Leben Teil20


Jem war sofort klar, dass etwas nicht stimmte, als Roger ihn bat, erstmal reinzukommen. Er ließ die Einkaufstüten im Flur stehen und als er Callum mit Pflaster an der Schläfe im Wohnzimmer sah, war er erleichtert und erschrocken zugleich. Cal hatte keine Drogen genommen, was wohl der schlimmste Fall gewesen wäre, aber er hatte eine Verletzung. „Callum, Cupid, was ist denn passiert?" Er gab sich Mühe, nicht zu panisch zu klingen und schon gar nicht vorwurfsvoll, denn am ehesten machte er sich selbst Vorwürfe. War er echt so naiv gewesen, seinen Freund allein gehen zu lassen, wenn auch nur zum Bahnhof, geschwächt nach einem Drogenentzug? Wie leichtsinnig war das? Er wollte zeigen, dass er ihm vertraut. Und das kam nun davon.

„Ist nicht so wild. Es geht schon wieder", sagte Callum, aber er sah blass aus, verdammt. Auch war das keine Antwort auf die eigentliche Frage. Jem beschloss, es erstmal dabei zu belassen. Wenn er es jetzt nicht sagte, dann wollte er nicht, dass Roger es mitkriegt.

„Danke, dass du dich um Cal gekümmert hast", wandte sich Jem an Roger.

„Kein Ding. Bin froh, zu sehen, dass ihr den Berg geschafft habt", sagte der Doc, „der Rest wird sich finden."

Jem setzte sich zu Callum aufs Sofa und strich ihm das Haar zurück. Es war sowohl eine zärtliche Geste als auch Neugier.

„Sind nur vier Stiche", erklärte der Lockenkopf, „hat kaum wehgetan."

„Okay, dann gehen wir jetzt und nehmen Buster mit."

„Gut. Komm Buster." Cal nahm seinen Karton und den Hund. Bei Roger blieb er etwas schüchtern stehen, dann gab er ihm die Hand. „Danke für alles. Ich weiß nicht, was man sonst sagt..."

„Das ist gut so, Junge. Du bist in Ordnung." Roger lächelte.

Dann brachte er beide zur Tür.

Jeremy drehte sich nochmal um. „Sag Bescheid, wann du Zeit hast, dann bist du zum Dinner eingeladen. Ich mach' Thai Curry."

„Kann's kaum erwarten. Morgen Abend dann?", schlug Roger vor.

„Okay, ab sieben."

Dann schnappte sich Jem den Einkauf und ging mit Cal nach oben. In der Wohnung lief Buster hin und her, weil er das angerichtete Chaos untersuchte. Callum stand jetzt da, als warte er auf irgendwas. „Du bist gar nicht wütend?", fragte er dann, beinahe kleinlaut. Jem wusste nicht wieso. „Wütend, nein warum? Ich bin froh, dass dir nichts Schlimmeres passiert ist. Komm her." Er hielt die Arme weit und Callum ließ sich wie ein Kind umarmen. „Ich hätte dich nicht allein gehen lassen dürfen", erklärte Jeremy.

„Ich wollte allein gehen, ich wollte nicht, dass du den Typen bei den Schließfächern triffst."

„Warum hat der dich geschlagen?"

„Weil er n Schwein ist."

„Das macht mir nichts aus, 'nen Scheißtypen zu treffen. Mir macht's was aus, wenn der meinen Freund schlägt."

„Du kannst dir solche Typen gar nicht vorstellen. Wenn du das könntest, würdest vor Ekel einen über dich kriegen."

Jem wollte, aber konnte nicht widersprechen. Bestimmt hatte er kaum eine Vorstellung von der Welt, in der Callum gelebt hatte oder den Menschen, die er dort traf. Und er wollte keinen Streit. „Das ist jetzt vorbei. Du musst da nicht mehr hin." Das meinte er auf jede nur erdenkliche Art und Weise. Nicht mehr auf die Straße, nicht mehr zur Euston Station, nicht mehr zu irgendwelchen Schweinen. Er gab Callum einen Kuss auf die Stirn. „Komm, wir essen was, du ruhst dich aus und ich räume auf", schlug er dann vor.

„Kannst du vergessen. Wenn ich hier bleibe, helfe ich und räume mit auf."

Jem grinste. Alles klar.

Allerdings musste der Blonde als Nächstes feststellen, dass Callum schon allein in der Küche kaum Orientierung hatte. Weil Roger gesagt hatte viel Süßes wäre gut, sollte es Pfannkuchen geben. Zwar war Jem nun auch kein As wenn es ums Kochen ging, aber seine Mum und die eine oder andere Freundin hatten schon dafür gesorgt, dass er wusste was ein Schneebesen ist oder wie man Eier trennt. Callum hatte davon keinen blassen Schimmer. Also ließ Jem ihn lieber alles her suchen was man zum Tisch decken brauchte. Beim Essen beredeten sie, dass sie einen Schlüssel für Cal besorgen würden und Jem fiel auf, dass der Schwarzhaarige bei weitem nicht so viel aß wie er selbst. Das war seltsam. War Appetitlosigkeit eine Folge der Drogen und des Entzugs, oder gab es noch einen anderen Grund? „Schmeckts?", fragte er, um einen Hinweis zu kriegen.

„Ja. Toll. Mir ist nur etwas komisch. Geht gleich wieder."

Das konnte alles Mögliche bedeuten. Nach dem Abwasch machten sie sich an die Wohnung. Callum zog das Bett ab und räumte Bücher zurück ins Regal. Jem kümmerte sich um die Wäsche und das Bad. Jem bezog das Bett neu und brachte Müll raus. Callum konnte tatsächlich mit einem Staubsauger umgehen. Als das alles erledigt war, fiel Jem ein, dass er vorhin beim Einkaufen spontan eine Jeans und ein Hemd für seinen Freund gekauft hatte. Jetzt fand er, es wäre Zeit für ein Geschenk und holte die Tüte mit den Sachen her. „Komm mal, Cupid. Ich hab was mitgebracht, das müsste dir passen und irre gut stehen." Wenn Jem sich nicht in der Größe geirrt hatte, würde diese Jeans Callums Arsch so richtig in Szene setzten und das Hemd, das zur Augenfarbe passte, müsste das Gleiche für seinen schlanken Oberkörper tun.

„Wow, das ist für mich?"

„Das ist quasi wie für dich gemacht! Probier's mal an."

Callum nahm die Teile aus der Tüte, dann zog er sein Sweat Shirt über den Kopf. Jeremy entdeckte die Knutschflecken vom frühen Morgen an seinem Hals. Das war sexy. Sein Blick wanderte tiefer, da sah er es. „Was ist das? Woher...wie kommst du dazu?"

„Was?" Callum schien ahnungslos.

„Die Abschürfungen und Blutergüsse, da an deinen Becken."

Callum schaute an sich hinunter. Ja, die waren deutlich am Hosenbund zu sehen. Fuck! „Ich... ich weiß nicht...", begann er.

„WAS weißt du nicht? Die sind nicht von heute Morgen, die sind nicht..."

„Nein, sind sie nicht, hör auf! Es... Ich wollte nicht, dass du dich aufregst."

„Bin gerade dabei."

„Es ist nicht wie du denkst, ich weiß nicht, wie ich das erklären soll..."

„Versuch's mal." Jeremy war jetzt richtig aufgebracht, wobei es nicht um Eifersucht ging, viel eher um die Befürchtung, Cal sei wieder für Drogen anschaffen gegangen. Das wäre das Letzte, bitte nicht!

Callum schien zu begreifen, was Jem so ausrasten ließ und wie immer, wenn er mit dem Rücken an der Wand sich verteidigen musste, wurde er wütend und ging in die Offensive. „Du glaubst ich hab's mit dem Typen getrieben, richtig? Du traust mir das wirklich zu?"

Jem schüttelte den Kopf. „Nein, nein, das tu ich nicht, ich hab Angst, kapierst du das? Davor, dass du wieder dieses Zeug nimmst!"

„Und? Willst du nachsehen? Hier!" Zornig hielt Callum seine Arme vorgestreckt.

„Nein! Das will ich nicht. Ich will dir vertrauen. Du bist nicht so... falsch. Das weiß ich. Also bitte, sag mir einfach endlich die Wahrheit." Jem schaute jetzt eindringlich und flehentlich in Callums Augen, aus denen nun der Zorn wich, so wie er gekommen war. Sie hatten sich versprochen nicht zu lügen und dass Jems Worte ihn daran erinnerten, beruhigte Callums Wut, bis er schließlich verletzt wirkte. Er blinzelte, dann sprach er es in bitterem Ton einfach aus. „Der Typ in Euston und ich, wir hatten so'ne Vereinbarung. Ich benutze ein Schließfach, dafür blas ich ihm einen. Weil ich ihm gesagt habe, dass ich das nicht mehr mache, hat er mir eins über den Schädel gegeben und wollte mich auf dem Schreibtisch ficken. Ich bin noch rechtzeitig wach geworden..."

„Oh mein Gott, was heißt noch rechtzeitig?", brachte Jem geschockt und in ersticktem Ton heraus. Er war alles gleichzeitig. Entsetzt, traurig, wütend, voller Mitgefühl...

„Er konnt's nicht tun. Ich hab ihn abgewehrt. Hab getreten und geschlagen. Ich nehme an, es ist davon." Er meinte die Blutergüsse. „Hab's noch nicht bemerkt."

„Oh Gott, das ist furchtbar", begann Jem und kam auf Callum zu. Er wollte ihn jetzt irgendwie trösten, halten, Halt geben. Er nahm ihn jetzt einfach bei den Händen. Dann küsste er erst die eine Handfläche, dann die andere. „Was machst du?", fragte Callum verwirrt, der so eine Geste nicht einordnen konnte. „Ich wünschte, ich könnte deinen Schmerz einfach wegküssen", sagte Jem ganz sanft. „Wie konntest du so leben?"

Callum suchte nach einer Antwort. „Ich denke, es war besser, als so zu sterben." 

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