Instant- Kaffee Teil46
Das Haus sah aus wie hunderte andere, typische Reihenhäuser. Vorne ein kleiner Vorgarten zur Tür, ein großes Fenster nach vorn zur Straße, da wo das Wohnzimmer sein müsste. Die Straße selbst war ebenso typisch. Ein paar Bäume, ein paar Parkbuchten, darin ganz normale Autos und eben jetzt auch der Wagen mit Jeremy und Callum. Letzter schaute hinüber auf die andere Straßenseite, zu der orange-farbenen Tür, hinter der sein Bruder lebte. Noch warteten sie nur. Vielleicht würde man irgendetwas sehen oder erkennen, was einen Hinweis darauf gab, wie Rory lebte. Der Garten war weder besonders gepflegt, noch ungepflegt. Eine umgekippte Gießkanne lag darin. Eine Zeitung steckte halb im Briefkasten. Das Wohnzimmer hatte gestreifte Vorhänge, im Dach fehlte ein Ziegel. Vor dem Haus parkte ein etwas angeschrammter, älterer Vauxhall.
„Worauf warten wir?", fragte Jem nach einer Weile.
„Keine Ahnung, ob er raus kommt? Oder ans Fenster geht? Woher wissen wir, dass er da ist?"
„Es steht n Auto vor der Tür und die Vorhänge sind zu."
„Die muss er aufmachen, oder? Ich glaube, er schläft noch."
Jem schaute zum Haus, dann zu Cal. Er war angespannt, das war klar zu sehen, also überlegte der Blonde, ob er irgendetwas tun oder sagen könnte. „Das sieht alles völlig okay aus", war dann das Einzige, was ihm einfiel.
„DA!" Callum fuhr aufgeregt hoch. „Hast du gesehen?"
Jeremy hatte gesehen. „Ja, da hat jemand die Vorhänge aufgezogen."
„Hast du gesehen, ob es Rory war?"
„Nein, das war nicht zu erkennen. Wer sollte es sonst gewesen sein?"
„Ein Freund, eine Freundin..."
Jem schaute wieder zum Haus. „Wer immer das war, holt gleich womöglich die Zeitung rein."
Jetzt starrten sie beide auf die Tür. Dann öffnete sie sich und ein großer, dunkelhaariger Typ, barfuß, in Jeans und T-Shirt trat an den Briefkasten, wie vermutet. Sein Gesicht war ihnen nicht zugewandt und so schnell wie er aus dem Haus trat, war er auch wieder darin verschwunden. „Das ist er", brachte Cal heraus und ergriff Jems Arm.
„Bist du sicher?" Die Frage war rein hypothetisch. Natürlich war Callum sicher, sonst hätte er es nicht gesagt. Er wartete nicht auf Antwort. „Was machen wir jetzt?"
„Du gehst vor."
Jem nickte. Dann war es also jetzt soweit und sie würden ihren Plan in die Tat umsetzen.
„Kann nichts schief gehen", sagte er zu Cal, küsste ihn zur Aufmunterung und stieg aus dem Beetle. „Komm, wenn du bereit dazu bist. Ich lass mir solange was einfallen."
Jeremy ging über die Straße und drehte sich nochmal zu Callum um. Dann kam er zu dem kleinen Vorgarten. Das Gartentor könnte mal ein wenig Öl gebrauchen und als er zur Tür kam, sah er, dass dort ein Futternapf für eine Katze oder einen kleineren Hund stand. Alles, was man so über Rory folgern konnte war wohl, dass er ein Typ war, der sowas wie ein normales Leben führte. Besonders ordentlich oder gepflegt sah das alles hier allerdings nicht aus, dachte Jem. Keine Blumen in Töpfen, kein Kinderspielzeug auf dem Gras. Wahrscheinlich single. An der Klingel stand nur ein Name mit Kuli: R. Robinson. Drinnen, das hörte man jetzt, kochte und pfiff ein Wasserkessel und Fernseher oder Radio brachten gerade Nachrichten. Er würde es jetzt einfach tun. Entschlossen drückte Jem auf den Klingelknopf und trat etwas verlegen von einem Bein aufs andere. Die Tür ging halb auf. Der Typ in Jeans, immer noch barfuß, blinzelte Jem verschlafen entgegen. Das war Rory, kein Zweifel. Das dunkle Haar, die Augen in dieser Farbe wie das Meer an einem Sommertag. „Guten Morgen", begann Jeremy.
„Mmh, ja, guten Morgen. Kennen wir uns?" Rory schien etwas verunsichert. Vielleicht hatte er sofort gemerkt, dass Jem ihn so genau fixierte. Er sah ihn fragend an.
„Nein, wir kennen uns nicht", fuhr Jem fort. „Mein Name ist Jeremy Westenra. Ich komme aus London." Das war nicht besonders aufschlussreich, aber ein Anfang.
„Okay, willst du zu mir? Worum geht's?"
„Kann ich erst reinkommen?" Irgendwie kam es Jem jetzt, wo er ihm gegenüberstand, unpassend vor, die Nachricht, dass Rorys Bruder lebte, an der Tür zu überbringen.
Rory blinzelte, dieses Mal wohl aus Überraschung. Was wollte der fremde Typ so früh morgens an seiner Tür? „Ich muss gleich zur Arbeit...", begann er.
„Es ist wichtig."
Er musterte Jem von oben bis unten, dann schob er die Tür ganz auf. „Okay, komm rein. Willst du 'n Kaffee?"
Jem nickte, folgte Rory in die Küche und ließ sich dort am Tisch einen Instant- Kaffee aufbrühen. Er konnte nicht anders, als ihn dabei genau zu beobachten. Wie er sich bewegte, die einzelnen Handgriffe, sogar die Kopfhaltung, alles hatte verblüffende Ähnlichkeit mit Callum. „Nimmst du irgendwas? Zucker? Milch?" Er war sogar so kurz angebunden wie Callum, wenn er redete. Jem kam sich jetzt ein bisschen freakig vor, weil er ihn so anschaute, wie er da an der Spüle lehnte und ihm den Kaffee hinhielt. Jem nahm den Kaffee schwarz. Er schmeckte wider Erwarten gut.
„Jetzt sag, was willst du? Bist du wegen 'ner Frau hier?"
Jem verschluckte sich fast. Damit, was immer Rory damit andeutete, hatte er nicht gerechnet.
„Was? Nein. Es ist was völlig anderes." Jem beschloss, schnell zur Sache zu kommen, bevor die Situation noch seltsamer würde. „Ich... komme, um dir was zu sagen, etwas sehr Wichtiges."
„Dafür kommst du vor dem Aufstehen..." Rory setzte sich jetzt und schaute fragend.
„Ja. Du hattest einen Bruder in London", begann Jem. Bei dem Wort Bruder versteifte sich Rory ganz eindeutig.
„Du bist kein Bulle, bist du vom Jugendamt? Dann verpiss dich." Rory warf ihm einen Blick zu, der seine Worte noch unterstrich.
„Nein, nein", fuhr Jem schnell fort, „aber ich weiß, wo er ist. Er lebt." Jems Worte schienen in der Küche widerzuhallen, zumindest hätten sie keine größere Wirkung auf Rory haben können, wenn sie das täten. Ihm fiel der Kaffeebecher aus der Hand, den er gerade absetzen wollte. Er fixierte Jem mit seinen aquamarin-farbenen Augen.
„Red keinen Scheiß! DU weißt, wo... Callum ist? Wie? WO ist er?" Rorys Stimme zitterte leicht. Auch das war wie bei Callum und kaum wahrnehmbar, außer eben für Jem, der Cal inzwischen wirklich gut kannte.
Jeremy nickte ein paar Mal, dann ließ er seinen Worten freien Lauf. „Ich bin sein Freund und er ist mit mir hier." Rorys Augen verrieten, dass ihn diese Worte trafen. „Dein Bruder ist draußen im Wagen. Bestimmt klingelt er gleich."
Rory wiederholte die Worte, wie um sicher zu gehen, dass er sie richtig verstand. „Mein Bruder ist draußen... im Wagen..." Er stand auf und ging zum Fenster, um hinaus zu schauen. „Da ist niemand im Wagen..."
In dem Moment klingelte es an der Haustür. Rory fuhr herum.
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