Colin Teil2
Als sie so durch den Regen gingen, kam Jem in den Sinn, dass er vielleicht zu leichtsinnig war. Es war natürlich nur fair, wenn er dem Finder und Fänger des Hundes zumindest einen Tee spendieren würde und ihm die Möglichkeit gab, sich aufzuwärmen. Womöglich war er so nass, weil er Buster gefunden und gefangen hatte. Und wenn Jem selbst etwas hasste, dann war das Undankbarkeit. Aber trotzdem... Er beäugte den Mann vorsichtig von der Seite. Er war etwas größer als er selbst, annähernd eins-neunzig, aber definitiv ein Leichtgewicht bei der Größe. Besonders gesprächig schien er nicht zu sein.
„Wie kommt's, dass du dich so gut mit Hunden verstehst?" Normalerweise konnte man sich über so ein Thema immer unterhalten, fand Jem.
„Gut ist übertrieben. Deiner ist einfach angekommen, keine Ahnung wieso."
Das klang nicht nach einem besonders gelungenen Auftakt, aber locker lassen war jetzt auch nicht drin.
„Ist gar nicht meiner. Gehört der Nachbarin."
„Und du rennst hinter ihm her, weil?"
„Ich passe auf ihn auf. Nicht besonders gut, allerdings."
„Auch nicht besonders schlecht."
„Ist das deine Art, nett zu sein?" Irgendwie schien das Jem eine nette Antwort.
„Findest du mich nett?"
„Denke schon."
„Gut."
Bis zu Jems Wohnung brauchten sie etwa zwanzig Minuten und als sie ankamen, hatte der Regen tatsächlich etwas nachgelassen. Das war jedoch völlig egal, denn Colin konnte sowieso nicht noch nasser werden und Jem war inzwischen auch nicht viel besser dran, von Buster ganz zu schweigen. Der schüttelte sich gleich das Wasser aus dem Fell, kaum dass sie durch die Tür ins Haus gekommen waren und ehe sich Jem versah, hatte sich auch Colin die Kapuze abgestreift und schüttelte sein Haar. Das war ... merkwürdig. „Komm erstmal rauf, ich geb dir ein Handtuch", schlug Jem vor. Dann ging er vor, bis in den dritten Stock. Inzwischen konnte es Buster nicht mehr erwarten, wieder in der Wohnung zu sein und drängelte als erster durch die Tür. Colin zögerte kurz, weil er alles volltropfte. Er zog die Schuhe aus, was keinen Unterschied machte und Jem nur bemerken ließ, dass er keine Socken trug und seine Füße rot vor Kälte waren. Okay, entschied Jem, so geht das nicht.
„Hör mal, wie wär's, wenn du erstmal eine heiße Dusche nimmst?", schlug er vor. „Die nassen Klamotten schmeißt du in die Waschmaschine und ich geb dir irgendwas von mir."
„Okay, wo?"
Jem deutete auf die Tür zum Bad und bevor er sich versah, begann Colin, sich die nasse Sweatjacke abzustreifen sowie ein ebenfalls völlig durchnässtes T-Shirt. Jem registrierte überrascht, dass es ihm offenbar gar nichts ausmachte, sich vor ihm auszuziehen. Colins Oberkörper war extrem blass, so als wäre er der Sonne noch nie ausgesetzt gewesen. Und Jem konnte nicht umhin zu bemerken, dass er nicht schlank, sondern eher mager war. Seine Muskeln zeichneten sich unter der blassen Haut ab und er musste jünger sein, als Jem gedacht hatte, denn er war kaum behaart. „Ich suche dir ein paar Sachen und mach dann mal Tee", murmelte Jem, etwas verlegen und ging in sein Zimmer. Als er sich nochmal umdrehte, verschwand Colin gerade im Bad. Jem zog sich selbst ein paar trockene Sachen an und legte dann eine graue Jogginghose, ein paar dicke Socken und seinen alten University of Oxford Sweater heraus. Das legte er vor die Tür zum Bad und ging dann in die Küche.
Dort hatte es sich Buster schon auf seiner Decke gemütlich gemacht. „Wen haben wir denn da bloß mitgebracht?", fragte er den Hund, der völlig unbeeindruckt schien. Jem stellte ihm ein wenig Futter hin, dann stellte er den Wasserkocher an. Es würde definitiv auch Sandwiches und Kekse geben. Bestimmt war Colin hungrig, so wie er aussah. Jem sah in den Kühlschrank und verfluchte sich ein wenig selbst, weil er natürlich kaum was da hatte, aber er hatte eben nicht mit einem Gast gerechnet. Immerhin gab es Cheddar und einen Rest Mayonaise, Erdnussbutter und Caramel- Hobbits. Als er alles soweit fertig hatte, hörte er den Fön im Bad und kurz darauf kam Colin in die Küche. Er sah komplett verändert aus. Das dunkle Haar umrahmte sein Gesicht mit schweren Locken und man konnte so seine Augen richtig sehen. Er war glattrasiert und sah so wie höchstens siebzehn oder achtzehn aus.
„Setz dich, es gibt Earl Grey."
„Du wohnst allein?"
„Ja, zur Zeit, ja." Was sollte die Frage?
Colin setzte sich und schien einen Moment irritiert, als er sah, was es alles zu essen gab.
„Du hast Sandwiches gemacht?"
Jem nickte. „Also ich habe riesen Hunger und da dachte ich, du ganz sicher auch."
„Hm, ja vielleicht."
„Gut, dann greif zu." Jem griff selbst zu, wie um zu demonstrieren, dass er es wirklich so meinte. Was war das für ein seltsamer junger Mann, den er da aufgelesen hatte? Colin nahm sich jetzt von den Erdnussbutter- Sandwiches und schien noch immer etwas misstrauisch, wenn er jetzt in kleinen Häppchen aß.
Jem versuchte es erneut mit Reden. „Ist dir jetzt warm?"
„Ja, ist viel besser."
„Schmeckt dir der Tee?"
„Ja."
Da schien nicht viel zu gehen. Colin war offensichtlich kein Redner. Es schien ihm sogar irgendwie unangenehm, wenn Jem ihm eine Frage stellte, egal, wie beiläufig sie auch war. „Sag mal, du redest nicht viel, oder?" Jem lächelte den anderen jetzt an, nur um sicher zu gehen, dass er verstand, dass seine Fragen nur Neugier waren und der Versuch, ihn kennen zu lernen. Nichts weiter. Kein Verhör. Colin aber lächelte nicht. Schade eigentlich. Es würde ihm sicher noch besser stehen als die Dusche.
„Hör mal", begann er dann, „das alles hier, dein Bad, dein Tee, deine Klamotten", er zögerte, bevor er Jem direkt ansah, „was muss ich dafür tun?"
Jem war wie vom Donner gerührt. „Was soll das heißen? Du bist eingeladen, weil du den Hund ..."
„Red keinen Mist. Was willst du? Soll ich dir einen blasen?"
„Waas?!"
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top