Buster Teil 1

Der Tag hatte schon mit Nieselregen angefangen und es sah so aus, als könnte sich der Regen noch verstärken, aber mit einem Hund musste man wohl früher oder später darauf pfeifen und sich trotzdem vor die Tür wagen. Das zumindest sagte der Blick des Labradoodles neben dem Schreibtisch ganz eindeutig. Er schaute Jem mit großen Augen an und stupste ihn am Bein. Jem sah von seinem Laptop auf. "Du bist nicht mal mein Hund", murrte er und holte etwas missmutig die Leine von der Garderobe. Eigentlich war Buster nur so lange zu Besuch, bis sein Frauchen, die ältere Dame aus dem Erdgeschoss, zurückkam. Sie war zu ihrem Sohn und seiner Familie nach Dartmoor gefahren. Eines der Kinder war allergisch, also musste Buster zuhause bleiben und Jem war offenbar die erste Wahl als Ersatzherrchen. Warum? Er hatte keine Ahnung. Vielleicht fand sie nur, dass er bei seinem Job als Schriftsteller zu wenig an die frische Luft kam. Er wollte sich nicht vorstellen, dass sie fand, er sei zu viel allein. "Such dir doch eine nette Freundin", hatte sie zu ihm gesagt, als er das letzte Mal bei ihr unten geklopft hatte, weil er keine Milch mehr im Kühlschrank hatte. Die Betonung lag absichtlich auf "nett", denn Jems letzte Freundin war alles andere als das gewesen und Grund genug, erstmal auf Beziehungsversuche zu verzichten.
"Na, komm! Mit dir bin ich besser dran", fand er, als er dem Hund die Leine umlegte, seinen Regenschirm schnappte und mit dem freudig bellenden Buster zur Tür ging.

Die Gegend, in der Jem wohnte, lag am Regent's Canal im Norden Londons und man musste nur um ein paar Straßenecken biegen, um den Zoo oder einen der großen Parks zu erreichen. Bei dem Sauwetter war es Jem völlig egal, wohin sie gehen würden und er überließ Buster die Entscheidung. Der Hund zögerte kein bisschen und zog Jem erst in Richtung Wasser und dann am Kanal entlang. Dort waren heute bei Regen kaum andere Fußgänger unterwegs, auch wenn sich sonst viele Touristen vom Camden Market bis dorthin vorwagten. "Jetzt zieh nicht so." Jem schaute sich um, ob es etwas gab, was den Hund so sehr zu interessieren schien, dass er kaum zu halten war, aber er sah nichts Außergewöhliches und zudem waren so wenig Leute da, dass er entschied, er könne den Hund ein wenig von der Leine lassen. Schlimmstenfalls würde der ein paar Enten erschrecken. 

Kaum war die Leine abgeschnallt, da lief Buster auch schon neben dem Weg ein Stück die Böschung hinauf, die den Weg von den anliegenden Grundstücken trennte. Keine Gefahr, dass er dort unerlaubt eindringen könnte, denn die hatten alle ihre Zäune. Jem entspannte sich also ein wenig, schlenderte jetzt und schaute zu, wie die dicken Regentropfen auf die Oberfläche des Kanals prasselten und unzählige Spritzer aufstiegen. Der Regen schien noch immer schlimmer zu werden, also rief er nach Buster, damit sie sich auf den Rückweg machen konnten. Doch der Hund war nicht zu sehen und nicht zu hören.
"Buster?!!"
Jetzt fluchte Jem bereits für sich. Wie konnte er so unaufmerksam sein und nicht mitbekommen, wo der Hund hingelaufen war? Er beschleunigte seine Schritte und rief immer wieder nach dem Labradoodle. Der war hoffentlich nicht zu weit gelaufen. Irgendwann käme man in die Gegend, vor der die Touristen gewarnt wurden und Jem wollte sich besser nicht vorstellen, wie er der alten Mrs. Pennygrin erklärte, dass ihr Hund fortgelaufen war oder sich an einer weggeworfenen Junkie-Spritze verletzt hätte. Er begann zu joggen.
"Buster?!!" Irgendwo musste der doch sein! 

Inzwischen war Jem tatsächlich bei den alten Eisenbahnbrücken angelangt. Unter denen war es regelrecht unheimlich, gerade bei solchem Wetter und er wollte gar nicht genau wissen, was da unter seinen Schuhsohlen so knirschte. Bestimmt Scherben oder Schlimmeres. Das Regenwasser, das die alten Wände herunterkroch, machte seltsame dunkle Flecken auf dem alten Beton und es roch moderig.
"Buster?!!"
Irgendwo in einer Ecke bewegte sich etwas, aber das war nicht der Hund, das waren Obdachlose, die sich hier eingefunden hatten oder Junkies.
"Schrei hier nicht so rum", rief einer von denen.
Jem verlangsamte seine Schritte. Nicht aufzufallen wäre vielleicht die bessere Taktik. Gleich darauf kam ihm jemand vom anderen Ende der Unterführung entgegen. "Ist das dein Hund?", fragte der.
Jetzt sah Jem im Gegenlicht, dass ein junger Mann den Hund am Halsband führte.
"Ja, ich suche ihn," rief er und ging auf den anderen zu.
"Pass besser auf ihn auf", gab der zurück.

Endlich war Jem bei den beiden angekommen und Buster freute sich sichtlich, ihn zu sehen. Er leckte an seiner Hand. Jem kniete sich hin, um ihm die Leine wieder einzuklicken. Dann stand er auf und sah zum ersten Mal den Typen an, der jetzt direkt vor ihm stand. Er war pitschnass. Kein Wunder, denn im Gegensatz zu Jem, hatte er weder einen Regenschirm, noch eine Regenjacke. Stattdessen trug er nur eine Sweatjacke, die allerdings kaum etwas nützte. Unter der Kapuze klebten dunkle Haarsträhnen in seinem Gesicht, die fast bis in die Augen hingen. Die waren auffallend hell unter langen, nassen Wimpern. Alles an ihm tropfte bis auf die Füße, die in durchweichten Sneakern steckten.

"Wo hast du ihn gefunden?", war das Erste, was Jem einfiel.

"Irgendwo dahinten", sagte der andere und deutete mit dem Kopf in die Richtung, "aber er hat wohl eher mich gefunden. Ich hab ihn nur festgehalten. Er ist nett." 

Das brachte ein Lächeln in Jems Gesicht.
"Du findest ihn nett?"

"Ja."

"Okay, danke, dass du ihn festgehalten hast." Er streckte dem anderen die Hand entgegen, um sich so zu bedanken. Im gleichen Moment schien es, als würde der davor zurückschrecken.
"Sorry", entschuldigte sich Jem instinktiv, nicht ganz sicher, was diese Reaktion ausgelöst hatte. Seine Hand?

"Mein Fehler."

Das war noch viel seltsamer. Und irgendwie kam es Jem jetzt so vor, als müsste er noch irgendwas tun. Aber was?
"Hör mal, du bist so dermaßen nass, kann ich dir 'nen Tee anbieten?"

Der Typ sah ihn kurz an. "Hast du welchen?"

"Nicht hier, aber ... bei mir zu Hause."
"Ist das weit?"

"Geht so. Nass bist du sowieso. Du könntest dich etwas trocknen ..."

"Bei dir zuhause?!"

"Ja."

Hatte Jem das wirklich gesagt? Er musste völlig irre sein. Bestimmt war der Typ ein obdachloser Junkie und würde ihn niederschlagen und seine Wohnung ausräumen ... Andererseits, Buster mochte ihn und er fand Buster nett.

"Okay, aber nur für den Tee."

"Ja klar. Komm Buster."

"Ich heiße nicht Buster."

"Nein, klar. Aber du hast 'nen Namen? Ich bin Jeremy."

"C...olin."

>>>  An dieser Stelle ein dickes Dankeschön an Riley Escanor-Mcforest, der neben den tollen Geschichten, die er schreibt, die Zeit gefunden hat, dieses Cover für mich zu kreieren.  

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