acht; caspian

Du hast mich immer wieder gefragt, wie man richtig liebt. Als wäre es eine rationale Sache; ein Wettbewerb. Als hätte ich so viel mehr Erfahrung, nur weil ich eine Person vor dir geliebt habe.

»Ich habe dir doch schon mal gesagt, dass ich nicht weiß, wie ich Leute an mich ranlassen soll. Dass ich irgendwie Angst vor zu viel Nähe hab, weil ich nicht weiß, wie man richtig liebt«, hast du ungefähr in der Form immer wieder zu mir gesagt, als wir beide ernster miteinander wurden.

»Mich hast du an dich rangelassen und du hast keine Angst«, habe ich an diesem einen Abend geantwortet. Zuvor habe ich dich bei solchen Aussagen immer nur geküsst und dir versichert, dass du dir keine Sorgen machen musst.

Wir lagen auf meinem Balkon, die Sterne über uns, meine Bettdecke unter uns.

»Bei dir ist es irgendwie etwas anderes«, sagst du mit dem Blick auf den Himmel gerichtet. »Vielleicht, weil ich so überrumpelt wurde. Du warst nicht geplant. Vielleicht konnte ich deswegen nah ranlassen.«

»Vielleicht.« Ich drücke deine Hand.

»Aber ich habe trotzdem keine Ahnung, wie man liebt.«

»Lennox, warum hast du immer das Gefühl, alles wissen zu müssen? Leb doch einfach mal.« Ich bin irgendwie genervt. Schon so oft hast du mir das jetzt gesagt und ich weiß einfach nie, was ich sagen soll.

»Ich muss alles wissen! Wenn ich nicht weiß, wie man liebt, wer ich bin und was alles soll, wofür existiere ich dann? Liebe ist der Grund, warum Menschen leben wollen. Ich will doch einfach nur wissen, ob ich es richtig mache; die Liebe.« Frustriert schaust du mich an. Die Falten in deiner Stirn kommen zum Vorschein.

»Warum hast du denn das Gefühl, dass du was falsch machst?«, will ich wissen.

Du denkst nach. Lange. »Ich weiß es doch nicht«, flüsterst du. »Sonst hat es eben nie geklappt.«

»Ich glaube, du machst alles richtig.«

»Hat es sich genauso angefühlt bei Juliet?«, fragst du mich. Hältst die Luft an. Ängstlich.

»Nein. Es war ganz anders. Aber das heißt nicht, dass es besser war. Lennox, ich glaube, das Liebe ganz individuell ist. Dass wir alle Menschen, die wir lieben, auf eine andere Art lieben, verstehst du? Wenn man das Wort hört, ist man überwältigt, wie mächtig es ist, aber schlussendlich ist es nur ein Wort. Ein Wort, dass auch viele Wörter sein könnte. Da es so vielschichtig ist, das Gefühl. Nimm dem Wort die Macht, Lennox, und sofort fühlt sich alles viel leichter an. Betrachte jede Liebe, die du fühlst, als etwas Einzigartiges, vielleicht vergeht dir dann die Angst. Wie willst du auf Dauer Angst haben vor einer Sache, die viel zu vielschichtig ist, um sie genau zu definieren? Da machst du dich ja selbst verrückt. Also, ja, Lennox, ich bin mir sicher, dass du alles richtig machst. Und das alles okay mit dir ist.«

Du schaust mich an. Mit offenem Mund. Dann lächelst du. Küsst mich. »Ist es jetzt unpassend zu sagen, dass ich glaube, dass ich dich liebe?« Du grinst.

»Streich endlich das glaube«, wispere ich und küsse dich erneut.

»Du hast recht. Vielleicht stimmt wirklich alles mit mir. Vielleicht liegt es nur daran, dass ...« Du verstummst. Lächelst entschuldigend. Machst eine wegwerfende Bewegung.

Was wolltest du mir an diesem Abend sagen, Lennox? Hast du da gerade angefangen, herauszufinden, wer du bist? Habe ich dir den Denkanstoß dazu gegeben?

Es hat immer so gewirkt, als hättest du alle Fragen und ich die Antworten. Aber jetzt sieh uns an: Du weißt, wer du bist und was du willst. Meistens, zumindest. Und ich? Ich weiß immer noch nichts. Und auch, wenn das völlig okay ist, frustriert mich manchmal, dass du mir nicht mal ein paar Antworten gegeben hast. Du hättest mich nicht immer zum Allwissenden krönen sollen. Vielleicht hätte ich manchmal ein paar Weisheiten von dir gebraucht.

Denn ich weiß doch auch nichts. Jedenfalls nicht im Moment.

Als ich gegangen bin, wusste ich genau, was ich tue. Ich wusste, was ich anrichte. Wusste, dass ich dich verletze. Aber ich musste es tun.

Weißt du wo ich gerade bin? In dem Café an der Ecke, von dem ich dir immer erzählt habe. Vor mir ist der Weißwein, aber irgendwie schmeckt er nicht mehr so gut, wie früher. Ich vermisse unseren Weißwein.

Ich vermisse dich, Lennox.

Mein Lennox.

Ich musste gehen. Aber ich vermisse dich.

Du musst wissen, dass ich mich an dem Tag, als alles noch ernster wurde, heftig mit meiner Mutter gestritten habe. Ich habe es dir nie erzählt.

Sie hat gesagt, wenn ich gehen würde, dann wäre ich nicht besser als mein Vater. Kannst du dir das vorstellen? Du weißt, ich rede nicht gerne über meinen alten Herrn. Meine Mutter war immer mein Fels in der Brandung, als er abgehauen ist. Sie hat sich nie anmerken lassen, wie sehr sie gelitten hat, weil sie nicht wollte, dass ich leide.

Aber als ich älter wurde, verteufelte ich ihn, dass er ihr das angetan hat. Uns angetan hat.

Und dann sagt sie das zu mir. Ich sei wie er. Mir ging es beschissen an dem Tag. Ich fühlte mich schuldig. Ich kann doch meine Mutter nicht verlassen.

Es war nicht fair mit diesen Worten zu dir kommen. Mit diesen Worten, die ich aus Schuld geformt hatte.

»Vielleicht bleibe ich hier.« Vier Worte und du warst der glücklichste Mensch der Welt.

Deine Küsse ließen mich meine Stimmung bald vergessen. Küsse, die du mir schenktest, wegen meiner falschen Worte.

Es war neu für beide von uns. Aber es hat sich richtig angefühlt, alles. Das war erst eine meiner schlimmsten und dann eine meiner besten Nächte meines Lebens.

Wir waren uns so nah, wie noch nie. Ich weiß, dass du dich auch noch an alles erinnern kannst.

Deine Lippen waren überall auf meinem Körper und meine überall auf deinem.

Ob du schon einmal mit einem Mädchen geschlafen hast, wollte ich wissen.

Ja, mit Viola, aber du hättest es nicht wirklich gemocht und dir bis heute den Grund nicht erklären können.

Wir waren die ganze Nacht wach und ich wollte dein Zimmer nie wieder verlassen. Ich wollte deine Berührungen nie wieder vermissen müssen.

»Ich habe so etwas noch nie empfunden«, sagst du atemlos zu mir. Du liegst in meinen Armen, ich streiche dir durch die Haare und wir teilen uns eine Zigarette.

»Ich auch nicht«, sage ich.

»Auch nicht mit Juliet?«

»Nein.«

»Ich glaube, ich liebe dich.« Das hast du es das erste Mal gesagt, damals noch mit dem glaube davor, dass ich dir später auf dem Balkon verboten habe.

»Ich fange auch damit an«, erwidere ich. Versuche, meine Gefühle wahrheitsgemäß auszudrücken. Denn ich fange gerade damit an, dich zu lieben.

Erst habe ich Angst, dass du die Worte doof findest, aber du lächelst. Du verstehst mich. Du hast mich immer verstanden Lennox. Bist du es nicht mehr hast.

Später habe ich es nicht mehr übers Herz gebracht dir zu sagen, dass ich doch nicht dortbleiben wollte.

Meine Mutter und ich haben geredet. Ich habe ihr erklärt, dass ich sie so oder so irgendwann verlassen muss, weil ich schließlich erwachsen bin. Sie hat sich entschuldigt für ihre Worte. Hat sich mies gefühlt. Mir gesagt, wie sehr sie mich liebhat. Wir haben beide geheult.

Ab da an hat sie mich in meinem Vorhaben unterstützt.

Lennox, hier kommt nochmal eine Antwort, auf deine vielen Fragen.

Lennox, Liebe ist etwas Endloses, ungreifbares. Mach dir nicht weiterhin so viel Sorgen darum, wann du sie zu fassen bekommst, denn das schaffst du nicht. Sie kommt und sie geht auch wieder, aber du kannst sie nicht festhalten. Du kannst nicht alles kontrollieren. Du kannst und musst um sie kämpfen, ja, aber du kannst sie nicht beeinflussen.

Außerdem wird sie immer irgendwie bei dir sein. Du wirst niemals nicht lieben. Sie wird immer da sein; in den verschiedensten Formen. In Quentin. Deiner Mutter. Deinem Vater. In Viola.

Und auch in mir.

Vergiss das nie.

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