4. Tagebucheintrag
Liebes nicht-Tagebuch,
»Die Menschen sagen immer, dass man gar nicht weiß, was man hat, bis man es verliert. Ich glaube das ist kompletter Unsinn.« Ich hatte ihn nicht kommen hören. Um meinen kämpfenden Herzschlag zu beruhigen hatte ich mich auf einen kleinen Balkon an der Rückseite des Hauses verzogen. Ich sah gerade den vorbeiziehenden Wolken zu, die sich in den letzten Sonnenstrahlen Zuckerwattenlila verfärbt hatten und nun im farbenfrohen Kontrast zum mittlerweile dunkelblauen fast- Nachthimmel standen. »Stimmt«, antwortete ich, ohne mich zu Ardian umzudrehen. Darauf bedacht, meine zittrigen Hände in Zaum zu halten, schnipste ich meine Zigarette weg und fuhr mit dem Sprechen fort ohne meinen Blick von den Wolken zu reißen. »Wir wissen alle was wir haben, ist es nicht so?« Ohne seine Antwort abzuwarten redete ich weiter. »Wir glauben nur nie das wir es verlieren können.« Kurz tauchte das Bild von Nele auf, schlich sich in meine Gedanken. Blut, schwarze Kälte, Augen die mich weit aufgerissen, Seelenlos anstarren. Nein, denke ich. Nein, nein, nein, nein, nein, nicht hier und vor allem nicht jetzt. Ich nahm einen tiefen Atemzug, verbannte die Bilder aus meinem Kopf, schob sie zurück in die Schublade aus der sie hervorgesprungen waren, schloss ab und warf den Schlüssel tief in die Dunkelheit meiner Seele. Er kam jedes Mal zurück. Als ich mich zu Ardian umdrehe, lächelt er. Lichtpunkte tanzten in seinen Augen. Kleine Galaxien, die meine Welt mit einem Wimpernschlag vernichten würden. »Du bist poetisch.« Mit ein wenig Abstand lehnte er sich neben mir gegen das Geländer des Balkons und folgte meinen Blick zu den Wolken, die mittlerweile fast dem schwarz der Nacht gewichen waren. Dann schaute er mich direkt an und lächelte wissend ohne etwas zu sagen. Die Galaxien in seinen Augen tanzten und mit ihnen wuchs die Schwärze in mir. »Und du bist seltsam, normalerweise begrüßt man jemanden mit einem ‚Hallo', dass was du tust ist verwirrend.« Das war wohl der ehrlichste Satz, den ich seit Wochen gesprochen hatte. Er lachte, dabei fuhr er sich mit der linken Hand durch die Haare. Wären sie nicht bereits verwuschelt gewesen, hätten sie just in diesem Moment wahrscheinlich ziemlich wüst ausgesehen. »Für jemanden der verwirrt ist war deine Antwort ziemlich gut.« Nun war ich es die lächelte. »Was hast du verloren von dem du dachtest es bleibt für immer?« Ich wusste, dass meine Frage dumm war, ich wusste, dass sie gefährlich war, ich wusste, dass man solche Fragen nicht stellte. Aber ich musste einfach fragen. »Ich weiß nicht«, sagte er. »Ist ja auch egal. Eigentlich wollte ich nur wissen, ob du es verstehen würdest, wenn ich es dir sagen würde.« »Du bist verwirrend.«, stellte ich fest. »Das sagtest du bereits.« Galaxien funkelten.
~
Ich klappte mein Buch zu, legte es zusammen mit dem schwarzen Stift unter mein Kopfkissen und lies mich Bäuchlings auf mein Bett fallen. Regen prasselte gegen mein Fenster und machte dabei ein Geräusch als würde jemand Reiskörner gegen meine Scheibe werfen. Ich presste den Kopf in mein Kissen und schrie so laut ich konnte. Es kam aus meinem Kopf, aus meiner Brust, aus meiner Lunge, aus jeder Faser meines Körpers drangen die Schreie in mein Kissen, ließen es beben und erzittern. Ich fühlte mich, als würde ich mir das erste Mal in meinem Leben erlauben meinen Schmerz wahrhaftig herauszulassen. Als würde ich einfach so lang weiter schreien bis die ganze Welt es hören würde. Bis jeder Mensch auf dieser Erde wissen würde, wie zerrissen und kaputt ich war. Ich schrie, bis meine Stimme versagte, schrie Tonlos weiter bis die Tränen kamen. Mit den Tränen kam das Zittern, die Krämpfe, die Angst, der Schmerz der von Seelischen Schmerz zu einem Körperlichen wird. Ich rollte mich zusammen wie ein Fötus, hielt mich selbst fest. Tränen wie Regen durchweichten mein Kissen. Es war nicht mehr viel von mir übrig, nur die Angst in meiner Seele und der Regen in meinen Augen. Regen, Regen, in dem ich ertrinken drohe.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top