schuldig Teil77


Als Callum mit Alexander den Saal betrat, hatte er nur eines im Sinn: Egal was passierte, er würde nicht zusammenbrechen oder heulen oder sowas. Er war nicht hier hergekommen, um sich fertig machen zu lassen. Er hatte sich die Lügen von Johnson und die hirnverbrannte Darstellung von Higgins gefallen lassen müssen, aber er würde sich ihnen gegenüber nicht schwach zeigen. Vielleicht würden sie ihn einsperren, aber sie würden ihn nicht brechen. Er schaute auf die Mitglieder der Jury. Vielleicht hätte er schon viel früher zu ihnen hinsehen sollen, aber das hatte er nicht gewagt. Er war nicht gut darin, normale Menschen einzuschätzen, jedenfalls nicht wirklich, wenn es nicht um Sex ging. Wenn er gemerkt hätte, wie sie ihn ansahen, dann hätte ihn das womöglich noch unsicherer gemacht. Auch jetzt war er nicht sicher, was er in ihrer Haltung oder in ihren Gesichtern las. Da war eine Frau mit blondem Haar, die sah gerade genau zu ihm her. Wieso denn nur? Wollte sie ihm einen Hinweis geben? Oder war sie nur neugierig, weil sie noch nie zuvor einen Junkie oder Stricher gesehen hatte? Sah man ihm das an? Jetzt noch?

„Callum, setz dich bitte", flüsterte Alexander ihm zu und da erst merkte Callum, dass er immer noch stand und schaute. Ein Typ mittleren Alters in der Jury fuhr sich durch die Haare. War das ein Zeichen? 'ne Anmache? Kannte er den? Callum setzte sich endlich und schaute dann nach vorn zur Richterin Clarke. Sie schenkte sich gerade ein Glas Wasser ein und nahm einen Schluck. Dann erklärte sie mit lauter Stimme, dass sie nun zur Verkündung des Urteils komme.

„Sehr verehrte Damen und Herren der Jury, sind Sie zu einem klaren Urteil gelangt?" Sie schaute ernst und ohne Zögern zu den Leuten herüber. Eine Frau in dunklem Kostüm aber mit auffällig roter Brille erhob sich und hielt einen Bogen Papier in der Hand.

„Ja, das sind wir, euer Ehren." Mit diesen Worten übergab sie das Papier einem Gerichtsdiener, der es an die Richterin übergab. Sie begann zu lesen und Callum schaute sich nach Jem um. Der saß mit Rory und Roger zusammen und schaute gebannt nach vorn. Als er Callums Blick bemerkte, schenkte er ihm ein aufmunterndes, kleines Lächeln. Alexander stupste Callum jetzt nahezu unmerklich an.

„Schau nach vorn", flüsterte er wieder.

Callum riss sich zusammen. Fuuuuuuck. Wie lange konnte es dauern, sowas zu lesen?

Dann war sie so weit. „Mister Johnson, erheben Sie sich!"

Callum blinzelte überrascht. Er hatte eher damit gerechnet, dass er sich erheben müsste, aber es stimmte ja, Johnson war angeklagt. Der Typ erhob sich mit einer selbstgefälligen Art, die beinahe wirkte, als sei es ihm lästig, dass er jetzt aufstehen musste. Callum sah nicht länger hin, stattdessen sah er zu Clarke. Die schaute Johnson über ihre Brillengläser an.

„Mister Johnson, die hier anwesende Jury erklärt sie mit einer deutlichen Mehrheit von zehn zu zwei Stimmen für schuldig im Sinne der Anklage..."

„Waaas?!", fuhr der Mann jetzt entrüstet auf.

„Ich muss doch sehr bitten!", herrschte die Clarke ihn an, worauf er verstummte.

Callum traute seinen Ohren nicht und hätte beinahe vor Erleichterung aufgeschrien.

„Sie sind für schuldig befunden worden der versuchten Vergewaltigung, sexuellen Nötigung und Körperverletzung des hier anwesenden Mister Callum Robinson. Auch muss ich Sie darüber belehren, dass Sie sich gleichsam des Meineides schuldig gemacht haben, indem Sie im Verlauf der Verhandlung mehrfach falsche Aussagen gemacht und falsche Anschuldigungen vorgebracht haben. In diesem Fall halte ich das Höchstmaß von fünf Jahren Freiheitsentzug für angemessen. Eine zusätzliche Verlängerung wegen Meineides ist dringend anzuraten, weswegen sich das Gericht anschließend noch einmal zurückzieht. Ebenfalls ist zu beraten, wie mit dem im Laufe der Aussagen zu Tage getretenen Tatbestand der Prostitution zu verfahren ist." Sie wandte sich nun an Callum. „Wenn ich Sie ebenfalls bitten dürfte, sich zu erheben."

Callum stand artig auf und sah sie an.

„Im Falle von Ihnen, Mister Robinson, empfehle ich, dass sich die Tatsache, dass Sie unter Eid die Wahrheit gesagt haben, auch wenn Sie das belastet, mildernd auswirkt und Sie in diesem Falle lediglich mit einer Strafe zur Bewährung rechnen müssen. Auch hier wird sich das Gericht zur Beratung über mögliche Bewährungsauflagen zurückziehen."

Callum schaute verwirrt, was bedeutete das? Was für Auflagen, was war das, Bewährung? Er blinzelte und war nicht sicher, ob er sie fragen dürfte. Aber er musste das jetzt wissen.

„Euer Ehren, was heißt das... für mich?"

Sie stutzte leicht irritiert. Mit so einer direkten Frage hatte sie nicht gerechnet.

Alexander sprang auf. „Verzeihen Sie, Euer Ehren, ich werde das meinem Mandanten erkl..."

Sie gebot ihm mit einer Geste zu schweigen. Dann sprach sie zu Callum.

„Das bedeutet, junger Mann, dass Sie unter bestimmten Bedingungen keinerlei Freiheitsstrafe antreten müssen, weil dieses Gericht glaubt, dass Sie sich bewähren können. Wenn Sie also zum Beispiel einmal pro Woche zu einem Bewährungshelfer gehen und auf seine Ratschläge hören, dann sind Sie ein freier Mann."

„Und dafür müssen Sie nochmal beraten? Das krieg ich hin, ganz bestimmt..."

Jetzt musste sie direkt ein wenig lächeln.

„Die Beratung ist eine unumgängliche Formalität."

Wie sie das sagte war klar, dass es aber auch nicht viel mehr sein würde als das. Und das war dann der Moment, wo Callum begriff, was eigentlich los war. Johnson ging in den Knast, er selbst nicht! Die hatten ihm geglaubt! Die Mehrheit, zehn von zwölf, hatten ihm geglaubt. Einen Augenblick lang war er kurz davor, zu hyperventilieren, aber dann ging das schon gar nicht mehr, weil Alexander ihn jetzt ganz fest in den Arm nahm und ihm quasi halb die Luft abdrückte. „Gewonnen", flüsterte er ihm ins Ohr und in dem gleichen Moment waren auch schon Jem, Rory und Roger bei ihnen. Alexander ließ von Cal ab, um Jem den Vortritt zu lassen. Der zog den Lockenkopf sogleich zu sich, nahm sein Gesicht mit beiden Händen und küsste ihn noch bevor der sich versah, direkt auf den Mund und direkt vor allen Leuten.

„Cupid, ich bin so froh!", brachte er endlich heraus und als würde sich alle Anspannung jetzt in Luft auflösen, jubelte als nächstes Rory und zog Cal in seine Arme.

„Ich bin so stolz auf dich! Du warst unglaublich!"

„Unglaublich, ja, und dreist wie immer", bemerkte Roger im Scherz und kaum hatte er das gesagt, da nahm Cal ihn auch in den Arm. Er konnte gerade nicht aufhören zu lachen und freute sich so unendlich, weil das alles endlich ausgestanden war.

„Ich muss nicht in den Knast!", rief er jetzt aus und da hörte er mit einem Mal, dass im Saal auch andere Leute, völlig fremde Zuschauer, ein paar der Geschworenen, ebenfalls lachten oder mit den Händen applaudierten. Für ihn. Das war einfach nur großartig! Er sah sich um und wenn er vorher auch nicht deuten konnte, was die Gesichter der anderen Leute meinten, dann erkannte er nun ihre Sympathie und ihre Zustimmung.

"Du warst echt mutig Kleiner", rief jemand und Callum sah nicht wer das war, er rief nur lachend ein "Danke" zurück. Dann lehnte er sich glücklich an Jem.

„Mister Westenra, wenn ich bitten dürfte", ertönte plötzlich die Stimme von Richterin Clarke. Jem und Alexander drehten sich beide zu ihr.

„Sie meint mich", erklärte Alexander lächelnd. Natürlich meinte sie ihn. Er würde nun gemeinsam mit ihr über das genaue Strafmaß für Johnson und die Auflagen für Callum beraten. Callum nickte ihm zu. Dann ließ er sich wieder umarmen und drücken und durchs Haar wuscheln. Wenn die ein bisschen schnell machen würden, dann wäre er abends sogar pünktlich beim Eisverkaufen. Oder machte man das nicht, wenn man auf Bewährung war? Doch, bestimmt.

„Ich bin echt froh", kam es von Rory, der gar nicht von Cal lassen konnte, „dass ich diesem Typen jetzt keine 'reinhaun muss. Ist viel besser so."

Cal lachte wieder, dann kam ihm der Gedanke an Sullivan. Wo war der? Offensichtlich hatte man Johnson abgeführt und seine Familie war auch verschwunden. Zum Glück wären die jetzt erstmal vor ihm sicher...

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