flüstere ich mir zu.
Aber du bist vielleicht nur die Ausnahme, wispert meine innere Stimme gehässig zurück.
Ich halte es nicht aus. Ich muss es von ihm wissen.
Will es öffentlich machen. Wir streiten. Sehr.
Ich bin ihm peinlich, ich weiß es. Er will nicht, dass die Leute wissen, dass er einen Jungen liebt. Weil er das nämlich auch selbst nicht will. Weil ich die Ausnahme bin. Du bist die Ausnahme.
Er widerspricht dem. Immer und immer wieder. Sagt, es läge nur an ihm. Dass er einfach noch nicht bereit ist. Dass er Zeit braucht, um sich selbst noch mehr kennenzulernen. Dass er mich liebt. Sehr. Dass ich ihm nicht peinlich bin.
Aber er braucht Zeit. Ich soll ihm Zeit geben. Er weiß doch nichts über sich.
Mir geht es schlecht. Ich habe das Gefühl, nur ein Experiment von ihm zu sein, dass er hinter geschlossenen Türen halten will. Natürlich verstehe ich, dass er noch nicht weiß, wer er ist, aber ich wünschte, er würde auch an mich denken. Dass ich nicht mehr kann. Ich will und kann mich nicht länger verstecken.
Ich will in die Welt hinausschreien, dass ich ihn liebe. Und ich will ihn küssen, wann immer ich es will; an öffentlichen Plätzen.
Stattdessen treffe ich mich mit ihm an geheimen Orten, wenn die Sonne untergeht oder hinter dichten Hecken bei irgendwelchen unwichtigen Partys.
Ich fühle mich wie eine Blume, die gerade so viel Wasser bekommt, um zu überleben, aber nie genug, um zu blühen.
Ich wünschte, ich könnte ihn so behandeln, wie er es verdient. Ich will ihn auf Händen tragen und ihm in jeden Moment zuflüstern, wie sehr ich ihn liebe. Ich will ihn strahlen sehen, wenn wir zusammen durch die Straßen laufen, will sein Lächeln sehen, wenn wir mit anderen Zeit verbringen die von uns wissen. Ich will ihn frei sehen. Frei und beschwingt.
Nicht so verkrampft wie jetzt, wenn er das Gefühl hat, wir stehen ein paar Zentimeter zu nahe, wenn wir nicht alleine sind. Seine panischen Schulterblicke, wenn wir uns irgendwo draußen küssen.
Aber er macht es sich selbst komplizierter. Indem er uns weiter und weiter verleugnen will. Er denkt, er macht sich selbst einen Gefallen, weil er sich ja erst selbst kennenlernen will. Aber er macht es nur noch schwerer. Für uns beide.
Am meisten für ihn selbst.
Weil er sich so sicher ist, dass er das Richtige tut. Und nur denkt, ich würde ihn nicht verstehen. Dabei will ich ihm doch so gern helfen. Doch meine Herangehensweise versteht er dann wieder nicht.
So geht es also weiter.
Wir streiten uns. Heftig. Aber wir können uns nicht lange böse sein, weil wir uns so sehr brauchen, wie die Luft zum Atmen. Wir küssen uns. Lieben uns. Ich fühle mich so gut, wie nie zuvor. Frage mich, wie es mir je so schlecht gehen konnte, wegen ihm. Da er mich doch so glücklich macht.
Aber dann geht es wieder von vorne los. Und ich falle in dieses Loch zurück. Die Hochs sind verdammt hoch, aber die Tiefs sind eben verdammt tief. Ein Teufelskreislauf. Aus dem wir einfach nicht mehr rauskommen. Denn wir beide halten an unseren Meinungen fest.
Nach ein paar Wochen ist es so schlimm, dass ich nicht mal mehr alleine sein kann. Sonst denke ich zu viel nach, denke daran, dass es vielleicht besser wäre, hier eine Schlusslinie zu ziehen. Nur bis es mir besser geht.
Aber daran will ich nicht denken. Ich will nichts reflektieren, ich will nichts einsehen.
Also bleibe ich bei ihm, so lange es geht.
Mir geht es nur noch gut, wenn ich bei ihm bin. Trotz des Streits. Trotz allem. Ich bin nur glücklich bei ihm; bin emotional komplett abhängig.
»Kumpel, wir sehen uns kaum noch. Wo versteckst du dich, hm?« Quentin fängt mich ab, er ist auf dem Weg zu einer Party und ich auf dem Weg zu Caspian.
»Ich bin momentan nicht in der Stimmung für Party.« Meine Ausrede ist scheiße. Und das weiß er auch. »Schule fängt nächste Woche wieder an, weißt du?«, versuche ich es weiter.
»Seit wann kümmert dich das?« Er mustert mich eine Weile, dann senkt er die Stimme. »Ich bin nicht blöd, Lenny. Ich weiß es. Ich merke doch, wie ihr euch anguckt, wenn ihr irgendwo zusammen seid. Ich merke, dass ihr beide immer die dümmsten Ausreden erfindet und ich merke, dass ihr lange nichts mehr mit anderen unternommen habt.«
Ich starre ihn hilflos an. Was soll ich auch sagen?
»Es ist okay, Lenny.«
Bis jetzt habe ich nicht gemerkt, dass Tränen über mein Gesicht laufen. Ich will nicht weinen. Will nicht, dass er mich so sieht.
Aber Quentin kommt still auf mich zu und umarmt mich. Er schlingt die Arme um mich und drückt mich an sich.
Und ich ... Ich atme auf. Merke, wie sehr mir mein bester Freund gefehlt hat.
»Es ist alles so kompliziert«, bringe ich hervor.
Quentin löst sich von mir und sieht mich wieder an. »Ich weiß, Lenny. Es tut mir leid. Ich wünschte, ich könnte irgendetwas tun.«
»Deinen Cousin zur Vernunft bringen, vielleicht?« Ich lache humorlos auf.
»Du kannst es nicht alleine bestimmen, was das Beste für ihn ist.« Quentin legt mir die Hand auf die Schulter. »Auch wenn ihr darunter leidet, muss jeder selbst entscheiden, was er machen möchte.«
Ich starre ihn an. »Warum kannst du so weise Sachen sagen, obwohl du nicht mal richtig weißt, um was es genau geht?«
Er lächelt. »Nenn mich einfühlsam.«
Ich lächle zurück, aber es verschwindet gleich wieder. »Ich will aber nicht mehr leiden, Quentin. Ich will endlich leben. Mit ihm. Aber er ... will es einfach nicht.«
»Lenny ... Manchmal ist es besser, jemanden gehen zu lassen, auch wenn es wehtut. Aber es ist nicht mal ansatzweise so schmerzhaft, wie ihn nicht gehen zu lassen.«
Stille.
»Ich kann nicht.«
»Vielleicht hast du keine andere Wahl.« Quentin drückt meine Schulter. Dann ist er weg.
Ich stehe alleine da. Und weiß nur eins: Ich kann ihn nicht gehen lassen. Ich weiß, dass das die falsche Entscheidung wäre. Stattdessen muss er endlich aufhören, nach mehr Zeit zu betteln.
Es muss doch irgendwie möglich sein, dass wir uns beide zusammen wieder ganz machen können.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top