Indigoschwarz.


 Indigoschwarze Fäden zogen sich über meine Haut. Heute Morgen beim Frühstück war Jil durchgedreht. Sie schrie, dass sie zu ihrem Freund will und wenn man sie nicht auf der Stelle aus dieser Irrenanstalt rauslassen würde, sie jeden von uns mit ihrer verdammten Gabel abstechen würde. Bevor die Pfleger mit der Beruhigungsspritze kamen um Jil danach wer weiß wohin zu bringen, machte sie ihre Drohung wahr und stach zu. Sie nahm einfach das erst beste Opfer, welches sich ihr in den Weg stellte. Mich. Dabei fand ich ihre Show bis dahin ziemlich amüsant. Jil drohte täglich irgendjemanden. Jeden Abend vor dem Einschluss, brüllte sie durch die Gänge, dass sie alle umbringen würde, wenn sie erst einmal hier raus wäre, dann trat sie gegen jeden und alles, was sich ihr in den Weg stellte. Am nächsten Tag dann schien es immer so, als sei nichts gewesen. Sie starrte dann einfach grimmig auf ihr Essen oder bedachte uns mit drohenden Blicken. Doch niemals hatte sie jemanden von uns Schaden zugefügt. Darum nahmen wir sie wohl auch nicht mehr ernst. Ihre Drohungen waren einfach zu Alltäglich geworden. Also wollte ich auf sie zugehen, ihr sagen, dass sie sich doch beruhigen sollte, bevor man ihr eine unnötige Spritze verpasste um sie anschließend in die Katakomben zu stecken. Doch ehe ich mich ihr weit genug nähern konnte, war sie auch schon aufgesprungen. Ich war so verdutzt, dass ich gar nicht realisierte, was da gerade geschah. Und schon rammte sie mir ihre Gabel in den Arm. Ich schrie auf, doch das bewog sie nur dazu, mir die Gabel noch tiefer ins Fleisch zu rammen. Ich wollte ihr meinen Arm entziehen, aber sie war stärker als ich und so schnitt sich das Besteckstück quer über meinen gesamten Unterarm. Der Geruch von Blut mischte sich unter die üblichen Rührei, Klinik Gerüche. Mir wurde entsetzlich übel. Dann ging alles ganz schnell. Jil wurde von mir weggerissen, die Gabel aus meinem Arm gezogen und ich wurde in weiche, warme Arme gebettet aus dem Raum getragen. Am Rande meines Blickfeldes sah ich noch, wie Jil zwischen zwei Pflegern zusammenbrach und in den bereitgestellten Rollstuhl sank. Wieder zusammengeflickt starrte auf die vier schwarzen Linien, die meine Haut miteinander verbunden hatten. Man hätte denken können, dass die Ärzte mich an diesem Tag schonen wollten, dass sie mich hätten in mein Bett legen lassen um wieder zur Ruhe zu kommen. Doch Pustekuchen. Hier, an diesem Ort wusste man eben, wie man die Menschen strafen konnte, auch ohne es eine Strafe zu nennen, denn bereits eine Stunde später saß ich mit pochendem Arm und Wut im Bauch im Zimmer von Doktor Waggonor. Die Ärztin trug an diesem Tag die Haare offen. In grauen Wellen hingen sie ihr über die Schultern. Was ihr zugutekam, war, dass sie mir gestattete meine Zigarette mit zu sich ins Behandlungszimmer zu nehmen und zu rauchen. Doch ich schäumte vor Wut, Wut darüber, dass sie mich nicht einmal nach einem versuchten Mordversuch in Ruhe lassen konnte. Die Ärztin guckte mich verständnisvoll an, sagte aber nichts zu dem Vorfall oder meinem Arm. Da ich selbst auch keinerlei Lust auf ein Gespräch dieser Art hatte - ich hätte ihr nur vorgeworfen, dass sie mich nicht wenigstens an diesem einen Tag mal in Ruhe lassen hätte können - zündete ich mir meine Zigarette an und legte das Feuerzeug vor uns direkt in die Mitte des Tisches. Doktor Waggonor fing an sich ein paar Dinge zu notieren. Ich hasste sowas. Hasste es, wenn sie nicht einmal mit mir gesprochen hatte aber schon anfing Dinge über mein Verhalten in ihr beschissenes Notizbuch zu schreiben. Wutentbrannt stand ich auf, aschte direkt auf den dunkelbraunen Holzboden und ging zu meinem Stammplatz an das vergitterte Fenster. 

Der Tag heute war schön. Der Himmel war blau, nur ein paar vereinzelte weiße Wölkchen schwebten ab und zu vorbei. Doch man konnte den Winter förmlich spüren. Eine dünne Schneedecke lag bereits seit einigen Tagen auf den Wiesen und hing in den Bäumen. Bald würde es richtig schneien und die Welt in eine Flauschige, kalte weiße Decke hüllen. Schweigend rauchte ich und drückte anschließend den Rest meiner Zigarette in den Aschenbecher aus, der auf einem kleinen Hölzernen Beistelltisch neben dem Fenster stand. »Möchtest du heute mit mir über die Nachricht, die du letzte Woche erhalten hast sprechen?« In mir krampfte sich etwas zusammen. Langsam begab ich mich wieder zu meinem Stuhl. Die Ärztin hatte ihren Kuli beiseitegelegt, doch vor ihr lag etwas, was mir viel zu bekannt vorkam. Eine Kopie von Theos letzter Botschaft. Ich starrte den Zettel an, als würde ich darauf warten, dass er sich entweder gleich in Luft auflösen oder in Theo selbst verwandeln würde. Es dauerte eine Weile aber dann riss ich mich zusammen, ballte die Hände zu Fäusten und wandte den Blick wieder Doktor Waggonor zu. »Ja«, antwortete ich schließlich. »Ich möchte darüber reden.« Sie nickte, nahm ihren Kuli und schrieb etwas in das Notizbuch. Dann sah sie wieder auf. »Wie hast du dich gefühlt als du ihn gelesen hast, Hannah?« Ich brummte. »Beschissen. Wie soll ich mich den sonst gefühlt haben? Himmelhochjauchzend?« Ich fühlte mich bereits jetzt schon zerknirscht, deshalb verschränkte ich die Arme vor der Brust. Die frisch genähten Stichen pochten wie wild. Ich ignorierte sie, denn ich konnte spüren, wie mein Herz wieder einmal erbarmungslos hart gegen meine Brust schlug. Doktor Waggonor erwiderte nichts, schrieb nur etwas auf. In meinem Hals bildete sich ein Kloß. »Sie wissen ja, was in dem Brief stand«, sagte ich »Eigentlich war es auch egal, was genau drin stand. Denn sein Name stand drin. Und er will mich sehen.« Die letzten Worte kamen mir ganz leise über die Lippen. Hörten sich beinahe so an, als wären sie gar nicht wahr. »Bist du bereit Ardian zu sehen, Hannah?« Tränen schossen mir in die Augen. Hastig wischte ich sie weg. Aber sagen konnte ich nichts. Ja, ich wollte ihn sehen. Nein, ich war dazu noch nicht bereit. Ich wusste es nicht. Meine Welt und seine passten nicht mehr zusammen. Also sagte ich die Wahrheit. »Ich weiß es nicht, ich würde wahrscheinlich nichts lieber tun als ihn noch einmal zu sehen aber nicht in dieser Welt.« Kurz musste ich überlegen, ob ich mich wirklich so weit öffnen wollte. Schließlich tat ich es aber. »Ich habe einfach Angst«, gab ich zu. Doktor Waggonor blieb nach meinem Geständnis ruhiger als erwartet - obwohl - eigentlich hatte ich gar nichts anderes erwartet. »Wovor genau hast du Angst, Hannah?« Wieder schwieg ich eine Weile. Ich musste nachdenken, was ich ihr Antworten wollte. »Vor allem eigentlich«, sagte ich nach einer langen, stillen Pause. »Davor ihn zu sehen, seine Reaktion auf mich zu sehen, seinen Hass auf mich, davor, dass Theo dabei sein wird und vor mir selbst. Vor meiner eigenen Reaktion, ich möchte stark bleiben aber, wenn ich die beiden treffen würde, müsste ich mir eingestehen, wie schwach ich eigentlich bin.« Eine Weile blieb es ganz still. Die Ärztin notierte sich jedes meiner Worte, vermutlich auch meine Gesten und meine Körperhaltung. Dann sprach sie. »Wieso denkst du, dass du schwach bist, Hannah?« Erst wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Doch da dieses Gespräch wohl das erste richtige Gespräch und zugleich wohl auch das aufrichtigste war, entschied ich mich auch hier die Karten auf den Tisch zu legen. »Weil das, was ich getan habe schwach war. Kein Mensch, der innerlich einigermaßen stark ist, hätte jemals so etwas getan.« Eine Weile blieb es wieder still zwischen uns. Ich stand auf, ging auf das große Bücherregal zu und betrachtete jeden einzelnen Buchrücken ausgiebig. Dann stellte ich mich erneut ans Fenster und betrachtete den Himmel. Ich legte einen Arm auf meinen Bauch, nahm die andere Hand und drückte sie so fest ich konnte gegen die frischen Nähte auf meinem Arm. Es brannte höllisch, doch es half, das Zittern zu unterdrücken was sich langsam aber sicher durch meinen Körper kämpfte. »Ich war einfach nur schwach«, setzte ich erneut an. »Schwach, schwach, schwach und ich werde nie wieder gut machen können, was ich getan habe und das möchte ich auch nicht, denn ich habe es für Nele getan. Ich habe es für meine beste Freundin getan und ich hatte jeden Grund verdammt schwach zu sein!« Die letzten Worte schrie ich, dann hielt ich es nicht mehr aus und brach in Tränen aus.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top