verlieren Teil55
„In fünf Tagen", hatte Jem gesagt und Callum war nicht sicher, ob er deswegen jubeln oder heulen sollte. In fünf Tagen könnte sein neues Leben endlich wirklich beginnen oder sein altes Leben könnte ihn mit einem Schlag einholen. Er könnte es nicht aushalten, wenn er ins Gefängnis müsste. Er würde ausrasten, wenn er nicht mit Jem zusammen sein könnte. Er könnte nicht mehr allein sein, er wollte nicht mehr allein sein, nie wieder.
„Was ist los?", wollte Rory wissen, dem Callums ausbleibende Reaktion sofort auffiel.
„Nichts. Bin nur überrascht." Er hoffte, mit dieser Notlüge durchzukommen. Jem könnte er nichts vormachen, aber vielleicht könnte er wenigstens Rory nicht mit seiner eigenen Unsicherheit belasten.
Tatsächlich lächelte Rory aufmunternd. „Wird schon. Du bist nicht allein."
„Stimmt", fügte Jem hinzu. Aber der Blick und das Lächeln, die der Cowboy ihm schenkte, waren etwas zu schön, um wahr zu sein. Immerhin waren sie sich wohl einig darin, Rory zu schonen.
Rory, Rory, Rory, er wird alles mit anhören, er wird anhören, was dieser Dreckstyp von Euston Station sich zusammenlügt. Und wenn es auch dieses Mal gelogen ist, dann macht es nicht besser, was ich sonst alles für diese Ratte getan habe. Oder andere, die so rattig sind wie der...
Von einem Augenblick zum nächsten wurde Cal schlecht, aber so richtig. FUCK. Er stand auf, blickte kurz von Rory zu Jem und nuschelte ein eiliges: „Sorry, ich muss ins Bad." Dann stürmte er regelrecht dorthin, schloss eilig die Tür und versuchte ruhig zu atmen. Er stützte die Hände auf das Waschbecken und sah sich im Spiegel an. Beruhig dich, ganz cool, Jems Dad weiß sicher, was er tut. Du musst nicht in den Knast, du musst nicht alles erzählen, nur von Euston... Er öffnete den Wasserhahn und ließ das kalte Wasser laufen. Dann hielt er den Kopf unter das kalte Wasser, genauer, die Schläfe, da wo J ihn geschlagen hatte. War da Blut?! Da war Blut, das ins Waschbecken floss, zusammen mit dem Wasser, das kam aus der Wunde?! Er kam schnell wieder hoch und sah in den Spiegel. NEIN, alles gut. Die Wunde war geschlossen, es wuchs bereits ein schwarzer Haarflaum darüber. Auch im Waschbecken war nichts. Er phantasierte sich das alles nur zusammen. Er musste nur ruhig atmen, sich beruhigen und Alexander vertrauen. Und Jem. Und Rory. Er hatte gesagt, dass alles okay ist. Er hatte gesagt, dass er ihn liebt, weil er sein Bruder ist. Schwanzlutscher! Geiler, kleiner Arsch! Fucktoy! Callums Hände begannen zu zittern, nein, er begann zu zittern. Warum das jetzt? Shit, ich bin clean! Ich bin's. Ich kann das. Ich will dieses verfickte Zeug nicht mehr, nie wieder! Trotzdem öffnete er den Schrank im Bad. Da müsste doch irgendetwas drin sein? Bestimmt hatte Rory irgendwas da, für den Fall, dass er mal nicht schlafen könnte oder Schmerzen hatte. Aspirin, oder so?! Da!!! Da war tatsächlich sowas wie ein kleiner Vorrat an Medikamenten im Schrank. Hustensaft, Vitamin C, Fieberthermometer... Was soll das, ist der so ein Öko?! Dann endlich fand Callum eine Packung ASS. Besser als nichts.
„Hey, Cupid, ist alles in Ordnung?" Jems Stimme, vor der Tür.
„Ja, sicher."
„Sicher?"
„Ja. Ich bin nur... aufgeregt."
„Lass mich rein."
„Augenblick." Verfluchter Mist, was tu ich hier eigentlich?
Cal schmiss die Tabletten ins Klo und betätigte die Spülung. Weg waren sie. Dann öffnete er die Tür. Jem stand davor und schaute ihn besorgt an.
„Ist wirklich alles in Ordnung?"
„Geht schon. Ich stell' mich nur an."
Jem trat an ihn heran, so als wolle er ihn in den Arm nehmen. Bloß nicht! Dann merkt er, dass ich noch zittere! Cal nahm abwehrend die Arme hoch und ging an ihm vorbei Richtung Küche.
„Ich bin gleich wieder okay."
Jem kam ihm nach. Wenn ich ihn in fünf Tagen verliere, kann ich genau so gut sterben...
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